Posts Tagged ‘Stadt’

Luftverschmutzung – jährlich 40.000 Tote

Als ich für den vorhergehenden Blog über die Zukunft der Mobilität recherchierte, fiel mir ein Zeitungsartikel aus dem Jahre 2000 auf. Berichtet wird darin über eine Studie zur Auswirkung der Auspuffabgase und Industriegifte. Diese wissenschaftliche Publikation kam zu dem Schluss, dass in Westeuropa jährlich rund 40.000 Menschen an den Folgen der Luftverschmutzung sterben – darunter 5.500 aus Österreich und 3.300 aus der Schweiz. Damals litten in Westeuropa etwa 300.000 Menschen an Bronchitis-Erkrankungen und zirka 500.000 an Asthma-anfällen – jedes Jahr! Dies führt zu jährlich rund 16 Mio Krankenstands-tagen. 35.000 Kinder bekommen alleine in Österreich jedes Jahr lebens-gefährliche Asthma-Attacken, 6.000 Erwachsene erkranken an Bronchitis. 

Harte Tatsachen zum Start des neuen Jahrtausends. Was nun hat sich in den zurückliegenden 22 Jahren getan? Wie haben sich die Klima-Maß-nahmen der Regierungen in den jeweiligen Ländern ausgewirkt? Beein-flusst die Luftverschmutzung etwa auch die Ansteckung mit Erkrankungen der Luftwege und der Lunge? So wurde beispielsweise in einer Studie von Marco Ferrario von der Universität Insubrien in der oberitalienischen Stadt Varese nachgewiesen, dass Einwohner an Strassen mit erhöhter Luft-schadstoffkonzentration häufiger an CoVID-19 erkrankten als Bürger aus anderen Stadtteilen („Occupational and Environmental Medicine“ 2022). Die Erklärung: Feinstaub kann von Viren als Transportmittel verwendet werden.

Zu Beginn erstmal gute Nachrichten: Es hat sich tatsächlich sehr viel bei den Verbrennungsmotoren sprich dem Verkehr getan, allerdings wurde die Situation in diesem Bereich nicht wirklich verbessert. Auch in der Industrie wurden Massnahmen gesetzt, sodass der Teil der Smogopfer durch diesen Bereich in Deutschland etwa auf 13 % gesenkt werden konnte. Eklatant zugenommen haben jedoch die Emissionen aus der Landwirtschaft. So werden die Massentierhaltung und die übermässige Düngung v.a. mit Gülle, aber auch mit Mist für einen erheblichen Teil der Toten durch Luftverschmutzung verantwortlich gemacht. Grosse Mengen von Ammoniak werden freigesetzt, die die Atemwege extrem belasten! 

Im Jahr 2000 führte noch Frankreich mit 31.000 Opfern die Todesliste an – 2021 war es Deutschland mit 34.000. Nach wie vor sterben jährlich rund 7.000 Deutsche (ca. 20 %) an den Folgen der durch den Verkehr verursachten Luftverschmutzung. Nur in China, Indien, den USA und Russland ist der Anteil noch höher, weltweit liegt er bei rund 5 %. Eine unmittelbare Folge der immer dichter werdenden Besiedlung und der Landflucht. Wissenschaftler des Max-Planck-Institutes haben errechnet, dass diese Kurve bis zum Jahr 2050 noch weiter ansteigen wird – neben Europa und den USA vornehmlich in Süd- und Ostasien. Weltweit könnte sich die Zahl der Smogopfer auf 6,6 Mio Menschen nahezu verdoppeln. In London etwa von 2.800 auf 4.200, in Moskau von 8.600 auf 11.700 und in Kalkutta von 13.500 auf gar 54.800, um nur drei Beispiele zu nennen.    

Fairerweise muss jedoch erwähnt werden, dass Deutschland und auch Österreich (die Schweiz weniger) von Nachbarstaaten umgeben sind, die nicht wirklich auf die Reduktion der Klimagase, Stickoxide und des Feinstaubs achten. Trotzdem: Gerade Deutschland zählt zu den Top Ten etwa der CO2-Verursacher. Pro Kopf wurden im Jahr 2019 rund 7,75 to Kohlendioxid ausgeschieden, in den USA sind es 14,44 to. In Österreich lag dieser Ausstoss bei 7,1, in der Schweiz bei 4,16 to pro Kopf und Jahr. Es zeigt auf, dass hier die Hausaufgaben seit der Unterschrift unter das Pariser Klimaschutzabkommen 2015 nicht wirklich gut erledigt wurden. Den Schwarzen Peter den anderen zuzuschieben, ist grundlegend falsch.

