Luftverschmutzung – jährlich 40.000 Tote
Freitag, August 26th, 2022Als ich für den vorhergehenden Blog über die Zukunft der Mobilität recherchierte, fiel mir ein Zeitungsartikel aus dem Jahre 2000 auf. Berichtet wird darin über eine Studie zur Auswirkung der Auspuffabgase und Industriegifte. Diese wissenschaftliche Publikation kam zu dem Schluss, dass in Westeuropa jährlich rund 40.000 Menschen an den Folgen der Luftverschmutzung sterben – darunter 5.500 aus Österreich und 3.300 aus der Schweiz. Damals litten in Westeuropa etwa 300.000 Menschen an Bronchitis-Erkrankungen und zirka 500.000 an Asthma-anfällen – jedes Jahr! Dies führt zu jährlich rund 16 Mio Krankenstands-tagen. 35.000 Kinder bekommen alleine in Österreich jedes Jahr lebens-gefährliche Asthma-Attacken, 6.000 Erwachsene erkranken an Bronchitis.
Harte Tatsachen zum Start des neuen Jahrtausends. Was nun hat sich in den zurückliegenden 22 Jahren getan? Wie haben sich die Klima-Maß-nahmen der Regierungen in den jeweiligen Ländern ausgewirkt? Beein-flusst die Luftverschmutzung etwa auch die Ansteckung mit Erkrankungen der Luftwege und der Lunge? So wurde beispielsweise in einer Studie von Marco Ferrario von der Universität Insubrien in der oberitalienischen Stadt Varese nachgewiesen, dass Einwohner an Strassen mit erhöhter Luft-schadstoffkonzentration häufiger an CoVID-19 erkrankten als Bürger aus anderen Stadtteilen („Occupational and Environmental Medicine“ 2022). Die Erklärung: Feinstaub kann von Viren als Transportmittel verwendet werden.
Zu Beginn erstmal gute Nachrichten: Es hat sich tatsächlich sehr viel bei den Verbrennungsmotoren sprich dem Verkehr getan, allerdings wurde die Situation in diesem Bereich nicht wirklich verbessert. Auch in der Industrie wurden Massnahmen gesetzt, sodass der Teil der Smogopfer durch diesen Bereich in Deutschland etwa auf 13 % gesenkt werden konnte. Eklatant zugenommen haben jedoch die Emissionen aus der Landwirtschaft. So werden die Massentierhaltung und die übermässige Düngung v.a. mit Gülle, aber auch mit Mist für einen erheblichen Teil der Toten durch Luftverschmutzung verantwortlich gemacht. Grosse Mengen von Ammoniak werden freigesetzt, die die Atemwege extrem belasten!
Im Jahr 2000 führte noch Frankreich mit 31.000 Opfern die Todesliste an – 2021 war es Deutschland mit 34.000. Nach wie vor sterben jährlich rund 7.000 Deutsche (ca. 20 %) an den Folgen der durch den Verkehr verursachten Luftverschmutzung. Nur in China, Indien, den USA und Russland ist der Anteil noch höher, weltweit liegt er bei rund 5 %. Eine unmittelbare Folge der immer dichter werdenden Besiedlung und der Landflucht. Wissenschaftler des Max-Planck-Institutes haben errechnet, dass diese Kurve bis zum Jahr 2050 noch weiter ansteigen wird – neben Europa und den USA vornehmlich in Süd- und Ostasien. Weltweit könnte sich die Zahl der Smogopfer auf 6,6 Mio Menschen nahezu verdoppeln. In London etwa von 2.800 auf 4.200, in Moskau von 8.600 auf 11.700 und in Kalkutta von 13.500 auf gar 54.800, um nur drei Beispiele zu nennen.
Fairerweise muss jedoch erwähnt werden, dass Deutschland und auch Österreich (die Schweiz weniger) von Nachbarstaaten umgeben sind, die nicht wirklich auf die Reduktion der Klimagase, Stickoxide und des Feinstaubs achten. Trotzdem: Gerade Deutschland zählt zu den Top Ten etwa der CO2-Verursacher. Pro Kopf wurden im Jahr 2019 rund 7,75 to Kohlendioxid ausgeschieden, in den USA sind es 14,44 to. In Österreich lag dieser Ausstoss bei 7,1, in der Schweiz bei 4,16 to pro Kopf und Jahr. Es zeigt auf, dass hier die Hausaufgaben seit der Unterschrift unter das Pariser Klimaschutzabkommen 2015 nicht wirklich gut erledigt wurden. Den Schwarzen Peter den anderen zuzuschieben, ist grundlegend falsch.
