Müde bin ich, geh‘ zur Ruh…!

Wenn der Winterschnupfen in den Heuschnupfen übergeht – dann ist es so weit: Frühling! Jawoll – ich freue mich immer auf diese Jahreszeit, wenn die Natur erwacht und sich in den schönsten Farben präsentiert, die Sonne intensiver und die Tage länger werden. Verrückt, was die Hormone mit einem anstellen! Wenn da allerdings nicht die Abgeschlafftheit und Müdigkeit wäre. Frühjahrsmüdigkeit! Was steckt eigentlich dahinter, wie kommt man damit klar und wie kann dagegen angegangen werden?

Normalerweise treten diese bei vielen narkoleptisch-gleichen Anfälle ab Mitte März bis Mitte April auf. Durch den langen und wechselhaften Winter in diesem Jahr hat sich dies aber etwas nach hinten verlagert. Rund 60 % der Frauen und 54 % der Männer sind von diesem Phänomen betroffen. Gekennzeichnet ist die Frühjahrsmüdigkeit durch Mattigkeit und verringerter Leistungsfähigkeit. Daneben kann es zu Kreislauf-problemen, Wetterfühligkeit, Schwindel und niedrigem Blutdruck sowie Kopfschmerzen kommen. Den Betroffenen fehlt der ansonsten durchaus vorhandene Antrieb.

Die Frühjahrsmüdigkeit ist noch nicht wirklich wissenschaftlich erklärbar. Klar ist, dass der Körper in der kalten Zeit des Jahres den Stoffwechsel und die Körpertemperatur auf Sparflamme senkt. In früheren Zeiten wurde die Frühjahrsmüdigkeit deshalb auf den Mangel an Vitaminen in den dunklen und kalten Wintermonaten zurückgeführt. Mediziner und Neuro-, sowie Chronobiologen gehen jedoch inzwischen davon aus, dass der Hormonhaushalt federführend dahintersteckt. Die steigenden Tem-peraturen, v.a. aber die komplett anderen Lichtverhältnisse im Vergleich zum ansonsten normalerweise düsteren Winter, regen die Produktion der Hormone an – vornehmlich des Serotonins. Dieser Botenstoff des Nerven-systems wird vornehmlich im Hypothalamus (eine sehr wichtige Hormon-drüse im Gehirn) aus der Aminosäure L-Tryptophan unter Einbindung einiger Enzyme und Mikronährstoffen als Cofaktoren gebildet. Auch Lunge, Milz und die Darmschleimhaut sind in geringem Ausmass an der Produktion des Serotonins beteiligt. Das Hormon regelt unsere Stimmung, aber auch den Schlaf-Wach-Rhythmus. Der Gegenspieler des Serotonins ist das von der Zirbeldrüse produzierte Schlafhormon Mela-tonin. Hinzu kommt, dass sich bei höheren Temperaturen die Blutgefässe erweitern, der Blutdruck sinkt, der Organismus wird müde.

Der Zustand kann ganz entscheidend durch die Zugabe von Vitamin D verbessert werden. Dieses wird eigentlich durch die Sonneneinstrahlung ausreichend produziert, doch sind die Menschen im Winter meist gut in wärmeschützende Kleidung eingelümmelt, sodass die Wintersonne hier nicht wirklich viel bewirken kann. Doch sollte man besser die kostenlose Sonne tanken, etwa durch viel Bewegung wie Sport oder Arbeit im Freien. 20 Minuten pro Tag im T-Shirt oder der Bluse bei direkter Sonnenein-strahlung dürften ausreichen. Wenn möglich ohne Sonnenbrille, da die Netzhaut des Auges für die Aufnahme des Sonnenlichtes immens wichtig ist. Ganz allgemein helfen vermehrte soziale Kontakte gegen Stimmungs-tiefs: Trommeln Sie öfters ihre Freunde zusammen und unternehmen Sie gemeinsam etwas. Daneben können alle Ratschläge zur Ankurbelung des Kreislaufs umgesetzt werden:

  • Mit bis zu zwei Liter genügend Flüssigkeit trinken (Wasser, Tee oder verdünnter Fruchtsaft)
  • Frisches Obst und Gemüse essen
  • Saunabesuche oder Wechselduschen
  • Zuhause öfters mal Durchlüften, damit der Körper genügend Sauerstoff erhält

Der ansonsten empfehlenswerte Mittagsschlaf hingegen ist grundlegend falsch. Hierdurch wird Serotonin ab- und Melantonin aufgebaut – sie werden noch matter. Ein Power-Nap hingegen wirkt Wunder.

Menschen mit einer Herz-Kreislaufschwäche, niedrigem Blutdruck oder Rheumaleiden aber auch wetterfühlige Patienten sind am meisten von der Frühjahrsmüdigkeit betroffen.

Sollten die Symptome nach vier Wochen jedoch nicht enden wollen, so sollte unbedingt ein Arzt Ihres Vertrauens aufgesucht werden. Schliesslich können viele ernst zu nehmende Krankheiten die etwa eine Schilddrüsenunterfunktion oder eine Depression, aber auch eine Schlafstörung dahinterstecken. Ferner möglicherweise ein Nährstoff-mangel im Energiestoffwechsel, der mit ganz einfachen Methoden bekämpft werden kann: Zu wenig der Mineralstoffe Magnesium, Calcium, Jod, Mangan und Kupfer, aber auch Vitamine B1, B2, B6, B12, C sowie Pantothensäure, Niacin und Biotin können zu Müdigkeit führen. Hier helfen Nahrungsergänzungsmittel – bitte aber auch in diesem Fall zuerst einen Arzt aufsuchen.

Zusätzlich können Sie Ihrem Immunsystem und dem Stoffwechsel einen richtiggehenden „Push durch biologischen Raketenantrieb“ geben – hier wusste sich bereits Grossmuttern mit ihrem Kräuterkästchen zu helfen: Die leider nach wie vor eher verschmähten Brennesseln und der Bärlauch kamen häufig als Tee oder Suppe auf den Tisch. Beim Sammeln des Bärlauchs aber ist Vorsicht geboten, da er recht häufig mit dem Maiglöckchen verwechselt wird, das giftig ist. Der Bärlauch ist an der Blattunterseite matt und besitzt eine hervortretende Mittelrippe. Sein typischer Geruch ist kein alleiniges Erkennungsmerkmal! Das Mai-glöckchen hingegen führt zu Atemnot, Herzrasen und schliesslich zum Herzstillstand. Auch mit dem „Aronstab“ wird Bärlauch häufig verwechselt – er ist zwar nicht giftig, doch sehr scharf und kann somit ein ganzes Gericht ungeniessbar machen.

Alsdann kennt auch die Homöopathie einigen Mittelchen, wie Arsenicum album (hergestellt aus dem hochgiftigen, weissen Arsenik), Phosphorus (der sog. „Lichtträger“ – ebenfalls als elementarer Stoff giftig, jedoch ausserordentlich wichtig für den Körper) oder Causticum Hahnemanni (frisch gebrannter Kalk, verarbeitet mit Kaliumdihydrogensulfat – stark ätzend) – für all jene, die darauf schwören. Die Dosis macht das Gift – alle drei Mittelchen sind stark verdünnt!

Kommen Sie gut durch den verspäteten Frühling und erfreuen Sie sich an der Pracht der Natur!!!

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Schokolade – Die lebensgefährliche Versuchung?

†So sicher wie das Amen im Gebet erschallt jedes Jahr zweimal ein lauter Aufschrei in den Reihen der Verbraucher-/Konsumentenschützer: Zu Ostern und zu Weihnachten! Die Ursache sind nachgewiesene Verun–reinigungen der Schokolade-Osterhasen und -Nikoläuse durch Mineralöl-verbindungen. Ja – es gibt sie und Ja – diese sind gesundheitsschädlich! Doch, was viele nicht wissen: Diese Kontaminationen tauchen inzwischen auch in vielen anderen Nahrungsmitteln auf.

Im Jahre 2010 wurden erstmals Lebensmittel mit einer durch das Kantonale Labor Zürich entwickelten Analysemethode auf Verunreinigung von verpackten Lebensmitteln mit sog. „Mineral Oil Saturated Hydro-carbons“ (MOSH – gesättigte Mineralölkohlenwasserstoffe, rund 75-85 % der Belastungen) und „Mineral Oil Aromatic Hydrocarbons“ (MOAH – aromatische Mineralölkohlenwasserstoffe, zirka 15-25 %) hin untersucht. Unter MOSH und MOAH versteht der Experte Kohlenstoffketten mit meist weniger als 25 Kohlenstoffatomen und niedriger bis mittlerer Viskosität. MOAH besteht zudem aus einem bis vier Ringsystemen, die bis zu 97 % alkyliert sind. Das Analysesystem war bislang deshalb nicht möglich, da es sich um ein einkomplexes Gemisch handelt, das eine Quantifizierung als Summe aller Komponenten verlangt. Die ansonsten verwendete Gas-chromatographie liefert hierfür zu breite Signale („Unresolved Complex Mixture“ UCM bzw. „Chromatographischer Hügel“). Neben dieser Problemstellung kam noch ein ganz entscheidendes, weiteres hinzu: Der Übergang sog. „Polyolefin Oligomeric Saturated Hydrocarbons“ (POSH) aus Polyethylen- bzw. Polypropylen-Folien. Auch dies ist von den MOSHs und MOAHs nur sehr schwer zu trennen. Für eine Analyse muss deshalb eine online-gekoppelte Flüssigchromatographie-Gaschromatographie-Flammenionisationsdetektion („LG-GC-FID“) durchgeführt werden, auf die ich in diesem Text nicht im Detail eingehen möchte.

Das Ergebnis 2010 war mehr als ernüchternd: Diese beiden Verbindungen wurden damals vornehmlich in langlebigen und trockenen Lebensmitteln wie Mehl, Griess, Semmelbröseln, Reis, Cerealien und Nudeln, später auch in Olivenöl und v.a. Schokolade nachgewiesen, die irgendwann während der Produktion oder auf dem Weg zum Konsumenten in Recycling-Material oder Naturfaser-Säcken verpackt waren. Also Kartonver-packungen, Lager- und Transportkartons und -säcken, … Die eidge-nössischen Forscher gingen der Sache auf den Grund und konnten einen Zusammenhang zwischen Verpackung und Kontamination herstellen: Verantwortlich dafür scheinen bei den Kartonagen die Zeitungs-druckfarben des Altpapiers in der Recyclingkette bzw. die Klebstoffe. Beide sind zumeist mineralölhaltig. Zu diesem Ergebnis kam auch eine sofort durch das deutsche Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) in Auftrag gegebene Studie: Ein Übergang von Stoffgemischen aus kurz-, mittel- bis langkettigen und akkumulierten aromatischen Kohlenwasserstoffen (MOSH/MOAH) kann durch die unterschiedlichsten Einflussfaktoren – meist jedoch durch Verdampfung – nicht ausgeschlossen werden!

Die Verpackungsindustrie jedenfalls reagierte recht schnell. Die Karto-nagenproduktion wurde verbessert, der Anteil der Frischfaser-Kartonagen stieg ständig. Am 01. Juli 2013 startete zudem der Bundes-verband der Deutschen Süsswarenindustrie (BDSI) eine über drei Jahre andauernde Langzeit-Studie mit dem Ziel der Reduzierung der Kontamination. Im selben Jahr belegte eine Studie der TU Dresden eine deutliche Verbesserung der Kontaminationen durch Kartonverpackungen, zwei Jahre später bestätigten dies zudem die Lebensmittelüberwachung und die Untersuchungen verschiedener Markttester, wie auch Foodwatch. Belastungen waren in der Verpackung kaum mehr wahrnehmbar, da in der Endverpackung der Ware nahezu ausschliesslich Frischfaser-Karton verwendet wurde. Interessante Daten lieferten Untersuchungen, wonach die Ware vor dem Abtransport nahezu unbelastet war, nach dem Transport jedoch Belastungswerte aufwies. Es muss also noch andere Ubertragungswege geben. Eine Möglichkeit besteht in die Verwendung von imprägnierten Jute- und Sisalsäcken. Eine andere in den Transport-kartonagen, die zumeist für den Einmal-Gebrauch nach wie vor aus dem Recyclingkreislauf gewonnen werden.

Nachdem im Gesetzesentwurf zur Mineralölverordnung Grenzwerte definiert wurden, hält sich die Verpackungsindustrie an das sog. „ALARA-Prinzip“ – die Minimierung am technisch Machbaren. Das wären 2 mg/kg MOSH und 0,5 mg/kg MOAH. Hintergrundinfo: Deutsche Zeitungs- und Zeitschriftenverlagshäuser verwenden jährlich rund 70.000 to Mineralöl für den Druck ihrer Medienprodukte. Dies könnte recht einfach durch Pflanzenöle ersetzt werden, betont die Verpackungsindustrie. Das Problem jedoch besteht in der sog. „Wegschlaggeschwindigkeit der Druckfarben“, die zu einer Farbverunreinigung der Druckwalzen führt. Diese müssten mehrmals als bisher gereinigt werden, was gerade bei Grossauflagen mehr als ärgerlich ist. Auch können bestimmte Qualitäts-standards nicht mehr eingehalten werden.

Inzwischen aber wurde alsdann eine zweite Möglichkeit in Erwägung gezogen: Auch Schmierstoffe in der Primärproduktion können zu der-artigen Verunreinigungen führen. So kann bereits während der Ernte oder der Produktion das Produkt in Kontakt mit Schmier-, Hydraulik- oder Schneidöl bzw. Trägerstoffen für Pestizide gekommen sein. Auch Verbrennungsabgase (Benzinmotor, Industrieanlagen, …) oder Reifen- bzw. Bremsabrieb (Feinstaub) kann dafür verantwortlich zeichnen. Ferner müssen Waldbrände etwa beim Soja aus Brasilien oder Palmöl aus Indonesien bzw. den Philippinen mit einberechnet werden.

Zwar gehören diese Kontaminationen nicht in die Lebensmittel, doch gibt das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) bzw. auch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) Entwarnung: Werden die entsprechenden Produkte nicht massenweise verzehrt, so sollten sich diese Stoffe nicht wirklich gesundheitsschädigend auswirken. Das übliche Problem in Deutschland und Österreich: MOAH und MOSH wurden noch nicht ausreichend toxikologisch bewertet und somit eine mögliche krebserzeugende Wirkung nicht ausreichend nachgewiesen. Deshalb gelten die damit belasteten Lebensmittel als unbedenklich und für den Verkauf freigegeben. Beide Komponenten werden nicht ausge-schieden, sondern reichern sich im Körperfett des Menschen an. Ablagerungen der Stoffe können in der Leber, den Herzklappen und den Lymphknoten zu Fehlfunktionen führen. Damit verlieren Grenzwerte eigentlich ihre Bedeutung: Wird viel und regelmässig von solch konta-minierten Lebensmitteln bzw. unterschiedlichen Produkten verzehrt, die gleichermassen belastet sind, wird auch mehr abgelagert. Da mag der Grenzwert auf 100 g als eher sinnlos erscheinen.

Na? Hätten Sie das erwartet, was da so alles in unseren Lebensmitteln schlummert? Und das ist noch lange nicht alles: Neben den bereits erwähnten Verunreinigungen können auch weitere Mineralöl-raffinationsprodukte („Mineral Oil Refined Products“ MORE) und Poly-alphaolefine (PAO) enthalten sein. Und dies sind nur die chemischen Kontaminationen. Von den biologischen ganz zu schweigen – aber das ist wieder ein ganz anderes Thema!

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Das Moor – Quell des Lebens

†An dieser Stelle habe ich bereits über das gefährliche Auftauen der Permafrost-Regionen in Kanada und Russland berichtet. Dabei handelt es sich vornehmlich um Moor- und Sumpflandschaften, die nach der letzten Eiszeit nicht mehr wieder aufgetaut sind.