„Würde man die gesamte Weltbevölkerung in 50 Gruppen einteilen, von denen jede zwei Prozent der globalen Emissionen verursacht – folgt daraus dann, dass niemand etwas machen muss?“

(Stefan Rahmstorf, Dt. Klimaforscher)

Doch zurück zur Luftverschmutzung. Schon als Kind lernten wir von unseren Eltern, dass wir zum Spielen an die frische Luft gehen sollen. Nun hat eine Studie aus Südkorea aufgezeigt, dass Sport an der „frischen Luft“ ab einem gewissen Grad der Luftverschmutzung gar mehr schaden als nützlich sein kann. Bei 1,5 Mio jungen Erwachsenen wurde im Zeitraum von fünf Jahren nachgewiesen, dass hohe Feinstaubwerte beim Sport im Freien das Herz-Kreislauf-System belasten. Der Feinstaub gelangt über die Lungenbläschen in das Blut. Dadurch schädigt er alle Organe des Körpers. Im Blutkreislauf inklusive des Herzens etwa verursacht dieser Entzündungen, Arteriosklerose, Herzinfarkt und Schlaganfall, sogar im Gehirn brechen Entzündungen aus, da die kleinsten. Partikel die Blut-Hirn-Schranke ohne Probleme überwinden. 

„Die Feinstaub-Grenzwerte der EU liegen ganz nah an dem Bereich, in dem laut der Studie körperliche Aktivität im Freien bereits schädlich für das Herz-Kreislauf-System ist. Regional werden die Grenzwerte in Deutschland sogar überschritten, etwa in Hochindustriegebieten.“

(Univ.-Prof. Dr. med. Thomas Münzel, Direktor der Kardiologie I an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz )

Feinstaub wird in unterschiedlicher Partikel-Grösse zugeordnet: 

– grob 10 µg

– fein 2,5 µg

– ultrafein 0,1 µg

Entsprechend der Studie wurde die Feinstaubbelastung von unter 26,4 µg/m3 als moderat bis niedrig eingeordnet (bei feinen Partikeln), der EU-Grenzwert liegt im Jahresdurchschnitt bei 25 µg/m3, die WHO empfiehlt 10 µg/m3. Zum Vergleich: Der Grenzwert liegt in den USA bei 12 µg/m3. Über das Thema Feinstaub habe ich an dieser Stelle bereits ausführlich berichtet. 

Wissenschaftler des Max-Planck-Institutes für Chemie und der Universi-tätsmedizin Mainz berechneten in einer Studie, dass die Luftver-schmutzung die Lebenserwartung der Menschen weltweit um rund drei Jahre verkürzt. Wesentlich mehr als durch Infektionskrankheiten oder dem Rauchen als Herz-Kreislauf-Risikofaktor. Im Rahmen der Studie wurden Zahlen aus dem Jahr 2015 ausgewertet. Damals starben weltweit vorzeitig rund 8,8 Mio Menschen an den Folgen der Luftverschmutzung – in Europa sind es 800.000. Umgerechnet bedeutet dies eine durchschnittliche Reduktion der Pro-Kopf-Lebenserwartung um 2,9 Jahre (in Europa um knapp mehr als 2,0 Jahre), beim Rauchen sind es 2,2 Jahre. vor allem der bereits erwähnte Feinstaub, aber auch das Ozon setzen dabei dem Körper schwer zu. Global betrachtet ist die vorzeitige Sterblichkeit in Ost- und Südasien mit 35 bzw. 32 % am höchsten. In Europa sind es 9 %. Australien hat die höchsten Luftreinhaltungsgesetze – dort liegt die Rate bei 1,5 %. Der Grossteil der Luftverschmutzung stammt aus der Verwendung fossiler Energieträger wie Erdöl, Kohl und Erdgas. Durch einen Verzicht könnten rund zwei Drittel der jährlich Sterbefälle mit dieser Ursache vermieden werden.  

