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Non-24 – Selten aber nervraubend

Sie kennen sicherlich den Erschöpfungszustand, wenn Sie in der Nacht zuvor mit Schlafstörungen zu kämpfen hatten. Jeder Mensch verbringt rund ein Drittel seines Lebens schlafend. Stellen Sie sich den Schlafentzug als Dauerzustand vor! Der Experte spricht bei einer besonderen Form vom „Hypernykthemeralen Syndrom“ – besser bekannt als „24-Stunden-Schlaf-Wach-Syndrom“ oder „Non-24“. Diese Krankheit ist zwar selten (rund 0,03 % der Bevölkerung leiden darunter), kann aber einen Menschen in seiner ganzen Existenz fertig machen. Dabei handelt es sich um eine Störung des zirkadianen Rhythmus („Rings um den Tag“). Der Betroffene hat mit einer Verzögerung der Einschlaf- und Aufwachzeit zu kämpfen. Beide beginnen Minuten oder Stunden später. Am darauf-folgenden Tag erneut später – die Zeiten des Nichteinschlafens addieren sich immer mehr. Dies wirft vornehmlich dann Probleme auf, wenn die Betroffenen zu einer bestimmten Uhrzeit zur Arbeit bzw. zur Schule müssen.
Es scheint, daß vor allem blinde Personen davon betroffen sind, da hier die Steuerung der Schlaf- und Wachphasen durch das Sonnenlicht fehlt. Doch folgt bei diesen auch der Blutdruck, die Herzfrequenz und die Körpertemperatur einzig der inneren Uhr. Der Wach-Schlaf-Rhythmus, der durch diese innere Uhr geregelt wird, gibt jedoch stets eine etwas grössere Tageslänge voraus. Sehende Menschen orientieren sich deshalb an der äusseren Uhr durch die Hell-Dunkel-Wahrnehmung, die alle anderen Vorgänge im Körper stets synchronisiert. Eine derartige Mög-lichkeit jedoch fehlt blinden Menschen. Deshalb leiden rund 70 % von Ihnen an Non-24. Dabei driftet dieser sog. „Endogene Rhythmus“ um eine fixe Zeitspanne immer weiter auseinander, bis er den normalen 24-Stunden-Tag wieder erreicht hat. Allerdings laufen beide nur ganz kurz synchron. Danach beginnt das Spiel von neuem.
Dieses Prozedere ist v.a. für berufstätige Menschen sehr belastend, da sie tagsüber zumeist übermüdet sind und nachts nicht schlafen können („intermittierend ausgeprägte Schlafstörung“). Dadurch kommt der Hormonhaushalt ordentlich durcheinander und die Tagesleistung nimmt ab. Daneben kann der Schlafentzug zu einer Depression, ADHS, Fibromyalgie, Diabetes, Krebs und selbstverständlich einer allgemeinen Erschöpfung führen. Alsdann leidet das Immunsystem unter dem ständigen Schlafentzug – die Menschen werden krankheitsanfälliger.
In zwei Forschungsprojekten in den spanischen Kliniken Hospital Universitario Fundación Jiménez Díaz sowie L’Hospitalet de Llobregat versuchen Wissenschaftler nähere Details über die Krankheit heraus-zubekommen.
Eine Non-24-Diagnose ist sehr schwierig, da auch eine Schlafapnoe oder ein Periodic Limb Movement Disorder (PLMD) zu Schlafstörungen führen können. Patienten müssen ein Schlaftagebuch führen. Zudem wird eine Schlafanamnese geführt und mittels eines Fragebogens weitere Eigenheiten ausfindig gemacht. Auch kann eine Aktigraphie eine Diagnose erleichtern. Hierbei werden über ein Armbanduhr-grosses Messgerät Daten über Bewegung, Helligkeit und Temperatur gesammelt. Zugleich wird eine Melatoninbestimmung durchgeführt, damit andere Hintergründe für die Schlafstörung ausgeschlossen werden können. Konnte schliesslich Non-24 diagnostiziert werden, so empfehlen Ärzte eine Behandlung mit Melatonin sowie eine Lichttherapie. Das Hormon Melatonin wird vornehmlich in der Zirbeldrüse nach den Vorgaben der inneren Uhr gebildet. Der Körper reagiert hierauf mit einer Absenkung des Blutdrucks und des Stoffwechsels. Tagsüber ist die Ausschüttung gering – es überwiegt das „Wachhormon“ Cortisol – in der Nacht hingegen sehr groß. Das Licht des Tages unterdrückt dessen Produktion. Da eine Synchronisation mit Melatonin in Deutschland nicht genehmigt ist, verschreiben die meisten Mediziner Hypnotika, Antidepressiva und Sedativa für die Nacht sowie Stimulanzien für den Tag. Dies birgt aber eine Unzahl an Nebenwirkungen. Erfolgsversprechend jedoch scheint der Melatoninrezeptor Tasimelteon. In den beiden Studien SET und RESET konnten 59 % der Probanden innerhalb von sieben Monaten synchronisiert werden, bei 57 % nahm der Nachtschlaf zu. Als Nebenwirkungen werden jedoch Kopfschmerzen, erhöhte Leberenzyme und anomale Träume und Albträume angeführt (näheres siehe Arznei-verordnungsreport 2017). Der Schlafmediziner an der Berliner Charité, Prof. Dr. Ingo Fietze weist jedoch auch auf eine andere Möglichkeit hin: In Tierversuchen konnten nachtaktive Versuchstiere wie etwa Ratten oder Mäuse auf tagaktiv umgepolt werden, wenn sie nur tagsüber etwas zu fressen bekamen. Die Nahrungsaufnahme wäre somit die erste Therapie-möglichkeit, die man für die Synchronisation verwenden könnte.
In schweren Fällen hilft nur die Rückkehr zum natürlichen Rhythmus des Körpers, das jedoch die meisten Arbeitgeber und Partner nicht verstehen werden. In den USA sind Schulen und Arbeitgeber nach dem „Americans with Disabilities Act“ verpflichtet, Möglichkeiten wie Teilzeit, Homeoffice oder angepasste Arbeitszeiten zu setzen.
Weshalb auch sehende Menschen an Non-24 erkranken, ist bislang nicht geklärt.
Den Non-24-Service erreichen Sie in Deutschland unter der Telefonnummer 0800 24 321 06! Obgleich auch in Österreich und der Schweiz die Zahl der Schlafstörungen ganz allgemein eklatant zugenommen hat, konnte ich bei meinen Recherchen jedoch keine vergleichbare Hotline ausfindig machen. Dafür aber stieß ich auf einen Facebook-Post der Barmer-Krankenkasse. Da stand im Jahr 2019 zu lesen:

„Wenn du mal wieder nicht schlafen kannst, dann leg einfach mal selbst Hand an oder hol dir ein Spielzeug dazu, dann kommt der Schlaf ganz von alleine!“

Die Anfragen, ob denn diese Sex-Spielzeuge auch von der Kasse übernommen werden, wurde jedoch verneint!

Links:

– non-24.de
– www.dbsv.org
– schlafmedizin.charite.de
– www.circadiansleepdisorders.org
– www.je-dors-trop.fr
– www.narkolepsie.at
– www.fjd.es

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