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Hamas – Das Pulverfass Naher Osten ist explodiert

„ Das ist der Tag der größten Schlacht!“

(Mohammed Deif, Kommandeur der Kassam-Brigaden)

Es ist der bislang heftigste Angriff, den die militante, islamistisch-radikale Terrororganisation Hamas am 07. Oktober gegen Israel begann: Die „Operation al-Aqsa-Flut“ als vermeintliche Antwort auf die „Schän-dung der al-Aqsa-Moschee“. Der Kommandeur der Kassam-Brigaden, Mohammed Deiff betonte gegen 06.30 Uhr im Radio, dass innerhalb von nur 20 Minuten über 5000 Raketen aus dem Gazastreifen in Richtung Israel abgefeuert wurden (nach Angaben aus Israel waren es mehr als 2000). Die Raketen schlugen im ganzen Land ein – am Abend des Angriffstages sprachen medizinische Quellen von 300 Toten und rund 1.590 verletzten Menschen in Israel.

Zeitgleich drangen Militante aus der Luft, über das Meer und auch durch mögliche Tunnels zu Lande aus der Sperrzone nach Israel ein und richte-ten dort ein Blutbad an bzw. entführten Menschen, etwa von einem Rave-Festivalgelände – völlig gleichgültig ob Israeli oder ausländische Besucher (darunter auch Deutsche und Österreicher). Die Kassam-Brigaden ver-öffentlichten Bilder über gefangene israelische Soldaten. Deif rief gleich-zeitig alle Muslime zu den Waffen auf – konkret dann für Freitag, den 13. Oktober „Massenmobilisierung“. Die Hisbollah gratulierte zum Schlag, beschoss ebenfalls israelische Stellungen auf den Golanhöhen (Scheeba-Farmen), doch in weitaus geringerer Intensität. DER Erzfeind Israels im Nahen Osten, der Iran, begrüsste zwar den Angriff, weist aber die direkte Involvierung in den Konflikt von sich.

„Die heutige Operation der Widerstandsbewegung in Palästina ist ein Wendepunkt in der Fortsetzung des bewaffneten Widerstands des palästinensischen Volkes gegen die Zionisten!”

(Nasser Kanaani, Aussenamtssprecher des Irans)

Sein Chef allerdings giesst noch weiter Benzin ins Feuer:

„Dieses Krebsgeschwür wird, so Gott will, durch das palästinensische Volk und die Widerstandskräfte in der gesamten Region endgültig ausgerottet werden!“

(Ajatollah Ali Khamenei, geistliches und politisches Oberhaupt des Iran)

Keine Frage: Da wurde der erste Domino-Stein angestossen, der noch viel Blutzoll einfordern wird. Schon jetzt sind weit über 2.000 Menschen auf beiden Seiten ums Leben gekommen. Inzwischen hat die EU den Geldfluss für die Palästinenser gestoppt, die USA stehen ihrem Waffen-bruder auch mit ihrer Mittelmeerflotte bei, immer mehr Städte, Länder und Staaten (wie auch Indien) erklären sich solidarisch mit Israel, wenn auch nicht mit dessen Regierung. Auch ins Stocken geriet die humanitäre Hilfe – Experten warnen vor einem Kollaps im Gazastreifen.

Der Angriff dürfte gut vorbereitet worden sein. Er fand am israelischen Feiertag „Simchat Tora“, einen Tag nach dem 50. Jahrestag des Jom-Kippur-Krieges, statt. Auch damals wurde Israel überrascht – an dieser Stelle wurde bereits hierüber berichtet. Die israelische Armee war auch heuer nahezu unvorbereitet – sie musste eingestehen, dass die Hamas Ortschaften rund um den Gaza-Streifen eingenommen hatte. Die israelische Regierung reagierte prombt und startete die „Operation Eiserne Schwerter“ – den Krieg gegen die Hamas. Reservisten wurden einberufen, während die Aktivkräfte Luftangriffe im Gazastreifen flogen und nach wie vor fliegen, wobei auch ein Hamas-Anführer getötet wurde. Erste Erfolgsmeldungen gab es bereits am Abend – so konnten mehrere Menschen befreit werden, die durch die Hamas im Kibbuz Be’eri als Geiseln genommen worden waren. Schwere Kämpfe wurden auch von anderen Kibuzzen gemeldet. Wie konnte es so weit kommen???