Als die Eispanzer geschmolzen sind, wurden auf den nicht gar so kalten Kontinenten gewaltige Mengen von Wasser freigesetzt. Nicht alles wurde in die Meere gespült oder versickerte, vieles verdunstete und kam als Niederschlag wieder zurück. Dadurch stieg der Grundwasserspiegel sehr rasch an, wodurch viele Senken und Täler überflutet wurden. Die Natur reagierte – feuchtigkeitsliebende Pflanzen siedelten sich an und über-zogen ganze Landschaften. Mancherorts allerdings konnten aufgrund des Wasserstandes die abgestorbenen Pflanzen nicht mehr abgebaut werden – es bildeten sich Moore. Die meisten davon dürfte es vor rund 12.000 Jahren gegeben haben. Soweit zum geschichtlichen Hintergrund.

Wie eine solche Moorlandschaft entsteht, erklärt uns die Biologie. Mehrere Faktoren müssen vorhanden sein, damit es zu einer solchen Laune der Natur kommen kann:

  • Eine wasserstauende Schicht im Boden verhindert das weitere Versickern des Wassers
  • In der Region muss ein starkes Niederschlagsaufkommen vorherrschen, wodurch auch eine hohe Luftfeuchtigkeit gegeben ist
  • Der Pflanzenwuchs übertrifft die Zersetzung abgestorbenen Materials
  • Das Gebiet darf nicht beschattet sein

Im Moor selbst herrscht aufgrund der ständigen Regenfälle nicht nur eine ständige Wassersättigung, sondern auch ein konstanter Sauerstoff-mangel. Dadurch können die Pflanzenreste nicht richtig zersetzt werden – der Abbau erfolgt unvollständig und wird als Torf abgelagert. Hierin besteht der Unterschied zu Sümpfen: Dort wird die Biomasse durch die regelmässigen Austrocknungen vollständig zu Humus umgesetzt. Die oberste Schicht des Moores besteht aus lebenden Pflanzen. Hier ist der Grossteil des Wassers gespeichert – je tiefer man kommt, umso mehr und dichter werden die Torfschichten. Für den Aufbau einer rund 10 m hohen Torfschicht benötigt ein lebendes Moor in etwa 10.000 Jahre. Den untersten, wasserundurchlässigen Bereich eines Moores bildet eine hart verdichtete Sandschicht. Der Experte spricht hierbei von „Seetonen“.

Vor 12.000 Jahren überzogen Moore noch rund 4,2 % der Landfläche Deutschlands (rund 1,5 Mio Hektar). Davon blieben jedoch gerade mal 1,28 Mio Hektar (3,6 % der Landfläche) übrig. Die meisten Hochmoore findet man heute noch in Niedersachsen. In Österreich sind es gegen-wärtig 26.600 Hektar in 3.000 Moorflächen, 192 Hektar in hochalpinem Gelände (Studie im Auftrag des WWF). Auch hier wurden knapp 90 % zerstört. Die Schweiz listet 24.000 Hektar (0,6 % der Landfläche) als Moorlandschaft auf.

Grundlegend wird zwischen drei unterschiedlichen Moorarten unter-schieden:

.) Das Hochmoor

Hochmoore entstehen zumeist in kühlen und feuchten Gebieten. Sie nähren sich vornehmlich aus den Niederschlägen („Regenwassermoor“). Oftmals haben sie sich aus Niedermooren entwickelt oder wuchsen direkt auf mineralischen Untergrund auf. Typisch für Hochmoore sind die Torfmoose (Sphagnum), die schwammartig das Wasser speichern. Ein Hochmoor produziert im Schnitt acht Tonnen Pflanzenmasse pro Hektar und Jahr. Durch die stete Ablagerung von Torf wächst das Moor ständig in die Höhe. Der pH-Wert ist sehr niedrig. Aus diesem Grunde siedeln sich auch nur darauf spezialisierte Pflanzen- und Tierarten an.

.) Das Niedermoor

Niedermoore sind grundwassergenährte Landschaften in Senken, Mulden, Flussniederungen, verlandete Seen oder Quellwasseraustritten. Diese Moore benötigen die Wasserzufuhr nicht nur durch Niederschläge, sondern auch durch Grund- oder Quellwasser. Die Torfschicht am Boden ist zumeist dünn, da diese Moore ab und an zumindest teilweise trocken-fallen, da es an das nährstoffreiche Grundwasser gebunden ist. Hierdurch steigt das Moor auch nicht in die Höhe an, es verbleibt in Höhe des Grundwasserspiegels. Niedermoore sind wahre Nährstoffoasen, weshalb sich hier auch die meisten Pflanzen- und Tierarten finden. Ein Nieder-moor produziert pro Hektar und Jahr rund 16 Tonnen Pflanzenmasse. Der ph-Wert liegt zwischen 3,5 und 7,0.

.) Das Übergangsmoor

Entwickelt sich ein Nieder- zum Hochmoor, so bezeichnet dies der Experte als Übergangs- oder auch Zwischenmoor. Es bezieht das Wasser sowohl aus dem Grundwasser als auch den Niederschlägen. Sofern genügend Regenfälle vorhanden sind, entwickelt sich das Nieder- zum Hochmoor.

Hydrologisch gibt es noch weitere Unterteilungen in etwa Quell-, Hang-, Versumpfungs-, Verlandungsmoore etc., ökologisch in bespielsweise Sauerarm-, Sauerzwischen-, Basenzwischenmoor etc.

Die Pflanzen- und Tierwelt in Moorlandschaften ist einzigartig, da es sich um wahre Spezialisten handelt, die mit teils widrigsten Lebensumständen zurecht kommen müssen.

Torfmoose (Sphagnum)

Wie bereits beschrieben, haben diese Moose eine ganz entscheidende Bedeutung beim Übergang der Nieder- auf Hochmoore. Sie benötigen nur ganz wenige Nährstoffe und kommen mit den extremen Verhältnissen perfekt zurecht. Torfmoose geben Wasserstoffionen ab. Dies steigert den Säuregehalt, wodurch andere Pflanzenarten nicht mehr wachsen können. Während die lebende Schicht nach oben wächst, stirbt die untere Schicht aufgrund des Sauerstoffmangels und sinkt auf den Boden ab, wodurch der Torf entsteht.

Moor-Birke (Betula pubescens)

Die Moor- oder auch Haar-Birke gibt der Moorlandschaft zumeist ihr typisches Bild. Sie passt sich sehr rasch den Verhältnissen an. Zu finden aber ist sie meist in Moorwäldern oder den trockenen Bereichen der Hochmoore.

Rosmarinheide (Andromeda polifolia)

Die Rosmarinheide ist vornehmlich auf stickstoffarmen Böden der Hoch- bzw. Heidemoore zu finden. Die Nährstoffe und das Wasser bezieht sie aus einer Symbiose mit den Mykorrhizapilzen, die sich an den Wurzeln der Rosmarinheide ansiedeln. Diese erhalten im Gegenzug die Assimilate aus der Photosynthese.

Sonnentau (Drosera rotundifolia)

Diese Pflanze zählt wie rund 130 andere Arten auch zur Familie der Droseraceae – den fleischfressenden Pflanzen. Sie deckt ihren Stickstoff-bedarf durch das Fangen und Verdauen von Insekten. Der Sonnentau verwendet dafür eine der klebrigsten Substanzen der Pflanzenwelt.

Geflecktes Knabenkraut (Dactylorhiza maculata)

Hier haben wir es mit einer wahrhaftigen Orchidee zu tun. Auch das Gefleckte Knabenkraut benötigt die Symbiose mit speziellen Wurzel-pilzen. Den Namen hat sie von den runden Flecken auf der Blattoberseite. Die Blüten sind rosa bis violett und zwischen Mai und August zu bewundern. Die Pflanze wird bis zu 60 cm hoch, sie liebt leicht sauren Magerrasen oder lichte Wälder. Das Gefleckte Knabenkraut steht unter strengem Artenschutz.

Ausserdem zu finden sind: Das Wollgras (Eriophorum vaginatum), die Rauschbeere (Vaccinium uliginosum), die Gewöhnliche Moosbeere (Vaccinium oxycoccos, syn. Oxycoccus palustris Pers.), der Sumpf-Bärlapp (Lycopodiella inundata), die Besenheide (Calluna vulgaris), die Glockenheide (Erica tetralix) uvam.

Die grösste Gefahr für die Moore stellt die Trockenlegung dar. Ganze Landstriche wurden in der Vergangenheit ausgetrocknet. Immer wieder entstehen deshalb Torfbrände. Vornehmlich die Landwirtschaft zerstört die grössten Flächen für die Landgewinnung, gefolgt von der Forst-wirtschaft. Aber auch die Industrie greift mit vollen Händen ein: Verrichteten früher die Torfstecher diese Arbeit, so wird in der Gegenwart der Torf maschinell abgebaut um dadurch wichtige Substrate für den Gartenbau zu gewinnen.

Moore sind einzigartige Ökosysteme, die nicht nur für viele bedrohte Pflanzen- und Tierarten das für sie so wichtige Rückzugsgebiet darstellt. Als Wasserrückhalteflächen haben Moore zudem eine enorm wichtige Bedeutung für den Wasserhaushalt dieser Gebiete. Verschwindet das Moor, sinkt auch der Grundwasserspiegel ab, da Niederschläge nicht mehr gespeichert werden und zumeist oberflächig abfliessen. Und zudem speichern Moorlandschaften enorme Mengen an Kohlenstoff (nahezu doppelt so viel wie die Wälder weltweit). Dadurch wird weniger des Treibhausgases CO2 abgegeben. Wird nur ein Hektar Moorlandschaft zerstört, so setzt dies soviel Kohlendioxid frei wie bei einer 4,5 maligen Erdumrundung eine PKWs mit Verbrennungsmotor. Das Moor wirkt somit als entscheidender Faktor gegen die Klimaerwärmung.

„Losgelöst von einer internationalen Moor-Lösung droht die Wirkung jedoch zu verpuffen und Probleme wie den großflächigen Torfabbau nur überregional zu verschieben.“

(Agnes Zauner, Global 2000-Geschäftsführerin Österreich)

Am 2. Februar wird der „World Wetlands Day“ (Tag der Feuchtgebiete) gefeiert. An diesem Tag soll auf die Bedeutung der Moore hingewiesen werden. Schliesslich spüren wir es inzwischen unmittelbar aufgrund der ausbleibenden Regenfällen im Sommer. Die Wasserknappheit ist alsdann einmal mehr durch den Menschen verursacht. Der Schutz der wichtigen Moore ist auch in der Alpenkonvention bzw. der „Moorstrategie Öster-reich 2030+“ niedergeschrieben. Das Ziel stellt eine „Wiedervernässung“ ehemaliger Moorflächen dar. Erste Erfolge konnten auch bereits vorgewiesen werden: So wurde im Naturschutzgebiet Weisser Graben in Niedersachsen durch den NABU und die Volkswagen Leasing GmbH das Lichtenmoor wiedervernässt. Weitere Projekte stehen in den Moor-landschaften Nordrhein-Westfalens oder auch dem sog. „Theikenmeer“ mit dem angrenzenden Hochmoor „Wehmer Dose“ auf dem Hümmling in Niedersachsen an – beide Regionen zählen zu den ältesten bzw. schönsten Naturschutzgebieten Deutschlands.

Filmtipps:

.) Magie der Moore; Jan Haft 2015

.) Planet Wissen „Faszination Moor“

.) Planet Wissen „Moore und der Klimawandel“

.) Planet Wissen „Das Moor – Kulturlandschaft und Klimafaktor“

Lesetipps:

.) Deutschlands Moore: Ihr Schicksal in unserer Kulturlandschaft; Michael Succow, Lebrecht Jeschke; Natur & Text 2022

.) Moore in der Landschaft: Entstehung, Haushalt, Lebewelt, Verbreitung, Nutzung und Erhaltung der Moore; M. Succow, L. Jeschke; Urania 1990

.) Landschaftsökologische Moorkunde; M. Succow u. a.; Schweizer-bart’sche Verlagsbuchhandlung 2001

.) Auen, Moore, Feuchtwiesen; Gefährdung und Schutz von Feucht-gebieten; Gabriele Colditz; Birkhäuser Verlag 1994

.) Moor- und Torfkunde; Karlhans Göttlich; E. Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung

.) Botanisch-Geologische Moorkunde; Fritz Overbeck; Wachholtz, Neu-münster 1975

.) Sümpfe und Moore – Biotope erkennen, bestimmen, schützen; Hrsg.: Claus-Peter Hutter; Weitbrecht Verlag 1997

.) Altes Naturheilmittel Moor – Neues Wissen für die praktische Anwendung; Christa Klickermann, Petra Wenzel; Klickermann 2003

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ESC – Der Niedergang der Musikkultur

†Werte Leser dieser meiner Zeilen – gleich zu Beginn muss ich mich heute outen: Ich werde mir weder das Finale am 13. Mai in Liverpool, noch eines der Semifinali des ESC 2023 anschauen! Der European Songcontest interessiert mich schlichtweg überhaupt nicht. Anstatt dessen habe ich mir die WM-Finalspiele der DFB-Auswahl seit 1954 besorgt, Bier wird eingekühlt und Snacks angerichtet. Da mache ich keinen Hehl daraus und werde es in den kommenden Sätzen etwas präzisieren!

Vorweg einige allgemeine Informationen. Im Jahr 1954 gründeten die staatlichen Rundfunkanstalten der westeuropäischen Länder in Genf die European Broadcasting Union EBU. Mit ihrer Hilfe sollte ein Austausch von Rundfunk- und Fernsehprogrammen über die Grenzen hinweg wesentlich erleichtert werden. Dafür wurde später ein eigener Satellitenkanal (Eurovision News EVN) eingerichtet. Die Premiere machte am 6. Juni 1954 das Narzissenfest von Montreux. Ein Jahr darauf wurden hunderttausende Zuschauer (der Fernseher war damals noch ein Luxusgut!) Zeugen des wohl tragischsten Unfalls in der Geschichte des Motorsport: Beim 24-h-Rennen von Le Mans starben 84 Menschen. Seit 1959 wird zudem jeweils am 01. Januar das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker sowie am Ostersonntag der päpstliche Ostersegen via EBU ausgestrahlt uvam. Das Pendant zur Eurovision war in den osteuropäischen Staaten die Intervision.

Die EBU startete dann im Jahre 1956 mit dem Grand Prix d’Eurovision de la Chanson aus Lugano und sieben Teilnehmern; dem ersten grenz-überschreitenden Musikwettstreit der Länder – live im Fernsehen. Die Strassen waren leergefegt – wer einen Fernseher zuhause hatte, verbrachte den Abend vor der Glotze, die anderen bei Ihren Verwandten oder Nachbarn, die einen Flimmerkasten besassen. Als Vorbild diente das San Remo Festival. Bereits ein Jahr später (in Frankfurt/Main) entsendete jeder Mitgliedsstaat der EBU einen Vertreter in das Starterfeld – San Remo war plötzlich vergessen. Seit 1958 wird nun die Folgeveranstaltung im Land des Siegers abgehalten. Das Interessante daran war, dass jedes Land mit dem entsprechenden Lied etwas eigene Kultur vermitteln konnte. Zudem wurde in der landeseigenen Sprache gesungen (bis 1999), was dem Ganzen noch weitaus mehr an Flair brachte. Nur die Schweiz konnte es sich aussuchen, ob der Beitrag auf deutsch, italienisch oder französisch präsentiert wurde. Die Musik kam nicht etwa vom Band sondern vielmehr live aus dem Orchestergraben, dirigiert zumeist vom Chefdirigenten des entsprechenden Starters. Nicht weniger als 150 Millionen Zuschauer verfolgten dort die Geburtsstunde von Gassen-hauern, die nach der Sendung in ganz Europa gesummt, gepfiffen oder auch gesungen wurden: „Waterloo“, „Nel blu dipinto di blu (Volare)“, „Merci cherie“, „Hallelujah“ oder auch „Ding-a-dong“, „Congratulations“ und „Poupée de cire, poupée de son“; Weltkarrieren wie jene von Abba, Johnny Logan, Lys Assia, Brotherhood of Man, Celine Dion, Toto Cutugno wurden begründet.