Auch die Sektion Umweltmedizin des Südtiroler Sanitätsbetriebes führte zu dieser Thematik Untersuchungen anhand der Messwerte der Luft-messstationen Bozen, Meran, Bruneck, Brixen, Sterzing und Latsch von den Jahren 2000 bis 2004 durch. Das Land ist deshalb grossflächig von der Schadstoffbelastung betroffen, da nahezu alle Gewerbegebiete, Hauptverkehrsadern und alle Städte im Tal angesiedelt sind. Hier leben nicht weniger als 172.600 Menschen. Bei Inversionslagen (vornehmlich im Winter) und Windstille findet keine Durchlüftung statt – es kommt zu Smog. Stickoxide, Feinstaub, Kohlenmonoxid, Ozon und Benzol bleiben somit über Tage hinweg im Tal. Benzol beispielsweise gilt als krebser-regend. Aufgenommen wird es durch einatmen, verschlucken und Hautkontakt. Eine akute Vergiftung zeigt sich durch Haut- und Schleim-hautreizungen, es folgen Übelkeit, Erbrechen und Rauschzustände. Die kann weiters zu Herzrhythmusstörungen, Bewusstlosigkeit und epileptischen Anfällen führen. Durch schwefelarme Treibstoffe und Heizung mittels Erdgas konnte zumindest die Schwefeloxid-Belastung gesenkt werden. 

„Lungenärzte sehen in Kliniken Todesfälle durch COPD und Lungenkrebs. Durch Feinstaub und NOx, auch bei sorgfältiger Anamnese, nie.“ 

(Prof. Dr. med. Dieter Köhler, emeritierter Präsident des Arbeitskreises bzw. Verbandes Pneumologischer Kliniken)

Prof. Köhler löste durch seine Veröffentlichungen eine breite Diskussion über die Folgen der Luftverschmutzung aus. Dabei hatten sich mehrere Rechenfehler eingeschlichen. Zudem wurde die Ursache der Erkrankungen ausser Acht gelassen – Feinstaub oder Stickoxide schienen alsdann nie als todesursächlich auf, sondern die Erkrankung als solche. Inzwischen sind die Aussagen des Herrn Professor nicht zuletzt aufgrund auch von Kohortenstudien widerlegt: 

„An Tagen mit höherer Luftverschmutzung sterben mehr Menschen als an Tagen mit niedriger Luftverschmutzung!“

(Ralf Krauter, Wissenschaftsjournalist spektrum.de)

Dem schliesst sich auch das Forum der internationalen Lungengesell-schaften (FIRS) an. Von dort ist zu vernehmen, dass Langzeitexposition zu chronischen Veränderungen wie Herzerkrankungen, Krebs und auch Demenz, Diabetes sowie zu Schädigungen bei Neugeborenen führt. Soll heissen, dass die Lebenserwartung von Menschen aus Stadtteilen mit hoher Verkehrsbelastung geringer ist als von Menschen aus anderen Stadtteilen. Am stärksten davon betroffen sind Menschen, die bereits vorerkrankt sind. Höchst interessant war in diesem Zusammenhang die Studie des Nationalen Herz- und Lungeninstitutes im Jahr 2007 in London. Asthmakranke mussten dabei durch die stark belebte Oxford-Street über einen vorher genau bestimmten Weg mit ebenso klar fixierten Pausen spazieren. Damals durfte die Oxford Street nur von Bussen und Diesel-Taxis befahren werden. Drei Wochen später wurde das Experiment im Hyde-Park wiederholt. Jeweils danach fand eine Überprüfung der Lungenfunktion statt. Den Probanden setzte die Einkaufsstrasse deutlich mehr zu.  

In Österreich erfolgte im Juli 2012 der Startschuss für „LEAD“, die erste österreichische Langzeitstudie zur Lungengesundheit. 10.000 Menschen werden noch bis 2024 am Ludwig-Boltzmann-Institut für COPD und Pneumologische Epidemiologie an der Klinik Penzing (ehemals Otto-Wagner-Spital) in Wien untersucht. Durch die regelmässige Untersuchung der Lunge sollen Veränderungen des Organs erforscht werden, um entsprechende Erkrankungen früher feststellen zu können. Die chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD) ist auch im Alpenland auf stetem Vormarsch. Etwa 10 % der Österreicher sind behandlungsbedürftig – die Patienten werden zudem immer jünger. Wird COPD vorzeitig diagnos-tiziert ist es recht gut behandelbar.

