PFAS – geschaffen für die Ewigkeit
Samstag, Juni 15th, 2024Nun – wohl jeder hat mit ihnen schon zu tun gehabt, man kommt ihnen einfach nicht aus. „Per- und Polyfluorierte Alkylsubstanzen“, erlauben Sie mir bitte die Abkürzung: PFAS! Ohne sie ist vieles im normalen, alltäg-lichen Leben nicht mehr machbar. Zu finden sind sie in Pfannen und Halbleitern, in der Outdoor-Bekleidung, in der Lebensmittel-Verpackungsindustrie und ja sogar in der Zahnseide.
Ihre Kennzeichen: Wasser- und schmutzabweisend, hitze- und druck-beständig – auch die meisten Säuren können ihnen nichts antun.
Die Gefahr: Sie machen krank und bleiben nahezu „ewig“ in der Umwelt („Forever Chemicals“)! Die biologische Halbwertszeit von PFOA liegt bei ca. 2,7 Jahren, von PFOS bei ca. 4,7 und bei PFHxS bei ca. 5,3 Jahren. Nachdem sie bereits im Trinkwasser vorkommen, werden sie zum akuten Problem!
Die Chemie gleich vorweg: Bei diesen organischen Substanzen wurden die Wasserstoff- industriell durch Fluoratome ersetzt! Inzwischen gibt es mehr als 10.000 dieser chemisch-zusammengesetzten Stoffe – nahezu täglich werden es mehr.
Und nun wird’s heftig: Seit bereits den 1960er-Jahren ist es bekannt und wissenschaftlich nachgewiesen, dass bestimmte PFAS im menschlichen Körper Krankheiten wie etwa Krebs auslösen können!
„PFAS können auf die Fruchtbarkeit wirken, auf die Spermaqualität oder auch auf die Entwicklung des Kindes im Mutterleib. Sie können die Reaktion bei Impfungen herabsetzen. Einige werden als krebs-erzeugend eingestuft.“
(Marike Kolossa-Gehring, Chef-Toxikologin am dt. Umweltbundesamt)
Inzwischen werden PFASs neben dem Wasser auch in Pflanzen, Böden, Tieren und im Blut des Menschen nachgewiesen. Auch übrigens in der Arktis und Antarktis. Zu Beginn des letzten Jahres haben vier EU-Staaten neben Deutschland den Vorschlag bei der EU-Chemikalienbehörde ECHA eingebracht, den Einsatz dieser PFASs zu beschränken oder gar zu verbieten. Ein halbes Jahr lang hätten alle EU-Bürger die Möglichkeit gehabt, diesen Vorschlag zu unterstützen. Geschehen ist freilich so gut wie gar nichts. Ganz im Gegenteil: Die Industrie nutzte die Möglichkeit, um weiterhin auf die „Positiven Eigenschaften“ hinzuweisen und ein Szenario aufzustellen, wie das Leben wohl wäre, gäbe es die PFASs nicht mehr. Klar – weshalb kompliziert, wenn es einfach auch gehen könnte! Erst eine Greenpeace-Kampagne zeigte auf, dass Outdoor-Bekleidung auch ohne PFAS wasserdicht oder Küchenpfannen antihaftend werden können. Übrigens auch der Löschschaum der Feuerwehr. V.a. Flughäfen sind nach wie vor stark PFAS-belastet. Nicht unbedingt durch reale Ein-sätze, sondern oftmals durch die Lösch-Trainings. Die Chemikalien versickern oder kommen ins Abwasser und bleiben dort für Jahre hinweg. Derartige Schäume (auch in Feuerlöschern) sind seit heuer in der EU nicht mehr zugelassen – es gelten allerdings erneut Übergangsfristen. An den Altlasten allerdings haben wir schwer zu beißen.
„Man kann ohne Übertreibung sagen, dass es die problematischste Stoffgruppe ist, die wir bisher im Rahmen der Industriechemikalien haben.“
(Prof. Martin Scheringer, Umweltchemiker an der ETH Zürich)
Doch damit noch lange nicht genug: PFAS ist auch eng verbunden mit der Energiewende. So sind sie enthalten in den Trennschichten der Lithium-Batterie bzw. den Membranen der Brennstoffzellen. Die möglichen Alternativen hierzu werden – wie üblich – nur ganz vereinzelt genutzt, da zu teuer oder schlichtweg zu aufwendig. Propan als Kältemittel in Wärmepumpen oder Klimaanlagen wäre sogar leistungsfähiger als PFAS-Gas! Zwar erfolgt dessen Verwendung immer öfter, doch könnte es wesentlich rascher umgesetzt werden! Treten dann die Gesetze endlich in Kraft, sind lautstarke Proteste aus Wirtschaft und Industrie zu vernehmen, da all dies zu schnell gehe, zu teuer werde und schliesslich Arbeitsplätze koste.