Während des ersten Palästinenseraufstands („Intifada“) 1987 wurde als defacto einer Abspaltung der ägyptischen Muslimbruderschaft die Hamas unter der Führung des später durch Israel getöteten Scheichs Ahmed Yassin gegründet. „Hamas“ ist die Abkürzung von „Harakat al-Muqawama al-Islamiyya“ (Bewegung des islamischen Widerstands). Im Gründungs-manifest von 1988 wird die Existenz des Staates Israel abgelehnt und als Ziel die Errichtung eines eigenen islamischen Staates auf dem Gebiet Palästinas (vom Mittelmeer bis zum Jordan) angeführt. Als legitimes Mittel wird dabei der bewaffnete Kampf gegen Israel genannt. Übrigens bezog sich die Hamas damals auf die „Protokolle der Weisen von Zion“, einer antisemitischen Verschwörungstheorie, die allerdings bereits im Jahr 1921 als Fälschung entlarvt wurde (auch bei europäischen Rechts-radikalen nach wie vor Bettlektüre). Israel wurde offiziell 1948 gegründet.

Die Hamas teilt sich in einen militärischen („Ezzedin al-Kassam-Brigaden“) und einen politischen Arm. Zweiterer gewann im Jahre 2006 die Parlamentswahlen in den palästinensischen Gebieten mit absoluter Mehrheit. Die vielen Protestwähler warfen der bis dahin regierenden Fatah Korruption vor. Es folgten blutige Auseinandersetzungen des militärischen Arms mit den Anhängern der unterlegenen Fatah-Partei. 2007 übernahm die Hamas die Kontrolle über den Gazastreifen. Die Fatah mit ihren Anhängern wurde in das Westjordanland vertrieben. Die Fatah („Bewegung für die nationale Befreiung Palästinas“) kämpft bereits seit 1964 für einen eigenen Palästinenserstaat. Prominentester Vertreter der Fatah war Jassir Arafat, der 1993 durch die Anerkennung des Existenz-rechtes Israels einen Friedensprozess begann und gleichzeitig dem Terrorismus als „politischem Mittel“ abschwor („Osloer Friedensprozess“). Die Hamas hingegen wird durch die EU, die USA, Kanada, Japan und Israel – aber auch von Ägypten und vielen Historikern, Politologen und Juristen anderer Staaten als Terrororganisation eingestuft. Nicht zuletzt, da sie die Bevölkerung stets als menschlichen Schutzschild verwendet. Raketen werden aus Wohngebieten abgefeuert, die Kommandozentralen befinden sich in Wohnhäusern. Nur die Schweiz und Norwegen bzw. Russland unterhielten bislang Kontakte zur Hamas – der türkische Staatschef Erdogan bezeichnet die Hamas als Freiheitskämpfer. Der eidgenössische Bundesrat lehnte ein Postulat zum Verbot der Hamas und die Klassi-fizierung als „terroristische Organisation im August 2017 ab. Der politische Arm der Hamas errichtete mit Hilfe europäischer Gelder im Gazastreifen Schulen, Kindergärten, Arbeitsvermittlungen (die Arbeits-losigkeit lag 2017 bei 42%!) etc. und genoss dadurch hohes Ansehen in der sehr armen Bevölkerung. Im August 2017 stand allerdings ein Mit-arbeiter der christlichen, humanitären Organisation World Vision in Israel vor Gericht, nicht weniger als 60 % seines Jahresbudgets (bis zu 45 Mio Euro) veruntreut zu haben. Die Gelder waren gedacht für Essenspakete an die Zivilbevölkerung des Gazastreifens und die Errichtung von Glas-häusern für den Anbau von Gemüse und Obst. Tatsächlich – so der israelische Inlands-Geheimdienst Shin Bet – sollen damit die Kampf-einheiten der Hamas versorgt und die Glashäuser als Tarnung für Tunnelgrabungen unterstützt worden sein. Das israelische Gericht bekannte den Büroleiter 2022 für schuldig. Auch ein Mitarbeiter der Organisation „Save the children“ geriet unter Verdacht.

