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Jemen – die derzeit grösste humanitäre Katastrophe

Vor einigen Jahren wurde noch von der schlimmsten humanitären Katas-trophe gesprochen, doch kurz danach wurde es wieder still um den Krieg im Jemen. Ja richtig – es begann mit einem Bürgerkrieg, mit der Beteili-gung der Jemen-Allianz und des Irans wurde es zum Krieg. Sechs Monate lang haben zuletzt die Waffen geschwiegen – jetzt wurde der Waffenstill-stand aufgekündigt. 

„Das kann bedeuten, dass die Gewalt wieder das gesamte Land erfassen wird. Dass Millionen Menschen erneut Opfer werden von Luftangriffen, Raketenangriffen und Kämpfen am Boden.“

(Abdulwasea Mohammed, Hilfsorganisation Oxfam)

Geändert hat sich freilich nicht viel, ganz im Gegenteil: Die Lage in diesem Armenhaus der Welt wird immer brutaler und menschenver-achtender. Der Konflikt kam nicht etwa durch das Ende des Waffen-stillstandes in die deutschen Medien, sondern vielmehr aufgrund eines Entgegenkommens der Bundesregierung, die wohl eine grosse Blutspur hinterlassen wird: Deutschland liefert Munition, Ausrüstungsgegenstände und Ersatzteile an Saudi Arabien – möglicherweise als Gegengeschäft für Flüssiggaslieferungen. Doch hierzu etwas später mehr – zuvor einige Infos, wie alles begann.

Zirka 1000 n. Chr. wanderten über Mekka die Haschemiten im Jemen ein. Sie sind Nachkommen des im Islam verehrten Propheten Mohammed. Die al-Huthi-Familie gehört dem zaiditischen Zweig des schiitischen Islam an. Eigentlich keine Haschemiten, wurden und werden sie aufgrund ihres hohen Bildungsniveaus jedoch von der jemenitischen Gesellschaft geschätzt und bekleiden seit Jahrhunderten hohe Ämter wie Richter oder Konfliktvermittler. Bis zum Fall der Monarchie im Jahre 1962 stellte die Familie auch die Imame. Aufgrund von Korruption und Benachteiligung durch die Regierung schlossen sich im Norden des Jemen immer mehr der zaiditischen Stämme zusammen. Die dortigen jemenitischen Stammesführer („Scheichs“) wurden von der Regierung unterstützt und somit ruhig gehalten. Die Huthis hingegen begehrten immer mehr gegen die Korruption, Vetternwirtschaft sowie den „sunnitischen Extremismus“ der Regierung auf und wurden somit zum Sprachrohr der einfachen, armen Bevölkerung. 2004 kam es zu ersten Kampfhandlungen der schiitischen Huthis gegen die sunnitische Regierung, in deren Verlauf Hussein al-Huthi fiel. Im Rahmen des Arabischen Aufstandes 2011 erfolgte die erste politische Wahrnehmung der Huthis – ihre Gegner sahen als deren erklärtes Ziel die Wiedereinrichtung eines zaiditischen Imamats. Diesen jedoch ging es zu Beginn um mehr Autonomie, wirt-schaftliche Ressourcen, die Ausübung ihrer Religion und der Marginali-sierung der Regierung. Die Huthis hatten inzwischen einen florierenden Handel mit Kath aufgebaut, einer Droge, die vom Kathstrauch hergestellt wird. Mit diesem Geld konnten sich die Kämpfer auch militärisch aus-rüsten. Die Regierung des Jemens unter Abed Rabbo Mansur Hadi ging mit Waffengewalt gegen die Rebellen vor. 2015 nahmen die Huthis unter Abdulmalik al-Huthi die Hauptstadt Sanaa ein. Dabei fielen ihnen Waffen, Panzer, Fahrzeuge, Flugzeuge etc. im Wert von rund 500 Mio US-Dollar in die Hände, die kurz zuvor die USA geliefert hatten. Den eingesetzten Übergangsrat und den fünfköpfigen Präsidialrat erkannten die sunni-tischen Stammesführer und die Führer im Süden allerdings nicht an. 