„Würde man die gesamte Weltbevölkerung in 50 Gruppen einteilen, von denen jede zwei Prozent der globalen Emissionen verursacht – folgt daraus dann, dass niemand etwas machen muss?“
(Stefan Rahmstorf, Dt. Klimaforscher)
Doch zurück zur Luftverschmutzung. Schon als Kind lernten wir von unseren Eltern, dass wir zum Spielen an die frische Luft gehen sollen. Nun hat eine Studie aus Südkorea aufgezeigt, dass Sport an der „frischen Luft“ ab einem gewissen Grad der Luftverschmutzung gar mehr schaden als nützlich sein kann. Bei 1,5 Mio jungen Erwachsenen wurde im Zeitraum von fünf Jahren nachgewiesen, dass hohe Feinstaubwerte beim Sport im Freien das Herz-Kreislauf-System belasten. Der Feinstaub gelangt über die Lungenbläschen in das Blut. Dadurch schädigt er alle Organe des Körpers. Im Blutkreislauf inklusive des Herzens etwa verursacht dieser Entzündungen, Arteriosklerose, Herzinfarkt und Schlaganfall, sogar im Gehirn brechen Entzündungen aus, da die kleinsten. Partikel die Blut-Hirn-Schranke ohne Probleme überwinden.
„Die Feinstaub-Grenzwerte der EU liegen ganz nah an dem Bereich, in dem laut der Studie körperliche Aktivität im Freien bereits schädlich für das Herz-Kreislauf-System ist. Regional werden die Grenzwerte in Deutschland sogar überschritten, etwa in Hochindustriegebieten.“
(Univ.-Prof. Dr. med. Thomas Münzel, Direktor der Kardiologie I an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz )
Feinstaub wird in unterschiedlicher Partikel-Grösse zugeordnet:
– grob 10 µg
– fein 2,5 µg
– ultrafein 0,1 µg
Entsprechend der Studie wurde die Feinstaubbelastung von unter 26,4 µg/m3 als moderat bis niedrig eingeordnet (bei feinen Partikeln), der EU-Grenzwert liegt im Jahresdurchschnitt bei 25 µg/m3, die WHO empfiehlt 10 µg/m3. Zum Vergleich: Der Grenzwert liegt in den USA bei 12 µg/m3. Über das Thema Feinstaub habe ich an dieser Stelle bereits ausführlich berichtet.
Wissenschaftler des Max-Planck-Institutes für Chemie und der Universi-tätsmedizin Mainz berechneten in einer Studie, dass die Luftver-schmutzung die Lebenserwartung der Menschen weltweit um rund drei Jahre verkürzt. Wesentlich mehr als durch Infektionskrankheiten oder dem Rauchen als Herz-Kreislauf-Risikofaktor. Im Rahmen der Studie wurden Zahlen aus dem Jahr 2015 ausgewertet. Damals starben weltweit vorzeitig rund 8,8 Mio Menschen an den Folgen der Luftverschmutzung – in Europa sind es 800.000. Umgerechnet bedeutet dies eine durchschnittliche Reduktion der Pro-Kopf-Lebenserwartung um 2,9 Jahre (in Europa um knapp mehr als 2,0 Jahre), beim Rauchen sind es 2,2 Jahre. vor allem der bereits erwähnte Feinstaub, aber auch das Ozon setzen dabei dem Körper schwer zu. Global betrachtet ist die vorzeitige Sterblichkeit in Ost- und Südasien mit 35 bzw. 32 % am höchsten. In Europa sind es 9 %. Australien hat die höchsten Luftreinhaltungsgesetze – dort liegt die Rate bei 1,5 %. Der Grossteil der Luftverschmutzung stammt aus der Verwendung fossiler Energieträger wie Erdöl, Kohl und Erdgas. Durch einen Verzicht könnten rund zwei Drittel der jährlich Sterbefälle mit dieser Ursache vermieden werden.