Dennoch dachte die Hamas 2017 an die Abgabe der Verwaltung an den Palästinenser-Präsidenten Mahmoud Abbas (Fatah) aus dem Westjordan-land, da der Gazastreifen unterzugehen drohte. Gemeinsam mit der Fatah sollten Wahlen abgehalten werden – allerdings wurde der militärische Arm der Hamas, die Kassam-Brigaden davon ausgenommen.

Den finanziellen Background hat die Hamas im schiitischen Iran, der Türkei, aber auch bei dessen Gegnern: Den konservativen sunnitischen Scheichtümern wie Katar. Trotzdem riefen Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate zu einem sofortigen Stop der Eskalation auf (ebenso wie China und auch Russland). Der Grossteil der durch die Hamas abgefeuerten Raketen stammt übrigens aus dem Iran, die über den Sudan und Ägypten in den Gaza-Streifen eingeschmuggelt wurden. Aber auch mit ausländischer Hilfe im Eigenbau hergestellte ergänzen das Arsenal.

Nachdem die Hamas immer wieder Granaten und Raketen aus dem Gazastreifen auf Israel abgefeuert hatte, reagierte Israel im Dezember 2008 und Januar 2009 auf das dortige Geschehen mit einer dreiwöchigen Offensive („Gegossenes Blei“), bei der weit mehr als 1.400 Palästinenser starben, über 5.000 weitere wurden verletzt. Seither gab es immer wieder bewaffnete Zwischenfälle.

Im aktuellen Konflikt wird es wohl nurmehr einen Sieger geben. Beide Seiten lassen keine Zweifel darüber aufkommen, dass sie einer militärischen Lösung gegenüber einer diplomatischen den Vorzug einräumen. Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu legte der Zivilbevölkerung des Gazastreifens nahe, diesen über den bislang dauerhaft geöffneten wichtigsten Grenzübergang Rafah nach Ägypten zu verlassen. Der wurde nun allerdings nach mehrfachem Beschuss durch Israel von Ägypten wieder geschlossen. Oder befürchtet Ägypten, dass auch viele Hamas-Kämpfer ins Land kommen würden? Damit sind rund 2,3 Mio Menschen der Auseinandersetzung auf Gedeih‘ und Verderben ausgesetzt. Inzwischen herrscht v.a. in Gaza-Stadt das Chaos und die blanke Angst. Auf ägyptischer Seite stehen humanitäre Hilfskonvois der unterschiedlichsten Organisationen bereit.

Die „Schändung der al-Aqsa-Moschee“ bezieht sich auf den für Muslime und Juden gleichermassen heiligen Tempelberg in Jerusalem. Israel erlangte nach dem Sechs-Tage-Krieg die Herrschaft über diesen Berg. Die Verwaltung wurde der Jerusalemer Waqf-Behörde übergeben. 1984 entzog Israel die zu diesem Gebiet gehörende Klagemauer der Waqf-Behörde und erklärte sie zum staatlichen Eigentum. Muslime hatten über acht Tore Zutritt auf den Tempelberg, der von israelischen Polizisten und der Waqf-Behörde kontrolliert wurde. Immer wieder gab es unzählige Abmachungen, wonach etwa Muslime zum Beten auf den Berg durften, nicht jedoch Juden. Ein Dorn im Auge v.a. der orthodoxen Juden. 2017 wurden zwei israelische Grenzpolizisten von Attentätern erschossen. Sie hatten unter ihrer Bekleidung Waffen und Messer versteckt. Als sie vom Tempelberg zurückkamen, eröffneten sie das Feuer. Pikantes Detail am Rand: Attentäter und Opfer hatten zwar die israelische Staatsbürger-schaft, sie gehörten aber der arabischen Minderheit an. Offenbar bestärkt durch den Wahlerfolg Netanjahus und der Bildung der rechts-nationalen Regierung mit der Ausweitung des Siedlungsbaus auf die Gebiete der Palästinenser, fühlten sich zuletzt immer mehr ultra-orthodoxe Siedler dazu berufen, den Tempelberg wieder in das Staatsgebiet zurückzuholen! So gab es bereits im April schwere Zusammenstösse zwischen moslemischen Gläubigen und der israelischen Polizei. Videos zeigen prügelnde Polizisten, die mit Stöcken auf Menschen einschlagen. Was genau der Hintergrund des Ganzen ist: Hierzu gibt es zwei unter-schiedliche Versionen. Fakt ist, dass die Beschüsse aus dem Libanon und die israelische Antwort hierzu zunahmen. Anfang Oktober drangen offenbar israelische Siedler unter dem Schutz der Polizei in die Innenhöfe der al-Aqsa-Moschee vor und hinterliessen ein verwüstetes Schlachtfeld (so die arabische Version). Das Problem: Welcher der beiden unter-schiedlichen Versionen Glauben geschenkt werden kann – das ist nicht zuletzt einer der wichtigsten Gründe, weshalb die Friedensbemühungen im Nahen Osten seit Jahrzehnten zum Scheitern verurteilt sind. Nun folgt wohl dort die militärische Lösung.