Nach wie vor ungeklärt ist die Herkunft der Waffen und die Unterstützung bei den Kampfhandlungen der Huthis vor der Einnahme Sanaas. Sie selbst hätten wohl keine derart raschen und grossen Gebietserfolge liefern können. Einerseits wird vermutet, dass die Rebellen durch den Iran unterstützt werden – der Einsatz von iranischen Drohnen ist ein stich-haltiger Hinweis hierfür. Andererseits wird vermutet, dass Salih-treue Militärverbände an den Kampfhandlungen beteiligt sind. Ali Abdullah Salih stand über drei Jahrzehnte an der Spitze des Staates. Während des Arabischen Frühlings hatte er das Amt zurückgelegt, zog aber weiterhin im Hintergrund die Fäden. Das resultiert einerseits aus seiner Person als graue Eminenz in seiner ehemaligen Partei, dem Allgemeinen Volks-kongress, und zudem auf der Loyalität des Militärs. Nach Schätzungen von Experten sollen ein bis zwei Drittel der Armee auch 2022 auf Salihs Seite stehen. Andere Schätzungen reden von 70 % der Salih-getreuen Kommandeure von Militäreinheiten. Dieser selbst wurde über Jahre hin-weg finanziell durch Saudi Arabien unterstützt, bis das dortige Königs-haus 2012 an seinem Rücktritt beteiligt war. Mit diesem Geld finanzierte er wohl die bewaffneten Verbände. Dazu zählt ohne Zweifel auch die ehemals durch seinen Sohn Ahmed kommandierte Republikanische Garde, die 2014 einen entscheidenden Sieg gegen die jemenitische 12. Division erzielen konnte, worauf die Hauptstadt Sanaa den Huthis offen stand. Die Anhänger Salihs erhoffen sich dadurch die Wiedererlangung der Regierungsmacht unter Salihs Sohn, was Salih jedoch später zurück-gewiesen hatte. Die USA, aber auch die Vereinten Nationen machen hin-gegen Salih für die katastrophalen Zustände im Land verantwortlich, weshalb über ihn und viele seiner Anhänger im Rahmen der UN-Sicher-heitsratsresolution 2216 vom April 2015 Sanktionen verhängt wurden. Mehr als interessant ist jedoch die Tatsache, dass Salih selbst während seiner Regentschaft mehrere bewaffnete Kämpfe gegen die Huthis führte. Der jemenitische Politologe Samir Shaibany bezeichnete diese Koalition einst als „Allianz im Rahmen einer konfessionellen Mobilisierung“ mit unterschiedlichen Zielsetzungen.

„Saudi-Arabien beteiligt sich am Jemen-Krieg und tritt Menschen-rechte mit Füßen. Rüstungsexportstopp an Saudi-Arabien muss weiter gelten.“

(Bundesaussenministerin Annalena Baerbock im März 2019 auf Twitter)

Durch diese vorhin erwähnte Resolution 2216/2015 des UN-Sicherheits-rates sollte eigentlich die Bevölkerung vor der Aggression der inter-national nicht anerkannten Huthis geschützt werden – wie sich zeigen sollte, ein grosser Irrtum. Saudi Arabien, VAE (bis 2019), Marokko (bis 2019), Katar (bis 2017), Senegal, Bahrein, Kuwait und Ägypten bildeten daraufhin die Jemen-Allianz, intervenierten militärisch und drängten die Huthis zurück. Salih begrüsste nach Abschluss der Operation Decisive Storm die Resolution und forderte die Huthis zum Rückzug aus den eroberten Gebieten auf. Gleichzeitig rief er zur „Rückkehr zum Dialog“ auf. Im Dezember 2017 schliesslich brach er mit den Huthis und schloss sich Saudi Arabien an. Am 04. Dezember desselben Jahres wurde er durch Huthi-Milizen getötet. Die Huthis stiessen inzwischen in Richtung Süden des Landes vor. Die Kämpfe wurden erbittert durch beide Seiten fortgeführt – sie zerstörten nahezu das ganze Land. 

Zwischen den Fronten steht die Zivilbevölkerung, die den Repressalien beider Seiten ausgesetzt ist. Nach UN-Angaben wurden bislang rund 380.000 Menschen getötet – ein Grossteil davon an den indirekten Folgen des Kriegs: Hunger, Krankheiten, … Vier Millionen sind geflüchtet, etwa 20 Mio leiden an Hunger – darunter mindestens 311.000 Kinder an starker Unterernährung! Viele Kinder lassen sich inzwischen von den Milizen als Kindersoldaten rekrutieren um dadurch Zugang zu Nahrung zu bekommen. 

Im April 2022 wurde unter Vermittlung der UNO eine Waffenruhe ausge-rufen, die zweimal verlängert – nun jedoch aufgekündigt wurde. Inzwischen haben sich auch die Vorzeichen geändert. So kämpfen beispielsweise die von den VAE unterstützten südjemenitische Einheiten für die erneute Unabhängigkeit der Region vom Norden, wie es vor der Vereinigung 1990 bestand. Sie machten auch keinen Halt vor den von Saudi-Arabien unterstützten jemenitischen Einheiten – es kam zu Kampfhandlungen zwischen den bisherigen Koalitionspartnern. Zudem will das sunnitisch-wahhabitisch geprägte Saudi-Arabien verhindern, dass sich der Einflussbereich des schiitischen Iran auch auf der arabischen Halbinsel vergrössert. 

Das Vorgehen der Jemen-Allianz und hier vor allem jenes von Saudi Arabien ist jedoch äusserst umstritten. 

„Saudi-Arabien und die Koalitionspartner bombardieren Krankenhäuser, Kindergärten, Schulen. Das sind alles Kriegs-verbrechen.“

(Wenzel Michalski, Human Rights Watch)

Nicht zuletzt deshalb, aber auch aufgrund der Ermordung des Journalisten Kashoggi, entschied sich die Regierung Merkel, die Waffen-exporte nach Saudi Arabien nahezu einzufrieren. Beliefen sich die Rüstungsexporte Deutschlands an Saudi Arabien 2018 noch auf 416,4 Mio €, so waren es 2019 nurmehr 0,8, 2020 30,8 und 2021 2,5 Mio €. Im Vergleich dazu berichtet das Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) von 23 % der gesamten US-Waffen-Exporte, die in Richtung Saudi Arabien verschifft wurden. Jetzt sorgt eine Zusage der Regierung Scholz für einen lauten Aufschrei: Deutschland liefert gemein-sam mit Italien, Spanien und Grossbritannien Munition, Ausrüstungs-gegenstände und Ersatzteile für die Tornados und Eurofighter (36 Mio €) sowie den Airbus A330 (2,8 Mio €).  

„Das sind genau die Waffensysteme mit denen Saudi-Arabien in der Vergangenheit Luftangriffe im Jemen geflogen hat, auch immer wieder systematisch gegen zivile Ziele!“

(Max Mutschler, International Center for Conversion in Bonn)

An die Partnerstaaten der Jemen-Allianz wurde jedoch auch weiterhin geliefert.

Es werden wohl, so betonen Experten, Gegengeschäfte für die LNG-Gas-lieferungen sein. Diese Flüssiggaslieferungen wurden zwischen Bundes-kanzler Scholz und dem saudi-arabischen Königshaus vereinbart, zuvor führte auch Bundeswirtschaftsminister Habeck vorort entsprechende Verhandlungen – auch mit anderen Lieferstaaten. Der Aufschrei ist durchaus berechtigt, da sich Saudi Arabien nicht wirklich um die Menschenrechtscharta der UN schert. Das Land enthielt sich bei dessen Verabschiedung am 10. Dezember 1948. Allerdings ist für das Quasi-Monopol Russlands auf Gaslieferungen nach Deutschland die Grosse Koalition zwischen CDU/CSU und der SPD verantwortlich. In all den vorhergehenden Jahren wurde keinerlei Anstrengung unternommen, auf andere LNG-Lieferanten wie u.a. Kanada oder Argentinien zuzugehen. Donald Trump brachte es durch seine Kritik von Nordstream II auf’s Tapet, allerdings um selbst mehr Fracking-Gas verkaufen zu können. Zudem wurden entsprechende Massnahmen zur Energiewende viel zu zaghaft angegangen. Damit steckt die aktuelle Ampel-Regierung in der Bredouille: Nach wie vor schwebt das Damokles-Schwert des winterlichen Energie-Kollapses über den bundesdeutschen Köpfen. Geht das Gas aus, werden vielerorts auch die Lichter ausgehen. 

Wie die Aufkündigung der Waffenruhe klarstellt, wird die Lage im Jemen nicht so einfach zu lösen sein, da sich die Kriegsparteien und deren Zulieferer weder an Absprachen halten, noch sich gesprächsbereit zeigen. Der von Russland ausgelöste Krieg in der Ukraine zeigt es in aller Grausamkeit auf: Will der Entscheider nicht, so siegt der, der den längeren Atem hat. Bis dahin wird sowohl in der Ukraine als auch im Jemen noch sehr viel Blut fliessen!     

Filmtipps: 

– Der vergessene Krieg im Jemen – Deutsche Welle

– The Great Escape from Yemen (Part1 & 2) – Rajya Sabha TV

– The Fight for Yemen – Frontline/BBC Arabic

– The Rise of the Houthis – BBC Arabic

Lesetipps:

.) Jemen – Der vergessene Krieg; Said AlDailami; C.H.Beck 2019

.) Yemen in Crisis: Autocracy, Neo-Liberalism and the Disintegration of a State; Helen Lackner;Saqi Books 2018

Links:

– www.un.org/securitycouncil/s/res/2216-%282015%29-0

– www.unocha.org

– www.unhcr.org

– www.unicef.org

– civil-protection-humanitarian-aid.ec.europa.eu/index_en

– www.sipri.org 

– www.bicc.de

– www.bpb.de

– www.hrw.org

– www.oxfam.de

– www.sabanew.net

– www.spa.gov.sa

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