Auch die Sektion Umweltmedizin des Südtiroler Sanitätsbetriebes führte zu dieser Thematik Untersuchungen anhand der Messwerte der Luft-messstationen Bozen, Meran, Bruneck, Brixen, Sterzing und Latsch von den Jahren 2000 bis 2004 durch. Das Land ist deshalb grossflächig von der Schadstoffbelastung betroffen, da nahezu alle Gewerbegebiete, Hauptverkehrsadern und alle Städte im Tal angesiedelt sind. Hier leben nicht weniger als 172.600 Menschen. Bei Inversionslagen (vornehmlich im Winter) und Windstille findet keine Durchlüftung statt – es kommt zu Smog. Stickoxide, Feinstaub, Kohlenmonoxid, Ozon und Benzol bleiben somit über Tage hinweg im Tal. Benzol beispielsweise gilt als krebser-regend. Aufgenommen wird es durch einatmen, verschlucken und Hautkontakt. Eine akute Vergiftung zeigt sich durch Haut- und Schleim-hautreizungen, es folgen Übelkeit, Erbrechen und Rauschzustände. Die kann weiters zu Herzrhythmusstörungen, Bewusstlosigkeit und epileptischen Anfällen führen. Durch schwefelarme Treibstoffe und Heizung mittels Erdgas konnte zumindest die Schwefeloxid-Belastung gesenkt werden.
„Lungenärzte sehen in Kliniken Todesfälle durch COPD und Lungenkrebs. Durch Feinstaub und NOx, auch bei sorgfältiger Anamnese, nie.“
(Prof. Dr. med. Dieter Köhler, emeritierter Präsident des Arbeitskreises bzw. Verbandes Pneumologischer Kliniken)
Prof. Köhler löste durch seine Veröffentlichungen eine breite Diskussion über die Folgen der Luftverschmutzung aus. Dabei hatten sich mehrere Rechenfehler eingeschlichen. Zudem wurde die Ursache der Erkrankungen ausser Acht gelassen – Feinstaub oder Stickoxide schienen alsdann nie als todesursächlich auf, sondern die Erkrankung als solche. Inzwischen sind die Aussagen des Herrn Professor nicht zuletzt aufgrund auch von Kohortenstudien widerlegt:
„An Tagen mit höherer Luftverschmutzung sterben mehr Menschen als an Tagen mit niedriger Luftverschmutzung!“
(Ralf Krauter, Wissenschaftsjournalist spektrum.de)
Dem schliesst sich auch das Forum der internationalen Lungengesell-schaften (FIRS) an. Von dort ist zu vernehmen, dass Langzeitexposition zu chronischen Veränderungen wie Herzerkrankungen, Krebs und auch Demenz, Diabetes sowie zu Schädigungen bei Neugeborenen führt. Soll heissen, dass die Lebenserwartung von Menschen aus Stadtteilen mit hoher Verkehrsbelastung geringer ist als von Menschen aus anderen Stadtteilen. Am stärksten davon betroffen sind Menschen, die bereits vorerkrankt sind. Höchst interessant war in diesem Zusammenhang die Studie des Nationalen Herz- und Lungeninstitutes im Jahr 2007 in London. Asthmakranke mussten dabei durch die stark belebte Oxford-Street über einen vorher genau bestimmten Weg mit ebenso klar fixierten Pausen spazieren. Damals durfte die Oxford Street nur von Bussen und Diesel-Taxis befahren werden. Drei Wochen später wurde das Experiment im Hyde-Park wiederholt. Jeweils danach fand eine Überprüfung der Lungenfunktion statt. Den Probanden setzte die Einkaufsstrasse deutlich mehr zu.
In Österreich erfolgte im Juli 2012 der Startschuss für „LEAD“, die erste österreichische Langzeitstudie zur Lungengesundheit. 10.000 Menschen werden noch bis 2024 am Ludwig-Boltzmann-Institut für COPD und Pneumologische Epidemiologie an der Klinik Penzing (ehemals Otto-Wagner-Spital) in Wien untersucht. Durch die regelmässige Untersuchung der Lunge sollen Veränderungen des Organs erforscht werden, um entsprechende Erkrankungen früher feststellen zu können. Die chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD) ist auch im Alpenland auf stetem Vormarsch. Etwa 10 % der Österreicher sind behandlungsbedürftig – die Patienten werden zudem immer jünger. Wird COPD vorzeitig diagnos-tiziert ist es recht gut behandelbar.
„Stickstoffdioxid ist schädlich und schadet der Gesundheit auf zahlreichen Wegen.“
(Barbara Hoffmann, Leiterin der Umweltepidemiologie am Uniklinikum Düsseldorf)
Stickoxide können bei chronischem Lungenleiden schon bei Konzen-trationen, die unterhalb des Grenzwertes liegen, zu Asthmaattacken mit Atemnot und Husten führen. Eine schwedische Studie wies bei Asthmatikern bereits Reaktionen während der halbstündigen Fahrt in einem hoch-frequentierten Strassentunnel nach. NOx-Emissionen tragen gemeinsam mit flüchtigen organischen Verbindungen (VOCs) und dem UV-Licht in einem grossen Ausmass zur Bildung von Feinstaub und Ozon bei.