„Bürger Israels, wir sind im Krieg. Und wir werden gewinnen. […] Unser Feind wird einen Preis bezahlen, wie er ihn noch niemals kennengelernt hat.“

(Benjamin Netanjahu, israelischer Premierminister)

Israel wird derzeit von einer Notstandsregierung geführt. Premier Netanjahu lud hierzu auch den Oppositionsführer Jair Lapid ein, der jedoch ablehnte. Er warf der gewählten Regierung völliges Versagen vor und betonte, dass in der Notstandsregierung Extremisten vertreten sind. Viele Staaten haben inzwischen mit der Evakuierung ihrer Bürger aus Israel begonnen. Einige mit Hilfe des Militärs, andere wie Österreich, mit zivilen Airlines! Im Alpenstaat war die dafür vorgesehene C-130 „Hercules“ nicht flugtauglich!

Das Problem in den westlichen Staaten: Nach dem zunehmenden Anti-semitismus durch die stärker werdenden Rechtspopulisten kommt nun auch der kriegsbedingte Antisemitismus durch islamistische Moslems hinzu. Wut und gar Übergriffe auf Menschen wie Du und Ich, die hier in Europa überhaupt nichts mit den Konflikten im Nahen Osten zu tun haben. Nur, weil sie einer anderen Religionsgemeinschaft zugehören. Deshalb meine grundlegende Einstellung hierzu: Konflikte gehören nicht übertragen! Sie sollen dort ausgetragen werden, wo sie entstanden sind. Ob dies nun Türken und Kurden, Russen und Ukrainer, Inder und Pakistani oder nun Palästinenser und Israeli betrifft. Viele kamen nach Mitteleuropa um mit ihren Familien GEMEINSAM im Frieden zu leben. Soll damit nun auch hier Schluss sein, nachdem die dortigen Konflikte teils schon Millionen Tote gefordert haben und deren Heimat dem Erdboden gleich gemacht wurden???

Lesetipps:

.) Hamas. Der politische Islam in Palästina; Helga Baumgarten; Diederichs 2006

.) Hamas – Der islamische Kampf um Palästina; Joseph Croitoru; C.H. Beck 2007

.) Der politische Islam – Zwischen Muslimbrüdern, Hamas und Hizbollah; Imad Mustafa; Promedia 2013

.) Zwischen Ölzweig und Kalaschnikow – Geschichte und Politik der palästinensischen Linken; Gerrit Hoekmann; Unrast 1999

.) The Palestinian Hamas – Vision, Violence and Coexistence; Shaul Mishal/Avraham Sela; Columbia University Press 2006

.) Hamas and Civil Society in Gaua: Engaging the Islamist Social Sector; Sara Roy; Pronceton 2011

,) Islamic Politics in Palestine; Beverley Milton.Edwards; I.B. Tauris 1996

.) Al-Aqsa oder Tempelberg – Der ewige Kampf um Jerusalems heilige Stätten; Joseph Croitoru; C.H. Beck 2021

.) Die Protokolle der Weisen von Zion – Die Legende von der jüdischen Weltverschwörung; Wolfgang Benz; C.H. Beck 2007

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