Dann öffnete sich der Eiserne Vorhang, die EBU wurde durch die ehe-maligen Ostblock-Staaten erweitert – es hielt die Politik Einzug in den Wettkampf. Bewertet wurde nicht mehr der beste Song, die meisten Punkte erhielten die Nachbarländer – völlig egal, ob der Titel gut oder schlecht performed wurde. So kam es, dass plötzlich die One Hits Wonder auftauchten – Künstler, die durch eine solche Strategie auf’s Podest gehoben wurden, von welchen aber auch nach dem nun als Eurovision Song Contest (ab 1992) bezeichneten musikalischen Wettstreit auch nie mehr wieder etwas zu hören war. Im Vorfeld des ESC 2015 in Österreich wurde u.a. der ehemalige Starter des ESC 2002, Manuel Ortega, inter-viewt. Er wurde befragt, wer den Contest damals gewonnen hatte. Betretenes Schweigen – keine Antwort! Keine Schande – gewann doch die Lettin Marie N. mit „I wanna“ vor Malta (Ira Losco „7th wonder“). Ist erst 21 Jahre her – doch kennt die noch Irgendwer? Nicht mal den britischen Beitrag, der gemeinsam mit Estland auf dem 3. Platz landete (Jessica Garlick „Comeback“) wird noch jemandem geläufig sein. Runter von der Bühne und schon aus dem Sinn! Einzig Loreen aus Schweden (Siegerin 2012 mit „Euphoria“) wird heute noch gespielt. Eine Up-Tempo-Nummer, die aus dem ehemaligen Chanson-GP nun auch endgültig einen der vielen Pop-Wettbewerbe machte.

Eine Ausnahme machte zudem ausgerechnet Lena Meyer-Landrut, die sich erstmals nicht über den normalen Weg qualifizierte. Sie gewann den ESC im Jahre 2010 mit „Satellite“. Danach folgten mit „My Cassette Player“ (Nr. 1 in Deutschland und Österreich), „Good News“ (Nr. 1 in D, Nr. 7 in Ö) sowie „Stardust“, „Crystal Sky“ und „Only Love.L“ (jeweils Nr. 2 in D, letzterer Nr. 4 in Ö) noch weitere Platzierungen an der Chartspitze. Später wurde es auch bei ihr etwas ruhiger. Erst durch ihren Job als Jurorin bei „The Voice Kids“ (einem Kinder-Nachwuchswettbewerb) kam sie wieder ins Gerede.

Seither haben Songs, die eher in das Slow-AC- oder Schlager-Format passen, nicht mal mehr den Hauch einer Chance. Und die Sieger-Titel – jo mei – es gibt den MTV-Award, Brit-Award, Grammy, die Goldene Stimmgabel, den Cometen, Amadeus, Swiss Music Award,… – soll man da wirklich jeden Song, der gewonnen hat, auch ein Jahr später noch kennen? Vor allem da Musik inzwischen am Fliessband produziert wird – sogar durch Künstliche Intelligenz, ohne jedes menschliche Zutun. Und, dass sich da so manch einer nicht zu schade dafür ist, erfolgreiche Songs in irgendeiner Weise abzukupfern, zeigte wohl niemand besser als Cascada, die ein Jahr nach „Euphoria“ mit „Glorious“ für Deutschland auf der Bühne stand! Auch der/dem österreichischen Vertreter/-in Conchita Wurst wurden Plagiatsvorwürfe an den Kopf geworfen. Zu sehr klang sein/ihr „Rise like a Phoenix“ wie der Titelsong aus einem James Bond-Film. Auch bei vielen anderen wird nahezu jedes Jahr behauptet, dass „exakt die gleichen Harmonien und weitestgehend sogar die Harmonie-führung genau übernommen“ wurden. Na ja – offenbar gibt es eben nichts neues mehr! Ein Blick in die Hitparaden beweist dies: „Valerie“ von Marc Ronson feat. Amy Winehouse (Original: The Zutons), „Car Wash“ von Christina Aguilera (Original: Rose Royce), „Ain’t nobody“ von Felix Jaehn ft. Jasmine Thompson (Original: Rufus & Chaka Khan), „Lemon Tree“ von Alle Farben (Original: Fool’s Garden), „Bitter Sweet Symphony“ von Gamper & Dadoni feat. Emily Roberts (Original: Rolling Stones bzw. The Verve), „Would I lie to you“ von David Guetta, Cedric Gervais & Chris willis (Original: Charles & Eddie) u.v.a.m.! Der Experte spricht hierbei von „Remakes“ bzw. „Second Hand Songs“. So wird so manch Kiddy meinen – „Poah – hammergeil!“! Dem sei hiermit entgegengesetzt: Die Originale sind zumeist vorschlaghammergeil!!!

Inzwischen entwickelt sich der Songcontest, nachdem er zur Meterware wurde, immer mehr zur Freak-Show. Besonders die Finnen zeigen hierbei einen sehr grossen Ideenreichtum. Gewannen doch Lordi mit „Hard Rock Hallelujah“ 2006.

Nahezu jedes Jahr sind immer wieder recht interessante Interpreten aus dem Nordosten Europas zu sehen und v.a. zu hören. In diesem Jahr wird die finnische Flagge durch Käärijä mit dem Titel „Cha Cha Cha“ vertreten – Metal-Rap mit elektronischen Beats der Marke Electronic Callboy.

Dem nicht genug: Måneskin (2021 mit „Zitti e buoni“), Netta (2018 mit „Toy“) oder auch die politische Botschaft in Richtung Russland Kalush Orchestra (2022 mit „Stefania“). Somit setzen auch andere Länder mehr auf das Auffallen: Dana International, eine Transsexuelle aus Israel, die/der 1998 mit „Diva“ gewann – neu aufgerollt 2014 durch die bereits angesprochene Conchita Wurst mit „Rise like a Phoenix“. Die Wurst kam nur zu sehr wenigen Chart-Platzierungen im Vergleich mit den Zweit-platzierten, den niederländischen Common Linnets mit „Calm after the storm“. Es siegte somit nicht der Song, sondern die Interpretin – nix also mit dem „Wettstreit der Komponisten und Songtextern“!

Conchita Wurst – Rise like a phoenix

Deutsche Charts: 4 Wochen – beste Platzierung 5

Schweizer Charts: 4 Wochen – beste Platzierung 2

Österreichische Charts: 16 Wochen – beste Platzierung 1

Common Linnets – Calm after the storm

Deutsche Charts: 41 Wochen – beste Platzierung 3

Schweizer Charts: 21 Wochen – beste Platzierung 3

Österreichische Charts: 34 Wochen – beste Platzierung 2

Die Dame mit dem Bart wurde mit dem Aufschrei nach mehr Liebe und v.a. Toleranz gefeiert – da hätte sie/er auch ein Kinderlied zwitschern können und trotzdem gewonnen – aufgrund Ihrer Gesichtsbehaarung! Seither zupfen sich weltweit Millionen von Frauen nicht mehr die Haare ihres Damenbartes weg und viele Touristen kommen nach wie vor nach Österreich um sich zu überzeugen, dass ganz oben auf der Alm die Hüttenwirtin wirklich ausschaut wie die Conchita! Doch – äusserte man sich vielleicht etwas kritisch zur Kunstfigur „Conchita Wurst“, so musste v.a. Mann gar Prügel befürchten – von jenen, die mehr Toleranz forderten! Schräge Vögel wie Guildo Horn & seine Orthopädischen Strümpfe, Stefan Raab als Legastheniker, Alfred Poier als Leiterwagen-Kapitän oder auch die beiden zwar hübschen trotzdem aber komplett abgefahrenen taTu aus Russland liessen so manchen Musik-Kenner zur Fernbedienung greifen, sorgten aber im Endeffekt für mehr Schlagzeilen als die Sieger! Auch sind immer wieder sexy Frauen zu sehen, die zwar viel nackte Haut zeigen, jedoch teils wenig stimmliche Qualitäten vorzuweisen haben. Ani Lorak aus der Ukraine 2008, Svetlana Loboda ebenfalls aus der Ukraine 2009, Margaret Berger aus Norwegen 2013, Cleo & The Girls aus Polen 2014, Jana Burčeska aus Nord-Mazedonien 2017, Efendi aus Aserbeidschan 2021 etc.

(Anmerkung des Schreiberlings: Schön anzuschauen – wenn nur die Musik nicht so stören würde!)

Für den Türken Erdogan Anlass genug, die Teilnahme seines Landes zu verhindern, obwohl die belgisch-türkische Popsängerin Hadise 2009 selbst einen gewagten Auftritt zeigte. Daneben verblassten Verkaufs-millionäre wie Five, Silver Convention, Ricchi é Poveri, Baccara, DJ Bobo, Alan Sorrenti oder Stimmbandgrössen wie die No Angels, Bonnie Tyler und Il Volo. Besonders zum Denken gab der inzwischen geadelte Sir Cliff Richard: Mit „Congratulations“ 1968 nur zweiter, mit „Power to all our friends“ 1973 gar nur Dritter verkaufte er in diesen Jahren mehr Tonträger der beiden Songs als die jeweiligen Sieger. Heutzutage gewinnt nur jene(r) Interpret(-in), der/die am meisten aufzufallen weiss, die geilste Performance bringt oder den Goodwill der Ost-Connection hat, die sich immer wieder gegenseitig die 12 zuschieben. Übrigens haben Liechtenstein und der Vatikanstaat noch nie am Songcontest teil-genommen. Ich denke mir, dass ein gemischter Kardinals- und Schwesternchor doch einiges in Sachen Niveau der Veranstaltung wettmachen könnte, wenn noch möglich! Das meinen übrigens auch die Luxemburger, die seit 1993 nicht mehr teilnehmen. Mangelndes Interesse – trotz fünffachem Sieg – und zu wenig Geld! Ha…!

Was also hält die Zuseher noch am Bildschirm? Ich denke mir, dass die Übertragung der Brit-Awards sicherlich interessanter ist, da die wirklichen Stars des Pop- und Rock-Business vertreten sind und Madonna ja möglicherweise wieder von der Bühne kippen könnte.

Die moderne Satellitentechnik übrigens macht es möglich, dass Millionen auch ausserhalb Europas den ESC ansehen können – in den USA, Kanada, Australien (seit einigen Jahren selbst Teilnehmer), Japan, Indien und China etwa.

Alles in allem kostet die Austragung sehr viel Geld – in Österreich waren es im Jahr 2015 etwa 15 Mio € für den Veranstalter, dem Öster-reichischen Rundfunk. Tatsächlich kam das Ganze aber auf weitaus mehr als 17 Mio – der grösste Batzen (nahezu 9 Mio) davon ging an die Wien Holding als Inhaber des Austragungsstandortes Wiener Stadthalle für Miete, Adaptierung, etc.), gefolgt vom Marketing (rund 6 Mio – und ich dachte, der ESC sei ein Selbstläufer!). Von einer Umwegrentabilität zu sprechen, grenzt an Hohn, da diese Gelder ja schliesslich nicht oder nur in geringen Maße, dem Veranstalter zugute kommen. Also zahlt der Gebühren- und der Steuerzahler – völlig gleichgültig, ob er sich für das Spektakel interessiert oder nicht. Wer jetzt mit dem berühmten „Ja, aber…!“ kommen sollte, dem sei als Beispiel die Stadt Bregenz am Bodensee an’s Herz gelegt. Dort freute man sich 2008 auf die James-Bond-Dreharbeiten für „Ein Quantum Trost“ und das „Aktuelle Sportstudio“ des ZDF anlässlich der Fussball-EM. Gesprochen wurde über eine nahezu unbezahlbare Werbung – wenn dies so gewesen wäre, weshalb gab es dann einen derart grossen Aufruhr, weil ein riesiges Loch im Budget der Stadtmarketing klaffte, das schliesslich ebenso wieder mit Steuergelder gestopft werden musste. Wäre dieses Geld direkt in Massnahmen auf Nischenmärkten investiert worden, wäre wohl mehr dabei herausgekommen. Und, dass der damalige Generalintendant des ORF, Alexander Wrabetz, schon vor dem Gewinn der Wurst sowohl vom Bund als auch den Gebührenzahlern mehr Geld gefordert hat, ist kein Geheimnis! Ich erinnere mich zurück an das Jahr 2014, als Österreich plötzlich zum Favoritenkreis zählte. Da kam doch der Satz: „Um Gottes Willen! Wenn die gewinnt muss Österreich den ESC im kommenden Jahr ausrichten! Wer soll das bezahlen?“

Heuer ist Liverpool für Kiew eingesprungen. Das Interesse für Karten war riesig – die 3000 der Finalshow waren innerhalb von nur 36 Minuten ausverkauft – trotz Preisen zwischen jeweils 80 und 380 Pfund – es gab Kritik zuhauf.

Tja – und zum Schluss die Wahl der Interpreten selbst. In nicht wenigen der Starterländer, so u.a. in Grossbritannien und Russland – aber auch immer mal wieder in Deutschland, der Schweiz und Österreich werden die Interpreten durch einen internen Auswahlmodus ermittelt: Die Nichte des Bruders vom …!!! Damit vertreten sie ja eigentlich nicht ihr Land sondern Lobbyisten und jene Fernsehanstalt ihres Landes, die Mitglied der EBU ist! Kann hier wirklich von der Crème de la Crème des musikalischen Schaffens des Teilnehmerstaates gesprochen werden?

Verstehen Sie nun, weshalb ich mir den Songcontest nicht anschauen werde? Ich hoffe, diesen Überlegungen folgen noch weitaus mehr und die Quoten für die Live-Übertragungen sind katastrophal! Doch ist leider hiervon nicht auszugehen. In Deutschland gehört der ESC inzwischen wie der Fussball zum Nationalstolz! Auch wenn es wie zuletzt im Männerfussball nur Platzierungen unter ferner liefen gab.

Lesetipps:

.) Ein bisschen Wahnsinn: Wirklich alles zum Eurovision Song Contest; Clemens Dreyer, Claas Triebel, Urban Lübbeke; Verlag Antje Kunstmann München

.) Kampf der Kulturen: der „Eurovision Song Contest“ als Mittel national-kultureller Repräsentation; Irving Wolther; Königshausen & Neumann Würzburg

Links:

https://www.eurovision.tv

††https://songcontest.ch

https://www.eurovision.de

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CO2-Fussabdruck – verdammt grosse Schuhe!

Ich kann es nicht verhehlen: Ich bin entsetzt! Ehrlich entsetzt! Bislang – so dachte ich – führte ich mein Leben anhand einer hohen Umweltverträg-lichkeit nachhaltig. Klimaneutral sozusagen. Nun stolperte ich über den WWF-Rechner zur Bestimmung meines CO2-Fußabdruckes.