Nach Schätzungen der Europäischen Umweltagentur waren im Jahr 2018 20.600 Todesfälle auf Ozon zurückzuführen. Ozon besteht aus drei Sauerstoffatomen, ist alsdann sehr instabil und zerfällt in kürzester Zeit zu dimerem Sauerstoff. Bei normalem Luftdruck und Zimmertemperatur ist es gasförmig. Ozon ist ein starkes Oxidationsmittel. Auf den Körper wirkt es als Reizgas, das zu Augenreizungen (Tränenreiz), Atemwegs-beschwerden (Husten) und Kopfschmerzen führt. Die Lungenfunktion wird stark eingeschränkt, bei besonders hoher Konzentration wird das Organ auch geschädigt. Mediziner gehen davon aus, dass O3 das Erbgut schädigt und zudem krebserregend wirkt. Eine sehr interessante wissenschaftliche Erkenntnis sei hier noch angefügt: In der zu Beginn des Blogs erwähnten Studie aus Varese fiel auf, dass mit steigender Ozon-konzentration in der Luft die Zahl der CoVID-19-Erkrankungen gesunken ist. Die Wissenschaftler erklärten sich dies mit der reduzierten Umwand-lung von NO in O3 bei starkem Strassenverkehr.
In einem am 29. Juni 2018 in der Zeitschrift „The Lancet Planetary Health“ erschienenen Artikel berechneten die Autoren Jos Lelieveld, Andy Haines und Andrea Pozzer die durch den vorzeitigen Tod aufgrund der Folge-wirkungen von Feinstaub und Ozon verloren gehenden Lebensjahre. Sie gelangten auf 122 Millionen Lebensjahre. Die Wissenschaftler bezifferten auch die im Jahr 2015 an schlechter Luft verstorbenen Kleinkinder: Rund 246.000, wovon 237.000 einer Infektion der unteren Atemwege (wie etwa einer Lungenentzündung) erlagen. Zum Vergleich: Im selben Jahr verstarben 87.000 Kleinkinder an HIV/AIDS. Alles in allem kann die Luftverschmutzung zu folgenden Erkrankungen oder Erscheinungen führen:
– Herzinfarkt
– Herzrhythmusstörungen
– Herzinsuffizienz
– höherer Blutdruck
– tiefe Venenthrombose
– Schlaganfall
– Parkinson
– Alzheimer
– Lungenkrebs
– Lungenentzündung
– geringeres Lungenwachstum bei Kindern und Jugendlichen
– Diabetes I und II
– Fehlgeburten bzw. geringeres Geburtsgewicht
– schlechtere Spermienqualität
– vorzeitige Hautalterung
Links:
– www.who.int/europe/home?v=welcome
– unece.org
– www.eea.europa.eu/de
– www.umweltbundesamt.at
– www.epa.gov/isa
– www.bafu.admin.ch/bafu/de/home.html
– www.pneumologenverband.de
– www.uniklinik-duesseldorf.de
– www.iass-potsdam.de/de
– www.mpic.de
– www.ufz.de
– www.ogp.at
– www.swisstph.ch/de/
– www.mpg.de
– www.uu.nl/en
Lesetipps:
.) Eine Studie zur Ökobilanzierung bei der Kontrolle der Luftver-schmutzung; Saman Saffarian; Verlag Unser Wissen 2022
.) Epidemiologische Ansätze zur Klärung der Zusammenhänge von Luftverschmutzung und Gesundheit; Ursula Ackermann-Liebrich; Umwelt-medizin in Forschung und Praxis 1999
.) Chemie der Umweltbelastung; Günter Fellenberg; Verlag B. G. Teubner 1997
.) Die Wirkungen von Luftverunreinigungen auf Waldökosysteme; Ernst-Detlef Schulze/Otto Ludwig Lange; Chemie in unserer Zeit 1990
.) Die Zukunft des Klimas. Neue Erkenntnisse, neue Herausforderungen. Ein Report der Max-Planck-Gesellschaft; Hrsg.: Jochem Marotzke/Martin Stratmann; Beck 2015
.) Air pollution and health; Hrsg.: S.T. Holgate et al; Academic Press 1999
.) Loss of life expectancy from air pollution compared to other risk factors by country; Jos Lelieveld, Andrea Pozzer, Ulrich Pöschl, Mohammed Fnais, Andy Haines, Thomas Münzel; Cardiovascular Research 2020