„Stickstoffdioxid ist schädlich und schadet der Gesundheit auf zahlreichen Wegen.“ 

(Barbara Hoffmann, Leiterin der Umweltepidemiologie am Uniklinikum Düsseldorf)

Stickoxide können bei chronischem Lungenleiden schon bei Konzen-trationen, die unterhalb des Grenzwertes liegen, zu Asthmaattacken mit Atemnot und Husten führen. Eine schwedische Studie wies bei Asthmatikern bereits Reaktionen während der halbstündigen Fahrt in einem hoch-frequentierten Strassentunnel nach. NOx-Emissionen tragen gemeinsam mit flüchtigen organischen Verbindungen (VOCs) und dem UV-Licht in einem grossen Ausmass zur Bildung von Feinstaub und Ozon bei. 

Nach Schätzungen der Europäischen Umweltagentur waren im Jahr 2018 20.600 Todesfälle auf Ozon zurückzuführen. Ozon besteht aus drei Sauerstoffatomen, ist alsdann sehr instabil und zerfällt in kürzester Zeit zu dimerem Sauerstoff. Bei normalem Luftdruck und Zimmertemperatur ist es gasförmig. Ozon ist ein starkes Oxidationsmittel. Auf den Körper wirkt es als Reizgas, das zu Augenreizungen (Tränenreiz), Atemwegs-beschwerden (Husten) und Kopfschmerzen führt. Die Lungenfunktion wird stark eingeschränkt, bei besonders hoher Konzentration wird das Organ auch geschädigt. Mediziner gehen davon aus, dass O3 das Erbgut schädigt und zudem krebserregend wirkt. Eine sehr interessante wissenschaftliche Erkenntnis sei hier noch angefügt: In der zu Beginn des Blogs erwähnten Studie aus Varese fiel auf, dass mit steigender Ozon-konzentration in der Luft die Zahl der CoVID-19-Erkrankungen gesunken ist. Die Wissenschaftler erklärten sich dies mit der reduzierten Umwand-lung von NO in O3 bei starkem Strassenverkehr. 

In einem am 29. Juni 2018 in der Zeitschrift „The Lancet Planetary Health“ erschienenen Artikel berechneten die Autoren Jos Lelieveld, Andy Haines und Andrea Pozzer die durch den vorzeitigen Tod aufgrund der Folge-wirkungen von Feinstaub und Ozon verloren gehenden Lebensjahre. Sie gelangten auf 122 Millionen Lebensjahre. Die Wissenschaftler bezifferten auch die im Jahr 2015 an schlechter Luft verstorbenen Kleinkinder: Rund 246.000, wovon 237.000 einer Infektion der unteren Atemwege (wie etwa einer Lungenentzündung) erlagen. Zum Vergleich: Im selben Jahr verstarben 87.000 Kleinkinder an HIV/AIDS. Alles in allem kann die Luftverschmutzung zu folgenden Erkrankungen oder Erscheinungen führen:

– Herzinfarkt

– Herzrhythmusstörungen

– Herzinsuffizienz

– höherer Blutdruck

– tiefe Venenthrombose

– Schlaganfall

– Parkinson

– Alzheimer

– Lungenkrebs

– Lungenentzündung

– geringeres Lungenwachstum bei Kindern und Jugendlichen

– Diabetes I und II

– Fehlgeburten bzw. geringeres Geburtsgewicht

– schlechtere Spermienqualität

– vorzeitige Hautalterung 

Links:

– www.who.int/europe/home?v=welcome

– unece.org

– www.eea.europa.eu/de

– www.umweltbundesamt.at

– www.epa.gov/isa

– www.bafu.admin.ch/bafu/de/home.html

– www.pneumologenverband.de

– www.uniklinik-duesseldorf.de

– www.iass-potsdam.de/de

– www.mpic.de

– www.ufz.de

– www.ogp.at

– www.swisstph.ch/de/

– www.mpg.de

– www.uu.nl/en

Lesetipps:

.) Eine Studie zur Ökobilanzierung bei der Kontrolle der Luftver-schmutzung; Saman Saffarian; Verlag Unser Wissen 2022

.) Epidemiologische Ansätze zur Klärung der Zusammenhänge von Luftverschmutzung und Gesundheit; Ursula Ackermann-Liebrich; Umwelt-medizin in Forschung und Praxis 1999

.) Chemie der Umweltbelastung;  Günter Fellenberg; Verlag B. G. Teubner 1997

.) Die Wirkungen von Luftverunreinigungen auf Waldökosysteme; Ernst-Detlef Schulze/Otto Ludwig Lange; Chemie in unserer Zeit 1990

.) Die Zukunft des Klimas. Neue Erkenntnisse, neue Herausforderungen. Ein Report der Max-Planck-Gesellschaft; Hrsg.: Jochem Marotzke/Martin Stratmann; Beck 2015

.) Air pollution and health; Hrsg.: S.T. Holgate et al; Academic Press 1999

.) Loss of life expectancy from air pollution compared to other risk factors by country; Jos Lelieveld, Andrea Pozzer, Ulrich Pöschl, Mohammed Fnais, Andy Haines, Thomas Münzel; Cardiovascular Research 2020

No Comments »

Urbane Mobilität – Mit der Seilbahn zur Arbeit

„Parkende Autos sind eine gigantische Platzverschwendung! In Zukunft können wir uns das noch weniger leisten, weil unsere Städte widerstandsfähiger werden müssen gegen die Folgen des Klima-wandels.“

(Andreas Knie, Univ.-Prof. für Soziologie an der TU Berlin) 

Seine Arbeit spaltet die Meinungen, obgleich er nicht wie sein Kollege Hermann Knoflacher (emeritierter Professor für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik an der TU Wien) oder der ehemalige PDS-Bundestags-abgeordneter Winfried Wolf den völligen Verzicht auf Autos fordert. Andreas Knie ist seit 35 Jahren wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wissen-schaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und leitet dort seit zwei Jahren die Forschungsgruppe „Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung“. Prof. Knie fordert vielmehr die Einschränkung des städtischen Individualverkehrs mit Privatautos. Anstatt dessen favorisiert er die Einführung von „Robo-Shuttles“ – selbstfahrenden Autos, die über das Handy geordert werden können. Die meisten unter Ihnen werden sie aus den unzähligen Sci-Fi-Filmen kennen! Im heutigen Blog wird es sehr technisch, aber auch sehr interessant werden.

Seit Jahrzehnten grübeln Städteentwickler, Verkehrsplaner und Soziologen über Lösungsmöglichkeiten des Individualverkehrs in den Städten. Ballungszentren, die aufgrund der Landflucht immer grösser werden, obwohl sich viele die Wohnung gar nicht mehr leisten können und ein Parkplatz vor dem Haus nahezu ebenso viel kostet, wie eine Garconniere auf dem Land! Übrigens ein ganz heisses Thema anscheinend auch für die Auto-Produzenten, denn wer hier eine derartige Lösung liefern kann, dürfte wohl eine Nasenlänge vor der Konkurrenz liegen. So gab es u.a. bereits ein gemeinsames Projekt von VW und Uber mit E-Cars. Und dann schlagen die Meldungen von Tesla ein wie eine Bombe, wonach der Autopilot Kinder offenbar nicht als Hindernis erkennt (3 von 3 Kinder wären angefahren oder überrollt worden). Das wirft nicht nur den Musk-Konzern, sondern alle Unternehmen um Meilen zurück, die am auto-nomen Fahren arbeiten. Kern ist also von diesem Konzept der Robo-Shuttles überzeugt, die des nächtens zum Aufladen in die Aussenbezirke fahren würden. 