†https://www.wwf.de/themen-projekte/klima-energie/wwf-klimarechner

†††Das Ergebnis: 8,74 Tonnen CO2 pro Jahr. Damit liege ich zwar unter dem deutschen Durchschnitt von 12,74 Tonnen – dennoch ist es zu viel. Der wohl grösste Brocken dabei ist die tägliche Fahrt zur Arbeit. Die Öffis brauchen mit mehrfachem Umsteigen nahezu doppelt so lange, zudem lehne ich es ab, verschwitzt in einen übervollen Bus einzusteigen. Einiges wett mache ich allerdings durch meine Essgewohnheiten: Fleisch etwa nur am Wochen-ende. Das deutsche Umweltbundesamt geht für die Zukunft von einer Tonne pro Jahr und Person aus! Ich muss also an mir arbeiten!
Das sollte sich übrigens jeder vornehmen. Den Beginn macht sicherlich ein solcher Test über den persönlichen CO2-Fussabdruck. Dieser, auf englisch „Carbon Foodprint“, beziffert die Menge an Kohlendioxid-Emissionen, die ein Mensch im Laufe einer Woche, eines Monats oder eines Jahres verursacht. Ein kleiner Fußabdruck wäre empfehlenswert, da nicht nur die Industrie und die falsche Umweltpolitik einer Regierung für derartige Emissionen verantwortlich zeichnet. Nein – es beginnt bereits bei jedem Einzelnen! Im Laufe dieser heutigen Zeilen möchte ich deshalb versuchen, Wissenswertes und einige Anstösse zu vermitteln, wie ein solcher Fussabdruck möglichst klein gehalten werden kann.
Entwickelt haben die Berechnungen die beiden Wissenschaftler Wacker-nagel und Rees anno 1994. Der CO2-Fussabdruck setzt sich aus einer ganzen Menge an Komponenten zusammen: Essgewohnheiten, Heizbe-darf, Konsumverhalten, Stromverbrauch und Transport – um nur einige in alphabetischer Reihenfolge zu nennen.


.) Essgewohnheiten
Die westliche Gesellschaft weist einen viel zu hohen Fleischkonsum auf. Nicht nur die Massentierhaltung, sondern auch die Kühlung des Fleisches sorgt für horrende Emissionen. Weniger Fleisch oder Wurst in der Woche tut übrigens auch der Gesundheit gut. Das wissen v.a. die Diabetes- und Gichtpatienten. Zudem werden die Wasserreserven dadurch geschont – für ein Kilogramm Rindfleisch muss schon mal mit 15.415 Liter Wasser (in der Aufzucht der Tiere) gerechnet werden, bei Schweinefleisch sind es 5.988, bei Geflügel 4.325 Liter.
Regional ist zwar gut – saisonal-regional jedoch umso besser. Saisonales Obst und Gemüse erspart die Kühlung. Erdbeeren oder grüner Blattsalat zu Weihnachten? So kann ein heimischer Apfel im Winter einen schlechteren CO2-Fussabdruck aufweisen, als sein importierter Kollege aus Chile, der tausende Kilometer Transportweg hinter sich hat.
Leitungswasser ist besser als Mineralwasser aus der PET-Flasche. Nicht nur, da die unzähligen Transport-Kilometer wegfallen – Leitungswasser muss nicht abgepackt werden und ist zumeist überall verfügbar.


.) Heizbedarf
Im Winter dermaßen einzuheizen, daß im Wohnzimmer im T-Shirt Fern-sehen geschaut werden kann, ist einfach nur dumm. Die Raumtemperatur tagsüber um 1-2 Grad und am Abend stark gesenkt, spürt nicht nur die Geldtasche, sondern auch das Klima. Zudem sollten nachhaltige Heiz-stoffe wie Holz, Hackschnitzel oder Pellets bzw. Wärmepumpen ver-wendet werden, da die Emissionen von fossilen Brennstoffen (Kohle, Öl, Gas) eigentlich nichts in unserer Atmosphäre zu suchen haben und somit nicht kompensiert werden können.


.) Konsumverhalten
Ist es wirklich notwendig, stets up-to-date zu sein? Produkte, die noch funktionieren, gehören nicht in den Müll. Gilt auch für die Bekleidung. Ist der jährliche Garderobenwechsel wirklich vonnöten? Seit Jahren lassen auch Markenhersteller durch Billigstarbeiterinnen produzieren. Somit wäre alsdann den Niedrigstlöhnern geholfen, wenn nicht dermaßen viel eingekauft werden würde.
Zudem werden beispielsweise für die Produktion nur einer Jeans rund 120 Liter Wasser benötigt! Grosse Teile des Baumwoll-Bedarfs kommen aus Indien – hier wird für die Herstellung von nur einem Kilogramm Baumwolle 23.000 l Wasser verbraucht. Wiederverwenden ist somit das grosse Schlagwort!


.) Stromverbrauch
Der Strom muss produziert werden. Deshalb ist die E-Mobilität nicht wirklich die beste Lösung für das Klima. Photovoltaik-Anlagen funktionieren nur bei Licht, Windräder nur bei Wind. Bei Pumpspeicher-kraftwerken wird zwar die Wasserkraft als vermeintlich umweltfreund-liches Produktionsmittel verwendet, dennoch muss das Wasser wieder in den Stausee hinaufgepumpt werden. Eine Studie aus dem Jahr 2018 ergab, dass eine einzige Suchanfrage bei Google 0,0003 Kilowatt Strom verbraucht. Im Schnitt könnte jeder Google-Nutzer monatlich eine 60 Watt-Glühbirne für drei Stunden zum Leuchten bringen. Es ist ja nicht nur die Rechenleistung des eigenen PCs oder noch schlimmer Smartphones. An allen internetbezogenen Aktivitäten hängt eine ganze Armada von Rechenzentren und Grossrechnern (und Mobilfunkstationen).
Zudem: Frisch besorgt und angerichtet ist alle mal besser als gekauft und eingefroren. Die Gefriertruhe erweist sich in vielen Fällen als wahrer Stromfresser!


.) Transport
Das österreichische Bundesland Tirol kann ein Lied davon singen: Millionen LKW jedes Jahr auf der Inntal- und Brennerautobahn. Da kommt es schon mal vor, dass die italienische Milch zur Abpackung nach Deutschland gefahren, dann wieder nach Italien retour verfrachtet und für den Verkauf erneut nach Deutschland geführt wird. Eine Flasche hoch-preisiger Chardonnay aus Kalifornien/USA nach London verfrachtet kostet 24 Eurocent – im Flexitank gar nur die Hälfte. Ein solcher Flexitank fasst bis zu 24.000 l – die Flaschenabfüllung erfolgt dann am Bestimmungsort. Alleine Hapag Lloyd verschifft auf diese Art rund 288 Mio Liter Wein aus der ganzen Welt pro Jahr (Zahlen: www.hapag-lloyd.com/de). Riesige Containerschiffe machen es möglich. Schmeckt dieser wirklich besser als der deutsche oder österreichische? Güter, die weniger transportiert und v.a. geflogen werden müssen, sind eine Wohltat für die Umwelt. Perver-sionen gehören eingestellt: Landwirtschaftliche Produkte, die angeblich nicht verkaufbar sind, weil die Gurke zu krumm oder die Zwiebel zu klein ist, werden wieder in den Acker eingepflügt. Dafür ordern viele Heim- oder Grosskantinen ihre Lebensmittel von Firmen, die hunderte Kilometer weit entfernt sind!
Auch die tägliche Autofahrt zum Einkaufen ist nicht notwendig. Wer gut plant, kommt mit einem Wocheneinkauf durchaus zurecht. Oder: Man fährt noch kurz nach der Arbeit im Supermarkt vorbei, da der ohnedies auf der Strecke liegt.


In dieser Auflistung habe ich eines ganz absichtlich außer acht gelassen: Die Urlaubsreise! Der Urlaub ist für jeden Einzelnen unter uns die wohl schönste Zeit des Jahres. Dafür gibt es auch traumhafte Urlaubs-destinationen. Einziger Nachteil: Die meisten davon müssen angeflogen werden. So verursacht beispielsweise der Hin- und Rückflug von Frankfurt nach Bangkok über die rund 17.922 km nicht weniger als 1,56 to CO2 – für jede einzelne Person! Von Frankfurt/Main bis nach Lignano sind es 895,5 Kilometer. Ein Diesel-PKW, Baujahr 2017, verbraucht im Schnitt 7 Liter auf 100 km (ich weiss: Auf der Autobahn sind es aufgrund der höheren Geschwindigkeit wesentlich mehr!). Hin und retour produzieren Sie 0,494 to CO2 – ebenfalls pro Person. Gerade beim Urlaub kann sehr viel Ausstoss vermieden werden. Und mal ganz ehrlich: Was nutzt es mir, wenn ich die kleine Jazz-Kneipe in New Orleans kenne, dafür aber nicht weiss, was sich innerhalb eines Radius von 20 km rund um mein Zuhause abspielt?

Ich habe es kurz angesprochen: Die E-Mobilität ist nicht wirklich das Gelbe vom Ei! Diese Fahrzeuge sind in der Produktion wahre Umwelt-sünder. Daneben ist der Anteil fossiler Brennstoffe bei der Stromer-zeugung noch zu hoch. Deshalb sorgt erst eine hohe Kilometerleistung für die gewünschten Vorteile. Besser wäre die Brennstoffzelle. Wenn aus dem Auspuff Wasser tropft, könnte das zudem unseren Boden kühlen und kleine Klima-Biotope schaffen, in welchen es mehr regnet und kühlere Temperaturen bestehen. Doch ist auch die Herstellung von Wasserstoff sehr teuer und zudem werden alsdann damit Elektromotoren angetrieben.
Die Politik hat lange Zeit zugesehen und Forschungsprojekte nur sehr zögerlich subventioniert, wenn sie nichts mit fossilen Treibstoffen zu tun hatten. Jetzt straft sie. Alle! Manche können zwar Teile der CO2-Steuer wieder zurückholen, dennoch ist es eine zusätzliche Steuer, die gerade die Klein- und Kleinstverdiener, Alleinstehende und Mindestrentner hart trifft und noch schlimmer treffen wird, da die CO2-Steuer mit der Zeit ansteigen wird. Wäre es da nicht viel sinnvoller gewesen, peu à peu Massnahmen zur Energiewende in Angriff zu nehmen? Es hätte in all den Jahren bis heute so viel bringen können. Andere Staaten haben dies gemacht und stehen jetzt wesentlich besser als Deutschland oder Österreich da! Wieso etwa wurden Wasserstoffzüge durch die DB (mit Siemens) und die ÖBB (mit Alstom) erst vor kurzem getestet? Nach den ersten 100.000 Kilometer herrschte bei den Testern grosse Begeisterung! Während die Deutsche Bahn derzeit das DB-Regio-Werk Ulm für die Wasserstoffzüge umrüstet (H2goesRail), war bei den ÖBB vor gar nicht allzu langer Zeit zu lesen, dass es zu wenig sauberen Wasserstoff gebe, da er noch grossteils mittels Erdgas produziert werde.
Wieso gibt es immer weniger Einheimischen-Tarife, dafür übernachten Bus-Touristen und Pauschalreisende fast zum Nulltarif?
Bei diesem heutigen Blog habe ich absichtlich Unternehmen außen vor gelassen, da es mir darum ging, die Meinung und Einstellung eines jeden Einzelnen zur Klimaproblematik hoffentlich positiv zu verändern. Alles andere würde wohl den Platz und das Thema sprengen. Eines sei erwähnt, dass bereits viele Unternehmen aus den unterschiedlichsten Branchen einen „Product Carbon Foodprint“ (PCF) erstellen lassen um damit die CO2-Emissionen entlang der kompletten Wertschöpfungskette analysieren zu können. Ein sehr wertvoller Beitrag, den auch jeder Konsument in seine Kaufentscheidung einfliessen lassen sollte. Doch das ist wieder ein ganz anderes Thema.

Lesetipps:

.) Vier fürs Klima: Wie unsere Familie versucht, CO2-neutral zu leben; Petra Pinzler/Günther Wessel; Droemer HC 2018
.) Und jetzt retten wir die Welt: Wie du die Veränderung wirst, die due dir wünscht; Marek Rohde/Ilona Koglin; Franckh Kosmos Verlag 2016
.) Nachhaltig leben: Bewusst kaufen, sinnvoll nutzen. Alternativen zum Wegwerfen; Susanne Wolf; Verein für Konsumenteninformation VKI 2013
.) Foodprint: Die Welt neu vermessen; Mathis Wackernagel/Bert Revers; CEP Europäische Verlagsgsanstalt 2016
.) Das Weltretter-Workout: In 6 Wochen zum Weltretter; Philipp Appenzeller; rap verlag 2015
.) Dein Weg zur Nachhaltigkeit: 350 praktische Tipps für den Alltag; Florian Schreckenbach/Leena Volland; Books on Demand 2016
.( Der Ökologische Fußabdruck: Fachliche Grundlagen und didaktisch methodische Potenziale; Johannes Schulz; GRIN Verlag 2010

Links:

www.mein-fussabdruck.at
www.co2.rechner.at
uba.co2-rechner.de
www.fussabdruck.de
applications.icao.int/icec
www.bmuv.de
www.umweltbundesamt.de
www.bafu.admin.ch
www.carbonfootprint.com
www.klimaschutz-portal.aero
www.wri.org
www.oeko.de
co2.myclimate.org
www.climatepartner.com/de
www.wwf.de
wfd.de
www.greenpeace.de
reset.org
nachhaltigkeit.deutschebahn.com

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Die Volksvertreter – Gleiche unter Gleichen

†Das Wort „Politiker“ entstammt eigentlich dem Griechischen „politikós“, wurde aber auch von den Römern unter „politicus“ verwendet und bedeutet nach den Ausführungen des Dudens „Staatsmann“. Bei Wiki-pedia wird ein „Politiker“ definiert als „…eine Person bezeichnet, die ein politisches Amt oder Mandat innehat oder in sonstiger Weise politisch wirkt.“ Das jedoch ist sehr allgemein gehalten. Eine wesentlich detaillierte Definition listet das „Politiklexikon“ (Klaus Schubert/Martina Klein, Dietz 2020) auf. Demgemäss ist ein Politiker

  • eine Person, die sich der Staatskunst widmet, also jenem Bereich, der „das Öffentliche bzw. das, was alle Bürgerinnen und Bürger betrifft und verpflichtet“
  • eine Person, die in jenem Bereich tätig ist, der „die aktive Teilnahme an der Gestaltung und Regelung menschlicher Gemeinwesen“ zuzuordnen ist
  • eine Person, die im modernen Staatswesen ein aktives Handeln ausübt, „das a) auf die Beeinflussung staatlicher b) den Erwerb von Führungs-positionen und c) die Ausübung von Regierungsverantwortung zielt“

Nicht bezeichnet wird hierbei der Politiker als „gewählter Volksvertreter“, weshalb auch solche Menschen Politiker sein können, die durch etwa einen Putsch an die Macht gekommen sind. Politiker als gewählte Volks-vertreter haben vielmehr mit der Staatsform der Demokratie zu tun. Diese Menschen sind dem Souverän, also dem Volk, verpflichtet und handeln nach einer Verfassung.

Im heutigen Blog möchte ich deshalb auf drei Prachtexemplare zu sprechen kommen, die durch eine vermeintliche Wahl an die Macht gekommen sind, sich jedoch nicht ihrem Volk verantwortlich fühlen und die Verfassung nach ihren Vorstellungen auslegen bzw. verändern. Drei Autokraten also, die Ihresgleichen suchen.