Wie gefährlich können diese Chemikalien aber wirklich werden? Hier ein Beispiel!
1999 erhielt der Umweltrechtsanwalt Robert Bilott einen Anruf des Viehbauern Wilbur Tennant aus Parkersburg/West Virginia. Der Farmer meinte, dass ihm reihenweise das Vieh wegsterben würde. Billot ver-teidigte bis zu diesem Zeitpunkt vornehmlich Chemiekonzerne, weshalb er mit dem Kommenden seine eigene Karriere und den Ruf seiner Kanzlei auf’s Spiel setzte. Der Anwalt, der damals in der Kanzlei Taft, Stettinius & Hollister beschäftigt war, nahm die Recherchen auf und überzeugte seinen Arbeitgeber mit einem Video, das verendete Kälber mit verfärbten Eingeweiden, aus der Nase blutende tote Wildtiere, Kühe mit Schaum am Maul sowie missgebildete Hufe zeigte. Es stellte sich heraus, dass die Tennants in den 1980er-Jahren ein Stück Land an den benachbarten Chemiekonzern DuPont verkauft hatten. Dieser nutzte es offenbar als Mülldeponie. Durch diese Deponie verläuft ein Flüsschen, dem die Tennants weiter flussabwärts Wasser für ihre Farm entnahmen. Bilott reichte Klage beim Bundesgericht ein. Diese wurde abgewiesen mit dem Hinweis auf schlechte Haltungsbedingungen des Viehs bei den Tennants. In einem Schreiben fiel die Abkürzung „PFOA“ (Perfluoroctansäure). Der Anwalt klagte den Chemiekonzern auf Herausgabe entsprechender Unterlagen, da dieser sich zuvor weigerte, und bekam Recht.
1951 erwarb DuPont das Patent auf PFOA von 3M, das es zur Herstellung von Teflon verwendete. 3M hatte DuPont davon informiert, dass PFOA-Reste bzw. -abfälle als Sondermüll zu behandeln sind. Dieser aber pumpte offenbar seither Tonnen davon in den Ohio-River und deponierte rund 7.100 to PFOA-haltigen Schlamm in den Sickergruben auf diesem Gelände in Parkersburg. Dadurch gelangte die Chemikalie auch in das Grund- und somit Trinkwasser für mehr als 100.000 Menschen aus der Umgebung.
Der Chemiekonzern hatte selbst weitere Forschungsstudien zu PFOA durchgeführt, dessen Ergebnisse jedoch nie veröffentlicht: Geburtsfehler bei Ratten, Hoden-, Leber- und Bauchspeicheldrüsenkrebs bei Versuchs-tieren, hohe Konzentrationen im Blut der Mitarbeiter, Augenfehler bei neugeborenen Kindern sowie mehr als 3 ppb (Parts per Billion) im Trink-wasser, obgleich die Wissenschaftler des Unternehmens selbst den Grenzwert von max. 1 ppb empfohlen hatten. Somit tranken teils über Jahrzehnte hinweg zig-tausende Menschen verseuchtes Wasser. 1993 hatte der Konzern ein weitaus weniger gefährliches Ersatzprodukt ent-wickelt, das finanzielle Risiko allerdings war den Verantwortlichen zu hoch. Durch die Schornsteine wurde alsdann fleissig weiter PFOA-Gas und -staub in die Luft geblasen, die selbstverständlich auch entferntere Regionen erreichten. Im Jahre 2000 stellte 3M die PFOA-Verwendung gänzlichst ein, Dupont allerdings hielt auch weiterhin daran fest.