Dennoch ist es nur eine Möglichkeit, die Städte wieder wohnbarer zu machen. Eine andere wäre sicherlich die Fahrrad-Stadt. Amsterdam gilt in diesem Bereich als die Fahrradhauptstadt Europas. In der nieder-ländischen Grossstadt leben rund 810.000 Menschen, doch gibt es geschätzte 880.000 Drahtesel. Es ist eine gesunde Möglichkeit, da Bewegung ja bekanntlich dem Körper in allen Belangen gut tut. Allerdings nur machbar mit massiven Einschränkungen des motorisierten Verkehrs oder gar komplett autofreier Zonen, da Radfahrer in so mancher Stadt als wesentlich gefährdeter als Fussgänger gelten – viele aufgrund ihrer Fahrweise auch durchaus selbstverschuldet. Stellt sich die Frage: Wie kann in einer autofreien Zone umgezogen werden und wie gestaltet sich das mit Lieferfahrten? Alles kann mit einem Lastenfahrrad nicht transportiert werden. Schon mit einem Wocheneinkauf kann es Probleme geben. Amsterdam hat zudem auch nur ganz wenige und geringe Steigungen. Stelle ich mir jedoch vor, wie es nur mit dem Fahrrad in Städten wie etwa Innsbruck ausschaut, wo teils ordentliche Steigungen zu meistern sind. 

Eine weitere Möglichkeit wäre Carsharing! Die Fixkosten wie Steuer und Versicherung, sowie Parkkarte oder Garagenstellplatz können eingespart werden. Wird ein Auto nötig, so kann man es sich buchen. Allerdings ist hier eine gute Planung vonnöten, schliesslich greifen mehrere auf ein und dasselbe Auto zu. Das kann gerade bei Stosszeiten zu Wartezeiten führen. Besser, man verschiebt dann seine Erledigungen und Termine auf die Randzeiten. Im Vergleich zu den Robo-Shuttles müssen dies nicht auto-nom fahrende Autos sein. Die Gefahr bei dieser Lösung: Bei einem Unfall stehen plötzlich mehrere Carsharing-Nutzer ohne Auto da. 

Nurmehr öffentliche Verkehrsmittel. Ich war acht Monate lang in Wien. Viele Strecken legte ich zu Fuss zurück – ansonsten war ich mit der U-Bahn wesentlich rascher am Ziel als mit dem Auto. Allerdings wirft auch diese Lösung eine Frage auf: Was mache ich in der Früh und am Abend, wenn die halbe Stadt auf dem Weg zur oder von der Arbeit ist. Die Bilder der überfüllten U-Bahnen in Tokio sind nicht wirklich eine Werbung hierfür. Um das zu vermeiden, könnte man ja früher bzw. später unter-wegs sein. Jedoch meldet sich alsdann der Chef als Erster, da sich viele Überstunden ansammeln oder die Kernzeiten nicht eingehalten werden; schliesslich wird dies auch die Familie nicht wirklich gutheissen, wenn man nach der Arbeit noch auf ein Feierabend-Bierchen geht, obwohl zuhause das Abendessen wartet. 

Und da gibt es dann noch die Idee mit der Stadtseilbahn (Favorit des Schreiberlings). Die erste urbane Seilbahn wurde 1862 in Lyon errichtet. Mit ihren Drei-Wagen-Zügen konnten bis zu 324 Personen zwischen den hügeligen Stadtteilen befördert werden. In den letzten Jahren entwickelte sich die Stadtseilbahn zum interessantesten Projekt der Städte- und Verkehrsplaner. Verantwortlich dafür ist sicherlich auch der Erfolg der Bahn in Koblenz. Sie wurde anlässlich der Bundesgartenschau errichtet und verbindet die Altstadt mit der Festung Ehrenbreitstein. Ein Hotspot nicht nur für Touristen, sondern inzwischen auch für viele Einheimische, die die Bahn täglich nutzen. Bis vorläufig erstmal 2026, dann endet die Betriebsgenehmigung. 35 Personen passen in eine Kabine – pro Stunde und Richtung können bis zu 6.000 Personen befördert werden. 

Auch in London, Bozen, Madrid, Barcelona, Lissabon etc. findet man Stadtseilbahnen. In Ankara wurde 2014 zwischen der U-Bahnstation Yeni Mahalle und dem Stadtteil Sentepe die längste Stadtseilbahn Eurasiens in Betrieb genommen. Für die 3.228 m lange Strecke benötigt man 10 Minuten – die Verbindungsstrasse hingegen ist ständig verstopft – mit dem Auto wären es 60 Minuten. Stündlich können bis zu 2.400 Personen befördert werden. Die Kabinen verfügen über eine Sitzheizung, ein Multi-Informationssystem und erreichen eine Fahrhöhe von bis zu 60 m. 

Der Kontinent mit den meisten Stadtseilbahnen jedoch ist Südamerika. Die erste Bahn fuhr ab 2004 in Medellin/Kolumbien. Sie verbindet die Armenviertel mit der Innenstadt. Fünf Jahre später folgte Manizales (ebenfalls Kolumbien), 2010 Caracas (Venezuela), Rio de Janeiro 2011, Mexiko-Stadt 2016 und Bogotá 2018. Das beste Seilbahnen-Netz versieht in der bolivianischen Hauptstadt La Paz seinen Dienst. 2014 wurde der erste Abschnitt eröffnet – inzwischen ist auch der letzte in Betrieb: 33 Kilometer lang, verbindet das Seilbahnnetz vornehmlich die Hauptstadt La Paz mit der zweitgrössten Stadt des Landes El Alto (4.000 m Seehöhe). Die Bahn wird hauptsächlich von Pendlern benutzt, täglich sind es alsdann rund 125.000 Personen. 

Für Deutschland und Österreich liegen inzwischen auch bereits konkrete Pläne vor – nicht nur für den Wintertourismus. Auch in den Städten gibt es bereits baufertige Konzepte. 

.) Salzburg beabsichtigte den Bau einer U-Bahn zwischen dem Haupt-bahnhof und dem Mirabellplatz. Kosten anno 2018: 150 Mio € mit viel Luft nach oben, da es aufgrund des Setons zu Bauproblemen kommen könnte. Also schlug der Stadtverein eine Seilbahn-Lösung vor, damit all die Touristen-Busse nicht mehr in die Stadt fahren müssen. Geplant in einem ersten Schritt ist eine Linie vom Messegelände im Norden zum Rot-Kreuz-Parkplatz, der zweite vom Park & Ride Platz an der Alpenstrasse Süd bis zum Nonntal. In der Früh und am Abend würde damit den Pendlern, tagsüber den Touristen geholfen. Die Baukosten von 160 Mio für beide Bahnen und Betriebskosten von rund 6 Mio (ebenfalls für beiden Bahnen) würden sich innerhalb weniger Jahre amortisieren. 

.) Linz arbeitet ebenfalls an einem Projekt von Pichling zum Pleschinger See. Gesamtlänge: 10 km. Der Knackpunkt: Die Kosten in der Höhe von 283 Mio €. Bürgermeister Klaus Luger sprach sich zuletzt im März erneut für dieses Projekt aus, schliesslich pendeln tagtäglich rund 100.000 Menschen in die oberösterreichische Hauptstadt. Pro Stunde und Fahrt-richtung könnten 5.500 Fahrgäste transportiert werden. In drei Bau-phasen soll es umgesetzt werden: 1. Bauphase über 3,5 km von Ebelsberg in das Linzer Industriegebiet. 2. Bauphase über 4,9 km bis zum Handelshafen und Bauphase 3 über die Donau bis nach Plesching. Errechnete Fahrzeit: 29 Minuten. Die Betriebskosten würden jährlich rund sieben Mio € ausmachen. 

.) Graz – Nach einer Studie der Technischen Universität Graz könnte die Einwohnerzahl bis 2035 auf 500.000 ansteigen, derzeit pendeln täglich rund 180.000 Personen im Grossraum Graz. Die Seilbahn soll über 12 km entlang der Mur führen und dabei auch die Park & Ride-Parkplätze im Norden und Süden der Stadt einbinden. Die Baukosten belaufen sich auf rund 200 Mio €, auch Güter könnten mit der Bahn transportiert werden.

.) Wien könnte um eine Attraktion reicher werden mit der Stadtseilbahn vom Bahnhof Hütteldorf zum Bahnhof Ottakring. Die Partei der NEOs brachte diese Möglichkeit bereits 2017 in die Diskussion ein – anstatt des geplanten Lobautunnels. Zuletzt wurde eine Machbarkeitsstudie durch-geführt – das Ergebnis sollte gegen Jahresende präsentiert werden.

In Deutschland hat das Bundesministerium für Digitales und Verkehr bereits 2019 eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich mit der urbanen Mobilität mit Stadtseilbahnen befasst. Workshops fanden bislang in Bonn, Frankfurt am Main, München, Stuttgart, Leipzig und Kiel statt. Erstellt wurde ein Leitfaden, der bei der Cable Car World (Fachmesse für Stadt-seilbahnen) in Essen vorgestellt wurde. 2021 wurde Förderbedarf für nicht weniger als 266 Vorhaben angemeldet (2020 waren es noch 127) – darunter jedoch nur ein Seilbahnprojekt. Derzeit gebaut wird an der Seil-bahn für die Bundesgartenschau in Mannheim 2023. Sie verbindet das Spinelli-Gelände mit dem Luisenpark, führt über 2 Kilometer und soll ab April bis zu 2.800 Gäste pro Stunde befördern. Es handelt sich hierbei um eine Leihgabe, die nach der BUGA 23 wieder abgebaut werden soll. Die erste Stütze steht bereits seit Ende Juli, der Bau sollte bis Jahresende fertig sein. Kosten: 8 Mio €. Der Breakeven liegt bei 150 bis 200 zahlenden Fahrgästen die Stunde – das sollte erreichbar sein!

In Frankreich hingegen boomt der Stadtseilbahnbau: Brest, Grenoble, Toulouse, Paris,… 

Es gibt viele Vorteile einer Stadtseilbahn: 

– läuft immer – es gibt also keine Staus

– nahezu geräuschlos

– umweltfreundlich

– hohe Kapazität

– hoher Unterhaltungswert

– geländeunabhängig

– flächengünstig

Nachteile: Ab einer Windgeschwindigkeit von 100 km/h muss der Betrieb der meisten Bahnen eingestellt werden. Ebenso bei Gewitter, da ein Blitzschlag ein relativ hohes Risiko darstellt.

Seilbahnen können die sog. „Rückgrat-Systeme“ wie U-Bahn, Bahn, Strassenbahn nicht zur Gänze ersetzen. Sie können sie jedoch sehr attraktiv miteinander verbinden. Stellt sich alsdann die Frage, weshalb solche Bahnen nach wie vor nur in einigen ausgesuchten Städte im Einsatz sind, da eine Linienführung etwa entlang eines Flusses oder Hauptstrasse auch keinerlei Auswirkungen auf die Privatsphäre der Eigentümer darunterliegender Grundstücke hätte.

Ach ja – und da gibt es übrigens auch noch weitere Konzepte, die ich der Vollständigkeit halber erwähnen möchte: 

.) City-Cable-Car (Doppelmayr)

.) Conn-X (Leitner)

.) Ropetaxi (Bartholet)

https://www.bartholet.swiss/de/ropetaxi

.) UpBUS (RWTH Aachen)

Filmtipp:

.) ARTE – Xenius „Stadtseilbahn“

.) SWR – „Ohne Auto mobil – Wie kann das gehen?“

.) Web Fleet Mobility Conference 2022 – „Urbane Mobilität und Smart Cities in den nächsten zehn Jahren“

.) Free Now – „Urbane Mobilität: Ein Blick hinter die Kulissen“

Lesetipps:

.) Urbane Mobilität – Politische Perspektiven und rechtlicher Rahmen; Hrsg.: Martin Kment/Matthias Rossi; Mohr Siebeck 2021

.) Urbane Mobilität als Schlüssel für eine neue Gesellschaft; Torsten Ambs/Kathrin Pipahl; Springer Gabler 2020

.) Zukunft Urbane Mobilität: Eine ganzheitliche Betrachtung; Hrsg.: Bernhard Müller; Urban Future Edition 2020

.) Urbane Mobilität im Umbruch; Uta Schneider; Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2017

.) Bewegende Zeiten: Mobilität der Zukunft; Julian Weber; Springer 2020

Links:

– ec.europa.eu/info/es-regionu-ir-miestu-pletra/temos/miestai-ir-miestu-pletra/prioritetines-temos/judumas-mieste_de

– www.plattform-urbane-mobilitaet.de/de/

– verkehrsforschung.dlr.de

– www.bmvi.de

– www.bmk.gv.at/kontakt.html

– www.th-nuernberg.de

– www.kit.edu

– mobilitaetderzukunft.at/de/

– www.vcoe.at

– www.vda.de

– www.profilregion-ka.de/

– www.doppelmayr.com/de/

– www.leitner.com

No Comments »

WP Login