CHINA – Xi Jinping

Am 15. Juni 1953 in Peking geboren, ist Xi seit 2012 Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas, Vorsitzender der Zentralen Militär-kommission (ZMK) und seit 2013 Staatspräsident der Volksrepublik China. Dort war die Amtszeit bislang auf zwei Amtsperioden beschränkt. Bereits 2018 liess er jedoch die Amtszeitbeschränkung aufheben. Am 10. März 2023 entschied der Nationale Volkskongress Chinas, dass er auch eine dritte Amtsperiode absolvieren darf – eine logische Entscheidung, die jeder erwartet hatte und nur eine Legitimation darstellte. Er könnte also theoretisch bis zu seinem Ableben diese Position bekleiden. Ob die Entscheidung des Volkskongresses nun tatsächlich aus freien Stücken oder unter Druck stattfand, möchte ich heute wie auch in den anderen beiden Fällen offenlassen. Xi gilt in dem Milliarden-Staat als „Über-ragender Führer“ – ausgestattet mit einer Machtfülle, die möglicherweise zuletzt Mao Zedong inne hatte. Der Diktator gründete 1921 die Kommunistische Partei Chinas und führte das Land in den Bürgerkrieg und die Kulturrevolution. Seine Mittel – wie in jeder Diktatur: Gewalt, Rechtlosigkeit und Terror. Dass dies auch nach Mao in China zum Machtapparat der Kommunsitischen Partei gehört, zeigte das Tian’amen-Massaker am 3. und 4. Juni 1989 auf, bei dem eine Protestbewegung auf dem gleichnamigen Platz („Platz des Himmlischen Friedens“) durch das Militär blutig niedergeschlagen wurde. 2.600 Menschen kamen dabei ums Leben, 7.000 weitere wurden verletzt. Die Reformen („Reformen und Öffnung“), die Deng Xiaoping 1986 eingeleitet hatte, wurden fallen-gelassen. Vor diesem Hintergrund agiert die chinesische Opposition nurmehr sehr zurückhaltend, Regime- und Systemkritiker werden immer wieder weggesperrt oder verschwinden sang- und klanglos. Prominentester unter diesen ist Ai Weiwei.

Xi hat das Land in seiner Entwicklung wieder um Jahrzehnte zurück-versetzt. Die Reformen und Öffnungsversuche seiner Vorgänger wurden gestoppt und rückgängig gemacht. Mit seinem „Plan zur patriotischen Erziehung“ wird bereits die Jugend auf die von ihm angestrebte nationalistisch/sozialistische Schiene gebracht. Unter dem Deckmantel der „Antikorruptionskampagne“ wurden in den Jahren 2012 bis 2016 mehr als 1 Mio Mitglieder der Kommunistischen Partei Chinas durch-leuchtet. 187.000 wurden vorübergehend festgenommen, in 91.900 Fällen ein Strafverfahren eröffnet. Nach wie vor sind sich viele Experten einig: Es wurden dadurch auch Kritiker Xis aus der Welt geschafft, etwa die innerparteilichen Widersacher Zhou Yongkang und Sun Zhengcai. Loyale Mitarbeiter Xis wurden übrigens nicht gescannt.

Xis Lebensprojekt ist die Neue Seidenstrasse – die wirtschaftliche Komplettabhängigkeit Europas von China. Man musste kein Hellseher sein um vorauszusehen, dass Xi auf seinem Posten verharren wird, bis er diesen Plan auch tatsächlich umgesetzt hat. Doch kam dann Corona! Der Westen musste erkennen, dass er bereits besorgniserregend von China abhängig ist und viele Wirtschaftsbereiche in Europa schon durch chinesische Unternehmen oder chinesische Übernahmen heimischer Unternehmen dirigiert werden. Problematisch ist dies vor allem bei der Infrastruktur (Wasser, Energie, Transport, Medizin), aber auch in der Forschung und Wissenschaft. In China etwa ist eine Beteiligung aus-ländischer Unternehmen in diesen Themenkreisen inzwischen verboten. Auch wenn sich Xi bislang aus dem russischen Angriffskrieg heraus-gehalten hat, wäre es durchaus denkbar, dass er die Gunst der Stunde nutzt um das „Taiwan-Problem“.zu lösen.

Xi studierte übrigens Chemieingenieurswesen, marxistische Philosophie und ideologische Bildungsarbeit. Seine Doktorarbeit widmete er der „revolutionären Geschichte“. Wäre es vielleicht besser gewesen, wenn er bei der Chemie geblieben wäre?

RUSSLAND – Wladimir Wladimirowitsch Putin

Geboren am 07. Oktober 1952 in Leningrad führt Putin ganz offiziell seit dem 31. Dezember 1999 die Amtsgeschäfte Russlands. Nach zwei Amtsperioden wechselte er 2008 auf den Posten des Ministerpräsidenten. Bis 2012 wurde er als Staatspräsident durch den ehemaligen Aufsichts-ratsvorsitzenden von Gazprom, Dmitri Medwedew, vertreten. Ganz offen-sichtlich handelte es sich dabei um einen Statthalter, da dieser bei wichtigen Entscheidungen stets die Meinung seines Mentors einholen musste. Der erste Staatschef Russlands, Boris Jelzin, ernannte am 9. August 1999 seinen Wunschkandidaten Putin zum Ministerpräsidenten. Jelzin legte am 31. Dezember 1999 sein Amt nieder, Putin übernahm dessen Amtsgeschäfte verfassungsmässig und leistete am 07. Mai 2000 den Amtseid als Staatspräsident. In seiner späteren Zeit als Minister-präsident wurde die Legislaturperiode des Staatspräsidenten von vier auf sechs Jahre verlängert. 2021 liess sich Putin faktisch zum Präsidenten auf Lebzeiten bestellen. Dadurch wurde das Verfassungsgesetz, das die Amtszeit des Staatspräsidenten beschränkte, ausgesetzt. Schliesslich hätte seine vierte Amtszeit 2024 geendet – durch dieses Ende März 2021 durch die Duma abgesegnete Gesetz kann er sich jedoch auch weiterhin der Wahl stellen, wodurch ihm diese Position bis 2036 erhalten bleibt. Und daran lässt er auch keinerlei Zweifel, wie die letzten Jahre bewiesen haben.

„Dieser Mann trägt die Demokratie nicht in seinem Herzen.“

(Bill Clinton über Wladimir Putin zu Boris Jelzin)†

Politikwissenschafter sehen die Entwicklung Russlands als eine „frei-heitsfeindliche“ und „pseudodemokratische“. Dabei fallen bei vielen auch die Worte „autoritär“, „despotisch“ und „diktatorisch“ bzw. seit dem Einmarsch in die Ukraine zudem „faschistisch“ (etwa im Gastkommentar von Wladislaw Inosemzew am 10. März 2022 in der NZZ). Direkt nach seiner ersten Wahl begann Putin die förderale Gliederung Russlands immer mehr zu zentralisieren. Gegen separatistische Bestrebungen (wie etwa in Tschetschenien) wurde mit Waffengewalt vorgegangen. Bei den mächtigen Finanz- und Wirtschaftsbossen im Land, den Oligarchen, begann er einen Kahlschlag (etwa Wladimir Gussinski und Michail Chodorkowski), und besetzte ihre Posten mit ihm loyalen Mitstreitern. Putin war u.a. vom 25. Juli 1998 bis zum August 1999 Direktor des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB. Vermutet wird, dass er durch diesen alsdann viele seiner politischen Gegner ausser Kraft setzen liess. Dabei wurde auch vor Ermordungen und Attentaten nicht zurück-geschreckt. So titelte bereits am 16. April 2008 die staatliche Nach-richtenagentur RIA Novosti: „Plant Putin grosse Säuberungsaktion in Kreml-Partei?“

Beobachter konnten bei der 2. Wahl Putins zwar keine Unregel-mässigkeiten feststellen, kritisierten jedoch die massive Wahlwerbung und einseitige Berichterstattung in den grossteils staatlich kontrollierten Medien – auch dem übernommenen Medienimperium Gussinskis. Daran änderte sich bis heute nichts – unabhängige Medien wurden inzwischen mundtod gemacht oder geschlossen. Im Vorfeld anderer Wahlen kam es immer wieder zu Verhaftungen von politischen Gegnern, vielfach wurden Parteien nicht zugelassen oder Schein-Parteien aufgestellt, deren Führungspositionen durch Putingetreue besetzt wurden (etwa Xenjia Sobtschak).

Der letzte Präsident der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, kritisierte im März 2009, dass Putins Partei „Einiges Russland“ aus „Bürokraten und der schlimmsten Version der KpdSU“ bestehe. Zudem meinte er 2011:

„Zwei Amtszeiten als Präsident, eine Amtszeit als Regierungschef – das sind im Grunde drei Amtszeiten, das reicht nun wirklich!“

So klar bezog der Friedensnobelpreisträger danach nie mehr wieder Stellung. Seine weiteren Kommentare waren stark abgeschwächt!

Die Wahlen in der Duma zu Putins 3. Amtszeit als Staatspräsident (nach Vorschlag seines Statthalters Medwedew) werden von Kritikern als „mut-masslich gefälscht“ bezeichnet. Es kam zu vielen Massenprotesten auf den Strassen, was Putin veranlasste, das Regime noch strenger zu führen. Auch im Vorfeld der nächsten Wahlen 2018 gab es viele Proteste. Putin versprach das Blaue vom Himmel, Beobachter stellten in rund 3.000 Fällen Wahlmanipulationen fest.

Aussenpolitisch liess er oftmals russische Truppen in ehemalige, jetzt autonome Sowjetrepubliken einmarschieren. Offizielle Begründung: Friedensstiftung! Doch war Moskau nicht selten im Vorfeld an den Unruhen beteiligt. Nach der NATO-Osterweiterung präsentierte sich der Russe mit dem deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder und lobte die guten Beziehungen seines Landes zur NATO. Daneben gab es inzwischen nachgewiesene Geldflüsse aus Moskau an zahlreiche rechtspopulistische Parteien in Europa. Hier gehen die Meinungen auseinander: Sollten sie an die Regierung kommen oder nur für Unruhe sorgen, wie es auch der Historiker Timothy Snyder schon 2015 betont hat?!

„Wir sind natürlich am Anfang des Aufbaus einer demokratischen Gesellschaft und einer Marktwirtschaft. Auf diesem Wege haben wir viele Hürden und Hindernisse zu überwinden. Aber abgesehen von den objektiven Problemen und trotz mancher – ganz aufrichtig und ehrlich gesagt – Ungeschicktheit schlägt unter allem das starke und lebendige Herz Russlands, welches für eine vollwertige Zusammenarbeit und Partnerschaft geöffnet ist.“

(Wortprotokoll der Rede Putins im Dt. Bundestag)

Putin studierte Rechtswissenschaften an der Universität Leningrad. Zwischen 1975 und 1982 war er für den KGB in der Auslandsspionage tätig. 1984/85 absolvierte er die KGB-Hochschule in Moskau. Ab 1985 war er u.a. für die Personalgewinnung in der DDR zuständig und musste am 5. Dezember 1989 zusehen, als Demonstranten die MfS-Bezirks-verwaltung (STASI) in Dresden stürmten.

Durch den Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) vom 17. März wegen des Verdachts auf Kriegsverbrechen gilt die Immunität Putins bei den 123 Unterzeichnerstaaten des IStGH-Statuts als aufge-hoben – sie wären zu einer Festnahme verpflichtet.

TÜRKEI – Recep Tayyip Erdoğan

Der am 26. Februar 1954 in Istanbul geborene Recep Tayyip Erdoğan steht der Türkei als Staatspräsident seit dem 18. August 2014 vor und ist der insgesamt 12. Präsident jener Republik, die am 29. Oktober 1923 durch Mustafa Kemal Atatürk gegründet wurde und im März darauf zur Gänze das osmanische Kalifat ersetzte. Dieser Bezug zum Gründer der Türkei ist immens wichtig für die Betrachtung der Regierung Erdoğans. Seine Biografie liest sich sehr abwechslungereich. So war er von 1994-1998 Oberbürgermeister Istanbuls. Im Jahr 1999 verbüsste er vier Monate in Haft („Aufstachelung der Bevölkerung zu Hass und Feindschaft unter Hinweis auf Unterschiede der Religion und Rasse). 2001 übernahm er den Vorsitz der „Adalet ve Kalkinma“-Partei, der AKP, den er bis 2014 inne hatte und seit 2017 wieder inne hat, obgleich dies bis zu diesem Zeitpunkt als Staatspräsident verfassungsmässig nicht vereinbar war – erst durch die Verfassungsänderung wieder ermöglicht wurde. In den Jahren von 2003 bis 2014 wirkte er als Ministerpräsident der Türkei, danach als Staatspräsident. 2017 erfolgte ein Verfassungsreferendum und im Juli 2018 die Einführung des Präsidialsystems, in welchem ein Präsident Staatschef, Regierungschef und Oberbefehlshaber des Militärs in einer Person ist. Die Amtsperiode des Präsidenten ist im Art. 101 der Verfassung der Türkei nierdergeschrieben. In der ursprünglichen Version von 1961 stand zu lesen:

„Niemand darf zweimal zum Präsidenten der Republik gewählt werden.“

Dieser Artikel jedoch wurde insofern zweimal geändert:

.) 31. Mai 2007 – „Die Amtszeit des Präsidenten der Republik beträgt fünf Jahre. Eine Person darf nicht mehr als zwei Mal zum Präsidenten der Republik gewählt werden.“

.) 16. April 2017 – „Die Amtszeit des Präsidenten der Republik beträgt fünf Jahre. Eine Person darf höchstens zwei Mal zum Präsidenten der Republik gewählt werden.“

Eigentlich ident und eine eindeutige Sache! 2024 finden erneut Präsidentenwahlen statt – der Kandidat der AKP lautet: Recep Tayyip Erdoğan. Wie das? Die Regierung ist der Meinung, dass die vorher-gegangenen Amtszeiten nicht eingerechnet werden dürfen. Es wäre möglicherweise in seiner Funktion als Regierungschef (Ministerpräsident) noch halbwegs verständlich. Das beträfe dann den Zeitraum von 2003 bis 2014 – also 11 Jahre. Doch bleiben die beiden Perioden als Staats-präsident von 2014 bis 2024! Auch wenn 2017 ein Verfassungs-referendum stattfand, so betraf eine Änderung nicht den Inhalt dieses entsprechenden Artikels!

Somit sitzt also Erdoğan seit praktisch 2003 an den Hebeln der Macht, da die beiden Staatspräsidenten Ahmet Necdet Sezer (2000-2007) und v.a. Abdullah Gül (2007-2014) als Stellvertreter Erdoğans nicht wirklich viel zu sagen hatten. Und er wird noch weiterhin die Geschicke des Landes lenken, da auch er v.a. nach dem versuchten Putsch die Zügel straff anzog und aus einer von Atatürk angestrebten Demokratie erneut eine Autokratie formte. Dies bemängeln alsdann viele Kritiker: Zu Beginn agierte er liberalisierend um immer mehr autoritär zu werden. Führte Erdoğan zu Beginn zahlreiche Reformen durch (etwa die Abschaffung der Todesstrafe, die Erweiterung der Meinungsfreiheit und eine Verbesserung der Lage der Kurden in der Türkei, sowie eine „Kontinuität beim Europakurs“), so wurden all diese Massnahmen in den Jahren danach wieder fallengelassen bis hin zum Krieg gegen die Kurden auch im Hoheitsgebiet der Nachbarstaaten Syrien und Irak.

Mit Ausnahme seiner ersten Wahl gewannen Erdoğan und seine AKP die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen nicht mit einer überwältigenden Mehrheit wie seine Amtskollegen in China oder Russland. Sie erreichten jeweils nicht mal 50 %, was jedoch für eine Mehrheit reichte. Auch beim Verfassungsreferendum 2017 wurden offiziell nur 51,41 % erreicht. Allerdings sprach die Opposition von Wahlbetrug, da nicht-offizielle Stimmzettel und Umschläge für gültig erklärt wurden. Bei den letzten Präsidentenwahlen erhielt Erdoğan nur 52,6 % der abgegebenen Stimmen.

Dazwischen aber lag der Putschversuch von Teilen des Militärs am 15. Juli 2016. Über das Land wurde der Ausnahmezustand verhängt, der erst drei Monate nach dem Verfassungsreferendum vom 16. April 2017 endete. Er verlieh dem Staatspräsidenten und der Regierung unter Ministerpräsident Yildirim weitestgehende Vollmachten, die zudem zur Ausschaltung der politischen Gegner genutzt wurden. Währenddessen wurden über 81.000 Menschen aus dem Staatsdienst entlassen, 11 Abgeordnete und 1.400 Funktionäre der Opposition inhaftiert. Nach wie vor sitzen tausende Verdächtige ohne Urteil in den Gefängnissen, darunter auch durchaus hohe politische, juristische und militärische Vertreter. Die vorgezogenen Wahlen am 24. Juni 2018 waren mit dem Bündnispartner, der rechtsextremen und ultranationalistischen „Partei der Nationalistischen Bewegung“ (MHP) abgesprochen.

Atatürk versuchte damals, Staat und Religion zu trennen. Erdoğan lässt sie wieder zusammenfliessen und führt zudem vermehrt nationalistische Bezüge her. Boris Kálnoky titelte am 25. Januar 2010 ein Interview mit Gareth Jenkins in der Zeitung „Die Welt“ mit „Erdogan kehrt zurück zu muslimischen Instinkten“.

Viele Posten wurden durch Familienmitgliedern oder engen Freunden besetzt. Ab 2018 begann eine Wirtschafts- und Finanzkrise, die heute noch anhält. Die Inflation ist durch Korruption und Missmanagement auf hohem Stand stehen geblieben, obgleich immer wieder wichtige Positionen neu besetzt wurden. Auch die Presse- und Meinungsfreiheit wurde sehr rasch eingeschränkt. So lag die Türkei bereits 2010 auf dem 138. Platz (von 176), und belegt heute den 149. Platz (von 180) in der Rangliste der Pressefreiheit. Auch die Beitrittsverhandlungen zur EU kamen immer mehr ins Stocken, 2020 bezeichnete er die europäischen Staats- und Regierungschefs gar als Faschisten. Die Beziehung zu Russland verschlechterte sich zusehends vornehmlich aufgrund des Syrien-Krieges bis zum Tiefststand, dem Abschuss eines russischen Kampfbombers durch die Türkei. Seither verbessert sich die Achse Ankara-Moskau zusehends.

Erdoğan schloss seine Schulausbildung übrigens mit einem Fachabitur/ -matura für Imame ab. Danach studierte er am „İstanbul İktisadi ve Ticari İlimler Akademisi“, dessen Abschluss mittels Diplom 1981 jedoch seit 2016 in Zweifel gezogen wird.

Einer Wiederwahl Erdoğans sollte also auch 2024 nichts im Wege stehen, obwohl er dabei auf die Stimmen der Auslandstürken angewiesen ist!

Drei Politiker, die durch mehr oder weniger demokratische Wahlen an die Macht kamen um danach die Demokratie systematisch auszuschalten!


Filmtipps:

.) Chinas Staatspräsident zwischen Autokratie und Winnie Puuh – Wer ist Xi Jinping?; ZDF-Doku 2022

.) Die neue Welt des Xi Jinping; Sophie Lepault/Arnaud Xainte; 2021

.) Putins Wahrheit: Die fünf Irrtümer des Westens; ZDF-Doku 2024

.) Ein Palast für Putin; Produktion und Regie: Alexei Nawalny; 2021

.) Putin – Die Rückkehr des russischen Bären; Produktion & Regie: Frédéric Tonolli; 2021

.) Reis; Regie: Hüdaverdi Yavuz; 2016


Lesetipps:

.) Politiklexikon; Klaus Schubert/Martina Klein; Dietz 2020

.) Xi Jinping – der mächtigste Mann der Welt; Stefan Aust/Adrian Geiges; Piper 2021

.) Inside the Mind of Xi Jinping; François Bougon; Hurst & Company 2018

.) The Third Revolution: Xi Jinping and the New Chinese State; Elizabeth C. Economy; Oxford University Press 2018

.) Chinese Politics in the Era of Xi Jinping. Renaissance, Reform, or Retrogression?; Willy Wo-Lap Lam; Routledge 2015

.) Xi Jingpin – Political Career, Governance, and Leadership, 1953–2018; Alfred L. Chan; Oxford University Press 2022

.) Schwarzbuch Putin; Hrsg.: Galia Ackermann/Stéphane Courtois; Piper 2023

.) Der Weg in die Unfreiheit: Russland, Europa, Amerika; Timothy Snyder; Beck 2018

.) In Putins Kopf: Logik und Willkür eines Autokraten; Michel Eltchaninoff; Tropen Sachbuch 2022

.) Das System Putin: gelenkte Demokratie und politische Justiz in Russland; Margareta Mommsen/Angelika Nussberger; Verlag C.H. Beck 2007

.) Putins verdeckter Krieg – Wie Moskau den Westen destabilisiert; Boris Reitschuster; Econ 2016

.) The Rise of Putin and the Age of Fake news; Arkady Ostrovsky; New York 2016

.) Generation Erdogan. Die Türkei – ein zerrissenes Land im 21. Jahrhundert; Çiğdem Akyol; Kremayr & Scheriau 2015

.) The New Sultan: Erdogan and the Crisis of Modern Turkey; Soner Çağaptay; I. B. Tauris 2017

.) Nach dem Putsch: 16 Anmerkungen zur „neuen“ Türkei; Hrsg.: Ilker Ataç, Michael Fanizadeh, Volkan Ağar; Mandelbaum Verlag 2018

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The Cleaners – So viel Schmutz

†Im Jahre 2018 ist im Kino eine Doku angelaufen (inzwischen auch auf DVD bzw. in den Mediatheken ernst zu nehmender TV-Sender zu finden – dem WDR etwa), die durchaus empfehlenswert wäre, mal wieder die Pop-corntüte auszupacken – sofern dieses Ihnen nicht im Rachen stecken bleibt: „The Cleaners“ berichtet über jene mehr als 100.000 Menschen, die das Internet und v.a. die Social Media wie Facebook, Twitter und Instagram, aber auch die unzähligen Apps säubern. Doch nicht den Staub oder das Nicht-mehr-Gebrauchte mit dem üblichen Reinemachen, sondern vielmehr von Hass, Schmutz, Pornos, Pädophilie, Tierquälerei und vieles andere mehr. Eigentlich tragisch, dass eine derartige Kontrolle im WWW nötig ist, doch befinden sich viel mehr moralisch nicht mehr vertretbare Asoziale auf den Datenhighways rund um den Globus als man annehmen könnte. Idioten, deren Grosseltern sich sofort von Facebook abmelden würden, wenn sie die Bilder oder Videos ihrer eigenen Enkel sehen oder das lesen, was diese schreiben („Grandma-Problem“).

Bezahlt werden sie von den großen Platzhirschen der digitalen Welt – mit einem Minilohn von sage und schreibe rund 312,- US-Dollar/Monat. Deshalb agieren sie auch in Billiglohnländern wie den Philippinen. Doch kann dieser Gehalt, dieses wenige an Geld niemals das rechtfertigen, was sie tagtäglich zu sehen bekommen. Der kritische Punkt soll nach Aussage der Betroffenen irgendwann zwischen dem dritten und fünften Monat kommen. Deshalb macht diesen Job auch niemand sehr lange, außer er verliert jegliches Gefühl von Moral: Albträume, Phobien, Verfolgungswahn – posttraumatische Belastungsstörungen sind nur einige wenige der psychischen Konsequenzen, mit welchen diese Menschen leben müssen. Vergewaltigungen, Ermordungen, Folterungen, grauenvolle Unfälle – es ist der pure Wahnsinn, was von manchen Usern in’s Netz gestellt wird. Und die meisten sind sogar noch stolz darauf!!! Die sog. „Klick-Arbeiter“ (Formulierung aus einer Anhörung in Washington) entscheiden im Akkord, ob Videos, Bilder oder Texte zumutbar sind oder gelöscht werden müssen. Schliesslich ist die Macht des Internets nicht zu unter-schätzen. Der Arabische Frühling und damit der Sturz vieler Machthaber fand vornehmlich über die Social Medias wie YouTube, Twitter und Face-book statt. In Myanmar führten Fake-News und Hasspostings zu einem sehr blutigen Pogrom, in dem viele Menschen ihr Leben lassen mussten. Amokläufer stellen ihre Tat live ins Netz. US-Präsident Donald Trump twitterte täglich seine Entscheidungen – in Personalrochaden sogar noch bevor es der Entsprechende selbst weiss. Autokraten, wie auch der türkische Staatschef Erdogan oder der chinesische Staatschef Xi Jinping, blockieren immer wieder Plattformen. Die digitale Welt hat schon längst eine zweite Realität aufgebaut, in der niemand mehr wirklich zwischen Wahrheit und Unwahrheit unterscheiden kann.

Die sog. „Content-Moderatoren“ tragen das Ihre dazu bei, die Daten-Autobahnen von all dem Schmutz und Exkrementen der Gesellschaft zu säubern. Ein Zehn-Stunden-Job, der bis auf die Knochen geht. Und ja: Es ist ein wichtiger Job! Schliesslich soll Perversen nicht die Möglichkeit gegeben werden, Millionen nicht-perverser Menschen anzusprechen. Allerdings auch ein sehr umstrittener Job! Liegt doch nicht alles wirklich und eindeutig auf dem Tisch, damit man es wegwischen kann. Wird das Posting eines chinesischen Polit-Aktivisten gelöscht, so ist dies ganz eindeutig Meinungsbeeinflussung. Weisen etwa Umweltorganisationen mittels Schockvideos darauf hin, wie nahe unsere Erde wirklich am Abgrund steht, indem sie ölverschmierte See-Vögel, gequälte Tiere aus Tiertransportern oder Insekten im Todeskampf zeigen – wenn derartiges gelöscht wird, ist das Zensur. Niemand kann dann noch aufstehen und sagen: „Es reicht!“, da die Information hierzu fehlt. Einseitige Bericht-erstattung – ein Gräuel für jeden verantwortungsvollen Journalisten. Deshalb gehört es zur wichtigsten Aufgabe dieser Branche, zu entscheiden, wie etwas geschrieben bzw. weitergegeben wird, mutiert doch die einfache Information als Basis für die Meinungsbildung sehr rasch zur Meinungsbeeinflussung. Im schlimmsten Fall kann das Auf-decken so manchen Missstandes einem breiten Publikum nicht mehr nahe gebracht werden. Das war niemals im Interesse der Erfinder des Internets. So mancher dieser Content-Moderatoren hat schon nach kurzer Zeit verständlicherweise das Fingerspitzengefühl für diese Gratwanderung verloren. Und so kommt es immer wieder vor, dass hoch-gelobte Werke aus dem Bereich der darstellenden Kunst plötzlich nicht mehr auf Face-book und Co zu sehen sind, da primäre Geschlechtsteile darauf abge-bildet wurden. Die Welt wäre um viele grossartiger Kunstwerke auch von da Vinci, Renoir oder Picasso, über deren Stellenwert in der Kunst wohl nicht diskutiert werden muss, ärmer, hätten sie nicht auch die weibliche Brustwarze darstellen dürfen. In den Social Medias werden diese sofort gelöscht. Obwohl sie für uns alle als Säugling eine lebenswichtige Bedeutung hatte.

Wer entscheidet, wann beispielsweise die Satire das Spielfeld verlassen hat und nurmehr beleidigt? Auch der UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit in den Jahren 2014-2020, David Kaye, warnte vor einem solchen Szenario. Etwa (ganz aktuell) wenn Aufnahmen aus Kriegs-gebieten gelöscht werden, die nachweisen könnten, dass es zu Gräuel-taten gekommen ist, dass die abgestrittenen Luftschläge doch statt-fanden, dass verbotenes Giftgas eingesetzt wurde … Nur rund 3 % der Fälle werden von den Vorgesetzten der Minimallöhner entschieden.

Nicht, dass Sie mich nun falsch verstehen: Auch ich bin der Meinung, dass vieles keine Daseinsberechtigung als Bit oder Byte hat und weg sollte. Eine Frage der Ethik und Moral. Und genau über diese sehr wichtigen Werte entscheiden unterbezahlte, traumatisierte Menschen meist ohne Ausbildung. Na ja, höre ich da schon die ersten sagen: Eine Enthauptung oder eine Bombenexplosion mit Opfern, denen die Gliedmaßen abgerissen wurden, das kann wohl jeder erkennen und löschen. Versetzen Sie sich mal bitte in die Lage dieser bedauernswerter Reinemacher. Sie sitzen täglich zehn Stunden in einem Grossraumbüro und starren unentwegt auf den Monitor. Dabei sehen Sie das Grauen-vollste unserer Zivilisation. Zumeist schlimmer, als es die Traumfabrik Hollywood in ihren Horrorfilmen darstellen darf. Delete oder Ignore! Ehrlich? Ich würde bereits nach spätestens einer Stunde das Handtuch werfen und mich an den Schöffel-Werbespot halten: „Ich bin raus!“ Vor allem wenn der erste Kinderporno ansteht!

In der Doku ist u.a. ein Mann zu sehen, der meint, dass er über 100 Enthauptungen islamistischer Extremisten habe sehen müssen. Er könne inzwischen sogar sagen, ob das Schwert scharf oder stumpf war. Wenn nun viele Jugendliche als sog. „Gaming-Opfer“ zu Amokläufern werden: Was hält dann diese Menschen davon ab, nachts massakrierend durch die Strassen Manilas zu laufen? Schlimmer, als das was sie jeden Tag sehen, wird’s schon nicht werden.

Ich denke mir, Sie werden verstehen, weshalb ich nun keine Beispiele bringen werde. Mit einer Ausnahme: Hasspostings! Auf dieses Thema werde ich im Folgenden etwas genauer eingehen. Unter „Hate Speech“ oder „Hassposting“ versteht man, wenn ein Mensch absichtlich mit Worten oder nachbearbeiteten Bildern angegriffen oder abgewertet wird. Derartige Postings sind zumeist rassistisch, sexistisch oder antisemitisch. Sie betreffen Menschen anderer Hautfarbe, anderer Religion, anderer sexueller Ausrichtung usw. Dabei reicht es beispielsweise bereits, wenn jemand die Aussage tätigt, dass z.B. „alle dieser Hautfarbe abartig sind“! Kommt dann vielleicht noch eine Verschwörungstheorie hinzu, wie z.B. „alle Mitglieder dieser religiösen Vereinigung werden 2020 die Welt-herrschaft übernehmen“, ist die Sache komplett. Dabei sass der Betreffende vielleicht etwas angetrunken des nächtens am PC – im nüchternen Zustand hätte er das wohl nicht verfasst. Oder doch? Völlig egal ob nüchtern, betrunken oder eingeraucht – gibt es in dem entsprechenden Staat kein passendes Gesetz für Hasspostings, so werden in den meisten Fällen Straftatbestände erfüllt:

– üble Nachrede

– gefährliche Drohung

– Cyber-Mobbing

– Verhetzung

– Wiederbetätigung …

Hasspostings sind kein Spass! Damit Trittbrettfahrer nicht aufspringen und es nachmachen, muss dagegen vorgegangen werden, da auch in der zivilisierten Welt Zustände wie in Myanmar durchaus möglich sind. Die schon längst nicht mehr den ursprünglichen Zielen folgenden Demonstrationen der Gelbjacken damals und der Rentenkritiker heute in Frankreich werden wohl zum grössten Teil via Internet organisiert und angefeuert. Oder die Demonstrationen von Rechtsradikalen in den unterschiedlichsten Städten.

Jeder kann gegen derartige Hasspostings vorgehen:

Zuallererst ist es wichtig, Beweise zu sichern. Dazu sollte ein Screenshot angefertigt und abgespeichert werden. Nun kann der Betroffene gemeldet und blockiert werden. Ist man selbst Opfer solcher Postings, kann mit den Screenshots auch Anzeige bei der Polizei erstattet werden. In anderen Fällen geht es um die Parteienstellung, soll heissen, dass nicht jeder etwa eine bösartige Beleidigung gegenüber eines anderen anzeigen kann. Das könnte zu einer abgewiesenen Klage oder Einstellung des Verfahrens führen, obgleich vielleicht eindeutige Beweise vorliegen. Bei der Wiederbetätigung oder Gewaltverbrechen hingegen ist es möglich! Aber nur mit Beweisen!!! Ob ein Gegenargument sinnvoll ist oder nicht, muss jeder selbst entscheiden. Wenn ja, sollte dies auf alle Fälle auf einer sachlichen Ebene erfolgen. Wichtig ist zudem, dass nicht alles im Internet für bare Münze genommen werden sollte. So würde ich inzwischen jede Aussage des vorhin bereits angesprochenen Ex-US-Präsidenten zuerst auf seinen Wahrheitsgehalt hin überprüfen („Was geschah letzte Nacht in Schweden?“, „In Finnland gibt es keinen Waldbrand, weil der Waldboden sauber und aufgeräumt ist!“ …). Er toppt sich nahezu täglich mit Fake-News!

Mark Zuckerberg, der Erfinder von Facebook, behauptete einst, dass Netzwerke wie das seine eine bessere Welt schaffen würden. Mag sein, aber: Hat er dabei das Schlechte dieser Welt unterschätzt???

Filmtipp:

.) The Cleaners; Drehbuch und Regie: Hans Block, Moritz Riesewieck; Gebrüder Beete Filmproduktion 2018

Lesetipps:

.) Digitale Öffentlichkeit: Neue Wege zum ethischen Konsens; Christian Kolbe; Berlin University Press 2008

.) Cybercrime und Strafrecht in der Informations- und Kommunikations-technik: Cybercrime und IuK-Strafrecht; Dieter Kochheim; C.H. Beck 2018

.) Recht und Ethik im Internet / Law and Ethics on the Internet; Hrsg.: Joachim Hruschka/Jan C. Joerden; Duncker & Humblot 2018

.) Straftaten in virtuellen Welten: Eine materialrechtliche Untersuchung; Sebastian Bosch; Duncker & Humboldt 2018

.) Internetkriminalität: Phänomene-Ermittlungshilfen-Prävention; Michael Büchel/Peter Hirsch; Kriminalistik 2014

.) Die Cyber-Profis: Lassen Sie Ihre Identität nicht unbeaufsichtigt; Cem Karakaya/Tina Groll; Ariston 2018

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Vorsicht: Hantavirus!!!

†Der Frühling schickt seine ersten Vorboten – zwar noch etwas zaghaft – dennoch! Das Frühjahr ist bei vielen auch der Beginn der Gartensaison und des Ausmistens. Das kann jedoch in Gartenlauben oder auch Garagen gefährlich werden.

Mit den ersten Minusgraden haben sich viele Tiere in die wärmeren Häuser oder zumindest schützenden Garagen und Hütten geflüchtet, obgleich sie dort eigentlich nicht wirklich gern gesehen werden: Insekten, Mäuse und Ratten. Bevor sie sich vermehren und zur Plage werden, sollten Massnahmen eingeleitet werden. Vor allem, da sie auch schwere Infektionskrankheiten übertragen können. So geschehen bei der Polizei in Göppingen-Holzheim, wo sich im Jahr 2019 drei Bereitschaftspolizisten mit dem gefährlichen Hantavirus angesteckt haben. Der Grund: Die Rötel- oder auch Waldwühlmaus und die Brandmaus! Diese Nagetiere haben es sich im Keller des Gebäudes bzw. im angrenzenden Park gemütlich gemacht, hinterliessen dort ihren Kot und kontaminierten mit dem darin enthaltenen Hantavirus die Körperschutzausrüstung der Polizisten. Alle drei Patienten mussten stationär mit Lungen- und Nieren-problemen im Krankenhaus aufgenommen werden. Im selben Jahr wurde zudem im bayerischen Landkreis Freyung-Grafenau Hantavirus-Alarm gegeben.

Gab es im vergangenen Jahr gottlob nur wenige Erkrankungen, so erschreckte das Pandemie-Jahr 2021 mit sehr hohen Fallzahlen. Etwa 132 im Stadtkreis Stuttgart, 194 im Landkreis Reutlingen oder 95 im Land-kreis Böblingen. Auch für heuer wurden bereits vereinzelte Infektionen gemeldet: Stadtkreis Aschaffenburg, Landkreis Cloppenburg , Landkreis Freyung-Grafenau, Landkreis Göttingen, Landkreis Vorpommern-Greifs-wald, Landkreis Osnabrück, Landkreis Schweinfurt, Landkreis Segeberg, Landkreis Weesterwaldkreis – also nahezu aus dem ganzen Bundesgebiet. Mehr über die weiteren Risikogebiete erfahren Sie auf den Seiten des Robert-Koch-Institutes!

In Österreich gab es im vergangenen Jahr 24 gemeldete Infektionen mit Krankenhausaufenthalten, mit 17 die meisten in der Steiermark. Auch hier der Vergleich zum Pandemiejahr 2021: 233 gesamt (davon 191 in der Steiermark) (Zahlen: Gesundheitsstatistik des Sozialministeriums). Keine Meldungen erfolgten in der Schweiz im Jahr 2022, im Jahr davor 6 (Zahlen: Bundesamt für Gesundheit). Für beide Alpenländer liegen derzeit noch keine aktuellen Angaben vor.

Der Name „Hantavirus“ geht auf den ersten grossen Ausbruch am Grenz–fluss Hantaan während des Koreakrieges zurück – dort erkrankten in den Jahren 1950-53 mehr als 3.000 Soldaten schwer an der Infektions-krankheit.

Mäuse tummeln sich bevorzugt im Garten, in Kellern und Garagen bzw. in Schuppen. Hier ist die Ansteckungsgefahr für den Menschen am grössten, wenn dort Reinemachen angesagt ist. Das war etwa während der Pandemie in nahezu jedem Haus bzw. Garten der Fall. Die Mäuse müssen nicht selbst erkranken – sie können auch nur als Überträger fungieren („Reservoirwirte“). Durch Speichel, Kot oder Urin der Nagetiere gelangt dieses Virus nach aussen. Besonders heimtückisch: Infektionsgefahr besteht bei Lebensmitteln und v.a. Staub! Gelangt dieser in eine offene Wunde oder über den Atmungstrakt in die Lunge, so ist eine Infektion so gut wie sicher. Der Hantavirus ist im getrockneten Zustand einige Tage lang ansteckend. Gleiches gilt zudem bei einem Mäusebiss! Ein erhöhtes Infektionsrisiko haben etwa Förster, Jäger, Gartenarbeiter und Bau-arbeiter. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch ist bislang nicht bekannt.

Die Inkubationszeit beläuft sich auf zwei bis fünf Wochen. Die ersten Symptome zeigen sich im Schnitt nach 2 Wochen – je nach Virustyp unterschiedlich stark. Es beginnt mit plötzlichem, hohen Fieber, das sich rund 3-4 Tage hält. Hinzu kommen die bekannten grippeähnlichen Erscheinungsformen wie Schmerzen im Kopf, den Gliedmaßen und Muskeln, begleitet von Husten und/oder Sehstörungen sowie einer Rachenentzündung. Nach einigen Tagen folgen Beschwerden bei der Verdauung mit Bauchschmerzen, Durchfall und Erbrechen („gastro-­ in­ tes­ tinale Beschwerden“). Schliesslich spielt die Niere verrückt – es droht sogar ein Nierenversagen. Treten Blutungen auf, so kann die Erkrankung tödlich enden. Deshalb ist es wichtig, bei Verdachtsmomenten sofort den Arzt aufzusuchen, da eine Diagnose nur durch eine Blutuntersuchung gemacht werden kann. Die Erkrankung ist medikamentös relativ einfach zu behandeln – Spätfolgen sollten keine zurückbleiben. Der Infizierte ist nicht ansteckend!

Das Hantavirus tritt weltweit in unterschiedlichen Variationen auf. So etwa als Hantaan-, Puumala-, Dobrava-Belgrad-, Seoul-, Sin-Nombre- und Andesvirus. Hierzulande ist es v.a. das Puuma­ la­ virus (PUUV) und das Dobrava-Belgrad-Virus (DOBV). Besonders gefährlich ist beispielsweise der amerikanische Ableger – in Südamerika verlaufen rund 50 % der Hantavirus-Infektionen tödlich! Das Infektionsrisiko ist in den Sommer-monaten (zwischen April und September) am größten. Eine Hantavirus-Erkrankung ist meldepflichtig – in Deutschland beim Robert-Koch-Institut, in Österreich bei der Bezirksverwaltungsbehörde, in der Schweiz bei der BAG bzw. den Kantonsärzten.

Die Waldwühlmaus ist – wie der Name schon sagt – vornehmlich im Wald anzutreffen. Sie bevorzugt Buchen- aber auch Mischwälder und ist immer wieder auch in waldnahen Gärten zu finden. Deshalb ist bei Garten-arbeiten vor allem aber bei Reinigungsarbeiten von Gartenlauben oder Schuppen besondere Vorsicht geboten. Hier einige Tipps:

– Tragen Sie Schutzkleidung (Overall, Gummistiefel, Einmal-Handschuhe, Schutzmaske)

– Lüften Sie die Räume gut vor Beginn der Arbeiten

– Wirbeln Sie keinen Staub auf – befeuchten Sie die Flächen zuvor

– Mäusekot bzw. tote Mäuse mit Desinfektionsmittel besprühen, in einer Kunststofftüte gut verschliessen und in den Restmüll geben

– Derartige Stellen schliesslich ebenfalls mit Desinfektionsmittel oder Alkohol desinfizieren

Ansonsten gilt grundsätzlich:

– Nach dem Aufenthalt im Freien, in Dachböden, Kellern oder Schuppen sollten immer die Hände gewaschen werden

– Verwenden Sie dort keine Staubsauger, da das Virus nicht im Filter bleibt, sondern durch die Abluft wieder in die Luft freigesetzt wird

– Nager haben im Haus nichts zu suchen – vermeiden Sie offene Lebensmittel, verwenden Sie Lebendfallen (die täglich kontrolliert werden) und benutzen Sie Einmal-Handschuhe

Weitere Tipps erhalten Sie beim Gesundheitsamt.

Lesetipps:

.) Hantaviruses; Connie Sue Schmaljohn/Stuart T. Nichol; Springer 2001

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Kulturelle Aneignung – geht’s noch???

„Privilegierte Gesellschaftsmitglieder wollen, oftmals aus einem Über-legenheitsgefühl heraus, Regeln für alle vorgeben!“

(Mag. Dr. Michael Parzer, Kultursozioologe an der Uni Wien in den Salzburger Nachrichten)

Ganz ehrlich: Als ich den Begriff „Cultural Appropriation“ erstmals entdeckte, musste ich googeln und dann lautstark lachen! Das war nun schon vor einiger Zeit – inzwischen ist es bitterer Ernst gewortden und mir nicht mehr zum Lachen.

Unter „Cultural Appropriation“ versteht der Experte die Ablehnung von Errungenschaften anderer Kulturen, die hierzulande jedoch in der Minderheit sind, durch die heimische, dominante Mehrheit. Anders aus-gedrückt: Es geht um die Reproduktion ethnischer Sterotype und Klischees, aber auch um eine Trivialisierung der Unterdrückung! Aaaah ja – na dann ist ja alles klar!

Es klingt nicht nur sehr blöde – es ist auch sehr blöde! Es gibt also tatsächlich Menschen, die sich aufregen, wenn Menschen sich beim Karnevals- oder Faschingsumzug als Indianer, Cowboy, Eskimo oder Schwarzer (selbstgewählter Begriff und damit wie etwa auch PoC politisch korrekt) verkleiden. Auch als Scheich oder Chinese sollte man sich nicht mehr verkleiden dürfen. Stadtmenschen in Lederhosen und Dirndln? Ausgeschlossen! Känguruh geht gerade mal so durch – die haben keine starke Lobby! Durch derartige Verkleidung sollen seit möglicherweise Jahrhunderten bestehende Klischees weiter unterstützt werden, meinen zumindest die Verfechter dieser „Cultural Appropriation“ – der kulturellen Aneignung. Ich halte das alles als grossen Mumpitz, verursacht von Menschen, die offenbar nichts anderes zu tun haben, als ständig andere zu kritisieren und zum Lachen in den Keller gehen. Schliesslich ist es der Traum von Millionen Kindern, als Cowboy oder Indianer an derartigen Events teilzunehmen. Heute aber heisst es, dass gerade Kinder dafür sensibilisiert werden sollen, sich nicht wie jene Menschen zu kleiden, die aufgrund ihres Aussehens diskriminiert werden!!!

Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke: Ja – auch wir waren damals davon nicht ausgenommen. Wäre uns nie in den Sinn gekommen, als Herr Müller im Blaumann oder Frau Navrotil in der Kittelschürze auszurücken. Zweiteres dürfte ich als Mann ohnedies auch nicht! Als Blackrock-Manager oder Fliessbandarbeiter, als Landwirt oder Polizist. Na ja, letzteres flackerte später dann möglicherweise kurz auf, als ein Auszug aus dem Chippendales-Programm im Fernsehen mit den vielen kreischenden Frauen gezeigt wurde.

Ich amüsierte mich damals köstlich, als Teile der SPD die Abschaffung des Knecht Ruprechts als pädagogisch nicht mehr der Zeit entsprechend forderte. Doch haben es damals die Damen und Herren tatsächlich ernst gemeint. Ebenso wie jene, die das Verbot der Märchen der Gebrüder Grimm oder jener von Wilhem Busch verlangten. Generationen von Menschen sind damit aufgewachsen – gab es bei irgend jemandem einen bleibenden seelischen Schaden? Auch diese bedienen sich der Klischees, die schon weit vor deren Veröffentlichung bestanden. Doch entstammen diese dem heimischen Kulturkreis.

Etwas anderes sind die Geschichten von Karl May. Als der Ravensburger Verlag zwei Begleitmedien zurückzog, um mögliche Diskussionen darüber zu umgehen, reagierte ich nurmehr mit Kopfschütteln – Kritik war es mir nicht mehr wert. Ravensburger begründete dies in seiner Presseaussendung folgendermassen:

„…Die Kolleg*innen diskutieren die Folgen für das künftige Programm und überarbeiten Titel für Titel unser bestehendes Sortiment. Dabei ziehen sie auch externe Fachberater zu Rate oder setzen „Sensitivity Reader“ ein, die unsere Titel kritisch auf den richtigen Umgang mit sensiblen Themen prüfen. Leider ist uns all das bei den Winnetou-Titeln nicht gelungen. Die Entscheidung, die Titel zu veröffentlichen, würden wir heute nicht mehr so treffen. Wir haben zum damaligen Zeitpunkt einen Fehler gemacht und wir können euch versichern: Wir lernen daraus!“

Auch das deutsche ZDF, das die Rechte an den Karl May-Filmen inne hatte, nahm diese aus der Mediathek zurück. Ähm – hallo? Wir haben die Bücher als Kinder verschlungen. Ich habe selbst daraus Gute-Nacht-Geschichten vorgelesen. Dass dahinter eine „koloniale Seelenlage“ (Josef Nadler, Literaturwissenschafter) stecken könnte – tut mir leid: Darauf wäre ich niemals gekommen! Ja – es stimmt, dass Karl May erst wesentlich später dort war, worüber er geschrieben hatte. Viele der Geschichten entstammen zudem jener Zeit, als er hinter schwedischen Gardinen sass und gar nicht die Möglichkeit hatte, die Richtigkeit seiner Geschichten zu recherchieren. Doch war er einer der Ersten, der sich für die Rechte der indigenen Ureinwohner Nordamerikas einsetzte. Und mal ganz ehrlich: Nahezu jedes Buch, jeder Film, jede TV-Serie ist erfunden. Vieles davon entspricht nicht im Geringsten den Tatsachen. Der im James Bond angesprochene Flughafen Bregenz, die unglaublichen Bergwände im Cliffhanger (in den Dolomiten in den Kasten gebracht) oder die wunder-bare Welt der Lebensretter am Strand von Malibu. Und auch Dr. House gibt es im wahren Leben nicht, da ein solches Spezialistenteam viel zu teuer käme. Winnetou und Old Shatterhand stellten möglicherweise ein falsches Bild des Wilden Westens dar. Wären die Massaker an Indianern durch die US-Army und die vielen weissen Bürgerwehren interessanter und der Zielgruppe entsprechend gewesen? Authentischer allemal!

Und da spricht die US-Jura-Professorin Susan Scafidi von einer

„…unerlaubten Wegnahme geistigen Eigentums, traditionellen Wissens oder kultureller Artefakte!“

Ja – es ist durchaus richtig, dass vorwiegend Weisse ethnische Minder-heiten imitieren, die nach wie vor diskriminiert werden. Wenn es ihnen dann nicht mehr passt, kehren sie wieder zurück in das weisse Dasein. Diese Möglichkeiten haben solcherart marginalisierte Gruppen jedoch nicht. Doch gibt es durchaus Menschen, die nicht nur das Aussehen übernehmen, sondern auch das komplette Lebensgefühl. Es muss ja nicht Pop-Star Madonna sein, die sich mit Henna vollpinseln lässt, um damit Aufsehen zu erregen oder die medienwirksame Konvertierung einiger Hollywood-Schauspieler zum Buddhismus, die sich dann so gar nicht nach der Religion verhalten. Doch bleiben wir bei der Musik: Blues, Soul, Funk und Jazz gehen auf die Lebensumstände und Unterdrückung der Schwarzen in Amerika zurück. Dürfen diese dann jedoch auch von US-Musikern oder ihren europäischen Kollegen gespielt werden? Ginge es nach den Kritikern, wäre die Musikszene um viele Perlen eines Gary Moore, Joe Bonamassa, Beth Hart oder Sass Jordan ärmer. Auch hier gibt es einige aufsehenerregende Fälle. So cancelte etwa die Fridays for Future- Bewegung im März 2022 ein Konzert von Ronja Maltzahn und ihrer Band bei einer ihrer Demos in Hannover, da die Musikerin aus Zuneigung und Begeisterung zu dieser Kultur Dreadlocks trägt. Die Begründung: Die Dreadlocks seien mit „dem antikolonialistischen und antirassistischen Narrativ“ der Bewegung nicht vereinbar. Oder das abgesagte Konzert des österreichischen Musikers Mario Parizek im August 2022 in Zürich, da seine Dreadlocks für „Unwohlsein von unseren Mitmenschen“ sorge. Auch der Bayer Hans Söllner dürfte somit Probleme mit seinen Auftritten haben. Reproduziert ein Dreadlock-Träger tatsäch-lich ein rassistisches und diskriminierendes System?

Interessant auch die Kunstfigur Billie Eilish: Die zuhauf mir Preisen überschüttete Sängerin entstammt einem weissen Hause aus Irland. Kritisiert wird bei ihr, dass sie vieles aus der afroamerikanischen Kultur geklaut und in ihre Musik eingebaut habe. Ist sie deshalb eine Rassistin? Mitnichten!!!

Wie ist dies mit Gesangspartien in der ernsten Musik, wenn weisse Sänger und Sängerinnen die Rolle von schwarzen übernehmen? In Verdis „Otello“ oder Bernsteins „West Side Story“? Wird das sog. „Blackfacing“ verboten, dürfen entsprechende Rollen nurmehr von schwarzen Tenören oder Sopranistinnen gespielt werden, so werden viele Werke unspielbar. Gilt im Übrigen auch für das Theater: Heteros dürfen etwa keine Homosexuellen darstellen!

Kulturelle Aneignung gibt es im Übrigen auch in der Küche: Zeigt ein TV-Koch seinen Zuschauern, wie eine persische Speise oder ein Menü aus Ruanda hergestellt wird, so bringt das die Mitglieder der Anti-Bewegung zum Kochen!

Sollte all dies künftig verboten sein, so bewegen wir uns wieder zurück in der Geschichte, wodurch uns Grossartiges vorenthalten würde. Schliesslich zollt man doch den Leistungen eines anderen Kulturkreises grossen Respekt, wenn seine Errungenschaften nachgespielt werden – auch ohne sog. „Natives“! Die Steigerungsform wäre dann ja wohl die Kulturauffassung der Nationalsozialisten, die alles verboten hatten, was nicht aus ihrem eigenen Kulturkreis stammte. Das will wohl hoffentlich niemand mehr. Nein – die Beschäftigung mit einem anderen Kulturkreis eröffnet viele neue Sichtweisen und sorgt für eine bunte Vielfalt im ansonsten sehr eintönigen Dasein! Und bietet dem anderen Kulturkreis durchaus die Möglichkeit der Darstellung desselben über die Grenzen hinaus. So sind die Wiener Sängerknaben in China und Japan gefeierte Stars, Mozart, Beethoven etc. stets ausverkaufte Veranstaltungen. Auch in der Pop- und Rockmusik feiern Interpreten aus dem Westen grosse Erfolge – zumindest in Japan. In China geht die Regierung Xi Jinping massiv gegen Popstars vor. Ist dies das Ziel der Bewegung gegen kulturelle Aneignung?

Abschliessend noch eine Frage, die ich offen lassen möchte:

Wenn ich einiges aus der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) übernommen habe oder ab und an im Kamasutra blättere – ist das auch kulturelle Aneignung?

Lesetipps:

.) Zwischen Aneignung und Verfremdung; Hrsg.: Volker Gottowik/Holger Jebens/Editha Platte; Campus Verlag 2009†

.) Ethik der Appropriation; Jens Balzer; Matthes & Seitz 2022

.) Kulturelle Aneignung; Lars Distelhorst; Edition Nautilus 2021

.) Everything but the Burden: What White People are Taking from Black Culture; Hrsg.: Greg Tate; Harlem Moon 2003

.) Research Handbook in Intellectual Property and Cultural Heritage; Irini Stamatoudi; Edward Elgar Publishing 2022

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Hochseeabkommen – ein Riesenerfolg

†„Das Schiff hat das Ufer erreicht!“

(Rena Lee, Vorsitzende der UN-Hochseekonferenz)

Es war wie ein Lichtblick in der vergangenen Woche – für die Medien allerdings nur eine Ein-Tages-Schlagzeile: Bei den mehr als zäh geführten UN-Verhandlungen zum Schutz der Hohen See wurde ein Durchbruch erzielt. Nach nahezu 40-stündiger Dauerverhandlung in New York einigten sich die rund 200 Mitgliedsstaaten auf ein gemeinsames Papier. Demgemäss sollen bis 2030 mindestens 30 % der Weltmeere als Schutzgebiete ausgewiesen werden. Bislang war das nur in Küstenmeeren möglich – in der Hochsee gerade mal 1,2 % (etwa durch den Antarktis-vertrag). Zudem soll jährlich eine Vertragsstaatenkonferenz Aufschluss über weitere Schutzmassnahmen geben und Beschlüsse für eine nach-haltigere Nutzung der Hochsee gefasst werden.

Vor allem China und Russland bestanden bei der Festlegung dieser Schutzzonen auf Einstimmigkeit – damit hätte auch nur ein Mitgliedsstaat jedes Modell zum Fallen bringen können. Nun reicht jedoch eine Dreiviertel-Mehrheit. Allerdings mit einer Opt-out-Massnahme: Ein Staat kann die Schutzzone nicht akzetieren, muss dann allerdings eine Alter-native vorschlagen.

Was das Schriftstück wert ist, wird sich wohl in Zukunft zeigen, gibt es doch – wie bei internationalen Abkommen üblich – keinerlei Sanktionen bei einer Missachtung. Schliesslich wurde ein solches Abkommen ja auch schon zum Schutz der Wale beschlossen. Es erlaubte den Walfang eigentlich nurmehr zu Forschungszwecken. Dies sber wurde sehr grosszügig ausgelegt, bis schliesslich Japan komplett aus dem Abkommen ausstieg. Bringen wir doch etwas Licht in dieses Hochsee-Schutzabkommen.

„Wir begrüßen sehr, dass mit diesem Vertrag die Einrichtung von Schutzgebieten auf der Hohen See, dem größten Lebensraum der Erde, beginnen kann!“

(Fabienne McLellan, Geschäftsführerin OceanCare)

Der Begriff der „Hohen See“ ist definiert im „Seerechtsübereinkommen“ (SRÜ) aus dem Jahr 1982. Er beschreibt jene Teile der Meere, die nicht zur „Ausschliesslichen Wirtschaftszone“ (AWZ), zu den Küstenmeeren und Binnengewässern oder zum Archipelgewässer eines Archipelstaates wie etwa Indonesien zählen. Autonome Länder also, die sich aus Inselgrupen zusammensetzen. Die „Hohe See“ beginnt 200 Seemeilen von der Küste entfernt – das sind rund 60 % der Meeres. und nicht weniger als zirka 43 % der Erdoberfläche. Hier gilt kein nationales, sondern internationales Recht gemäss des Völkerrechts. Soll heissen, dass auch grosszügige Freiheiten damit verbunden sind: Fischerei, Überflug, Schiffahrt, Kabel-Verlegungen etc., ohne dass hier ein Staat eigenes Interesse anmelden kann. Hoheitlich gilt nach Artikel 94 SRÜ das Flaggenstaatsprinzip, also jenes Gesetz des Staates, unter dessen Flagge das Schiff fährt. Bei-spielsweise für Schiffe, die unter der Flagge von Liberia fahren, die Gesetze und Rechtsprechung des westafrikanischen Staates, allerdings auch das dortige Arbeitsrecht und die Entlohnung.

†„Jeder Staat übt seine Hoheitsgewalt und Kontrolle in verwaltungs-mässigen, technischen und sozialen Angelegenheiten über die seine Flagge führenden Schiffe wirksam aus.“

(Art. 94, Abs. 1 SRÜ)

Durch das Seerechtsübereinkommen können Wirtschaftszonen von bis zu 200 Seemeilen geschaffen (etwa für die Öl- oder Gasgewinnung in Küstennähe) oder auch die Hoheitsgewässer von drei auf 12 Seemeilen entlang der Küsten ausgeweitet werden.

All dies bringt auch viele Nachteile dieser Freiheit auf „Hoher See“ mit sich.

„Seit Längerem wächst die Besorgnis über die immer weiter ansteigende anthropogene Belastung der Meeresumwelt durch Aktivitäten in der Tiefsee wie Fischerei, Bergbau, Meeresver-schmutzung und Bioprospektion!“

(Dr. Alexander Proelß, Professor für internationales Seerecht, Umwelt-recht, Völkerrecht und Öffentliches Recht an der Universität Hamburg)

Die Ozeane sind hoffnungslos überfischt. Vielen Tierarten fehlt deshalb die Nahrung. Doch nicht nur das: Durch Schleppnetze werden Korallen-riffe und Schwammgärten zerstört.

Andere Teile sind mit Kunststoff vollgemüllt.

In Zukunft sollen wirtschaftliche Projekte und Expeditionen in den Schutzgebieten auf ihre Umweltverträglichkeit hin überprüft werden. Stellt sich jedoch die Frage: Durch wen? Das Gremium hierfür muss erst geschaffen werden. In diesen Zonen sollen sich die Arten erholen können. Die Artenvielfalt ist immens wichtig auch im Kampf gegen die Klimakrise. So beschreibt etwa Till Seidensticker von Greenpeace dies folgender-massen: Die Arten holen Kohlenstoff von der Oberfläche und verfrachten ihn in weitaus tiefere Teile der Meere.

„Ohne diese wichtige Leistung würde unsere Atmosphäre 50 Prozent mehr Kohlendioxid enthalten. Die Erde wäre überhitzt und unbewohn-bar.“

(Till Seidensticker, Greenpeace)

Die Verhandlungen wurden über knapp 15 Jahre geführt. Ein sehr wichtiger der vielen Knackpunkte ist die Regelung, welche Länder wie an den Gewinnen der Meeresressourcen beteiligt werden. Vor allem die Länder des sog. „Globalen Südens“ nutzen diese nicht oder zu wenig, sie sollen deshalb einen Teil aus einem noch zu schaffendem Fonds der reichen Industrie- und Wirtschaftsstaaten des Nordens erhalten. Das betrifft vornehmlich den Tiefsee-Bergbau, aber auch die Gewinnung neuer medizinischer Mitteln bzw. genetischer Erkenntnisse. 84 % aller Patente sind auf zehn reiche Länder konzentriert, der BASF-Konzern alleine hält 47 % der Patente auf marine genetische Ressourcen.

Übrigens – unmittelbar vor der Einigung in New York genehmigten die Teilnehmer der „Our Oceans-Konferenz“ in Panama nahezu 20 Milliarden Dollar für den Schutz der Meere – 77 Projekte sollen alleine mit den durch die US-Regierung zur Verfügung gestellten sechs Milliarden realisiert werden.

Allerdings könnten sich die 168 Teilnehmer der Internationalen Meeres-bodenbehörde (International Seabed Authority ISA) bei ihrer Konferenz auf Jamaika (07.-31. März) nicht einigen. Somit müssen vorerst Anträge von Unternehmen auf Tiefsee-Bergbau genehmigt werden. Bei dieser Ausbeutung mariner Ressourcen kann es auch weiterhin zu enormen Gefahren für die „Hohe See“ kommen – beispielsweise durch die beab-sichtigte Erdölförderung im Arktischen Meer oder die Mangan- (5 Mrd. to), Kobald- (44 Mio to) und Kupfergewinnung (274 Mio to) in der Clarion-Clipperton-Zone vor den Cook-Inseln im Indischem Ozean für die E-Mobilität. Dort sind derzeit 1,4 Mio Quadratkilometer Meeresgrund geschützt – allerdings knapp das Doppelte zur Exploration freigegeben. Eine dafür erforderliche Erforschungslizenz hält der Inselstaat Nauru und das kanadische Bergbauunternehmen TMC Durch den Tiefseebergbau in diesem Bereich würde wohl das gesamte dortige Ökosystem für immer zerstört. Soweit das Ergebnis einer Simulationsstudie aus dem Jahr 1989 im Perubecken. Dort wurden die Manganknollen mit einer Pflugegge „geenrtet“. Auch 26 Jahre danach waren die Spuren noch zu sehen und die Biodiversität gestört. Ausserdem ist es gänzlich ungewiss, wie sich der durch den Abbau freigesetzte Kohlenstoff aus dem Meeresgrund auswirken wird.

Es wird somit höchste Zeit für eine Regulierung bzw. Schutz dieser wichtigen grössten Region unseres Planeten! Hoffen wir, dass es nicht wieder nur ein guter Wille ist und weitere Schritte sehr rasch folgen!

Filmtipp:

Extreme der Tiefsee – Eisige Abgründe; TerraX/ZDF-Doku

Lesetipps:

.) Biologie der Hochsee; David G. Senn; Books on Demand 2012

.) Tierleben der Hochsee; Carl Apstein; ‎ Inktank Publishing 2019

.) Tiefseewesen – Einblicke in eine kaum bekannte Welt; Solvin Zankl / Maike Nicolai; Delius Klasing Verlag 2020

.) Tiefsee – Vielfalt in der Dunkelheit; Hrsg.: Thorolf Müller / Gerd Hoffmann-Wieck; ‎ Schweizerbart’sche, E. 2020

.) Tiefsee: Von Schwarzen Rauchern und blinkenden Fischen; Dagmar Röhrlich; Mare 2010

.) Eine Reise in die geheimnisvolle Tiefsee; Annika Siems / Wolfgang Dreyer; Prestel Verlag 2019

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