„Wir haben bestätigt, dass Chemikalien und Schadstoffe, die von DuPont bei Dry Run Landfill und anderen nahegelegenen DuPont-Anlagen in die Umwelt abgegeben wurden, eine unmittelbare und substanzielle Gefahr für Gesundheit und Umwelt darstellen.“
(Robert Bilott 2001 in einem 972 Seiten starken offenen Brief an alle entsprechenden Behörden)
Nach diesem Schreiben musste nun auch die US-Umweltbehörde EPA reagieren, die bislang entsprechende Kontrollen den Konzernen selbst überlassen hatte. 2001 reichte Bilott eine Sammelklage gegen den Konzern ein. Dieser zahlte den Klägern 70 Mio Dollar und liess Filteranlagen in sechs Wasserdistrikten installieren. 2005 kam es zu einem Vergleich zwischen DuPont und der EPA im Wert von 16,5 Mio Dollar. Billott und weitere mit der Sache beschäftigte Anwälte erhielten 21,7 Mio Dollar. Damit erhoffte sich der Konzern, dass endlich wieder Ruhe einkehren würde. Die Anwälte finanzierten damit allerdings eine umfassende Untersuchung, deren Ergebnisse 2011 vorgelegt wurden. Eine durchaus mögliche Verbindung zwischen PFOA mit Nieren- und Hodenkrebs sowie Schilddrüsenerkankungen, Schwangerschaftshyper-tonie, Colitis ulcerosa (eine chronisch-entzündliche Erkrankung im End-darm) etc. galt als erwiesen.
PFOA dockt an Blutplasmaproteine an und gelangt dadurch nicht nur in einzelne, sondern in alle
Organe und lagert sich im ganzen Körper ab. Neben den bereits beschriebenen Erkrankungen kann dies auch zu Fruchtschädigungen und Geburtsdefekten sowie Organanomalien führen.
3.535 Personen verklagten daraufhin den Konzern. Zwei Jahre später legten Bilott und seine Kollegen den Fall zu den Akten. 2013 beendete DuPont die Verwendung von PFOA in der Produktion, alle anderen Hersteller verpflichteten bis 2015 sich ebenfalls dazu. Noch heute übrigens warnen Experten davor, Teflon-beschichtete Pfannen zu stark zu erhitzen, da es hierbei zu giftigen Dämpfen kommen kann. Ebenso sollten Pfannen mit beschädigtem Belag nicht mehr verwendet werden.
2015 unterzeichneten nicht weniger als 200 Wissenschaftler die „Madrider Erklärung“, in welcher der Ersatz aller PFAS- durch ungiftigere Chemikalien gefordert wird. Erst jetzt hat Brüssel mit Grenzwerten reagiert – gesteht der Industrie jedoch Übergangsfristen von 18 Monaten bis zu 12 Jahren ein. Das reicht durchaus aus, sich zu vergiften und an den Folgen zu sterben. Umso wichtiger sind Informationen hierüber, die den Konsumenten möglicherweise dazu veranlassen, auf andere Produkte umzusteigen. Fehlt der Absatz, reagieren auch die Hersteller schneller darauf!
Im Mai 2023 stellte die Internationale Gewässerschutzkommission für den Bodensee (IGKB) erhöhte PFAS-Werte im Schwäbischen Meer fest und forderte das sofortige Verbot dieser Fluor-Polymere.
Weitere Hotspots:
.) Südostoberbayern 2006
.) Ruhr und Möhne/NRW 2006
.) Rhede/NRW 2006
.) Brillon/NRW 2009
.) Flughafen Nürnberg 2012
.) Flughafen München 2012
.) Flugplatz Bitburg/Rheinland-Pfalz) 2012 und 2015
.) Fliegerhorst Ingolstadt/Manching 2012
.) Rastatt/Baden-Württemberg 2013
.) Flughafen Frankfurt-Hahn 2014
.) Allgäu Airport Memmingen
.) Fliegerhorst Landsberg/Lech
.) Flugplatz Büchel/Rheinland-Pfalz
.) Air-Base Spangdahlem/Rheinland-Pfalz
.) Ochtum (Quellfluss der Weser in Niedersachsen bzw. Bremen) 2019
.) Bezirk Leibnitz/Steiermark 2019
.) Flughafen Salzburg 2022
.) Tullnerfeld/Niederösterreich 2022
.) Leonding/Oberösterreich 2022
.) Wagram und Pasching/Oberösterreich 2023
.) Kanton St. Gallen
Filmtipps:
.) PFAS – Gift für die Ewigkeit! Wie abhängig sind wir? (ARD-Doku)
.) The devil we know (Dokumentarfilm zu Parkersburg) 2018
.) Dark waters – Vergiftete Wahrheit (Doku-Drama zu Parkersburg) 2019
.) GenX – A chemical cocktail (US-amerikanische Doku) 2019
Lesetipps:
.) Schwerpunkt 1-2020: PFAS: Gekommen, um zu bleiben; Umwelt-bundesamt 2020
.) Berichte aus der Forschung – Perfluorierte Tenside; Bundesinstitut für Risikobewertung 2013
.) Fluorinated Surfactants and Repellents; Erik Kissa; CRC Press 2001
Links: