Elizabeth II. – Die grösste Monarchin aller Zeiten
Posted on 09/16/22 by UlstoAm 6. September des Jahres ernannte sie noch die neue britische Premierministerin, lächelte in die Kameras der Journalisten, zwei Tage später schockierte die Meldung über ihren Tod die Welt: Queen Elizabeth II. verstarb im 96. Lebensjahr auf ihrer geliebten Sommerresidenz, Balmoral Castle in Schottland. Sie soll nach Angaben der Familie der Royals im Kreise ihrer engsten Familie friedlich eingeschlafen sein.
Ich wurde geboren – die Frau war da, ich zitterte bei der Matura (dem Abitur) – die Frau war da, ich stotterte mich durch meine erste Radio-sendung – die Frau war da. Für die meisten unter uns, war die Queen stets da – für viele gar länger als der eigene Ehepartner. Klar – 96 Jahre sind ein hohes Alter, zudem zehrte der Verlust ihres Mannes sehr an ihr. Ihr Tod musste somit durchaus erwartet werden – dennoch kam es sehr überraschend. Queen Elizabeth II. war die am längsten regierende Königin der Geschichte (70 Jahre und 214 Tage) – nur Ludwig XIV. („Der Sonnenkönig“ aus Frankreich) und Sobhuza II. (Oberhaupt von Swasiland) regierten länger, wobei beide als kleine Kinder bereits auf den Thron kamen und die Mütter vorerst die Staatsgeschäfte führten. Die Queen ernannte während ihrer 70-jährigen Amtszeit drei Frauen und 12 Männer zu Premierministern. Ihr ganzes Lebens stellte sie in den Dienst an ihren Untertanen, ihres Landes und des Commonwealth, wie sie es anlässlich ihres 21. Geburtstages in einer Rundfunkansprache versprochen hatte. Eine grossartige Frau, die jeden Respekt und Ehrerbietung verdient hat. Ihr möchte ich deshalb diesen Blog widmen.
Elizabeth II. wurde am 21. April 1926 als Elizabeth Alexandra Mary in Mayfair/London geboren. Zu diesem Zeitpunkt stand sie auf Platz drei der Thronfolge, nach ihrem amtierenden Onkel Eduard VIII. und ihrem Vater dem Herzog von York, Prinz Albert später König Georg VI. Im Jahr 1936 dankte Eduard vorzeitig ab – Grund dafür waren, nach zahlreichen Affären mit zumeist verheirateten Frauen, die Hochzeitspläne mit der zweifach geschiedenen US-Amerikanerin Wallis Simpson, die er als Oberhaupt der anglikanischen Kirche von Gesetzes wegen nicht ehelichen durfte. Er war übrigens Zeit seines Lebens nicht gekrönt. Sein Bruder Albert bestieg 1936 als Georg VI. den Thron. Kronprinzessin Elizabeth musste ihn jedoch ab 1949 immer öfter bei öffentlichen Anlässen vertreten, da Georg an Lungenkrebs und Arteriosklerose litt. Er verstarb in der Nacht vom 5. auf den 6. Februar 1952 an einer arteriellen Throm-bose. Prinzessin Elizabeth folgte auf den Thron, die Krönungs-Zeremonie fand am 2. Juni 1953 in Westminster Abbey statt. Erstmals wurde die Krönung eines Staatsoberhauptes im Fernsehen übertragen – 300 Mio Menschen sollen dies weltweit mitverfolgt haben.
Queen Victoria (gestorben im Jahre 1901) entstammte dem Hause Hannover. Mit ihr endete auch dieses Stammhaus, da der letzte Herzog Ernst II. 1893 ohne leibliche Erben verstarb. Damit erlosch aber auch die deutsche Linie des Hauses. Mit Victorias jüngstem Sohn, Eduard VII. ging das Königshaus an die Linie Saxe-Coburg and Gotha (Sachsen-Coburg und Gotha). Während des Ersten Weltkriegs wurde das Haus am 17. Juli 1917 in „Windsor“ umbenannt. Windsor ist eine kleine Gemeinde in der Grafschaft Berkshire, in dem Windsor Castle steht. Das Schloss diente seit Wilhelm dem Eroberer als Residenz der königlichen Familie. Auch heute noch stehen deutsche Nachkommen der Häuser Hannover und Sachsen-Coburg zwar in der Thronfolge, jedoch praktisch ohne Chancen auf den Thron. So trägt etwa Ernst August von Hannover (jener Hochadeliger, der sich an einem Pavillon der Weltausstellung erleichterte) die offizielle Bezeichnung: Ernst August Prinz von Hannover Herzog zu Braunschweig und Lüneburg Königlicher Prinz von Großbritannien und Irland. Elizabeth wollte mit der Thronbesteigung eigentlich den Namen ihres Mannes „Mountbatten“ übernehmen (somit wäre auch das Königshaus umbenannt worden), doch wussten ihre Grossmutter (Königin Mary) und Premier-minister Winston Churchill dies zu verhindern. Prinz Philip meinte einst, dass er der einzige Mann im UK wäre, der seinen Kindern nicht seinen Namen mitgeben könne. Nach dem Ableben Elizabeths steht nun King Charles III. dem Hause Windsor vor.
Am 20. November 1947 heiratete die damalige Thronfolgerin Prinz Philip von Griechenland und Dänemark. Angeblich war die 13-jährige Elizabeth bereits in den fünf Jahre älteren Cousin dritten Grades verliebt, nachdem sie sich im Royal Naval College in Dartmouth getroffen hatten. Queen Victoria war ihre gemeinsame Ururgrossmutter. Am 14. November 1948 kam deren erstes Kind Charles Philip Arthur George zur Welt, ihm folgten später Anne, Andrew und Edward. Philip war zu Beginn sehr umstritten. Er hatte im Boulevard den Titel „Prinz ohne Heimat und Königreich“, Elizabeths Mutter soll ihn gar als „Hunnen“ bezeichnet haben, ein Schimpfwort für Deutsche, das auf der „Hunnenrede“ Kaiser Wilhelms II. bei der Verabschiedung des ostasiatischen Expeditionskorps anno 1900 beruhte. Vor der Hochzeit konvertierte er vom griechisch-orthodoxen Glauben zum Anglikanismus und verzichtete auf seine Ansprüche in Griechenland und Dänemark. Zudem nahm er den anglisierten Namen seiner Mutter an (aus „Battenberg“ wurde „Mountbatten“) und kurz vor der Hochzeit wurde er zum Duke of Edinburgh. Damit stand einer Aufnahme in die königlichen Familie nichts mehr im Wege, er musste offiziell als „His Royal Highness“ angesprochen werden. Philip wurde mit der Zeit zu einem der beliebtesten Royals, nicht zuletzt aufgrund seines Humors, den auch Elizabeth teilte. Er verstarb am 9. April 2021 – ein grosser Schicksalsschlag für die Queen. Das Bild der Trauerfeierlichkeiten rührte Millionen von Menschen auf der ganzen Welt zu Tränen: Aufgrund der CoVID-19-Bestimmungen sassen die Mitglieder des Königshauses getrennt voneinander – die Queen komplett abgeschottet gänzlichst alleine.
Vom Tode ihres Vaters erfuhr Elizabeth während einer Reise im Jahre 1952, die in Kenia begann und weiter nach Australien und Neuseeland führen sollte. Doch bereits nach der ersten Nacht in Kenia erhielt sie die Todesnachricht. Nachdem sich Georgs Gesundheitszustand seit 1951 kontinuierlich verschlechtert hatte, trug Martin Charteris, Elizabeths Privatsekretär, stets den Entwurf der Thronbesteigungserklärung bei sich. Die Reise wurde abgebrochen, Elizabeth kehrte mit ihrem Gemahl sofort nach London zurück.
Die Queen hatte eine sehr enge Beziehung zu Schottland. Das war vornehmlich familiär bedingt. Ihre Mutter „Queen-Mum“ war die jüngste Tochter des schottischen Grafen Claude Bowes-Lyon, 14. Earl of Strathmore and Kinghorne. Deshalb hätte sie wohl eine Loslösung Schottlands aus dem United Kingdom schwer getroffen. Zudem hatte sie auch mit Marion Crawford eine schottische Gouvernante. Balmoral Castle gehört jedoch nicht zum königlichen Besitz, sondern vielmehr zum Privatbesitz Elizabeths. Das ehemalige Jagdschloss Roberts II. wurde durch James Duff, dem 2. Earl Fife an Königin Victoria vermietet und später von Albert käuflich erworben. Wie ihre Ururgrossmutter war auch Elizabeth von der schottischen Landschaft stark beeindruckt.
Wie bereits vorher erwähnt, versprach Queen Elizabeth II., ihr Leben in den Dienst ihres Landes und ihrer Untertanen zu stellen. Dieses wichtige Kapitel möchte ich deshalb keineswegs in diesen heutigen Ausführungen aussparen.
Im Zweiten Weltkrieg wollte Lord-Kanzler Hailsham die Königsgemahlin und ihre Kinder nach Kanada in Sicherheit bringen. Dies jedoch lehnte diese ab: Sie verlasse niemals ohne ihren Mann das Land und die Kinder nicht ohne sie. 1942 absolvierte die Thronfolgerin mit ihrem Besuch bei den Grenadier Guards ihren ersten öffentlichen Auftritt. Im Frühjahr 1945 trat sie in den Auxiliary Territorial Service (ATS) ein, wo sie eine Ausbildung zur Lastwagenfahrerin und Mechanikerin erhielt. Ein Jahr nach ihrer Thronbesteigung besuchte sie im Rahmen einer Weltreise mit ihrem Gatten alle Länder des Commonwealth. Erstmals als Oberhaupt auch Australien und Neuseeland. Später kamen jede Menge hinzu. Insgesamt absolvierte sie 100 Staatsbesuche und 180 Reisen in die Länder des Commonwealth – sie ist somit das weitestgereiste Staats-oberhaupt der Welt. Trotz veröffentlichten Attentatsplänen (etwa 1961 in Ghana oder 1964 in Quebec) hielt die Queen an ihren Reiseplänen fest. Ja – sie setzte gar noch eins drauf: So führte sie die sog. „Royal Walkabouts“ ein – Spaziergänge und Händeschütteln beim normalen Volk.
In ihrer Amtszeit fehlte sie nur dreimal bei der Eröffnung der Sitzungs-periode des britischen Parlaments: 1959 und 1963 war sie schwanger (Andrew und Edward), 2022 liess es ihr Gesundheitszustand nicht mehr zu. Obgleich es ist nicht die Aufgabe der Queen bzw. Kings ist, sich in einer konstitutionellen, parlamentarischen Monarchie in das politische Tagesgeschäft einzumischen, nahm sie 2012 als erste Monarchin seit Georg III. im Jahre 1781 an einer Kabinettssitzung in Friedenszeiten teil. Nach Angaben der Zeitung „The Guardian“ liess die Queen während ihrer Amtszeit nicht weniger als 1062 Gesetze überprüfen („Queens Consent“). Zu ihrer politischen Einstellung hingegen äusserte sie sich niemals in der Öffentlichkeit. Margaret Thatcher meinte einst, sie würde wohl die Labour Party wählen. Bei der Einmischung Grossbritanniens in der Suezkrise, dem Falklandkrieg gegen Argentinien, dem Brexit hielt sie sich zurück – obwohl es ihr enorm schwer fiel. Als es im damaligen Rhodesien Probleme mit der Proklamation der Unabhängigkeit gab, entliess sie den dortigen Gouverneur Ian Smith, der ihr kurz zuvor noch seine Loyalität und Ergebenheit zum Ausdruck brachte, sich jedoch gegen die Unab-hängigkeitspläne stemmte. Auch bei dem vorzeitigen Ende der süd-afrikanischen Apartheidspolitik soll Elizabeth im Hintergrund vermittelt haben. Die Staatsbesuche des rumänischen Diktators Nicolae Ceausescue 1978 und des US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump 2019 absolvierte sie nur widerwillig. Ansonsten zeigten sich alle Staatsober-häupter stets von der Queen beeindruckt. Übrigens auch Michael Fagan, der sich am 09. Juli 1982 in das königliche Schlafzimmer eingeschlichen hatte. Die Queen verwickelte ihn für mehrere Minuten in ein Gespräch, bis die Polizei ihn festnehmen konnte. 1992 klagte die Königin das Boulevard-Blatt The Sun auf Verletzung der Urheberrechte, da diese die königliche Weihnachtsansprache zumindest teilweise im Vorhinein abdruckte. Die Zeitung musste die Anwaltskosten der Königin über-nehmen und 200.000 Pfund an wohltätige Zwecke und Einrichtungen überweisen.
Immer wieder allerdings scheute sie nicht davor zurück, als Mahnerin zu agieren. Die Queen genoss während ihrer gesamten Amtszeit sehr hohe Beliebtheitswerte in der Bevölkerung – auch unter Gegnern der Monarchie als solche. Einzig die Abschottung des Königshauses nach dem Tod von Lady Di bis einen Tag vor ihrer Beerdigung sorgte für Unmut in den Strassen. Die öffentlichen Thronjubiläen, aber auch das alljährliche Geburtstagsspektakel „Trooping the coulor“ machten bis zuletzt die meisten Briten stolz auf ihr Königshaus. Auch völlig unerwartet der Humor der Queen: Wie beim Kurzfilm mit Daniel Craig alias James Bond anlässlich der olympischen Sommerspiele in London 2012 („unvergess-lichstes Bond-Girl aller Zeiten“) oder zuletzt das Video mit dem sehr beliebten TV-Teddy Paddington zu ihrem 70. Thronjubiläum. Elizabeth stand als Schirmherrin über 600 wohltätigen und ehrenamtlichen Organisationen vor. Als Oberhaupt der anglikanischen Kirche traf sie sich mit drei Päpsten und unterstützte den interreligiösen Dialog.
„Mehr als 50 Jahre hat Elizabeth Windsor ihre Würde, ihr Pflichtgefühl und ihre Frisur behalten. Ich bewundere sie für Ihren Mut, und ihr Durch-haltevermögen. Ohne sie würde ich jetzt nicht hier stehen!“
(Helen Mirren, Oscar beste weibliche Hauptrolle 2007 in „Die Queen“)
Auf Charles III. lastet nun grosse Verantwortung. Schliesslich wusste seine Mutter wie keine andere, mit Streitschlichtung umzugehen. Sie schickte Charles und Diana nach Australien, das sich vom Commonwealth abzuspalten drohte. Dank Di’s Zutun geschah dies nicht. Beim ersten Besuch einer britischen Monarchin in der Republik Irland trat Elizabeth im Mai 2011 in einem grünen Kostüm auf (Nationalfarbe Irlands) und begann ihre Ansprache auf Gälisch. Beides vergassen ihr die Verant-wortlichen nie, obwohl die Briten dort nach wie vor als Kolonialverbrecher gelten. Auch ging das Königshaus auf nordirische Politiker mit IRA-Wurzeln zu obgleich Lord Mountbatten, ein enger Vertrauter der Queen, durch die IRA umgebracht wurde.
Bei der Fahrt über rund 300 km von Balmoral nach Edinburgh gaben zehntausende Menschen der Queen die letzte Ehre. Viele mit Tränen in den Augen, manche applaudierten, andere salutierten. Von Schottlands Hauptstadt ging es mit dem Flugzeug weiter nach London. Das Staats-begräbnis findet am 19. September im Beisein vieler internationaler, hochrangiger Würdenträger aus Politik und Königshäusern sowie mehreren hunderttausend Menschen in London statt!
Filmtipps:
.) Tod einer Jahrhundertzeugin: Queen Elizabeth II. – ARTE-Doku
.) Elizabeth II., ganz privat – ARTE-Doku
.) Die Queen; Regie: Stephen Frears 2006)
Lesetipps:
.) Die Queen. Elizabeth II – Porträt einer Königin; Paola Calvetti; Piper Verlag 2021
.) Elizabeth II.; Thomas Kielinger, C.H. Beck 2022
.) Queen Elizabeth II. und die königlicher Familie, Susan Kennedy; DK 2021
.) Her majesty; Christopher Warwick; Raschen 2021
.) The Queen: Elizabeth II and the Monarchy; Ben Pimlott; HarperPress 2012
.) Queen Elizabeth II: Her Life in Our Times, Sarah Bradford; Penguin 2012
.) The Servant Queen and the King She Serves, William Shawcross; Bible Society 2016
Links:
– www.royal.uk
– www.stasi-unterlagen-archiv.de
Transhumanz – Der Zug der Schafe
Posted on 09/09/22 by UlstoDas Ötztal ist eines der wohl schönsten und besten Beispiele dafür, wes-halb das österreichische Bundesland Tirol jedes Jahr von Touristen aus nah und fern förmlich überrannt wird. Im Winter aufgrund der Möglich-keiten in den Wintersportregionen Sölden-Hochsölden, Obergurgl-Hoch-gurgl und Oetz, im Sommer aufgrund der unglaublichen Wander- und Bergsteigerimpressionen in jener Region der Ostalpen mit den meisten 3000ern. Beispielsweise auf dem Weltwanderweg Via Alpina, der in insgesamt neun Etappen geteilt ist. Vom Inntal aus geht es über 65 Kilo-meter direkt hinein in das Zentrum der Alpen. Es ist das längste Quertal der Ostalpen, das die Stubaier Alpen im Osten von den Ötztaler Alpen im Westen trennt. Bei Zwieselstein teilt sich dieses Haupttal in das Venter- und das Gurglertal. Verkehrstechnisch endet das Gurglertal mit dem Timmelsjoch, einem der höchstgelegensten Grenzübergänge der Alpen (2.474 m über dem Meeresspiegel). Die Timmelsjoch-Hochalpenstrasse ist einer der schönsten Autostraßen Europas und war eine Heraus-forderung für den Strassenbau der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts. Auf Südtiroler Seite liess Benito Mussolini ab 1933 eine Militärstrasse im Passeier errichten, die bis zwei Kilometer vor das Joch reichte, um dadurch die Möglichkeit für eine Offensive gegen Österreich zu bieten. Am 15. September 1968 wurde die Verbindung für den Verkehr freige-geben.
Das Jahr 2018 war sehr schneereich, während die Räumung 2022 ein-facher und rascher vonstatten ging.
Wer allerdings denken sollte, dass das Ötztal eine erst recht neue Verbindung von Nord nach Süd darstellt, geht fehl. Am 19. September 1991 fand das Bergwanderpaar Erika und Helmut Simon aus Nürnberg am Tilsenjoch (im Similaungletscher) die Leiche eines Mannes. Bei den Untersuchungen an der Universität Innsbruck wurde sehr rasch klar, dass es sich hierbei um einen Menschen handelt, der wohl seit rund 5.300 Jahren im ewigen Eis konserviert die Wirren der Menschheitsgeschichte überstand: Der „Ötzi“ (engl. „Iceman“ oder mein Lieblingsausdruck: „Frozen Fritz“)! Eine Wunde zeigte zudem auf, dass er von einem Pfeil getroffen wurde, dessen Schaft auch wieder herausgezogen wurde. Er war also nicht allein. Dieser Umstand beweist, dass auch unsere Urahnen diese Verbindung über die Alpen durch das ewige Eis der Gletscher („Ferner“) nutzten. Zu Fuss! Der Grund dafür sind die Berge selbst. So schirmt der Tschirgant das Tal vor eisigen Nordwinden ab, die Winde aus dem Süden werden beim Aufsteigen sehr stark erwärmt – das beschert dem Tal ein aussergewöhnlich mildes Klima, das sich zudem auch beim Pflanzenwachstum nachvollziehen lässt. Das Schiefergestein bildet als-dann einen ausgezeichneten Boden dafür. Heute geht die Geschichts-forschung deshalb davon aus, dass diese Hochgebirgsregion schon zu Ötzis Zeiten als Hochweidegebiet genutzt wurde.
In den Chroniken ist nachzulesen, dass schon im 13. und 14. Jahrhundert neben den Herren von Schwangau, von Starkenberg sowie den Klöstern und Stiften von Frauenchiemsee und Stams auch die Herren von Montalban bei Meran zu den Grossgrundbesitzern gehörten. Ein durchaus starker Einfluss also auch von Südtiroler Seite beim nördlichen Bruder. Der erste Saumweg über das Timmelsjoch wurde im Jahr 1320 angelegt.
Fernab von alledem erfolgt seit Jahrhunderten zweimal im Jahr ein Spek-takel, das eindruckvoller nicht sein könnte: Der Schafstrieb über die Jöcher. Tatsächlich soll diese Tradition rund 6.000 Jahre alt sein – urkundlich erwähnt wurden die Weiderechte der Schnalser Bauern auf dem Rofenberg erstmals anno 1357, im Niedertal anno 1415 (zu besichtigen im Tiroler Landesarchiv in Innsbruck). Vor 1977 querten auf diese Weise rund 7.000 Tiere die Alpen – bis zirka 1900 waren auch Rinder und Pferde dabei.
Mitte Juni werden über 3.000 Schafe in kleineren Gruppen vom Schnalstal in Südtirol bis ins Venttal zur Martin Busch-Hütte und dem Hochjoch-Hospiz aufgetrieben, Anfang bzw. Mitte September erfolgt dann in zwei grossen Gruppen der Abtrieb, wo sie in Vernagt im Rahmen eines grossen Volksfestes („Schôfschoad“) wieder in Empfang genommen werden. Dabei geht es via teils sehr schmale Pfade über Bergwiesen, steile Felsabhänge, durch Gebirgsbäche aber auch durch Schnee und Eis des Similaunferners. Bei Sonnenschein, Regen- oder Schneefall, dichtestem Nebel oder auch von allem etwas, da das Wetter in den Bergen sehr rasch umschlägt. Insbesondere der Aufstieg ist sehr mühsam und gefährlich. Nicht selten müssen Männer mit Schaufeln vor der Herde die Wege freimachen und vortrampeln. Jeder Fehltritt kann das eigene Leben kosten oder viele Tiere in den Tod treiben. Beginnt für die ersten bereits um 03.00 Uhr der eigentliche Aufstieg in Vernagt, kommen etwa die Vinschgauer Gruppen einen Tag zuvor aus Laas über das Taschenjöchl. Ein Zwölfstunden-Marsch, der bereits Mensch und Tier alles abverlangt. Die Überquerung des Alpenhauptkammes erfolgt entweder am Niederjoch (3.019 m) oder dem etwas niedrigeren Hochjoch (2.770 m – dieser Zug endet bei der Rofenbergalm). Ein dritter Zug übrigens mit Tieren aus dem Passeier geht über das Timmelsjoch nach Obergurgl. Bis zum Jahr 1962 wurde noch ein weiterer Auftrieb geführt: Über den Gurgler Ferner mit der Alpenhaupt-kamm-Überquerung am Gurgler Eisjoch (3.154 m)! Diese gefährlichste Tour (Gletscherspalten, Eisfelder, …) aber wurde eingestellt.
Wir bleiben etwas beim beschwerlichsten, beim ersten Zug. Nach einer kurzen Pause bei der Similaunhütte beginnt der Abstieg in’s Ötztal. Die ersten Schafe werden beim Martin-Busch-Haus zurückgelassen, die zweite Gruppe folgt bei der alten, die restlichen dann bei der neuen Schäferhütte. Nicht allen Schafrassen kann diese Tortur zugemutet werden. Ausgesucht für die Almkräuter und Höhenluft werden vornehm-lich das Tiroler Berg- bzw. Steinschaf und das Schwarznasenschaf. Immer wieder müssen Lämmer über die steilsten Wegstrecken hinweg von den Hirten und Treibern getragen werden.
Nach elfstündigem Marsch und über 1.800 überwundenen Höhenmetern ist die Karawane auf der Alm angelangt. Im Vergleich dazu die noch beeindruckenderen Zahlen für die Herden aus Laas im Vinschgau: 44 km, 3200 Höhenmeter im Aufstieg und 1800 Meter im Abstieg – wohlgemerkt für den Alm-Auftrieb! Waren am Aufstieg noch bis zu 80 Menschen als Schaufler oder Treiber beteiligt, so reicht für die kommenden drei Monate ein Schäfer mit Hunden, um die Herden zu beaufsichtigen. Einer dieser Schäfer und Leiter des Schafsübertriebs ist Elmar Horrer mit seinem Hirtenhund Aiko. Ein braungebrannter, kerniger Mann, den nahezu nichts mehr erschüttern kann. Er verbringt die meiste Zeit unter freiem Himmel, hat selbst nur die alte oder neue Schäferhütte als Unterstand und ist das Leben allein auf der Alm gewöhnt: Ohne Handy, ohne Internet oder Fernsehen. In der 800 Jahre alten Schäfer-Hütte gibt es nach wie vor keinen Strom oder fliessendes Wasser. Nur selten erhält er Besuch vom zuständigen Jäger oder dem Pächter der Similaunhütte, der ihn auch mit dem Lebensnotwendigsten versorgt. Ansonsten muss er selbst bis nach Sölden absteigen, um sich Vorräte zu holen. Tagwache ist um halb sechs. Als erstes wird mittels des Fernglases der Tierbestand kontrolliert. Kurz danach geht es auch schon in’s Gelände. Schafe müssen gesucht, gebrochene Läufe gegipst und verunfallte oder verendete Schafe geborgen, sowie die Salzbehälter aufgefüllt werden. Ein bis zwei Prozent der Schafe bleiben übrigens verschwunden. Die Hirten sprechen davon, dass sie „vom Berg gefressen“ werden. So spult der Hirte Tag für Tag Kilometer um Kilometer ab. Insgesamt sind es 2.900 Hektar, die zwar nicht abgegangen, allerdings beobachtet werden müssen.
Neben all den guten Jahren, in welchen nichts geschehen ist, sitzt den Bauern das Jahr 1979 nach wie vor als Katastrophe in den Rippen. Bei einem Schneesturm erstickten unterhalb der Similaunhütte rund 70 Tiere. Das Leben in den Bergen sollte niemals verharmlost werden.
Kein Job für Warmduscher!
Auch das Ötztal profitiert von diesem Zug der Schafe. Dominierte doch dort in Urzeiten der Flachsanbau und später die Rinderzucht die Land-wirtschaft. Erst in letzter Zeit wurden wieder die Vorzüge der Schaf-haltung erkannt. Die Tiere sorgen dafür, dass auch an unzugänglichen Stellen einerseits das Gras auf der Hochalm nicht zu hoch wächst, was zu Hangrutschungen und im Winter Lawinenabgängen führt, und anderer-seits werden unerwünschte Pflanzen wie junge Bäume oder Unkräuter von ihnen samt der Wurzel entfernt. Dadurch verwaldet das Gebiet nicht vollends.
Die ersten zweibeinigen Sommerfrischler übrigens brachte gegen 1866 Clemens Franz Xaver Reichsgraf von Westphalen nach Oetz. Inzwischen wird das Ötztal alljährlich in den Wintermonaten von Millionen Urlaubs-gästen geradezu überflutet (alleine in Sölden rund 2 Millionen Über-nachtungen). Noch mehr erwarteten sich die Touristiker im hinteren Ötztal durch die Seilbahnverbindung mit dem Pitztal – diese Verbindung allerdings wurde fallen gelassen. In einem Bürgerentscheid sprachen sich im Juli 2022 von 1.200 Einwohnern in St. Leonhard im Pitztal 50,4 % gegen das Projekt aus. Insgesamt kamen 59 % zu den Urnen.
Die dortige Sprache (Bairisch vornehmlich beeinflusst durch das Passeier- und das Schnalsertal) gehört zum immateriellen Kulturerbe Österreichs.
Transhumanz – der Zug der Schafe wurde im Jahr 2011 in die UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Wie lange es diese noch geben wird, ist jedoch fraglich. Immer mehr Weidegebiete fallen der Gewinnsucht der Wintertouristiker zum Opfer, neue Seilbahn- und Pisten-erschliessungen sorgen immer wieder für Kontroversen. Sollten Sie die Gelegenheit haben, den Zug der Schafe vorort mitzuverfolgen, so nutzen sie dies. Die Schnalser Gletscherbahnen ermöglichen es auch für die Nicht-Alpinisten! Selbstverständlich können Sie im nächsten Jahr zudem als freiwilliger Helfer aktiv werden. Dafür sollten Sie durchtrainiert, wetterfest und bergtauglich sein sowie sich mit Schafen auskennen. Die Eindrücke werden Sie Ihr Leben lang nicht vergessen!
Rückkehrtermine 2022:
– Niedertalalm am 10. September nach Vernagt
– Rofenbergalm am 11. September nach Kurzras
Infos:
.) www.merano-suedtirol.it/de/schnalstal/natur-kultur/land-leute/trans-humanz.html#ltseventslist
.) www.suedtirolerland.it/de/suedtirol/schnalstal/vernagt-am-see/
.) www.suedtirolerland.it/de/suedtirol/schnalstal/kurzras/
Filmtipps:
– Mit di Schoof gian; Sebastian Marseiller
– Schafe und Schneefelder; Rolf Bickel
Lesetipps:
.) Pässe, Übergänge, Hospize; G. Bodini; Tappeiner Verlag 1999
.) Wege der Schafe: Die jahrtausendalte Hirtenkultur zwischen Südtirol und dem Ötztal; Hans Haid; Tyrolia-Verlag 2008
.) Schafe und Hirten im Vinschgau & Schnalstal; G. Bodini; Hrsg: Kultur-verein Schnals 2005
.) Schafe in Tirol; Thomas Stoffaneller/Susanne Schaber; Tyrolia-Verlag 2016
.) Aufbruch in die Einsamkeit – 5000 Jahre überleben in den Alpen; Hans Haid; Ed. Tau 1992
.) Die Grundherrschaften des Tales Schnals in Untervinschgau; Franz Huter; Innsbruck 1926
.) Alpenvereinsführer Ötztaler Alpen; Walter Klier; Bergverlag Rother Ottobrunn 1997
Links:
– www.transhumanz.net
– www.kulturverein-schnals.it
– www.provitaalpina.com
– www.vent.at
– www.merano-suedtirol.it
– www.naturpark-oetztal.at
– www.timmelsjoch.com
– www.unesco.at
– similaun.net
– www.museen-suedtirol.it
– www.oetzi-dorf.at
– www.oetztal.com
– www.kulturnatur.de
– hoehepunkt-tirols.oetztal.com
Na denn: Mahlzeit!!!
Posted on 09/02/22 by UlstoWir alle kennen – spätestens seit dem Amtsantritt Donald Trumps als US-amerikanischer Präsident den Ausdruck „Fake News“ für erfundene Nach-richten. Inzwischen ist „Fake“ salonfähig geworden und dient in sehr vielen Bereichen für etwas, das nicht so ganz der Wahrheit entspricht. In der Werbung werden immer wieder Fake-Geschichten vorgespiegelt, damit der Absatz für die Produkte steigt, wenn etwa der Toilettenreiniger glücklich macht oder eine hübsche Bikini-Frau die Kürbis-Prostata-Zusatzernährung anpreist. Jeder weiss inzwischen, dass durch gute Ausleuchtung und Lebensmittelfarbe beispielsweise Tellergerichte, Fleisch oder Obst wesentlich besser aussehen, als sie es tatsächlich sind. Dass nun jedoch nicht mehr das in der Verpackung ist, was auch drauf steht, das wird offenbar leider immer mehr zur Sitte. Man nennt dies übrigens „Fake-Foods“! Hier wäre es mehr als wichtig, durchzugreifen, da der Konsument auf das Übelste gefoppt wird.
Eines der begehrtesten Schauplätze hierfür ist der Begriff „Bio“.
So warnte beispielsweise die sächsische Geflügelwirtschaft bereits im April davor, dass Bio-Eier aufgrund des Ukraine-Krieges knapp werden könnten, da das Futter (Soja, Sonnenblumenkerne und Raps) für die Hühner zwar vornehmlich über den Grosshandel in Polen bezogen, tat-sächlich aber aus der Ukraine stammt. Ohne der Beifügung von konventionellem Futter werde das Bio-Ei vom Markt verschwinden. In Natura kommen nahezu alle zwei Jahre Skandale vom Bio-Eier-Markt an’s Tageslicht. So warnte Öko-Test 2019 vor den Bio-Eiern bei Lidl und Aldi. Zwei Jahre zuvor berichteten Mimikama und der SWR über die Zulieferer-betriebe von Aldi Süd. 2015 stand die Geflügelwirtschaft Niedersachsens im Scheinwerferlicht…
Greift der Konsument zu einer Ware mit dem Etikett „Bio“, so ist er gerne dazu bereit, rund 15 Cent pro Ei mehr zu bezahlen, da er weiss, dass nicht nur die Qualität des Produktes stimmt, sondern auch die Herstellung bzw. die Tierhaltung! Das nennt sich „bewusste Ernährung“! Leider eine Wunschvorstellung! In vielen Bioställen sieht es gleich wie in der kon-ventionellen Landwirtschaft aus. 2013 ermittelte die Staatsanwaltschaft Oldenburg gegen 200 landwirtschaftliche Betriebe, die beschuldigt wurden, dass auf der Eier-Verpackung etwas anderes stehe, als tatsächlich drinnen war. Nur ein Jahr später musste der Agrarminister Mecklenburg-Vorpommerns, Till Backhaus, eingestehen, dass 12.000 Eier aus vier Betrieben des Bundeslandes mit dem Öko-Siegel gekennzeichnet waren, obwohl sie das gar nicht verdient hätten. Auch hier ermittelte die Staatsanwaldschaft Rostock. Dieser Fall wurde allerdings nach besten Mitteln und Methoden durch die Politik verschleiert, obgleich im §40 des Lebens- und Futtermittelgesetzes klar definiert ist, dass die Öffentlichkeit ein Anrecht auf die Namen jener Betriebe hat, die den Verbraucher getäuscht haben. Klasse Lobby-Arbeit!
Wann darf aber nun tatsächlich das Ei als Bio-Ei verkauft werden? Hier gibt es klare Richtlinien des deutschen Bio-Siegels in Verbindung mit der EG-Öko-Verordnung als Mindestanforderungen. So muss etwa die Henne zumindest vier Quadratmeter Auslauf (ausserhalb des Stalles) pro Tag haben, im Stall selbst dürfen nicht mehr als sechs Hühner auf einem Quadratmeter gehalten werden (in der Regel sind es nach wie vor 12!) – nicht mehr als 3.000 pro Stallung (wer zählt das nach?). Eine präventive Medikamentierung mit Antibiotika ist verboten – dem Huhn darf nur Biofutter verfüttert werden. Werden diese Kriterien nicht erfüllt, so ist das Ei aus „Bodenhaltung“! Ein natürliches Huhn legt pro Jahr 30 Eier – die meisten Hühner auch aus der Bio-Haltung allerdings 300. Es sind Hybrid-Hühner, gezüchtete Legemaschinen, die nach einem Jahr ihren anstrengenden Job erledigt haben und entsorgt werden. Zudem: Was geschieht mit den männlichen Küken am Bio-Gut? In Deutschland ist das Kükenschreddern seit dem 01. Januar 2022 verboten – davor waren es rund 45 Mio im Jahr. Auch in der Schweiz ist dies seit 2019 verboten – hier werden jedes Jahr etwa 3 Mio männliche Küken vergast – 1/4 davon stammt aus Bio-Produktion. In Österreich ist das „sinnlose“ Töten von männlichen Küken erst mit 2023 verboten. Die Bio-Branche jedoch zieht auch die Hähne in der sog. „Bruderhahn-Mast“ gross.
Inzwischen hat sich auch im Bio-Bereich die industrielle Produktion etabliert, die übrigens vom Deutschen Tierschutzbund toleriert wird. Somit kann sich wohl jeder selbst ausrechnen, was diese 15 Cent mehr pro Ei bei 10.000 Hühnern mit jeweils 300 Eiern pro Jahr pro Farm ausmachen. Bio-Betriebe werden dreimal im Jahr durch Kontrolleure der jeweiligen Verbände oder in deren Auftrag überprüft – zweimal unan-gekündigt, einmal angekündigt. Hinzu kommen die Lebensmittel-kontrolleure. Deshalb und aufgrund des bürokratischen Aufwandes drehen viele Bauern dem Ökolandbau inzwischen wieder den Rücken zu und zur konventionellen Landwirtschaft zurück.
Ähnliches ist auch in Österreich zu sehen: Halbnackt scharren bis zu 10 Hühner pro Quadratmeter nach Futter. Mit den glücklichen, freilaufenden Hühnern aus der Werbung hat auch dies hier wenig zu tun. Auch im Alpenland werden grossteils Hybridhühner verwendet, die sich aufgrund der Züchtung meist gar nicht mehr selbst vermehren können. Auch zwischen Neusiedler- und Bodensee werden in den meisten Bio-Betrieben die männlichen Küken gleich nach dem Schlüpfen vergast oder geschreddert. Das bestätigte anno 2013 auch der Obmann der österreichischen Biobauernvereinigung „Bio Austria“, Rudi Vierbauch.
Doch leider können oder wollen die Kontrolleure die toten Tiere nicht sehen. Jene, die langsam und schmerzvoll krepiert sind an Eileiter- oder Bauchfellentzündung, Parasitenbefall, Brustbeinverkrümmungen und Brustbeinbrüchen, Kannibalismus, Viren, Bakterien.
Obgleich Österreich mit 26,4 % der landwirtschaftlichen Fläche (Stand: 2020) als Bio-Fläche europaweit eine Vorreiterrolle eingenommen hatte, landeten bislang gerade mal 6 % Bioprodukte im Supermarkt (in Deutschland waren es 4 %). Dies änderte sich allerdings während der Corona-Pandemie: 2020 wurde in Österreich erstmals ein Marktanteil von 10 % erreicht. In Deutschland nahm der Biomarkt im Vergleich zu 2019 um 22 % auf 6,4 % zu – hier geht es inzwischen um Umsätze in der Höhe von 14,99 Milliarden Euro. Ähnlich auch in der Schweiz – ein Plus von 19,1 % im Vergleich zu 2019 auf 10,8 % – 3,856 Milliarden Schweizer Franken. Es ist also durchaus möglich, auf dem Bio-Markt gutes Geld zu verdienen.
Wenn Sie sich wirklich bio-bewusst ernähren wollen, dann schauen Sie sich den Hof Ihres Vertrauens genau an! Das empfiehlt auch der österreichische Bio-Vorzeigebauer Werner Lampert, der für die Rewe-Gruppe die „Ja-natürlich!“ und für Hofer die „Zurück zum Ursprung“-Marke gründete:
„Bio ist kein Paradies!“
Allerdings stellt er auch den Konsumenten die Rute in’s Fenster: Nach wie vor – auch bei Bio – erweisen sich zu kleine Kartoffeln oder krumme Gurken als Ladenhüter. Da kann sich auch der ehrliche Klein-Bio-Bauer den Rücken krumm arbeiten – werden seine Produkte nicht verkauft, wird er nicht mehr von Bio zu begeistern sein.
2016 wurde durch eine Untersuchung aufgedeckt, dass immenses Schindluder mit dem Begriff „fair“ am Markt getrieben wird. Der Begriff ist bei der Vergabe von Siegeln nicht geschützt – er wird somit stets anders interpretiert. Über 100 Öko- und Bio-Siegel gibt es alleine am bundes-deutschen Markt, von Demeter über Bioland, Naturland oder GÄA e.V. usw. So wurde nach Untersuchungen veröffentlicht, dass etwa im Kara-mell-Eis von Ben & Jerry’s nur 19 % Fair Trade-Produkte enthalten waren – trotzdem ist das Eis mit dem Fairtrade-Siegel versehen. In der Schokolade von Cavalier machte dieser Anteil gerade mal 32 %, in der Nuss-Nougat-Crème von Rewe 53 % aus. Zur Erklärung: Bei der Herstellung von Kakao, Orangensaft, Tee und Zucker muss kein einziges Fairtrade-Produkt enthalten sein – wichtig ist der Mengenausgleich, da hier konventionelle und Fairtrade-Produkte vermischt werden. Entdecken Sie also bei Ihrer Suche nach fairen Produkten die Aufschrift „Mengenausgleich“ auf der Packung, würde ich mir durchaus überlegen, ob ich für dieses Produkt wirklich mehr bezahlen möchte als für ein herkömmliches! Nur Kaffee mit dem Fairtrade-Siegel muss auch tatsächlich zu 100 % fair sein, ansonsten reichen seit 2011 nurmehr 20 % – auf die Gefahr hin, dass sich nun viele die Haare raufen werden, weil sie seit Jahren viel mehr für inhaltlich fast dieselben Waren bezahlen! Im Kakao der Aldi-Waffeln waren gar nur 8 %, im Kakao von Netto 20 % aus fairem Anbau aus kleinbäuerlichen Strukturen enthalten. Trotzdem prangert auf beiden Produkten das UTZ-Siegel. Beim UTZ-Siegel ist keine Mindestmenge an fair gehandelten Bestandteilen festgeschrieben. Das Gepa-Siegel hingegen geht von einem Mindestanteil von 50 % fair gehandelter Bestandteile aus. Meines Erach-tens eine bewusste Aufweichung der ansonsten recht guten und sinn-vollen Kriterien und damit ein Betrug am verantwortungsbewussten Konsumenten. Fairtrade Deutschland hingegen argumentiert, dass das Siegel nur dann vergeben wird, wenn die Zutaten, die fair angebaut und gehandelt wurden, auch auf der Verpackung angeführt sind. Tatsächlich kann nur zwei Bio-Labels getraut werden: dem EU- und dem Deutschen-Bio-Siegel. Hier müssen 95 % der landwirtschaftlich produzierten Zutaten aus ökologischen Anbau stammen. Ansonsten ist die Zertifizierung rasch verloren – regelmässig finden deshalb angekündigt und nicht-angekündigte Kontrollen statt.
Nicht jedermann’s Geschmack (meiner etwa gar nicht) sind Garnelen. Trotzdem ist ausgerechnet die Surimi-Garnele heiss begehrt! Doch – was die meisten Anhänger gar nicht wissen: Von Meeresfrucht keine Spur! Surimi ist nämlich ein Meeresfrüchte-Fake, hergestellt aus Fisch, Salz und Hühnereiweiss oder Stärke! Nachdem das meist nach gar nichts schmeckt, sorgen Aromen und Geschmacksverstärker (Krebsaroma) sowie Lebens-mittelfarben für das Prickeln auf der Zunge und das Leuchten in den Augen. Entdeckt wurde das, was der Japaner unter „zermahlenem Fleisch“ versteht, vor rund 900 Jahren, als ausfindig gemacht wurde, dass sich derart zubereiteter Fisch länger hält. Europa entdeckte Surimi in den 1950ern – verwendet werden Fischsorten, die zumeist nicht direkt verkauft werden können, wie beispielsweise Magerfisch oder auch Krill. Es ist zumeist alsdann ein Produkt aus dem Beifang. Überzeugte Surimi-Gustianer sprechen allerdings von Fischfilets von Weissfischen (Seelachs, Kabeljau, Brassen oder auch Seehecht). Sie können es sich somit aussuchen! Wer also so oder so wirklich Garnelen essen möchte, sollte auf Surimi verzichten!!! Apropos: Mit Tintenfischresten vermischt dient Surimi als Tintenfischersatz, kommt aber auch in so manchem Würstchen zum Einsatz! Wurde Surimi verwendet, so sollte dies gut sichtbar auf der Verpackung angeführt sein! Sollte! 1994 führte die Hamburger Bundes-forschungsanstalt für Fischerei eine Überprüfung durch – in sieben von zehn Garnelenfleischproben wurde nicht angeführtes Surimi verarbeitet. 2010 entschied der Verwaltungsgerichtshof von Baden-Württemberg, dass ab einem Surimi-Anteil von zumindest 20 % Deklarationspflicht besteht (Az. 9 S 1130/08).
Ach ja – weil wir’s gerade so schön von Meer und Früchten hatten: Wissenschafter des Leibnitz-Institutes für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin entdeckten vor einigen Jahren einen riesigen Kaviar-Fake. Von 27 Kaviar-Produkten enthielten nicht weniger als 10 keinen oder nur einen Teil des Original-Kaviars, sondern vielmehr Eier anderer Fischarten oder künstlich hergestellte Imitate. Dies konnte jedoch nur aufgrund von DNA-Abgleichen („DNA-Barcoding“) festgestellt werden. Bei Preisen von 220,- € bis 450,- € pro 100 Gramm der Sorte des Beluga Störs – durchaus rentabel dieser Betrug! Die Kollegen des Forschungsinstitutes Wilhelms-haven entlarvten mittels des Bar-Codings auch Ölfische, die als Makrelen verpackt waren oder statt des echten Heilbutts den Schwarzen Heilbutt usw.!
Bleiben wir doch noch etwas in Japan und beim Sushi. Die Umweltgruppe Oceana entdeckte bei einer Untersuchung von Sushi-Restaurants in Japan anderen Fisch als jener, der tatsächlich verkauft wurde. Erschreckend ist die Quote: 100 %! Oceana schreibt in der Aussendung, dass die Wahr-scheinlichkeit weissen Thunfisch in einem Sushi-Restaurant zu bekommen, gleich ist mit jener, beim Roulette in Vegas eine Null oder Doppel-Null zu erspielen! Vor 2013 übrigens lag die Quote bei rund 84 % weisser Thunfisch.
Wer übrigens Sushi mag, wird wohl auch Wasabi mögen. Wasabi ist ein japanischer Meerrettich, somit also ein Kreuzblütengewächs, dessen Stamm vornehmlich in der japanischen Küche den Speisen eine extreme Schärfe verleihen kann. Da die Pflanze jedoch nur in Japan und auf der russischen Insel Sachalin wächst, ist das Gewürz sehr selten und damit teuer (Kilopreis der Wurzel: Bis zu 400 €). Hierzulande bekommt man den Scharfmacher in Dosen, Gläsern oder auch Tuben als Paste. Apropos Paste: In den meisten in Deutschland angebotenen Produkten ist nur eine Mixtur aus europäischem Meerettich- und Senfpulver in Verbindung mit Stärke und den Farbstoffen E133 und E102 enthalten – ein Produkt aus dem Lebensmittellabor! Echter Wasabi ist nicht froschgrün sondern mint und kitzelt die Geschmackpapillen der Zunge mit einem süsslichen Unterton und die Nase mit dem Geruch ätherischer Öle. Frisch gerieben allerdings hält sich Wasabi nur über rund eine halbe Stunde. Zu diesem Chemie-Mus kommt noch hinzu, dass in den meisten Fällen der Azo-Farbstoff Tartrazin enthalten ist. Dieser war lange Zeit in heimischen Landen verboten, da er heftige Allerigen auslösen kann. Der Kunst-Wasabi ist inzwischen in vielen anderen Lebensmitteln wie Nüssen, Chips oder Knuspererbsen enthalten. Untersuchungen derartiger Wasabi-Produkte aus dem Supermarktregal ergaben jedoch einen Anteil von 0,003 bis gerade mal 2 % des Gesamtproduktes. 2009 musste das Unternehmen Kattus nach einem Urteil des Münchener Landgerichtes II umbenennen, da in den „Wasabierbsen“ kein einziges Gramm Wasabi enthalten war. Und trotzdem produziert dessen Tochtergesellschaft Bamboo Garden die Wasabi-Paste auch weiterhin – mit unglaublichen 3,5 Prozent Wasabi-Gehalt lt. Zutatenliste.
Ich mag sie ja unheimlich gern – viele andere verabscheuen sie: Die weisse Schokolade! Streng genommen aber ist dies keine Schokolade mehr, da sie kein Kakaopulver oder Kakaomasse sondern nurmehr die Kakaobutter enthält. Ergänzt durch Zucker und Milch liegt der Angriff auf die menschlichen Hüften schön sortiert bei ihren schwarzen bzw. braunen Kollegen im Supermarkt.
Schwarze Oliven sind für so manch einen etwas ganz exklusives. Doch ist dem nicht wirklich so. Zumeist werden einfach die grünen Kumpels schwarz eingefärbt. Das muss auf der Verpackung nicht mal angeführt sein. Finden Sie allerdings dort die Bezeichnungen E579 (Eisen-II-Gluconat) und/oder E585 (ERisen-II-Lactat), so sollten Sie vielleicht doch besser die Ware im Regal belassen.
Über die Unsitte der Cornflakes und des angeblich so gesunden Fertig-Müslis habe ich an dieser Stelle ja schon mal geschrieben. Auch Vollkornbrot ist nicht immer unbedingt Vollkorn und damit gesund. Es könnte auch eingefärbtes Weizenbrot dahinterstecken – das nennt sich dann „Vollkorn-Look“. In originalem Vollkornbrot muss mindestens 90 % Vollkornschrot enthalten sein.
Zu all diesen ganz offiziellen, teilweise nicht ganz legalen Fällen der Verbrauchertäuschung kommen noch die Imitate hinzu: Champagner aus italienischem Spumante, Oregano aus Olivenblättern, Babymilch, die mit dem Kunststoff Melamin gestreckt wird. Anno 2008 starben in China nicht weniger als 6 Kinder daran, 300.000 waren erkrankt. Auch der Grossteil des Apfelsaftes, der in den USA verkauft wird, stammt nach Aussagen des Aufdeckers Larry Olmsted aus chinesischen Konzentraten – inklusive Pestiziden oder anderer Chemikalien!
Die Ministerien für Ernährung und Landwirtschaft sowie für Verbraucher-schutz, das Bundesamt für Verbraucherschutz, das Bundesinstitut für Risiko-Berwertung aber bereits auch schon die Staatsanwaltschaft, Zoll, Interpol und Europol sprechen von Gewinnraten wie im Drogenhandel. Auch die Mafia ist inzwischen mit von der Partie. Und es wird immer einfacher für die Betrüger: Gab es früher wesentlich mehr Einzelhändler mit einer somit auch grösseren Vielfalt am Markt, so konzentriert sich zusehends alles auf drei bis max. vier Supermarktketten, die bei einem Lieferanten für all ihre Märkte bzw. Tochtergesellschaften einkaufen.
Unternehmen, aber auch Überwachungsbehörden begegnen dem Treiben nun mit einem chemischen Fingerabdruck (Nuclear Magnetic Resonance). Mit der Hilfe der Kernmagnetresonanz-Spektroskopie können die magne-tischen Eigenschaften der Wasserstoffmoleküle aufgezeigt und damit echte von nachgemachter Ware unterschieden werden. Nur mit diesem Echtheitsnachweis wird in vielen Fällen Betrug aufgedeckt. Nachdem derartige Laboruntersuchungen zumeist nicht günstig sind und sich so mancher Laborbetreiber entsprechende Daten vergolden lässt, wurde in Deutschland die staatlichen Datenbank „FoodAuthent“ aufgebaut. Darin enthalten sind Daten, auf welche die Behörden jederzeit zugreifen können, wenn Verbraucher geschützt werden müssen. So kann der Ölfisch beispielsweise Krämpfe hervorrufen, künstliche Salze im Käse ebenfalls an die Gesundheit gehen.
Bisherige Erfolge:
– Chinesischer Honig wurde als US-Qualitätsware verkauft
– Billiges Olivenöl umgefüllt und als hochwertige 1A-Ware verkauft
– Cabernet Sauvignon entpuppte sich als Tempranillo
– Orangensaft aus Südafrika wurde als spanischer ausgegeben
– Chinesisches Kürbiskernöl kam angeblich aus der Steiermark
– Chardonnay aus einem Verschnitt von Pinot Grigio und Sauvignon zusammengestellt
– Honig, gestreckt mit Zuckersirup
Während der „Operation Opson VI“ wurden 2016/17 von Zoll, Europol, Interpol und den Lebensmittelbehörden in weltweit 61 Ländern, darunter 21 EU-Länder, Waren im Wert von rund 230 Mio € (10.000 Tonnen) beschlagnahmt. Vom gefälschten Mineralwasser, falschen Haselnüssen bis hin zu erneut verpackten, zuvor jedoch abgelaufenen Sardinen – es war alles dabei. ein Jahr später (Operation Opson VII) lag der Schwerpunkt bei manipuliertem Thunfisch, 2018/19 (Opson VIII) bei verfälschtem Kaffee, 2019/20 bei gefälschtem Olivenöl und 2020/21 bei verfälschtem Honig. Beschlagnahmt wurden bei Opson X nicht weniger als 15.451 Tonnen von illegalen oder gefälschten Produkten
Wenn Sie also wirklich nachhaltig, umwelt- und sozialbewusst einkaufen möchten, sollten Sie sich davor kundig machen. Auch ich kam erst nach Strichcode-Recherchen drauf, dass meine Kaffeebohnen eigentlich in Estland geröstet werden. Wie auch ein grosses Produkt, von dem immer wieder behauptet wird, dass es aus Österreich käme! Den Angaben und Herstellern vertrauen – das war gestern!!!
Film-Tipps
– Die Bio-Lüge (ARTE-Doku)
– Biofleisch – Ethik oder Etikettenschwindel (SWR-Doku)
– Am Schauplatz: Das Bio-Dilemma (ORF-Doku)
Lesetipps:
.) Die Wahrheit über Bio-Lebensmittel; Alex A. Avery; TvR Medienverlag 2007
.) Friss oder stirb; Clemens G. Arvay; Ecowin-Verlag 2013
.) Sushi-Bar: Japanischer Genuss häppchenweise: Sushi, Suppen, Salate und Spießchen; Tanja Dusy; GRÄFE UND UNZER Verlag GmbH 2008
.) Chemie im Essen: Lebensmittel-Zusatzstoffe. Wie sie wirken, warum sie schaden; Hans-Ulrich Grimm/Bernhard Ubbenhorst; Knaur 2013
.) Bio-Lebensmittel. Worauf Sie wirklich achten müssen: Warum sie wirklich gesünder sind; Andrea Flemmer; humboldt / Schlütersche 2008
.) Die unsichtbare Kraft in Lebensmitteln, BIO und NICHTBIO im Vergleich; A.W. Dänzer; Verlag Bewusstes Dasein 2014
.) Strategische Positionierung im Markt für Bio-Lebensmittel; Hannes Hanke; VDM 2015
.) Extra Vergine: Die erhabene und skandalöse Welt des Olivenöls; Tom Mueller; Redline Verlag 2012
.) Real Food/Fake Food: Why You Don’t Know What You’re Eating and What You Can Do About It by; Larry Olmsted; Algonquin Books 2017
.) Food Forensics: The Hidden Toxins Lurking in Your Food and How You Can Avoid Them for Lifelong Health; Mike Adams; BenBella Books 2016
Links:
– www.biowahrheit.de
– agriculture.ec.europa.eu/farming/organic-farming/organic-logo_de
– www.oekolandbau.de/bio-siegel/
– www.tierschutzbund.de
– www.was-steht-auf-dem-ei.de
– www.alternativ-gesund-leben.de
– www.lebensmittelklarheit.de
– www.bio-austria.at
– www.kinjirushi.co.jp/
– osuseafoodlab.oregonstate.edu
– www.fairtrade-deutschland.de/
– foodrisklabs.bfr.bund.de
– oceana.org
Luftverschmutzung – jährlich 40.000 Tote
Posted on 08/26/22 by UlstoAls ich für den vorhergehenden Blog über die Zukunft der Mobilität recherchierte, fiel mir ein Zeitungsartikel aus dem Jahre 2000 auf. Berichtet wird darin über eine Studie zur Auswirkung der Auspuffabgase und Industriegifte. Diese wissenschaftliche Publikation kam zu dem Schluss, dass in Westeuropa jährlich rund 40.000 Menschen an den Folgen der Luftverschmutzung sterben – darunter 5.500 aus Österreich und 3.300 aus der Schweiz. Damals litten in Westeuropa etwa 300.000 Menschen an Bronchitis-Erkrankungen und zirka 500.000 an Asthma-anfällen – jedes Jahr! Dies führt zu jährlich rund 16 Mio Krankenstands-tagen. 35.000 Kinder bekommen alleine in Österreich jedes Jahr lebens-gefährliche Asthma-Attacken, 6.000 Erwachsene erkranken an Bronchitis.
Harte Tatsachen zum Start des neuen Jahrtausends. Was nun hat sich in den zurückliegenden 22 Jahren getan? Wie haben sich die Klima-Maß-nahmen der Regierungen in den jeweiligen Ländern ausgewirkt? Beein-flusst die Luftverschmutzung etwa auch die Ansteckung mit Erkrankungen der Luftwege und der Lunge? So wurde beispielsweise in einer Studie von Marco Ferrario von der Universität Insubrien in der oberitalienischen Stadt Varese nachgewiesen, dass Einwohner an Strassen mit erhöhter Luft-schadstoffkonzentration häufiger an CoVID-19 erkrankten als Bürger aus anderen Stadtteilen („Occupational and Environmental Medicine“ 2022). Die Erklärung: Feinstaub kann von Viren als Transportmittel verwendet werden.
Zu Beginn erstmal gute Nachrichten: Es hat sich tatsächlich sehr viel bei den Verbrennungsmotoren sprich dem Verkehr getan, allerdings wurde die Situation in diesem Bereich nicht wirklich verbessert. Auch in der Industrie wurden Massnahmen gesetzt, sodass der Teil der Smogopfer durch diesen Bereich in Deutschland etwa auf 13 % gesenkt werden konnte. Eklatant zugenommen haben jedoch die Emissionen aus der Landwirtschaft. So werden die Massentierhaltung und die übermässige Düngung v.a. mit Gülle, aber auch mit Mist für einen erheblichen Teil der Toten durch Luftverschmutzung verantwortlich gemacht. Grosse Mengen von Ammoniak werden freigesetzt, die die Atemwege extrem belasten!
Im Jahr 2000 führte noch Frankreich mit 31.000 Opfern die Todesliste an – 2021 war es Deutschland mit 34.000. Nach wie vor sterben jährlich rund 7.000 Deutsche (ca. 20 %) an den Folgen der durch den Verkehr verursachten Luftverschmutzung. Nur in China, Indien, den USA und Russland ist der Anteil noch höher, weltweit liegt er bei rund 5 %. Eine unmittelbare Folge der immer dichter werdenden Besiedlung und der Landflucht. Wissenschaftler des Max-Planck-Institutes haben errechnet, dass diese Kurve bis zum Jahr 2050 noch weiter ansteigen wird – neben Europa und den USA vornehmlich in Süd- und Ostasien. Weltweit könnte sich die Zahl der Smogopfer auf 6,6 Mio Menschen nahezu verdoppeln. In London etwa von 2.800 auf 4.200, in Moskau von 8.600 auf 11.700 und in Kalkutta von 13.500 auf gar 54.800, um nur drei Beispiele zu nennen.
Fairerweise muss jedoch erwähnt werden, dass Deutschland und auch Österreich (die Schweiz weniger) von Nachbarstaaten umgeben sind, die nicht wirklich auf die Reduktion der Klimagase, Stickoxide und des Feinstaubs achten. Trotzdem: Gerade Deutschland zählt zu den Top Ten etwa der CO2-Verursacher. Pro Kopf wurden im Jahr 2019 rund 7,75 to Kohlendioxid ausgeschieden, in den USA sind es 14,44 to. In Österreich lag dieser Ausstoss bei 7,1, in der Schweiz bei 4,16 to pro Kopf und Jahr. Es zeigt auf, dass hier die Hausaufgaben seit der Unterschrift unter das Pariser Klimaschutzabkommen 2015 nicht wirklich gut erledigt wurden. Den Schwarzen Peter den anderen zuzuschieben, ist grundlegend falsch.
„Würde man die gesamte Weltbevölkerung in 50 Gruppen einteilen, von denen jede zwei Prozent der globalen Emissionen verursacht – folgt daraus dann, dass niemand etwas machen muss?“
(Stefan Rahmstorf, Dt. Klimaforscher)
Doch zurück zur Luftverschmutzung. Schon als Kind lernten wir von unseren Eltern, dass wir zum Spielen an die frische Luft gehen sollen. Nun hat eine Studie aus Südkorea aufgezeigt, dass Sport an der „frischen Luft“ ab einem gewissen Grad der Luftverschmutzung gar mehr schaden als nützlich sein kann. Bei 1,5 Mio jungen Erwachsenen wurde im Zeitraum von fünf Jahren nachgewiesen, dass hohe Feinstaubwerte beim Sport im Freien das Herz-Kreislauf-System belasten. Der Feinstaub gelangt über die Lungenbläschen in das Blut. Dadurch schädigt er alle Organe des Körpers. Im Blutkreislauf inklusive des Herzens etwa verursacht dieser Entzündungen, Arteriosklerose, Herzinfarkt und Schlaganfall, sogar im Gehirn brechen Entzündungen aus, da die kleinsten. Partikel die Blut-Hirn-Schranke ohne Probleme überwinden.
„Die Feinstaub-Grenzwerte der EU liegen ganz nah an dem Bereich, in dem laut der Studie körperliche Aktivität im Freien bereits schädlich für das Herz-Kreislauf-System ist. Regional werden die Grenzwerte in Deutschland sogar überschritten, etwa in Hochindustriegebieten.“
(Univ.-Prof. Dr. med. Thomas Münzel, Direktor der Kardiologie I an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz )
Feinstaub wird in unterschiedlicher Partikel-Grösse zugeordnet:
– grob 10 µg
– fein 2,5 µg
– ultrafein 0,1 µg
Entsprechend der Studie wurde die Feinstaubbelastung von unter 26,4 µg/m3 als moderat bis niedrig eingeordnet (bei feinen Partikeln), der EU-Grenzwert liegt im Jahresdurchschnitt bei 25 µg/m3, die WHO empfiehlt 10 µg/m3. Zum Vergleich: Der Grenzwert liegt in den USA bei 12 µg/m3. Über das Thema Feinstaub habe ich an dieser Stelle bereits ausführlich berichtet.
Wissenschaftler des Max-Planck-Institutes für Chemie und der Universi-tätsmedizin Mainz berechneten in einer Studie, dass die Luftver-schmutzung die Lebenserwartung der Menschen weltweit um rund drei Jahre verkürzt. Wesentlich mehr als durch Infektionskrankheiten oder dem Rauchen als Herz-Kreislauf-Risikofaktor. Im Rahmen der Studie wurden Zahlen aus dem Jahr 2015 ausgewertet. Damals starben weltweit vorzeitig rund 8,8 Mio Menschen an den Folgen der Luftverschmutzung – in Europa sind es 800.000. Umgerechnet bedeutet dies eine durchschnittliche Reduktion der Pro-Kopf-Lebenserwartung um 2,9 Jahre (in Europa um knapp mehr als 2,0 Jahre), beim Rauchen sind es 2,2 Jahre. vor allem der bereits erwähnte Feinstaub, aber auch das Ozon setzen dabei dem Körper schwer zu. Global betrachtet ist die vorzeitige Sterblichkeit in Ost- und Südasien mit 35 bzw. 32 % am höchsten. In Europa sind es 9 %. Australien hat die höchsten Luftreinhaltungsgesetze – dort liegt die Rate bei 1,5 %. Der Grossteil der Luftverschmutzung stammt aus der Verwendung fossiler Energieträger wie Erdöl, Kohl und Erdgas. Durch einen Verzicht könnten rund zwei Drittel der jährlich Sterbefälle mit dieser Ursache vermieden werden.
Auch die Sektion Umweltmedizin des Südtiroler Sanitätsbetriebes führte zu dieser Thematik Untersuchungen anhand der Messwerte der Luft-messstationen Bozen, Meran, Bruneck, Brixen, Sterzing und Latsch von den Jahren 2000 bis 2004 durch. Das Land ist deshalb grossflächig von der Schadstoffbelastung betroffen, da nahezu alle Gewerbegebiete, Hauptverkehrsadern und alle Städte im Tal angesiedelt sind. Hier leben nicht weniger als 172.600 Menschen. Bei Inversionslagen (vornehmlich im Winter) und Windstille findet keine Durchlüftung statt – es kommt zu Smog. Stickoxide, Feinstaub, Kohlenmonoxid, Ozon und Benzol bleiben somit über Tage hinweg im Tal. Benzol beispielsweise gilt als krebser-regend. Aufgenommen wird es durch einatmen, verschlucken und Hautkontakt. Eine akute Vergiftung zeigt sich durch Haut- und Schleim-hautreizungen, es folgen Übelkeit, Erbrechen und Rauschzustände. Die kann weiters zu Herzrhythmusstörungen, Bewusstlosigkeit und epileptischen Anfällen führen. Durch schwefelarme Treibstoffe und Heizung mittels Erdgas konnte zumindest die Schwefeloxid-Belastung gesenkt werden.
„Lungenärzte sehen in Kliniken Todesfälle durch COPD und Lungenkrebs. Durch Feinstaub und NOx, auch bei sorgfältiger Anamnese, nie.“
(Prof. Dr. med. Dieter Köhler, emeritierter Präsident des Arbeitskreises bzw. Verbandes Pneumologischer Kliniken)
Prof. Köhler löste durch seine Veröffentlichungen eine breite Diskussion über die Folgen der Luftverschmutzung aus. Dabei hatten sich mehrere Rechenfehler eingeschlichen. Zudem wurde die Ursache der Erkrankungen ausser Acht gelassen – Feinstaub oder Stickoxide schienen alsdann nie als todesursächlich auf, sondern die Erkrankung als solche. Inzwischen sind die Aussagen des Herrn Professor nicht zuletzt aufgrund auch von Kohortenstudien widerlegt:
„An Tagen mit höherer Luftverschmutzung sterben mehr Menschen als an Tagen mit niedriger Luftverschmutzung!“
(Ralf Krauter, Wissenschaftsjournalist spektrum.de)
Dem schliesst sich auch das Forum der internationalen Lungengesell-schaften (FIRS) an. Von dort ist zu vernehmen, dass Langzeitexposition zu chronischen Veränderungen wie Herzerkrankungen, Krebs und auch Demenz, Diabetes sowie zu Schädigungen bei Neugeborenen führt. Soll heissen, dass die Lebenserwartung von Menschen aus Stadtteilen mit hoher Verkehrsbelastung geringer ist als von Menschen aus anderen Stadtteilen. Am stärksten davon betroffen sind Menschen, die bereits vorerkrankt sind. Höchst interessant war in diesem Zusammenhang die Studie des Nationalen Herz- und Lungeninstitutes im Jahr 2007 in London. Asthmakranke mussten dabei durch die stark belebte Oxford-Street über einen vorher genau bestimmten Weg mit ebenso klar fixierten Pausen spazieren. Damals durfte die Oxford Street nur von Bussen und Diesel-Taxis befahren werden. Drei Wochen später wurde das Experiment im Hyde-Park wiederholt. Jeweils danach fand eine Überprüfung der Lungenfunktion statt. Den Probanden setzte die Einkaufsstrasse deutlich mehr zu.
In Österreich erfolgte im Juli 2012 der Startschuss für „LEAD“, die erste österreichische Langzeitstudie zur Lungengesundheit. 10.000 Menschen werden noch bis 2024 am Ludwig-Boltzmann-Institut für COPD und Pneumologische Epidemiologie an der Klinik Penzing (ehemals Otto-Wagner-Spital) in Wien untersucht. Durch die regelmässige Untersuchung der Lunge sollen Veränderungen des Organs erforscht werden, um entsprechende Erkrankungen früher feststellen zu können. Die chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD) ist auch im Alpenland auf stetem Vormarsch. Etwa 10 % der Österreicher sind behandlungsbedürftig – die Patienten werden zudem immer jünger. Wird COPD vorzeitig diagnos-tiziert ist es recht gut behandelbar.
„Stickstoffdioxid ist schädlich und schadet der Gesundheit auf zahlreichen Wegen.“
(Barbara Hoffmann, Leiterin der Umweltepidemiologie am Uniklinikum Düsseldorf)
Stickoxide können bei chronischem Lungenleiden schon bei Konzen-trationen, die unterhalb des Grenzwertes liegen, zu Asthmaattacken mit Atemnot und Husten führen. Eine schwedische Studie wies bei Asthmatikern bereits Reaktionen während der halbstündigen Fahrt in einem hoch-frequentierten Strassentunnel nach. NOx-Emissionen tragen gemeinsam mit flüchtigen organischen Verbindungen (VOCs) und dem UV-Licht in einem grossen Ausmass zur Bildung von Feinstaub und Ozon bei.
Nach Schätzungen der Europäischen Umweltagentur waren im Jahr 2018 20.600 Todesfälle auf Ozon zurückzuführen. Ozon besteht aus drei Sauerstoffatomen, ist alsdann sehr instabil und zerfällt in kürzester Zeit zu dimerem Sauerstoff. Bei normalem Luftdruck und Zimmertemperatur ist es gasförmig. Ozon ist ein starkes Oxidationsmittel. Auf den Körper wirkt es als Reizgas, das zu Augenreizungen (Tränenreiz), Atemwegs-beschwerden (Husten) und Kopfschmerzen führt. Die Lungenfunktion wird stark eingeschränkt, bei besonders hoher Konzentration wird das Organ auch geschädigt. Mediziner gehen davon aus, dass O3 das Erbgut schädigt und zudem krebserregend wirkt. Eine sehr interessante wissenschaftliche Erkenntnis sei hier noch angefügt: In der zu Beginn des Blogs erwähnten Studie aus Varese fiel auf, dass mit steigender Ozon-konzentration in der Luft die Zahl der CoVID-19-Erkrankungen gesunken ist. Die Wissenschaftler erklärten sich dies mit der reduzierten Umwand-lung von NO in O3 bei starkem Strassenverkehr.
In einem am 29. Juni 2018 in der Zeitschrift „The Lancet Planetary Health“ erschienenen Artikel berechneten die Autoren Jos Lelieveld, Andy Haines und Andrea Pozzer die durch den vorzeitigen Tod aufgrund der Folge-wirkungen von Feinstaub und Ozon verloren gehenden Lebensjahre. Sie gelangten auf 122 Millionen Lebensjahre. Die Wissenschaftler bezifferten auch die im Jahr 2015 an schlechter Luft verstorbenen Kleinkinder: Rund 246.000, wovon 237.000 einer Infektion der unteren Atemwege (wie etwa einer Lungenentzündung) erlagen. Zum Vergleich: Im selben Jahr verstarben 87.000 Kleinkinder an HIV/AIDS. Alles in allem kann die Luftverschmutzung zu folgenden Erkrankungen oder Erscheinungen führen:
– Herzinfarkt
– Herzrhythmusstörungen
– Herzinsuffizienz
– höherer Blutdruck
– tiefe Venenthrombose
– Schlaganfall
– Parkinson
– Alzheimer
– Lungenkrebs
– Lungenentzündung
– geringeres Lungenwachstum bei Kindern und Jugendlichen
– Diabetes I und II
– Fehlgeburten bzw. geringeres Geburtsgewicht
– schlechtere Spermienqualität
– vorzeitige Hautalterung
Links:
– www.who.int/europe/home?v=welcome
– unece.org
– www.eea.europa.eu/de
– www.umweltbundesamt.at
– www.epa.gov/isa
– www.bafu.admin.ch/bafu/de/home.html
– www.pneumologenverband.de
– www.uniklinik-duesseldorf.de
– www.iass-potsdam.de/de
– www.mpic.de
– www.ufz.de
– www.ogp.at
– www.swisstph.ch/de/
– www.mpg.de
– www.uu.nl/en
Lesetipps:
.) Eine Studie zur Ökobilanzierung bei der Kontrolle der Luftver-schmutzung; Saman Saffarian; Verlag Unser Wissen 2022
.) Epidemiologische Ansätze zur Klärung der Zusammenhänge von Luftverschmutzung und Gesundheit; Ursula Ackermann-Liebrich; Umwelt-medizin in Forschung und Praxis 1999
.) Chemie der Umweltbelastung; Günter Fellenberg; Verlag B. G. Teubner 1997
.) Die Wirkungen von Luftverunreinigungen auf Waldökosysteme; Ernst-Detlef Schulze/Otto Ludwig Lange; Chemie in unserer Zeit 1990
.) Die Zukunft des Klimas. Neue Erkenntnisse, neue Herausforderungen. Ein Report der Max-Planck-Gesellschaft; Hrsg.: Jochem Marotzke/Martin Stratmann; Beck 2015
.) Air pollution and health; Hrsg.: S.T. Holgate et al; Academic Press 1999
.) Loss of life expectancy from air pollution compared to other risk factors by country; Jos Lelieveld, Andrea Pozzer, Ulrich Pöschl, Mohammed Fnais, Andy Haines, Thomas Münzel; Cardiovascular Research 2020
Urbane Mobilität – Mit der Seilbahn zur Arbeit
Posted on 08/19/22 by Ulsto„Parkende Autos sind eine gigantische Platzverschwendung! In Zukunft können wir uns das noch weniger leisten, weil unsere Städte widerstandsfähiger werden müssen gegen die Folgen des Klima-wandels.“
(Andreas Knie, Univ.-Prof. für Soziologie an der TU Berlin)
Seine Arbeit spaltet die Meinungen, obgleich er nicht wie sein Kollege Hermann Knoflacher (emeritierter Professor für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik an der TU Wien) oder der ehemalige PDS-Bundestags-abgeordneter Winfried Wolf den völligen Verzicht auf Autos fordert. Andreas Knie ist seit 35 Jahren wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wissen-schaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und leitet dort seit zwei Jahren die Forschungsgruppe „Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung“. Prof. Knie fordert vielmehr die Einschränkung des städtischen Individualverkehrs mit Privatautos. Anstatt dessen favorisiert er die Einführung von „Robo-Shuttles“ – selbstfahrenden Autos, die über das Handy geordert werden können. Die meisten unter Ihnen werden sie aus den unzähligen Sci-Fi-Filmen kennen! Im heutigen Blog wird es sehr technisch, aber auch sehr interessant werden.
Seit Jahrzehnten grübeln Städteentwickler, Verkehrsplaner und Soziologen über Lösungsmöglichkeiten des Individualverkehrs in den Städten. Ballungszentren, die aufgrund der Landflucht immer grösser werden, obwohl sich viele die Wohnung gar nicht mehr leisten können und ein Parkplatz vor dem Haus nahezu ebenso viel kostet, wie eine Garconniere auf dem Land! Übrigens ein ganz heisses Thema anscheinend auch für die Auto-Produzenten, denn wer hier eine derartige Lösung liefern kann, dürfte wohl eine Nasenlänge vor der Konkurrenz liegen. So gab es u.a. bereits ein gemeinsames Projekt von VW und Uber mit E-Cars. Und dann schlagen die Meldungen von Tesla ein wie eine Bombe, wonach der Autopilot Kinder offenbar nicht als Hindernis erkennt (3 von 3 Kinder wären angefahren oder überrollt worden). Das wirft nicht nur den Musk-Konzern, sondern alle Unternehmen um Meilen zurück, die am auto-nomen Fahren arbeiten. Kern ist also von diesem Konzept der Robo-Shuttles überzeugt, die des nächtens zum Aufladen in die Aussenbezirke fahren würden.
Dennoch ist es nur eine Möglichkeit, die Städte wieder wohnbarer zu machen. Eine andere wäre sicherlich die Fahrrad-Stadt. Amsterdam gilt in diesem Bereich als die Fahrradhauptstadt Europas. In der nieder-ländischen Grossstadt leben rund 810.000 Menschen, doch gibt es geschätzte 880.000 Drahtesel. Es ist eine gesunde Möglichkeit, da Bewegung ja bekanntlich dem Körper in allen Belangen gut tut. Allerdings nur machbar mit massiven Einschränkungen des motorisierten Verkehrs oder gar komplett autofreier Zonen, da Radfahrer in so mancher Stadt als wesentlich gefährdeter als Fussgänger gelten – viele aufgrund ihrer Fahrweise auch durchaus selbstverschuldet. Stellt sich die Frage: Wie kann in einer autofreien Zone umgezogen werden und wie gestaltet sich das mit Lieferfahrten? Alles kann mit einem Lastenfahrrad nicht transportiert werden. Schon mit einem Wocheneinkauf kann es Probleme geben. Amsterdam hat zudem auch nur ganz wenige und geringe Steigungen. Stelle ich mir jedoch vor, wie es nur mit dem Fahrrad in Städten wie etwa Innsbruck ausschaut, wo teils ordentliche Steigungen zu meistern sind.
Eine weitere Möglichkeit wäre Carsharing! Die Fixkosten wie Steuer und Versicherung, sowie Parkkarte oder Garagenstellplatz können eingespart werden. Wird ein Auto nötig, so kann man es sich buchen. Allerdings ist hier eine gute Planung vonnöten, schliesslich greifen mehrere auf ein und dasselbe Auto zu. Das kann gerade bei Stosszeiten zu Wartezeiten führen. Besser, man verschiebt dann seine Erledigungen und Termine auf die Randzeiten. Im Vergleich zu den Robo-Shuttles müssen dies nicht auto-nom fahrende Autos sein. Die Gefahr bei dieser Lösung: Bei einem Unfall stehen plötzlich mehrere Carsharing-Nutzer ohne Auto da.
Nurmehr öffentliche Verkehrsmittel. Ich war acht Monate lang in Wien. Viele Strecken legte ich zu Fuss zurück – ansonsten war ich mit der U-Bahn wesentlich rascher am Ziel als mit dem Auto. Allerdings wirft auch diese Lösung eine Frage auf: Was mache ich in der Früh und am Abend, wenn die halbe Stadt auf dem Weg zur oder von der Arbeit ist. Die Bilder der überfüllten U-Bahnen in Tokio sind nicht wirklich eine Werbung hierfür. Um das zu vermeiden, könnte man ja früher bzw. später unter-wegs sein. Jedoch meldet sich alsdann der Chef als Erster, da sich viele Überstunden ansammeln oder die Kernzeiten nicht eingehalten werden; schliesslich wird dies auch die Familie nicht wirklich gutheissen, wenn man nach der Arbeit noch auf ein Feierabend-Bierchen geht, obwohl zuhause das Abendessen wartet.
Und da gibt es dann noch die Idee mit der Stadtseilbahn (Favorit des Schreiberlings). Die erste urbane Seilbahn wurde 1862 in Lyon errichtet. Mit ihren Drei-Wagen-Zügen konnten bis zu 324 Personen zwischen den hügeligen Stadtteilen befördert werden. In den letzten Jahren entwickelte sich die Stadtseilbahn zum interessantesten Projekt der Städte- und Verkehrsplaner. Verantwortlich dafür ist sicherlich auch der Erfolg der Bahn in Koblenz. Sie wurde anlässlich der Bundesgartenschau errichtet und verbindet die Altstadt mit der Festung Ehrenbreitstein. Ein Hotspot nicht nur für Touristen, sondern inzwischen auch für viele Einheimische, die die Bahn täglich nutzen. Bis vorläufig erstmal 2026, dann endet die Betriebsgenehmigung. 35 Personen passen in eine Kabine – pro Stunde und Richtung können bis zu 6.000 Personen befördert werden.
Auch in London, Bozen, Madrid, Barcelona, Lissabon etc. findet man Stadtseilbahnen. In Ankara wurde 2014 zwischen der U-Bahnstation Yeni Mahalle und dem Stadtteil Sentepe die längste Stadtseilbahn Eurasiens in Betrieb genommen. Für die 3.228 m lange Strecke benötigt man 10 Minuten – die Verbindungsstrasse hingegen ist ständig verstopft – mit dem Auto wären es 60 Minuten. Stündlich können bis zu 2.400 Personen befördert werden. Die Kabinen verfügen über eine Sitzheizung, ein Multi-Informationssystem und erreichen eine Fahrhöhe von bis zu 60 m.
Der Kontinent mit den meisten Stadtseilbahnen jedoch ist Südamerika. Die erste Bahn fuhr ab 2004 in Medellin/Kolumbien. Sie verbindet die Armenviertel mit der Innenstadt. Fünf Jahre später folgte Manizales (ebenfalls Kolumbien), 2010 Caracas (Venezuela), Rio de Janeiro 2011, Mexiko-Stadt 2016 und Bogotá 2018. Das beste Seilbahnen-Netz versieht in der bolivianischen Hauptstadt La Paz seinen Dienst. 2014 wurde der erste Abschnitt eröffnet – inzwischen ist auch der letzte in Betrieb: 33 Kilometer lang, verbindet das Seilbahnnetz vornehmlich die Hauptstadt La Paz mit der zweitgrössten Stadt des Landes El Alto (4.000 m Seehöhe). Die Bahn wird hauptsächlich von Pendlern benutzt, täglich sind es alsdann rund 125.000 Personen.
Für Deutschland und Österreich liegen inzwischen auch bereits konkrete Pläne vor – nicht nur für den Wintertourismus. Auch in den Städten gibt es bereits baufertige Konzepte.
.) Salzburg beabsichtigte den Bau einer U-Bahn zwischen dem Haupt-bahnhof und dem Mirabellplatz. Kosten anno 2018: 150 Mio € mit viel Luft nach oben, da es aufgrund des Setons zu Bauproblemen kommen könnte. Also schlug der Stadtverein eine Seilbahn-Lösung vor, damit all die Touristen-Busse nicht mehr in die Stadt fahren müssen. Geplant in einem ersten Schritt ist eine Linie vom Messegelände im Norden zum Rot-Kreuz-Parkplatz, der zweite vom Park & Ride Platz an der Alpenstrasse Süd bis zum Nonntal. In der Früh und am Abend würde damit den Pendlern, tagsüber den Touristen geholfen. Die Baukosten von 160 Mio für beide Bahnen und Betriebskosten von rund 6 Mio (ebenfalls für beiden Bahnen) würden sich innerhalb weniger Jahre amortisieren.
.) Linz arbeitet ebenfalls an einem Projekt von Pichling zum Pleschinger See. Gesamtlänge: 10 km. Der Knackpunkt: Die Kosten in der Höhe von 283 Mio €. Bürgermeister Klaus Luger sprach sich zuletzt im März erneut für dieses Projekt aus, schliesslich pendeln tagtäglich rund 100.000 Menschen in die oberösterreichische Hauptstadt. Pro Stunde und Fahrt-richtung könnten 5.500 Fahrgäste transportiert werden. In drei Bau-phasen soll es umgesetzt werden: 1. Bauphase über 3,5 km von Ebelsberg in das Linzer Industriegebiet. 2. Bauphase über 4,9 km bis zum Handelshafen und Bauphase 3 über die Donau bis nach Plesching. Errechnete Fahrzeit: 29 Minuten. Die Betriebskosten würden jährlich rund sieben Mio € ausmachen.
.) Graz – Nach einer Studie der Technischen Universität Graz könnte die Einwohnerzahl bis 2035 auf 500.000 ansteigen, derzeit pendeln täglich rund 180.000 Personen im Grossraum Graz. Die Seilbahn soll über 12 km entlang der Mur führen und dabei auch die Park & Ride-Parkplätze im Norden und Süden der Stadt einbinden. Die Baukosten belaufen sich auf rund 200 Mio €, auch Güter könnten mit der Bahn transportiert werden.
.) Wien könnte um eine Attraktion reicher werden mit der Stadtseilbahn vom Bahnhof Hütteldorf zum Bahnhof Ottakring. Die Partei der NEOs brachte diese Möglichkeit bereits 2017 in die Diskussion ein – anstatt des geplanten Lobautunnels. Zuletzt wurde eine Machbarkeitsstudie durch-geführt – das Ergebnis sollte gegen Jahresende präsentiert werden.
In Deutschland hat das Bundesministerium für Digitales und Verkehr bereits 2019 eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich mit der urbanen Mobilität mit Stadtseilbahnen befasst. Workshops fanden bislang in Bonn, Frankfurt am Main, München, Stuttgart, Leipzig und Kiel statt. Erstellt wurde ein Leitfaden, der bei der Cable Car World (Fachmesse für Stadt-seilbahnen) in Essen vorgestellt wurde. 2021 wurde Förderbedarf für nicht weniger als 266 Vorhaben angemeldet (2020 waren es noch 127) – darunter jedoch nur ein Seilbahnprojekt. Derzeit gebaut wird an der Seil-bahn für die Bundesgartenschau in Mannheim 2023. Sie verbindet das Spinelli-Gelände mit dem Luisenpark, führt über 2 Kilometer und soll ab April bis zu 2.800 Gäste pro Stunde befördern. Es handelt sich hierbei um eine Leihgabe, die nach der BUGA 23 wieder abgebaut werden soll. Die erste Stütze steht bereits seit Ende Juli, der Bau sollte bis Jahresende fertig sein. Kosten: 8 Mio €. Der Breakeven liegt bei 150 bis 200 zahlenden Fahrgästen die Stunde – das sollte erreichbar sein!
In Frankreich hingegen boomt der Stadtseilbahnbau: Brest, Grenoble, Toulouse, Paris,…
Es gibt viele Vorteile einer Stadtseilbahn:
– läuft immer – es gibt also keine Staus
– nahezu geräuschlos
– umweltfreundlich
– hohe Kapazität
– hoher Unterhaltungswert
– geländeunabhängig
– flächengünstig
Nachteile: Ab einer Windgeschwindigkeit von 100 km/h muss der Betrieb der meisten Bahnen eingestellt werden. Ebenso bei Gewitter, da ein Blitzschlag ein relativ hohes Risiko darstellt.
Seilbahnen können die sog. „Rückgrat-Systeme“ wie U-Bahn, Bahn, Strassenbahn nicht zur Gänze ersetzen. Sie können sie jedoch sehr attraktiv miteinander verbinden. Stellt sich alsdann die Frage, weshalb solche Bahnen nach wie vor nur in einigen ausgesuchten Städte im Einsatz sind, da eine Linienführung etwa entlang eines Flusses oder Hauptstrasse auch keinerlei Auswirkungen auf die Privatsphäre der Eigentümer darunterliegender Grundstücke hätte.
Ach ja – und da gibt es übrigens auch noch weitere Konzepte, die ich der Vollständigkeit halber erwähnen möchte:
.) City-Cable-Car (Doppelmayr)
.) Conn-X (Leitner)
.) Ropetaxi (Bartholet)
.) UpBUS (RWTH Aachen)
Filmtipp:
.) ARTE – Xenius „Stadtseilbahn“
.) SWR – „Ohne Auto mobil – Wie kann das gehen?“
.) Web Fleet Mobility Conference 2022 – „Urbane Mobilität und Smart Cities in den nächsten zehn Jahren“
.) Free Now – „Urbane Mobilität: Ein Blick hinter die Kulissen“
Lesetipps:
.) Urbane Mobilität – Politische Perspektiven und rechtlicher Rahmen; Hrsg.: Martin Kment/Matthias Rossi; Mohr Siebeck 2021
.) Urbane Mobilität als Schlüssel für eine neue Gesellschaft; Torsten Ambs/Kathrin Pipahl; Springer Gabler 2020
.) Zukunft Urbane Mobilität: Eine ganzheitliche Betrachtung; Hrsg.: Bernhard Müller; Urban Future Edition 2020
.) Urbane Mobilität im Umbruch; Uta Schneider; Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2017
.) Bewegende Zeiten: Mobilität der Zukunft; Julian Weber; Springer 2020
Links:
– ec.europa.eu/info/es-regionu-ir-miestu-pletra/temos/miestai-ir-miestu-pletra/prioritetines-temos/judumas-mieste_de
– www.plattform-urbane-mobilitaet.de/de/
– verkehrsforschung.dlr.de
– www.bmvi.de
– www.bmk.gv.at/kontakt.html
– www.th-nuernberg.de
– www.kit.edu
– mobilitaetderzukunft.at/de/
– www.vcoe.at
– www.vda.de
– www.profilregion-ka.de/
– www.doppelmayr.com/de/
– www.leitner.com
Wenn sich Medienmanager selbst bedienen
Posted on 08/12/22 by UlstoHinweis: Für alle Fersonen – v.a. jenen, die namentlich in diesem Beitrag angeführt sind – gilt bis zum Abschluss der Untersuchungen bzw. einer rechtskräftigen Verurteilung, die Unschuldsvermutung!
Es brodelt ausserordentlich in den Führungsetagen der öffentlich-recht-lichen Rundfunk- und Fernsehstationen Deutschlands. Die Causa Patricia Schlesinger liegt ihren Kollegen schwer im Magen, müssen sie doch nun auch selbst mit erheblichem Gegenwind rechnen. Wären der RBB bzw. die ARD normale Unternehmen, so wäre die Sache wohl morgen wieder vergessen. Doch sind die Öffentlich-Rechtlichen eine Körperschaft, die sich zu einem erheblichen Teil durch Zwangsgebühren finanzieren. Und das wiederum stösst den Konsumenten sauer auf, da sie derzeit jeden Cent doppelt umdrehen müssen.
Rückblende:
Patricia Schlesinger wurde am 14. Juli 1961 in Hannover geboren. Nach dem Abitur studierte sie in Hamburg Wirtschaftsgeographie, Politische Wissenschaft sowie Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Daneben jobbte sie als freie Mitarbeiterin ab 1983 beim NDR und dem Hamburger Abend-blatt. Nach dem Studienabschluss begann sie 1988 ein Volontariat beim NDR. Ab 1990 moderierte sie das ARD-Magazin Panorama, wo sie sich einen ausgezeichnete Ruf als investigative Journalistin erarbeitete. Es folgte von 1995 bis 1997 die Leitung des ARD-Auslandsstudios in Singapur. Nach einem kurzen Intermezzo bei den ARD-Magazinen Panorama, extra3, Brennpunkt und der Leitung der Auslandsredaktion Fernsehen übernahm sie die Korrespondentenstelle im ARD-Studio Washington. 2004 kehrte sie gemeinsam mit ihrem Mann Gerhard Spörl (bis 2010 Auslands-Redakteur und Ressortleiter Ausland bei „Der Spiegel“) nach Hamburg zurück. Beim NDR übernahm sie die Abteilung Dokumentation und Reportage des Programmbereichs Kultur. 2016 wurde sie nach nicht weniger als sechs (!!!) Wahlgängen zur Intendantin des Radios Berlin-Brandenburg (RBB) gewählt. Daneben bekleidete sie den Posten der Aufsichtsratsvorsitzenden der ARD-Produktionsfirma Degeto-Film und vom 01. Januar 2022 weg turnusmässig auch den ARD-Vorsitz. Am 04. August legte sie diesen zurück und schied auch als RBB-Intendantin aus – nach vertraglich vereinbarter Ankündigungspflicht zum 28. Februar 2023 – vorzeitig nur gegen Zahlung einer Abfindung. Auch die Pensionsansprüche in der Höhe von rund 15.000,- € pro Monat sollen bestehen bleiben.
„Persönliche Anwürfe und Diffamierungen haben ein Ausmaß angenommen, das es mir auch persönlich unmöglich macht, das Amt weiter auszuüben.“
(Patricia Schlesinger)
Was aber ist in diesen Tagen geschehen? Für grossen Unmut sorgte die durch den Verwaltungsrat des RBB genehmigte Gehaltserhöhung auf 303.000 € (+16 %) plus Bonus von mehr als 20.000,- € plus einem zu versteuernden geldwerten Vorteil für die Privatnutzung des Dienstfahr-zeuges (Angaben: Business Insider). Daneben tauchten Gerüchte über Vetternwirtschaft auf – auch die Geschäftsbeziehungen ihres Ehemanns zum Vorsitzenden des Verwaltungsrates, Wolf-Dieter Wolf, führten zu weiteren Spekulationen. Mitte Juli wurde durch die RBB-Revision eine externe Prüfung in Auftrag gegeben. Zugleich kündigten die Landes-rechnungshöfe von Berlin und Brandenburg eine gemeinsame Prüfung an. Die derart letzte wurde im Jahr 2018 durchgeführt. Bereits damals kritisierte der Landesrechnungshof Berlin neben anderem auch „übermässige Gehaltserhöhungen und Sonderzahlungen“. Inzwischen führte zudem der Landtag Brandenburg eine Sondersitzung hierzu durch, beantragt durch den Hauptausschuss. Nicht zur Sitzung erschienen ist Patricia Schlesinger. Ab diesem Zeitpunkt überschlugen sich die Meldungen zu Unregelmässigkeiten. Federführend daran beteiligt die Tageszeitung „Der Tagesspiegel“ ( Verleger: Dieter von Holtzbrinck) und die Wirtschafts- und Nachrichten-Plattform „Business Insider“ (Axel Springer SE). Dort war zu lesen von teuren Umbaumassnahmen, hochdotierten Beraterverträgen, einem luxuriösen Dienstwagen, Abrechnungen von Dienstessen in der Privatwohnung etc. – dies alles wird inzwischen von Fachleuten geprüft. Über ihren privaten Mail-Account bei AOL soll Schlesinger entgegen der Dienstanweisung „Informations-management“ alsdannn interne Nachrichten verschickt und vertrauliche Papiere des Senders empfangen haben.
Zu den Anschuldigungen im Einzelnen:
.) CNC – Das Crossmediale News-Center
Um den Anforderungen der Gegenwart und Zukunft entsprechen zu können, wurde durch den RBB ein eigenes Newscenter in Berlin errichtet. Ziel ist es, jene Schichten zu erreichen, die sich nahezu ausschliesslich im Internet über die Geschehnisse kundig machen. Das Zentrum des CNC ist ein 400 qm grosser Newsraum, der keinerlei Wünsche offen lässt. Insgesamt wurden 2.400 qm des sechsten und siebten Stockwerks des Landesfunkhauses komplett umgestaltet. Die Kosten für all dies sind inzwischen auf 150 Mio Euro explodiert. Hier wird nun dem Verwaltungs-ratsvorsitzenden Wolf vorgeworfen, dass einige seiner Geschäftspartner in diesem Zusammenhang und auch bei anderen Immobilienprojekten zu durchaus hochdotierten Beraterverträgen und Aufträgen kamen – dabei geht es offenbar um sechsstellige Honorare.
„Das CNC ist unsere neue Werkstatt, in der wir journalistische Exzellenz und plattformgerechte Aufbereitung verbinden können. Davon profitieren alle aktuellen Programme.“
(Patricia Schlesinger)
Die Sinnhaftigkeit dieser crossmedialen Einrichtung, die nicht nur die bisherigen, sondern auch die digitalen „Ausspielwege“ bedienen kann, steht dabei nicht zur Diskussion. Es sind vielmehr die Verträge und die Kosten, die nun genau überprüft werden.
.) Miet-Dienstwagen
Der Intendantin stand ein Audi A8 mit zwei Chauffeuren zur Verfügung. Das Fahrzeug soll mehrere Sonderausstattungen wie etwa Massagesitze aufweisen, die es auf einen Listenpreis von 145.000,- € bringen. Anschuldigungen stehen nun im Raum, wonach auch der Ehegatte, Familienmitglieder und gar Freunde dieses Fahrzeug inklusive der Chauffeure für private Zwecke verwendet haben sollen. Zum Vergleich: Die Leasingkosten für das Dienstauto, das der Intendant der Deutschen Welle selbst fährt, belaufen sich auf 336,- € monatlich, der SR, das Deutschlandradio und der SWR haben kleinere BMW- bzw. Toyota-Modelle für die Direktoren, Radio Bremen verzichtet gänzlich auf einen Dienstwagen. Der Intendant des HR hat das bisherige Dienstauto, einen BMW 745e, gegen ein kleineres Elektroauto eingetauscht. ZDF-Chef Himmler hat sein Dienstauto, einen BMW 740Ld xDrive, von seinem Vorgänger übernommen – mit ihm werden auch andere Mitglieder der Geschäftsführung gefahren. Privatfahrten gibt es nur auf Fahrtenbuch – monatliche Leasing-Kosten: 508,16 € plus MwSt.
.) Bewirtungsabrechnungen
Schlesinger rechnete einige Abendessen ab, die sie angeblich aus dienstlichen Gründen in ihrer Privatwohnung in Berlin abgehalten haben soll. Abgerechnet wurden mehrfach Abendessen mit 3 bis 11 Personen zu einem Kostenbeitrag von 69,20 € pro Person. Hier besteht der Vorwurf, dass diese teils erheblich frisiert wurden bzw. für private Festivitäten missbraucht wurden.
Schlesinger selbst versprach noch in Amt und Würden eine lückenlose Aufklärung. Doch war die Reue offenbar nicht so gross, als sie der Sondersitzung im brandenburgischen Parlament hätte selbst beiwohnen wollen. Immer mehr Details kamen schliesslich ans Tageslicht, die sie zu ihrem Rücktritt bewogen. So wurde offenbar auch die Chefetage des RBB im 13. Stock umgebaut und neu möbliert. Rechnungssumme: 650.000 €! Alleine der hochwertige Öko-Parkettboden soll 17.000 € verschlungen haben, die Designer-Möbel den Klacks von 60.000 €.
Nach Angaben der Tageszeitung „Die Welt“ (Axel Springer SE) bezeichnet der RBB-Personalrat und die Redaktion die Arbeitsatmosphäre als „Klima der Angst“.
Auch die Kollegen des ZDF recherchierten inzwischen über diesen Fall für das TV-Investigativ-Magazin „Frontal 21“ – in der Vergangenheit nach ungeschriebenem Gesetz durchaus unüblich.
Selbstverständlich gilt für alle hier namentlich Erwähnten bis zum Ende der Untersuchungen die Unschuldsvermutung. Der Verwaltungsrats-vorsitzende Wolf hat zwischenzeitlich ebenfalls seinen Rücktritt erklärt. Er soll Spörl nach Angaben von Business Insider übrigens zudem einen mit 72.000 € dotierten Vertrag für Mediencoaching des Chefs der Messe Berlin zugeschanzt haben. Die Leiterin der Intendanz, Verena F.-M. wurde mit sofortiger Wirkung freigestellt.
„Jetzt ist es notwendig, dass der RBB unverzüglich mit absoluter Transparenz die Sachverhalte aufklärt!“
(Daniel Keller, Vorsitzender des Hauptausschusses im Brandenburger Landtag)
Die Berliner Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen eingestellt, der hierfür erforderliche Anfangsverdacht wurde verneint. Inzwischen jedoch antwortete die Berliner Generalstaatsanwaltschaft auf Anfrage am vergangenen Donnerstag, dass sie Ermittlungen wegen des Anfangsver-dachtes der Untreue und Vorteilsnahme aufgenommen hat. Die Prüfungen durch eine externe Kanzlei werden bis Oktober andauern. Sollten diese Anschuldigungen jedoch der Wahrheit entsprechen, wird dies wohl weitreichende Folgen für den gesamten öffentlich-rechtlichen Bereich haben. So wurde erst vor einigen Jahren die GEZ zur zwangshaften Haus-haltsabgabe umgewandelt, die zu erheblichen Mehreinnahmen führte. Dennoch kommen viele der Landesfunkhäuser nicht mit dem Geld zurecht – jetzt erschein es klar, weshalb. Erst am 20. Juni 2021 beschloss der Bundesverfassungsgerichtshof die Beitragsanpassung von bislang 17,50 € pro Haushalt auf 18,36 €. Ausschlaggebend war eine Verfassungs-beschwerde von ARD, ZDF und Deutschlandradio gegen die Landes-regierung von Sachsen-Anhalt, die eine Landtagsabstimmung zum 1. Medienänderungsstaatsvertrag und damit einer Anpassung der Rund-funkgebühren abgesagt hatte. Am 01. August wurde der Beitrag erhöht – im Jahr 2021 flossen 8,42 Milliarden Euro Gebühren in die Kassen der Öffentlich-Rechtlichen. Doch – immer mehr sprechen sich inzwischen gegen die Zwangsgebühren aus.
Auch in den Nachbarstaaten durchaus umstritten. In Frankreich entschied sich nach der Nationalversammlung auch der Senat gegen die Rundfunk-gebühren (138,- € pro Jahr und Haushalt) – der öffentlich-rechtliche Bereich wird künftig aus dem Staatshaushalt finanziert.
In der Schweiz sprachen sich zwar 71,6 % in einer Volksabstimmung am 04. März 2018 gegen die Abschaffung der Rundfunk- und Fernsehge-bühren (BILLAG) aus, dort kommen die Gebühren jedoch auch regionalen Fernsehstationen, Lokalradios und nicht-gewinnorientierten Radioan-stalten zugute.
In Österreich findet im September erneut ein Volksbegehren für die Abschaffung der GIS statt. Das letzte im Jahr 2018 erzielte 320.000 Unterschriften, wurde jedoch ausgerechnet unter einer Regierung abgewiesen, der die FPÖ angehörte, die selbst schon mehrfach gegen die GIS-Zwangsabgaben eintrat. Inzwischen wurden die Rundfunkgebühren erhöht. Nach der Entscheidung der Bundesverfassungsrichter soll auch dieses System reformiert werden – entweder nach dem Vorbild der deutschen Haushaltsabgabe oder jenem der Finanzierung aus dem Staatshaushalt, wie in Frankreich.
In Dänemark machte die „medielicens“ 1.353,- Kronen (rund 182,- €) jährlich pro Haushalt aus. Sie wurde stufenweise bis zum 31.12.2021 abgeschafft und wird nun durch eine Reduktion des steuerlichen Personenfreibetrages finanziert.
Abschliessend nun noch eine kleine Auflistung der Gehälter der Inten-danten. Ob solche Zuwendungen angesichts der derzeitigen wirtschaft-lichen Entwicklungen in Deutschland und Österreich moralisch noch vertretbar sind, überlasse ich Ihren Überlegungen.
Deutschland (2022 – Angaben Tarifstruktur ZDF/interner Gehaltsreport ARD, veröffentlicht durch „Die Welt“)
.) WDR – Tom Buhrow 413.000,- € (2017 – 399.000,-)
.) ZDF – Norbert Himmler 372.000,- € (Vorgänger Thomas Bellut 2019 – 369.000,-)
.) SWR – Kai Gniffke 361.000,- € (Vorgänger Peter Boudgoust – 338.000,-)
.) NDR – Joachim Knuth 346.000,- € (Vorgänger Lutz Marmor 365.000,-)
.) BR – Katja Wildermuth 340.000,- € (Vorgänger Ulrich Wilhelm – 403.000,-)
.) RBB – Patricia Schlesinger 303.000,- € + Bonus (2017 – 257.000,-)
.) MDR – Karola Wille 295.000,- € (2017 – 275.000,-)
.) Radio Bremen – Yvette Gerner 281.000,- € (Voränger Jan Metzger – 257.000,-)
.) HR – Florian Hager 255.000,- € (Vorgänger Manfred Krupp 305.000,- )
.) SR – Martin Grasmück 245.000,- € (Vorgänger Thomas Kleist – 257.000,-)
Diese Gehälter werden von den Aufsichtsgremien der Rundfunkanstalten beschlossen.
Österreich (Angaben Gehaltsbericht bzw. „Der Standard“)
Hier recherchierte ich bereits mehrfach sehr intensiv nach dem Gehalt des Generalintendanten – jedoch leider erfolglos. Und dies, obgleich die Gehälter transparent sein müssten. Nach Angaben des „Der Standard“ könnten es 420.000,- € für Alexander Wrabetz im Jahr 2020 gewesen ein (inkl. Sach- und Sozialleistungen). Die weiteren Geschäftsführer nach dem Gehaltsbericht des Bundes:
.) ORF Direktoren im Schnitt 248.000,- €
4 Frauen zu je im Schnitt 255.800,- / 10 Männer zu je im Schnitt 244.900,- €
.) 2 GIS-Direktoren zu jeweils im Schnitt 223.700,- €
.) ORF-Vermarktungstochter Enterprise (Werbung)
1 Geschäftsführer zu 332.200,- € / 1 Geschäftsführerin zu 212.300,-
Schweiz (2020 – Angaben: Geschäftsbericht)
.) SRG-Direktor Gilles Marchand 533.000,- CHF (inkl. Bonus von 101.000,- CHF)
.) SRF-Direktorin Nathalie Wappler 450.000,- CHF
.) 7 weitere Mitglieder der Geschäftsleitung jeweils 390.000 CHF (inkl. Bonus über je 73.400,- CHF)
Links:
.) www.rbb-online.de
.) www.daserste.de
.) www.zdf.de
.) www.orf.at
.) www.srgssr.ch
.) www.businessinsider.de
.) www.tagesspiegel.de
.) www.welt.de
.) www.derstandard.at
.) www.landtag.brandenburg.de
Das leise Sterben des Buchs
Posted on 08/05/22 by UlstoEs ist jedes Wochenende dasselbe: Nach einem Samstag im Garten bin ich am Sonntag wie gerädert – Kopfschmerzen, tränende Augen, rinnende Nase, starker Husten und heftiges Niessen. Lange Zeit wusste ich nicht, weshalb ich derartige Symptome aufwies, muss aber erwähnen, dass ich seit einigen Jahren unter Pollenallergie, also Heuschnupfen leide. Doch sind diese allergischen Reaktionen meist nicht derart stark ausgeprägt.
Vor kurzem nun ging ich der Sache auf den Grund: Buchsbäume, mit diesen auch der Buchsbaumzünsler und dessen Härchen! Der Buchsbaum ist eine der beliebtesten Pflanzen der heimischen Gärten. Er galt als pflegeleicht und robust sowie einfach zu schneiden. Ich selbst habe Koniferen rund um mein Grundstück gesetzt – viele meiner Nachbarn aber erfreuen sich solcher Buchsbäume! Der Buchsbaumzünsler (Cydalima perspectalis) ist ein Schädling, der dem Menschen gleich zweifach schaden kann. Einerseits durch das Vernichten der mit viel Liebe und Ausdauer aufgezogenen Buchsbäume, andererseits durch die Netze und Haare der Raupen. Doch – eines nach dem anderen!
Der Falter legt seine bis zu 150 Eier zumeist an der unteren Blätterseite des Gewöhnlichen (Buxus sempervirens) und des Kleinblättrigen Buchs-baumes (Buxus microhylla) ab. Die daraus schlüpfenden Raupen fressen zuerst die Blätter, dann auch die Rinde des Astes. Jener Teil oberhalb der Frassstelle stirbt ab. Der Baum wird mit der Zeit beige-gelblich, trägt kaum noch Blätter und ist meist komplett von den Raupen eingesponnen. Die Raupen selbst sind gelblich- bis dunkelgrün und schwarz gepunktet, besitzen weisse Borsten und eine schwarze Kopfkapsel. Sie können bis zu 5 cm lang werden. Ursprünglich stammt das Insekt aus Ostasien – höchstwahrscheinlich wurde es über ein Containerschiff nach Deutschland eingeschleppt (die ersten Befallsherde waren 2004 rund um Rhein-Binnenhäfen zu bemerken) und verbreitet sich seither rasend schnell auf dem europäischen Kontinent – seit 2007 auch in der Schweiz und 2009 in Österreich. Experten gehen davon aus, dass alle zwei Monate eine neue Generation entsteht – so können pro Jahr vier Generationen heran-wachsen.
Der Zünsler selbst ist ein weisser Falter mit schwarzem Muster. Seine Flügelspannweite beträgt zwischen 40 bis 45 mm. Die meiste Zeit seines nur 8-tägigen Lebens verbringt er unter den Blättern, nicht unbedingt ausschliesslich des Buchsbaumes. Die Weibchen legen ihre Eier nur in noch nicht befallene Bäume. Die letzte Generation im Jahr überwintert in Kokons aus verklebten und verformten Blättern eingesponnen im Geäst des Buchsbaumes. Steigt das Thermometer dann wieder konstant auf über 7 Grad Celsius beginnen die Larvenstadien. Innerhalb von zehn Wochen werden so bis zu sieben Larvenstadien durchlaufen. Bei Temperaturen von 20 Grad und mehr kann dies auf nur drei Wochen reduziert werden. Anschliessend verpuppen sich die Vielfrasse in Kokons und schlüpfen nach einer Woche als Falter.
Zu Beginn eines Befalles sind die Schäden meist gering und nur bei genauer Betrachtung zu sehen. Er beginnt an den inneren Ästen des Baumes. Erst wenn die Raupen den Aussenbereich der Pflanze erreichen, wird der Befall erkennbar. Dann aber ist der Schaden bereits enorm. Die Pflanze muss nicht zwangsläufig durch den Befall absterben, allerdings sollten auf jeden Fall mehrere dieser Befälle verhindert werden. Befallene Einzelpflanzen sollten am besten entfernt und verbrannt werden.
Das Paradies für derartige Zünsler war auch der grösste Buchs-Wald im Wildwuchs nördlich der Alpen bei Grenzach-Wyhlen in den Jahren 2017 und 2018: 150 Hektar sind „so gut wie tot“ – 100 Hektar davon stehen seit 1939 unter Naturschutz! Zudem wütete auch seit geraumer Zeit ein Pilz (siehe weiter unten), dass es so manchem Förster die Tränen in die Augen treibt! Die grössten Teile der Buchswaldes wurden entlaubt, zudem wurde den einzigen natürlichen Feinden der Raupen, den Haussperlingen und Buntspechten mehr Lebensraum eingeräumt. Weitere Buchswälder finden sich zwischen Karden und Müden an der Mosel sowie im Kehr-bachtal bei Löf, in den Wäldern des Jurasüdhangs in der Schweiz (namensgebend für Buix), der Provence, der Macchia Istriens, Südengland (South Downs) oder im Riesengebirge.
Das sog. „Gespinst“, also die Spinnweben, sind viel dichter als jene der Spinnen verwebt. Dieses und v.a. die feinen Härchen der Raupen sind der wahre Horror für manchen Allergiker, da das Immunsystem auf 100 % hochfährt!
Aufgrund seiner rasend schnellen Ausbreitung und der fehlenden Lang-zeituntersuchungen ist es sehr schwer, etwas gegen die vielfressenden Raupen zu unternehmen. Es beginnt bereits beim Kauf der Pflanze. Vermeiden Sie den Ankauf von Billigpflanzen aus dem Baumarkt. Sie sind meist aus Fernost importiert und somit die Überträger des Schädlings. Jede einzelne sollte auf einen möglichen Befall hin untersucht werden. Ist es dann trotzdem geschehen, so sollen die unterschiedlichsten Mittelchen helfen.
.) Bacillus thuringiensis
Dieses Bakterium spielt eine wichtige Rolle in der biologischen Schädlingsbekämpfung, aber auch dem Kampf gegen Stechmücken. 1901 erstmals durch den Japaner Ishiwatari Shigetane beschrieben (er fand das Bakterium in Seidenraupen), lebt es vornehmlich an den Wurzeln der Pflanzen. Es produziert über 200 der sog. „Bt-Toxine“, kristalline Proteine („Cry-Proteine“), die auf Käfer, Schmetterlinge, Haut- und Zweitflügler sowie Nematoden tödlich wirken, bei Wirbeltieren wie Mensch und Tier jedoch wirkungslos und komplett biologisch abbaubar sind. Die kristallinen Endotoxine zerstören die Darmwand und setzen Stoffwechsel-gifte frei. Die Larve verendet nach wenigen Tagen. Für Bienen unschädlich – wird sogar von Imkern gegen die Wachsmotte eingesetzt!
.) Buchsbaum-Zünsler-Falle
Sie funktioniert in etwa wie die Mottenfalle: Durch Pheromone (Duftstoffe) werden die Männchen angelockt und bleiben auf dem Leim am Boden der Falle kleben. Einerseits kann so festgestellt werden, ob der Zünsler auch in Ihrem Garten aktiv ist, andererseits bleiben dadurch viele der Weibchen unbefruchtet! Hilft allerdings nicht gegen einen grossflächigen Befall. Dient vornehmlich dem Monitoring!
.) Azadirachtin
Diese 1968 erstmals gewonnene chemische Verbindung findet sich im sog. „Neem-Baum“, der ursprünglich aus Indien und Pakistan stammt, inzwischen aber in allen tropischen und subtropischen Regionen wächst. Synthetisch wurde es erstmals 2007 hergestellt. Es gehört zu den Limonoiden – hemmt also die Larvenentwicklung sehr vieler Insekten (Ecdyson-artige Wirkung). Für Säugetiere soll es relativ ungefährlich sein. Die Halbwertszeit liegt bei 13 bis 94 Stunden – je nach UV-Einwirkung. Beobachtet wurden nur In Flugkäfigen bei Kleinstvölkern der Honigbiene (etwa zur Königinnenzucht) Auswirkungen bei der Brut.
.) Pyrethrine
Der Extrakt „Pyrethrum“ wird aus verschiedenen Chrysanthemen-Sorten isoliert und in den Bereichen Pflanzenschutz, Schädlingsbekämpfung, aber auch der Medizin angewendet. Eingesetzt erstmals durch die US-Marine im Jahr 1917 im Kampf gegen Fliegen und Stechmücken, erfolgt heutzutage die Herstellung grossteils auf synthetischer Basis. Während das natürliche nur über wenige Tage Wirkung zeigt, behält das synthetische diese über ca. sechs Wochen. Als Kontaktgift finden Pyrethrine Verwendung gegen Blatt-, Woll- und Schmierläuse, der Weissen Fliege, Spinnmilben, Zikaden und Käfer-Larven. Die Wirkung tritt innerhalb weniger Minuten ein („Knock-Down-Effekt“). Inzwischen gelingt es aber vielen Schädlingen, die Wirkstoffe abzubauen. Deshalb wird er häufig auch mit dem Synergisten Piperonylbutoxid vermischt. Allerdings kann der Wirkstoff auch auf Wirbeltiere einwirken. So beläuft sich etwa die letale Dosis bei Nagern auf 130 bis über 600 mg/kg. Der Wirkstoff ist für Bienen giftig, weshalb von dessen Gebrauch abgeraten wird.
.) Thiacloprid
Dieses Insektizid gehört zur Klasse der Neonikotinoiden und wird vornehmlich gegen Blattläuse, Mottenschildläusen, Blattflöhen, Apfel-wicklern und Rüsselkäfer eingesetzt. Es kann allerdings auch für Warm-blütler wie dem Menschen gefährlich werden (Atemprobleme), allerdings muss die Dosis sehr hoch sein. Das Gift wirkt als Kontakt- und Frassgift. Es dringt in die Pflanze ein und gelangt somit auch über die Kartoffel oder die Tomate in die Nahrungskette des Menschen. 2013 hat die EU-Kommission viele Pestizide, die diesen Wirkstoff enthalten, auf eine Liste zur Wiederbewertung gesetzt, das deutsche Bundesamt für Verbraucher-schutz und Lebensmittelsicherheit hat daraufhin die entsprechenden Produkte vom Markt genommen. Gift für die Bienen, wird auch die Fortpflanzung des Menschen möglicherweise beeinflusst (reproduktions-toxisch).
.) Acetamiprid
Auch diese heterocyclische, aromatische Verbindung zählt zur Gruppe der Neonikotinoide. Eingesetzt wird der Wirkstoff gegen Schild-, Motten-schild- und Schmierläuse, der Weissen und der Kirschfruchtfliege sowie der Trauermücke. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit schliesst eine Beeinflussung des sich entwickelnden Nervensystems beim Menschen nicht aus. Deshalb gibt es in der EU Tagesdosen, in der Schweiz einen Toleranzwert. Wie alle Neonikotinoide gefährlich für Bienen.
Bei all diesen Mitteln hingegen – Insbesondere bei Thiacloprid – sollte an die Nützlinge, wie die Bienen gedacht werden. Wenn auch das Mittel selbst nicht unbedingt direkt tödlich ist, so kann die Biene dadurch die Orientierung verlieren, nicht mehr zum Stock zurückfinden und dadurch zugrunde gehen. Auch im Hinblick auf die Vögel sollte mit biologischer Voraussicht gearbeitet werden. So liebt beispielsweise der Buntspecht die Zünsler-Raupen – zumindest für einen Moment. Sind diese vergiftet, so wird auch der Vogel und im Speziellen seine Brut daran zugrunde gehen. Deshalb sollte vor dem Einsatz der Chemiekeule unbedingt von alternativen Methoden Gebrauch gemacht werden:
.) Giessen mit Brennesseljauche
.) Besprühen mit einer Chiliöl-Spülmittel-Wasserlösung
.) Bestäuben mit Kaffeesatz
.) Abspritzen mit dem Hochdruckstrahler (kann aber auch der Pflanze nicht gut tun)
.) Ablesen der Raupen und Kokons (im Hausmüll entsorgen)
.) Buntspechte, Haussperlinge (sie erbrechen allerdings die Raupen wieder, da Buchs giftig ist)
.) Blindschleichen
Auch das in Österreich käufliche „Pro Loh“ soll recht gut wirken. Es besteht aus Wasser, Mineralien und pflanzlichen Gerbstoffen, erhöht die Widerstandsfähigkeit der Pflanze und schützt zudem vor Pilzbefall. Der Zünsler mag den Geschmack der Gerbstoffe nicht.
Experten, wie etwa jene des Verbandes der Gartenbaumschulen NRW raten inzwischen gar davon ab, abgestorbene Bäume durch neue zu ersetzen, da diese ebenfalls innert kürzester Zeit befallen sein werden. Zur Plage der Buchsbaumzünsler kommt nämlich noch der Pilz Cylindrocladium buxicola hinzu. Auch er führt zum Triebsterben. Erkennbar ist der Pilz an schwarzen Streifen auf den Trieben. Bei dieser Erkrankung muss die komplette Pflanze und ein Teil des Erdreichs in den Hausmüll gegeben oder verbrannt werden. Beide dieser Unsitten der Natur lassen so manchen Hobby- aber auch Profi-Gärtner an seinem Können zweifeln. Die wärmeren Winter und feuchtkühlen Wetterperioden begünstigen den Befall. Denken Sie vielleicht über Alternativen nach – wie etwa die Japanische Hülse (Ilex crenata) mit ihren Untersorten „Dark Green“ oder „Caroline Upright“ oder der Tatra-Seidelbast, dem Rhodo-dendron bzw. der Polsterberberitze! Auch der kleinwüchsige Lebensbaum oder die Steineibe finden immer mehr Fans unter den Gärtnern.
Übrigens gilt grundsätzlich:
– Je grösser die Artenvielfalt in einem Garten ist, desto weniger kann ein einzelner Schädling anrichten!!!
– Erkundigen Sie sich beim Kauf eines Insektizids immer auch, ob Nütz-linge wie Bienen, Hummeln etc. ebenfalls davon betroffen sind!
– Insektizide dürfen nicht vorbeugend gespritzt werden!
– Achten Sie darauf, dass das biologisch abbaubare Insektizid mittels Drucksprüher auch bis tief in’s Innere des Buchsbaumes gelangt!
Lesetipps:
.) Pflanzenschutz im Bio-Garten; M.-L. Kreutler; BLV 1990
Links:
www.buchsbaumzuensler.net
www.lepiforum.de/
www.bund-rvso.de
www.landwirtschaftskammer.de
www.fva-bw.de
www.proplanta.de
echa.europa.eu/de/
www.bund.net
www.bienenjournal.de
www.imkerei-technik.de
www.bvl.bund.de
www.ltz-bw.de
www.nuetzlinge.de
www.naturimgarten.at
www.aha.ch
oekologischerlandbau.jki.bund.de
Können Sie es sich leisten?
Posted on 07/29/22 by Ulsto„Man ist in diesem reichen Deutschland nicht erst dann arm, wenn man unter Brücken schlafen oder Pfandflaschen sammeln muss. Armut beginnt nicht erst dann, wenn Menschen verelenden.“
(Ulrich Schneider, Geschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohl-fahrtsverbandes)
Die Ferien- und Urlaubszeit ist nahezu allerorts angebrochen – viele Kinderlose haben bereits die Vorsaison-Angebote genutzt – nach coronabedingter Streichung der beiden vorhergehenden Sommerurlaube. Wie sieht’s bei Ihnen aus? Wohin verschlägt Sie der Wind? Manche Destinationen fallen auch heuer aus Sicherheitsgründen weg, viele andere sind schlichtweg zu teuer! Die Geiz-Touris zieht es derzeit massenweise nach Mallorca oder in die Türkei – sie war noch nie derart billig wie heuer (bis zu -55 %). Doch auch hier muss erwähnt werden: Sowohl das deutsche als auch das österreichische Außenministerium haben eine partielle Reisewarnung ausgesprochen – sie gilt vornehmlich für die Grenzregionen zu Syrien und dem Irak. Dennoch kann beispielsweise österreichischen Staatsbürgern, die auch über einen türkischen Pass verfügen, kein konsularischer Schutz zukommen. Das deutsche Aus-wärtige Amt warnt zudem, vor möglichen Festnahmen und Einreise-verweigerungen. Der Ausnahmezustand – er wurde 2016 nach dem miss-glückten Putschversuch ausgerufen – ist zwar 2018 beendet worden, doch wurden die unterschiedlichsten Anti-Terror-Regularien erst im vergan-genen Jahr verlängert. Der stellvertretende Fraktionsführer der grössten Oppositionspartei CHP, Özgür Özel, spricht in diesem Zusammenhang von einem „Defacto-Ausnahmezustand“. Wer also entsprechende Warnungen missachtet, ist selbst schuld. Gleiches gilt für Ägypten und selbstverständlich Russland (Teilreisewarnung), den Phillipinen (partielle Reisewarnung für einige Inseln und Segeltörns) – ja sogar für Japan (nach wie vor für das Gebiet rund um Fukushima). Hinzu kommen natürlich auch alle Gebiete, in welchen aufgrund der Trockenheit Wald- und Flächenbrände ausgebrochen sind. Sicherheitshinweise gibt es zudem für beispielsweise Argentinien, der Dominikanischen Republik und Costa Rica (Kriminalität), Australien und den USA (Pandermie). Auch für die Ukraine besteht verständlicherweise eine Reisewarnung – ist aber auch vor dem russischen Einmarsch nicht wirklich eine typische Urlaubsdestination gewesen. Nicht so ganz einfach in diesem Jahr.
Hinzu kommt allerdings alsdann, dass sich offenbar immer weniger einen Urlaub überhaupt leisten können. So war es zumindest im Jahr 2021 – sowohl Deutschland als auch Österreich haben ja inzwischen neue Regierungen bzw. Regierungsmannschaften, wodurch sich das selbst-verständlich zum Guten geändert hat! Wirklich???
Auch ich hatte mal einen dieser Jobs, den niemand anderer haben wollte. Mit dem Netto-Gehalt konnte ich nicht mal meine laufenden Zahlungen begleichen – also hätte ich auch am Samstag ganztags arbeiten müssen. Acht Tage Einschulung – es folgten zwei 13-h-Arbeitstage mit jeweils nur EINER kurzen Rauchpause und meine Aufgabe mittels Kündigung am dritten Tage. Meine Arbeit wurde auf 1 + 3 Mitarbeiter aufgeteilt! Urlaub? Das 13. und 14. Monatsgehalt hätte ich wohl zum Ausgleichen des Kontostandes benötigt! Urlaub auf Balkonien – mehr wäre da nicht drin gewesen.
Doch heuer – ja heuer wird es nochmals anders werden.
„Das Inflationsmonster wird die Schere zwischen Reisenden und Bleibenden weiter verstärken!“
(Dietmar Bartsch, Fraktionschef der Linkspartei)
Nach seiner Abfrage bei der Europäischen Statistikbehörde Eurostat (gilt also auch für Österreich) haben 22,4 % der Bevölkerung kein Geld, sich zumindest einmal im Jahr eine Woche Urlaub leisten zu können. Vor allem kritisch ist die Lage demnach bei Alleinerziehenden – hier beträgt die Quote gar 42,2 %. Doch auch bei Paaren mit Kindern ist nicht alles eitel Urlaubs-Sonnenschein: Mit einem Kind sind es 18,1 %, bei drei Kindern gar 29,4 %. Bei kinderlosen älteren Paaren liegt die Zahl bei 15,9 %. Im Vergleich dazu die Zahlen von Alleinstehenden: Frauen 31,7 %, Männer 30,3 %. Die Daten beruhen auf der EU-SILC-Befragung aus dem Jahr 2020.
Die Tafeln in Deutschland und Österreich sowie die meisten anderen Sozialeinrichtungen arbeiten am Anschlag. In Deutschland nutzen derzeit rund 2 Mio Menschen das Angebot der Tafeln. Viele Experten befürchten ebenso wie Bartsch, dass sich dies noch verschärfen wird: Durch die Inflation, die hohen Preise für Grundbedürfnisse – spätestens jedoch mit dem Start der Heizperiode. Der Linkspolitiker fordert deshalb beispiels-weise eine Kindergrundsicherung.
Ein genauerer Blick bei Eurostat legt die bittere Wahrheit auf den Tisch – etwa in dem Bereich „Von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohte Bevölkerung“. Während im vergangenen Jahr bei vielen EU-Mitglieds-staaten die Zahlen erfreulicherweise gefallen sind, nahmen sie in vier Staaten im Vergleich zum Jahr 2020 zu:
.) Deutschland 20,7 % (20,4 % im Jahr davor)
.) Österreich 17,3 % (16,7 %)
.) Dänemark 17,3 % (16,8 %)
.) Italien 25,2 % (24,9 %)
Auf den ersten Blick vielleicht nicht wirklich besorgniserregend. Kritischer wird’s jedoch, wenn dies mit den Einwohnerzahlen quergerechnet wird: So sind 0,3 % in Deutschland gleich mal knapp 250.000 – nahezu die Ein-wohnerzahl von Wiesbaden, in Österreich 26.800 – eine Stadt grösser als Baden bei Wien.
Diese Menschen haben grösste Not damit, ihre Miete überweisen zu können, im Winter die Wohnung zu beheizen bzw. Ihren Kindern die Schulsachen zu kaufen. Wie zum Beispiel jene Mutter, die drei Rech-nungen für Schullandwochen und Ferienbetreuung zugleich erhielt. Gesamtforderung: 800,- €! Da bleibt dann nicht mehr wirklich viel für „die schönste Zeit des Jahres“ über. Dieses „zwar gerne wollen aber nicht können“ ist ganz eindeutig ein Zeichen von Armut, von der v.a. die Kinder betroffen sind. Nicht etwa, da sie zu Schulbeginn im Herbst nichts zu erzählen haben. Viele Sozialexperten fordern deshalb einen Mindestlohn von 12 Euro (im Oktober 2022 zumindest für Deutschland der Fall, in Österreich gibt es nach wie vor keinen gesetzlichen Mindestlohn) und das Aus für die Niedriglohnbeschäftigungsformen, wie etwa der Leiharbeit. In diesen Jobs werden Experten in ihrem erlernten Brotberuf durch eine Leiharbeitsfirma an Unternehmen ausgeliehen. Dort versehen sie dieselbe Arbeit wie ihre fixangestellten Kollegen – allerdings nicht nach dem Tarif für ihren Lehr-Beruf sondern dem der Leiharbeit.
Neben der Leiharbeit ist auch die Teilzeitarbeit ein grosses Problem. Viele Unternehmen greifen auf diese Möglichkeit zurück, da sie sich dadurch Lohnnebenkosten einsparen können. McDonalds Deutschland etwa beschäftigt nach eigenen Angaben auf der Unternehmensseite rund 55.000 Mitarbeiter. Nur 35 % davon sind vollzeitbeschäftigt – 40 % teilzeit-, 12 % geringfügig und 13 % kurzfristig beschäftigt.
Viele Arbeitsverträge sind absichtlich knapp über Tarif vereinbart. Damit obliegt es jedem Einzelnen, jährlich das so angenehme Gehaltsgespräch mit dem Chef zu absolvieren. Durch die kalte Progression und die ständige Steigerung der Lebenshaltungskosten schaut dann so manch fleissiger Arbeitnehmer trotz Lohnerhöhung durch die Finger.
Diese Befragung betreffs der Selbsteinschätzung zu „materiellen Entbeh-rungen“ wird regelmässig durchgeführt. International gesehen bessert sich die Situation geringfügig. Armut während des Berufslebens bedeutet noch weitaus grössere Armut im Alter, da nichts zurückgelegt werden kann. Von der Altersarmut sind rund 16 % der Rentner in Deutschland betroffen – das entspricht zirka 3 Mio (von den Ü80 gar 22,4 %) – 579.095 bezogen im September 2021 eine Grundsicherung. Nach Schätzungen beantragen rund 60 % diese Grundsicherung jedoch gar nicht, obgleich sie bezugsberechtigt wären. In Österreich waren nach Angaben von Statistik Austria im Jahr 2021 232.000 Menschen über 65 Jahren von Armut oder Ausgrenzung betroffen (insgesamt 1,519 Mio)
Gemeint bei all diesen Überlegungen sind nicht etwa jene, die jedes Jahr ein neues Handy brauchen, einmal die Woche shoppen gehen, immer wieder Konzerte besuchen oder sich mindestens zweimal die Woche das Feierabendbier in der Stammkneipe schmecken lassen! Nein, gemeint sind vielmehr jene Menschen, die selbst nach der akribischsten Rotstiftaktion kein Einsparpotential mehr orten können. Ein zweiter Job? Das ist ein Rechenexempel. Schliesslich genügt bei vielen bereits eine geringfügige Beschäftigung um dadurch in eine andere Steuerklasse zu kommen. Schlussendlich werden nämlich beide Einkommen in einen Topf geworfen und die Lohnsteuer anhand dieses Beitrages berechnet (minus der bereits abgezogenen). So bleibt oftmals vom Zweiteinkommen nicht viel übrig – dann arbeitet man sozusagen nurmehr für Vater Staat und die Sozial-versicherungen.
Wenn der Urlaub mal ausfällt, weil eine Wohnung gekauft oder ein Haus gebaut wurde? Ein neues Auto? Diese Überlegung sollte man sich auf jeden Fall davor stellen! Während des Studiums beispielsweise arbeitete ich in den Sommerferien und nebenbei. Dafür konnte ich mir ein Motorrad und eine starke HiFi-Anlage leisten. Ein Studienkollege zog es vor, zwei bis drei Wochen lang Amerika zu erforschen. Somit sind also auch solche Umfragen mit etwas Vorsicht zu geniessen: Ist es den Eltern bewusst, dass sich nach einer Woche Bibione die Schulsachen ihrer Kinder nicht mehr ausgehen, sollte das Problem anders angegangen werden. Es ist also eine Frage der Prioritäten, die bei derartigen Umfragen nicht berück-sichtigt werden.
Die Ergebnisse der EU-SILC-Befragung fliessen auch in den jährlichen Armutsbericht der Armutskonferenz in Österreich bzw. jenem des Paritätischen Gesamtverbandes in Deutschland ein. Erschreckende Zahlen wurden dabei im April in Deutschland vorgelegt: Im zweiten Pandemiejahr 2021 erreichte die Armut zwischen Flensburg und Berchtesgaden mit 16,6 % ihren bisherigen Höhepunkt. 13,8 Mio Bundesbürger werden somit als arm bezeichnet, das sind um 600.000 mehr als vor der Pandemie. Besonders auffallend ist lt. Bericht der Anstieg bei den Selbständigen (von 9 auf 13,1 %). Aber auch die Höchststände von 17,9 % bei den Rentnern und 20,8 % bei den Kindern und Jugendlichen sind alarmierend. Geographisch am meisten davon betroffen ist der grösste Ballungsraum Deutschlands – das Ruhrgebiet! Hier lebt jeder Fünfte in Armut. Durch die gestiegenen Lebenshaltungskosten und die Inflation wird sich die Lage noch wesentlich verschlimmern, fürchtet der Paritätische Wohlfahrts-verband.
„Pandemie und Inflation treffen eben nicht alle gleich. Wir haben keinerlei Verständnis dafür, wenn die Bundesregierung wie mit der Gießkanne übers Land zieht, Unterstützung dort leistet, wo sie über-haupt nicht gebraucht wird und Hilfe dort nur völlig unzulänglich gestaltet, wo sie dringend erforderlich wäre!“
(Dr. Ulrich Schneider, Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbandes)
In Österreich sind die Zahlen für das Jahr 2021 ebenfalls erdrückend. Gottlob zumindest in einem Bereich leicht rückläufig: 2,4 % der Bevölkerung (208.000 Menschen) sind „erheblich materiell depriviert“. Hierunter versteht man im Alpenland, dass sie sich wesentliche Güter bzw. Lebensbereiche (Heizung, Waschmaschine, Handy, …) oder uner-wartete Ausgaben von bis zu 1.160,- € nicht leisten können. Im Jahr 2020 waren es noch 0,3 % mehr. Weitere 14,7 % (1,292 Mio Menschen) sind von der Armut gefährdet – ein Anstieg um 0,8 % im Vergleich zu 2020. Als armutsgefährdet gilt zwischen Neusiedler und Bodensee eine Person, die mit weniger als 1.371,- € im Monat das Auslangen finden muss (2 erwachsene Personen 2.057,- €,1 Erwachsener mit einem Kind 1.783,- €). Hiervon besonders betroffen sind Kinder, Frauen in der Pension, Langzeitarbeitslose und Menschen ohne Staatsbürgerschaft.
Als arm gilt europaweit jemand, der über weniger als 60 % des durch-schnittlichen Einkommens verfügt („Medianeinkommen“). Als Single bedeutet dies umgelegt ein Netto-Einkommen von bis zu 917 Euro, bei Alleinerziehenden mit einem Kind unter sechs Jahren 1.192 bzw. bei einer vierköpfigen Familie je nach Alter der Kinder 1.978 bzw. 2.355 Euro. Der Beginn dieser Todesspirale ist meist die Trennung vom Lebenspartner, Krankheit oder auch der Verlust des Arbeitsplatzes. Vermögenswerte wie Auto, Wohnung, Haus etc. müssen verkauft werden bis schliesslich nichts mehr übrig ist. Trotzdem noch kein Arbeitsplatz in Sicht, denn: Je älter und länger man arbeitslos ist, desto weniger gern erfolgt eine Einstellung bei den Unternehmen. Worst Case: Ein 61-jähriger Arbeiter, dessen Firma dicht macht. Er verfügt möglicherweise über ein bereits abbezahltes Haus, über Erspartes und eine Altersvorsorge. Auch wenn er durchaus weiterarbeiten möchte und hier einige Abstriche im Vergleich zur Quali-fikation machen würde. Schliesslich landet er bei der Mindestsicherung oder in Deutschland bei Hartz IV. Und dabei schliesst sich der Kreis mit dem Urlaub wieder: Zu den Fragen der sog. „Erheblichen materiellen Deprivation“ in der europaweit einheitlich durchgeführten SILC-Umfrage zählt auch eine Woche Urlaub – einmal im Jahr!
Klar, werden nun einige sagen: Es muss ja nicht unbedingt die Domi-nikanische Republik oder Indonesien sein. Deshalb hier einige Tipps:
– Preisvergleiche über Urlaubsbörsen lohnen sich
– Nebensaison ist wesentlich günstiger als Hauptsaison
– Fliegen Sie wenn möglich von kleineren Flugplätzen ab
– Starten Sie in einem Bundesland, in dem die Sommerferien vielleicht schon vorbei sind (Flüge werden billiger)
– Auto oder v.a. Bahn sind weitaus günstiger und umweltfreundlicher als Flugzeuge
– Zelt oder Wohnmobil anstelle teurer Hotels können auch etwas romantisches haben
– Wenn Hotel, dann Halbpension anstatt All inclusive
– Ökologischer Natururlaub (Aktivprogramm meist inkludiert)
– Busreisen – nicht nur für Senioren
Wenn nun vornehmlich rechtspopulistische Regierungen dieses soziale Netz noch weiter kürzen mit der Rechtfertigung, dass es genügend Arbeit gebe, die Langzeitarbeitslosen nur nicht einer Beschäftigung nachgehen wollen, so wird dadurch einzig und allein noch mehr Armut produziert. Schliesslich können mit dem Gehalt eines Tellerwäschers die zuvor aufgenommenen und für den Lebensunterhalt notwendigen Kredite nicht zurückbezahlt werden („Working Poor“). Die Folge: Privatkonkurs trotz 100 %-iger Beschäftigung. Ist das die Lösung eines Sozialstaates???
PS:
Für all jene Politiker, die derzeit populistisch auf die Arbeitslosen los-gehen: Niemand ist gerne arbeitslos. Für etwa 10 % der österreichischen Erwerbstätigen bedeutet Armut soziale Ausgrenzung (Vereinszuge-hörigkeit, Schullandwochen – ja sogar das Feierabend-Bierchen gehören zu jenen Dingen, die man sich plötzlich nicht mehr leisten kann). Bei den Arbeitslosen sind es satte 57, bei mehr als sechs Monaten ohne Job gar 79 %!!!
Lesetipps:
.) Armut; Darren McGarvey; btb Verlag 2021
.) Kein Pausenbrot, keine Kindheit, keine Chance: Wie sich Armut in Deutschland anfühlt und was sich ändern muss; Jeremias Thiel; Piper Paperback 2020
.) Armut heute: Eine Bestandsaufnahme für Deutschland; Eleonora Kohler-Gehrig; W. Kohlhammer GmbH 2019
.) Armut in einem reichen Land – Wie das Problem verharmlost und verdrängt wird; Christoph Butterwegge; Campus
.) Heart´s Fear: Hartz IV – Geschichten von Armut und Ausgrenzung; Bettina Kenter-Götte; Verlag Neuer Weg 2018
.) Armut in Deutschland: Wer ist arm? Was läuft schief? Wie können wir handeln?; Georg Cremer; C.H.Beck 2017
.) Armut: Ursachen, Formen, Auswege; Philipp Lepenies; C.H.Beck 2017
.) Zwangsgeräumt: Armut und Profit in der Stadt; Matthew Desmond; Ullstein 2018
.) Wohlstand und Armut der Nationen: Warum die einen reich und die anderen arm sind; David Landes; Pantheon Verlag 2009
Links:
– ec.europa.eu/eurostat/de/home
– www.der-paritaetische.de
– www.armutskonferenz.at
– www.sozialministerium.at
– www.boeckler.de/wsi-tarifarchiv_2275.htm
– www.statistik.at
– www.budgetberatung.at
– www.agenda-austria.at
– www.forschungsnetzwerk.at
Die krankhafte Sucht nach Gewinnen oder: Der Staat – machtlos wie noch nie!
Posted on 07/22/22 by UlstoWarnung:
Dieser Text birgt grosse Gefahren für Menschen mit Rechen-schwächen (Dyskalkulie) und Verschwörungstheoretiker!
Viele erleben in diesen Tagen den Schock ihres Lebens: Die Preise in den Supermärkten und Tankstellen machen jede noch so dicke Geldtasche innerhalb kürzester Zeit schlank und rank. Und das alles ohne Fitness-studio. Der Schwarze Peter ist rasch gefunden: Der Einmarsch Russlands in die Ukraine! Zumindest argumentieren damit die Preistreiber den von ihnen eingeschlagenen Weg. Die Süddeutsche Zeitung bezeichnete es vollkommen treffend als „Gierflation“. Es handelt sich also nicht unbedingt um einen realen, triftigen, sondern zumeist vorgeschobenen Grund.
Die Wahrheit liegt im Profitwahnsinn der Konzerne, allen voran der Energiekonzerne. Viele andere Unternehmen spüren die gestiegenen Transportkosten und geben sie weiter: Ausbaden müssen es die Konsu-menten. Deshalb soll der heutige Blog etwas Einblick in das Machen-schaften der Preistreiber gewähren und hier in einigen Beispielen die Wahrheit vermitteln.
.) Sonnenblumenöl
Des Deutschen liebstes Speiseöl nach dem Rapsöl ist deshalb so begehrt, da es stark erhitzt werden kann und dabei wenig spritzt. Trotzdem ist der Sonnenblumenanbau zumindest in Deutschland eine Nische. Während für den Rapsanbau 2021 eine Fläche von 1 Mio ha (2013 waren es noch 1,46 Mio ha) zur Verfügung steht, sind es für den Sonnenblumenanbau gerade mal 38.000. Produziert wurden im vergangenen Jahr 100.000 to Saat – nahezu doppelt so viel wie im Jahr zuvor. Deutschland orientiert sich bei den Grosshandels-Abgabepreisen (FCA) am wichtigsten Grossmarkt, jenem von Saint-Nazaire in Frankreich. Dort liegen die Preisangebote für die Ernte 2022 bei derzeit 860,- € die Tonne. Im Vergleich: Deutschlands Ölmüller verarbeiteten 2020 rund 9 Mio to Raps. Davon stammen ca. 3,5 Mio to aus heimischer Produktion, zusätzliche 6,2 Mio to mussten also importiert werden – das Gros davon aus Frankreich, Ungarn und ja auch der Ukraine.
In Österreich wurden 2021 51.300 Tonnen Sonnenblumensaaten pro-duziert, darunter jedoch auch gestreiftsamige Sonnenblumen für das Vogelfutter. Das sind ganze 27 % mehr als noch im Jahr 2020. Die Anbaufläche belief sich auf 24.680 Hektar. Am 27. Oktober 2021 erzielte 1 to Sonnenblumenkerne noch einen Grosshandels-Abgabepreis (FCA) von 545 €. Im Mai 2022 belief sich der Abgabepreis für Ölsonnenblumen aus biologischen Anbau auf 715,89 € die Tonne – um rund 115 € weniger als im Februar, als die Hamsterkäufe begonnen haben. Auch hier der Vergleich zum Raps: Auf 28.000 Hektar (rückläufig – 2018 waren es noch 40.500 ha) betrug die Rapsernte im vergangenen Jahr 85.922 Tonnen (Angaben: Statistik Austria). Die Terminnotierung für August 2022 liegt lt. AMA Österreich bei 683,50 pro Tonne.
Im vergangenen Jahr wurden in der EU rund 10,5 Mio to Sonnenblumen-kerne erzeugt – das Gros davon in Rumänien, Frankreich und Bulgarien. Die heurige Ernte dürfte wesentlich grösser ausfallen, da aufgrund des Preisanstieges die Anbaufläche auf rund 4,7 Mio ha (+200.000 ha) vergrössert wurde – Experten schätzen mit einem Ernteertrag von 11,2 Mio to. Aus Drittländern wurden 2021 450.000 to importiert – davon jedoch nur 60.000 to aus der Ukraine. 300.000 to wurden wieder aus-geführt. Bei Sonnenblumenkernen kann sich also die EU nahezu selbst versorgen. Allerdings wurden 2021 1,27 Mio to Öl aus der Ukraine importiert – 86 % der gesamten Einfuhren. Erwartet wird ein Rückgang der Einfuhren von 1,5 Mio auf 840.000 to. Betrachtet man jedoch den Schrot für die Tierfütterung, so ist die EU stark abhängig von der Ukraine und v.a. Russland. Auch wenn Argentinien stark zulegt. Gute CO2-Bilanz! Ergo: Mit Ausnahme der Tierfütterung ist eine derartige Preissteigerung beim Sonnenblumenöl in keinster Weise zu rechtfertigen!
Querverweis zum Raps: Die EU ist mit einer Gesamtmenge von 17 Mio to Raps weltweit führender Rapsproduzent vor Kanada mit 16 und China mit 14 Mio to. Aus der Ukraine importiert die EU mit 3 Mio to rund die Hälfte der Gesamteinfuhren. Kanada gilt als grösstes Exportland. Somit wäre also ein anderer Anbieter gefunden, der in die Presche springen könnte. Raps bleibt damit die wichtigste Ölsaat in Mitteleuropa, da ein Grossteil der Ernte für die Herstellung von Biodiesel verwendet wird.
.) Weizen
Merklich gestiegen sind die Brotpreise. Der Grund für die meisten Revolutionen, wenn sich das Volk das Brot nicht mehr leisten konnte. Dr. Christian Hörger, seines Zeichens Geschäftsführer der deutschen Grossbäckerei Lieken betonte diese Woche, dass Brot teurer werden muss – als Folge des Ukraine-Krieges. Mehl sei um teilweise bis zu 70 %, die Energie- und Personalkosten um rund 30 % teurer geworden. Rund die Hälfte der Öfen werden zudem mit Gas betrieben. Zu Öl und Gas etwas später mehr. Schauen wir uns doch mal das Mehl an und hier im Speziellen den Weizen. Deutschland kann sich in den beiden Bereichen Weichweizen und Gerste durchaus selbst versorgen. So liegt der Selbst-versorgungsgrad bei Weichweizen bei 125, bei Gerste bei 113 %. Tragisch insofern ist der Blick hinter die Kulissen: So wurden im Wirtschaftsjahr 2020/21 43,3 Mio to Getreide geerntet, jedoch nur 8,6 Mio to für die menschliche Ernährung verwendet. Der Rest marschierte zuhauf in die Tierfütterung (58 %) und Biovergasung (9 %) bzw. die Industrie mit 8 % (Stärke und Braugerste etwa).
Für den Brotweizen sind grosse Mengen an Mineraldünger vonnöten. Hier sind allerdings die Preise eklatant angestiegen. Einerseits aufgrund der gestiegenen Energiepreise und andererseits, da Russland der grösste Stickstoffdünger-Exporteur weltweit ist. Jedoch stellt sich insofern die Frage, weshalb Deutschland im Wirtschaftsjahr 2020/21 nahezu 10 Mio to hochwertigen Qualitätsweizen ausgeführt hat. Somit ist also auch beim Brot ein Preisanstieg bedingt durch Rohstoffknappheit nicht zu recht-fertigen.
Ähnliche Zahlen auch bei der Gerste. 11 Mio to wurden produziert, 6,7 Mio to (nahezu die komplette Wintergerste) verfüttert. Als Braugerste werden jährlich rund 1,5 Mio to verwendet. 3,6 Mio to wurden in andere EU-Länder oder Drittstaaten ausgeführt. Also ist auch hier genügend vorhanden, das einen derartigen Preisanstieg nicht rechtfertigen würde. Trotzdem wurden 1,3 Mio to Gerste importiert!
Komplett anders sieht es beim Hartweizen, Roggen und Hafer aus. Gleiches gilt zudem für das „Futtergetreide“ Mais. Hier liegen die Selbstversorgungsraten bei 15 % (Hartweizen), 84 % (Roggen) und 71 % (Hafer). Beim Mais werden 4 Mio to selbst erwirtschaftet – der Bedarf liegt jedoch bei rund 7,5 Mio. Wichtigster Exporteur von Mais ist neben Brasilien, den USA und Argentinien die Ukraine. Da jedoch 5,6 bzw. 6 Mio to in den Futtertrögen der Landwirte und v.a. landwirtschaftlichen Fleisch- und Milchindustrie landen, würde dies den Preisanstieg bei Fleisch und Wurst bzw. Milchprodukten erklären. Der Mais für den deutschen Markt stammt zuhauf aus Rumänien, Bulgarien und Ungarn – nur rund 3-500.000 to aus der Ukraine.
Ähnlich wie zuvor bei den Sonnenblumen, fährt Österreich auch beim Getreide einen anderen Weg. Das Alpenland produzierte im Wirt-schaftsjahr 2021/22 78.297 to Hartweizen (gemahlen in Mühlen 59.726), 951.467 to Weichweizen (gemahlen 572.710), 271.254 to Gerste (verarbeitet in Mischfutterwerken 89.491 to) und 1.099.511 to Mais (verarbeitet 341.570 to). Der Rest landete in Lagern, bei der Industrie oder wurde ausgeführt. Der Verkaufspreis der Mühlen für Haushaltsmehl lag im Mai 2022 bei 613,81 € für die Tonne, im August 2021 bei 505,33 €. Derzeit laufen auf den Äckern die Mähdrescher heiss. Der Preis für Qualitätsweizen liegt aktuell mit 369,50 € die Tonne um etwa 45 € unter dem Niveau der alten Ernte vom 25. Mai 2022 – allerdings um 165 € über dem Niveau vom 07. Juli 2021. Der Mahlweizen ging im Preis zurück. Auch die Futtergerste ist im Preis um rund 90,- € pro Tonne von 354,- € am 30.03.2022 auf 265,- € am 06.07.2022 gesunken. Hartweizen ist ebenfalls um 37 auf 500,- € pro to gesunken.
Der Grund dafür ist international gesehen v.a. der weitaus bessere Ernteertrag in den USA. Zu Buche schlagen wird jedoch die Trockenheit in Europa, wodurch der Ertrag bei Weichweizen von 130,4 Mio to auf 125 Mio sinken wird. Vor allem Frankreich wurde dabei schwer getroffen. Diese Ausfälle können jedoch ohne weiteres durch die besseren Ernten auf den amerikanischen Kontinenten kompensiert werden.
Nun geht’s an’s Eingemachte!
.) Erdöl
Am gestrigen Donnerstag Nachmittag lag der aktuelle Rohölpreis bei WTI 94,14 € (US-Rohöl) und bei Brent 101,23 € (Nordsee-Rohöl) – Rohöl-Gesamt bei 101,85 €. Das 52 Wochen-Hoch bei Brent wurde mit 125,55 am 08. März 2022 erreicht, das 52 Wochen-Tief bei Brent mit 63,94 am 20.08.2021. Am 16. Juli 2021 lag WTI bei 71,80 $ pro Barrel und Brent bei 73,67 $ bei einem Dollar-Euro-Wechselkurs von 1,1814:1. Wer möchte und einen Taschenrechner zur Hand hat, kann dies gerne um- bzw. die Teuerungsraten berechnen. Im vorherigen Jahr wurden weltweit 89,88 Mio Barrel Rohöl pro Tag gefördert, derzeit sind es 93 Mio Barrel pro Tag.
Nun aber Tacheles: Die Spritpreisentwicklung an der Tanke. Da in Deutschland durch die Rabatt-Aktion des Bundes eingegriffen wurde, sind die Zahlen aus Österreich realistischer. Der Super-Preis in Österreich lag gestern nachmittag im Handel bei 1,77 €/l – am 21. Juli 2021 erzielte er einen Schlusswert von 1,55 €/l – somit 22 Cent pro Liter (14,19 %) weniger. Bei der Guener Garage Rechte Wienzeile in Wien kostete gestern vor einem Jahr der Liter Super 1,269 € – gestern hingegen 1,988 (Daten: spritvergleich.at) – eine Preissteigerung von 56,66 %). Den Liter Diesel gab es gestern nachmittag im Handel um 1,94 €. Ein Jahr zuvor lag der Schlusspreis bei 1,39 €/l (+39,57 %). Im Vergleich dazu bei der Disk-Tankstelle in der Innsbrucker Pembauerstrasse für 1,244 €/l genau ein Jahr zuvor – gestern für 2,024 €/l (Daten: spritvergleich.at) – eine Preis-steigerung von 65,36 % (Die Handelswerte wurden finanzen.at und finanzen.net entnommen). Somit wird mehr gefördert, gleichzeitig stieg aber der Rohölpreis geringfügig. Was verursachte diese immensen Preis-steigerungen? Der Ukraine-Krieg kann’s nicht sein, schliesslich impor-tierte Österreich vor den Sanktionen nur 7,8 % der gesamten Ölimporte aus Russland. In Deutschland waren es 35 %.
.) Erdgas
Dieser Punkt ist der wahrscheinlich verständlichste – auch wenn derzeit eigentlich noch genügend Gas vorhanden wäre und eifrigst nach Anbietern gerungen wird, die anstelle Russlands einspringen könnten. Ich sag’s ja nicht gern, doch hatten die Amerikaner recht, als sie meinten, dass sich gerade Deutschland zu sehr an die Russen binden würde. Doch ging es ihnen dabei eher um eigene wirtschaftliche Interessen: Um die Exportzahlen aus dem Fracking anzukurbeln, denn Öl und Gas aus dieser Quelle entpuppen sich als Ladenhüter – aus dem versprochenen Reichtum und den darauf aufbauenden Städten wurden Geisterbaracken auf vergiftetem Boden mit kontaminiertem Grundwasser. Deutschland ist beim Gas zu 90 % auf Importe angewiesen. Dabei kamen bislang 55 % aus Russland, 27 % aus Norwegen und 21 % aus den Niederlanden. Der grösste Aufbereitungs- und Transport-Vertragspartner der russischen Gazprom bzw. ihres Tochterunternehmens in Deutschland, der Gazprom Germania, ist Uniper. Alleine über diesen Konzern wurden von insgesamt 370 Tera-Wattstunden 200 TWh aus Russland abgewickelt. Inzwischen steht der Konzern kurz vor dem Konkurs und musste staatliche Hilfen beantragen. Sie wurden auch diese Woche gewährt, da ansonsten nahezu die gesamte Gasversorgung in Deutschland zusammengebrochen wäre. Daneben handeln nämlich nur noch RWE, EnBW und Wingas mit russischem Gas – allerdings in nicht vergleichbaren Mengen. Der Gas-preis in Deutschland legte in den letzten 12 Monaten gewaltig zu und liegt derzeit 51,57 % über dem Zwölfmonatsdurchschnitt. Weitere Preisanstiege werden mit Beginn der Heizsaison erwartet. Nun zu den Wahnsinnszahlen: Im Frühjahr 2022 belief sich eine Kilowattstunde Gas in einem Einfamilienhaus auf 13,77 Cent – ein Plus von 95 % im Vergleich zum Vorjahr. Bei einem jährlichen Verbrauch von 16.000 kWh bedeutet dies Kosten von 2.203,- € pro Jahr.
In Österreich ist die Lage gar noch prekärer: Das Alpenland verbraucht pro Jahr rund 89 TWh. Zehn Prozent kommen aus eigener Produktion, 79 TWH bzw. 80 % hingegen aus Russland. Der Gaspreisindex (ÖGPI) weist im Juli 2022 im Vergleich zum Juli 2021 ein Plus von 311,3 % auf – und dies obgleich er zuletzt um 8,7 % gesunken ist. Die Preise sind von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich, oftmals sind die Gasanbieter auch Tochtergesellschaften der Stromanbieter, bei welchen wiederum die Länder selbst anteilsmässig beteiligt sind. So muss etwa ein Ein-Familienhaus bei einem jährlichen Gasverbrauch von 15.000 kWh mit Kosten von 1.389,71 € beim teuersten Anbieter, der Energie Klagenfurt rechnen. Beim günstigsten, der Energie AG, mit 957,60 € (Zahlen vom 01.07.2022 E-Control).
In beiden Ländern sind nach wie vor grosse Industriebereiche vom Erdgas abhängig. Deshalb muss mit weiteren Teuerungen auch in anderen Bereichen gerechnet werden. Ein Umstieg auf alternative Energien wurde in der Vergangenheit sträflichst vernachlässigt. Daneben produzieren unzählige Gas-Kraftwerke Strom.
Das waren nur vier ausgesuchte Bereiche. Bei drei davon können die teils kräftigen Preisanstiege keineswegs in Verbindung mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine gebracht werden. Hier kassieren einige Wenige auf dem Rücken aller Anderer ganz kräftig ab. Zudem wäre es sinnvoll, sich niemals nur auf einen Lieferanten zu verlassen. Die Finanzminister Deutschlands und Österreichs kassieren jedoch kräftig mit. Wenn auch nicht über die Verbrauchsteuer (mengenabhängig), als vielmehr über die Mehrwertsteuer, die vom Verkaufspreis abhängig ist. Zudem ist beispielsweise der Bund in Österreich über die ÖBAG (Österreichische Beteiligungs AG) mit 31,5 % am OMV-Konzern beteiligt, dem Platzhirsch in der alpenländischen Tankstellenlandschaft, der zudem wieder an unzähligen Förderungen im Ausland und beteiligt ist und die einzige Raffinerie in Österreich in Schwechat betreibt. Viele Länder sind zudem an den Strom- und Gasanbietern beteiligt. Somit ist es also rentabler, ohne staatliche Rabatte (wie in Deutschland) oder Deckelungen (wie in Slowenien) zu reagieren, da dies ja auch das Mehrwertsteueraufkommen und den Gewinn des Bundes verringern würde – sondern vielmehr ein Bonbon in Form eines Energiekostenzuschusses den Haushalten zukommen zu lassen, der die Teuerungen niemals abfängt, da diese inzwischen alle Bereiche anbelangt. Zudem liegt die Inflation in Österreich bei derzeit 8,7 % (im Mai noch bei 7,7 %) und nun auch noch der Leitzinssatz durch die EZB angehoben wird. im Vergleich. Im Juni lag die Inflation ich Deutschland bei 7,6 % (im Mai bei 7,9 %).
Die Krise ist also hausgemacht – dafür aber sündhaft teuer! Und – das Ende ist noch nicht abzusehen!!!
Links:
– www.finanzen.at
– www.finanzen.net
– www. spritvergleich.at
– www.e-control.at
– www.tanke-guenstig.de
– efi-net.de
– de.statsita.com
– www.statistik.at
– www.proplanta.de
– www.agrarpreise.at
– www.agro-market24.eu
– www.ama.at
Eine Mär!
Posted on 07/15/22 by UlstoDieser Tage absolvierte ich (unfreiwillig!) einen Selbsttest: In mein Büro hatte sich eine Hornisse verirrt. An sich hört man diese Insekten ja am tiefen Brummen des Flügelschlags – ich jedoch war gerade auf einen Sprung raus. Als ich zurückkam, mich auf meinen Stuhl niederliess und meinen linken Arm auf das schwarze Polster des Bürosessels legte, traf mich plötzlich ein stechender Schmerz. Die Hornisse hatte sich auf der Lehne ausgeruht und mich in ihrem Todeskampf gestochen. Sie überlebte es nicht, ich hingegen hatte offenbar Glück, da ich haarscharf an einer Entzündung mit möglicher Blutvergiftung vorbeimarschierte. Höchstwahr-scheinlich war es nur die Wundsalbe, die dies verhinderte.
Ich kann nicht leugnen, dass ich etwas in Panik verfiel, da es ja heisst, dass Hornissen aggressiv werden, sobald eine gestochen hat und zu Massen auf den vermeintlichen Aggressor einstechen. Auch wenn ich nicht allergisch gegenüber Insektenstichen bin (musste auch schon mal vier Wespenstiche auf einmal über mich ergehen lassen, da ich in ein Erdnest getreten bin) heisst es doch im Volksmund, dass sieben Hornissenstiche ein Pferd, drei einen Menschen töten!!! Erst nachdem ich mich etwas eingelesen hatte, wusste ich, dass dies alles nur Lügen-geschichten sind und möchte deshalb ein für allemal damit aufräumen.
Die Hornisse (lat. Vespa crabro) gehört zur Familie der Faltenwespen, insgesamt sind 23 Hornissen-Arten bekannt. Die Königin kann zwischen 23 bis 35 Milimeter gross werden, die Arbeiterinnen und Drohnen sind ein wenig kleiner. Von den Wespen sind die Hornissen recht einfach zu unterscheiden:
– Der Abstand der „Ocellen“ (Nebenaugen) zum Kopfhinterrand ist mehr als doppelt so gross wie zu den „Komplexaugen“ (Hauptaugen)
– Der Kopfschild („Clypeus“) ist durchgehend gelb
– Die spezielle Aderung der Vorderflügel (benachbarte Mündung)
– Die rote V-Zeichnung auf der Mittelbrust der bei uns am häufigsten auftretenden Vespa crabro germania
Das Verbreitungsgebiet der Hornisse reicht vom Atlantik im Westen bis nach Korea und Japan im Osten, von Norwegen im Norden bis zur Peloponnes im Süden. Damit bevölkert sie ein weitaus grösseres Gebiet als andere Arten derselben Gattung. In Nordamerika wurde sie durch den Menschen eingeschleppt – hier ist sie vornehmlich im Osten des Kontinents heimisch geworden. Trotzdem galt die Hornisse bis zum Ende der 1970er Jahre als bedroht – sie steht nach wie vor in vielen Regionen unter Artenschutz. In den letzten 30 Jahren jedoch wurden gottlob immer mehr Völker gesichtet.
Die Vespa crabro ist ein einjähriges Insekt. Nur Königinnen (die weib-lichen Geschlechtstiere) können in Spalten oder selbst ausgenagten Ritzen im toten Holz überwintern, alle anderen sterben spätestens Ende Oktober. Nachdem das körpereigene Glyzerol sie in der kalten Jahreszeit vor dem Erfrieren schützte, verlässt die Königin das Winterquartier (ein Ort mit möglichst geringen Schwankungen im Mikroklima) je nach Witterung meist Mitte April bis Anfang Mai. Sie begibt sich nun auf die Suche nach einem Neststandort (Baumhöhlen, Dachböden, Nistkästen,…). Da die natürlichen Möglichkeiten immer weniger werden, nutzen sie vermehrt die vom Menschen gebotenen. Oft jahrelang verwenden sie dabei den-selben Nestplatz, legen allerdings jedes Mal ein neues Nest an. Hierfür zerkaut das Insekt Holzfasern und formt eine Wabe mit Zellen. In jede dieser Zellen legt sie unmittelbar nach Fertigstellung jeweils ein Ei. Aus diesem schlüpft nach ca. 12 bis 18 Tagen eine Larve. Durch Kratzen an den Zellwänden, das auch für den Menschen mehrere Meter weit hörbar ist, zeigt die Larve, dass sie Hunger hat. Nachdem fünf Larvenstadien absolviert wurden, verpuppt sich diese. Die ersten zwei bis drei Tage verbringt die frisch geschlüpfte Hornissen-Arbeiterin in einer leeren Zelle. Dort ist sie verantwortlich für die richtige Temperatur im Stock, die sie mittels Flügelschlag reguliert. 30 bis 50 Tage nach dem Legen des Eis fliegt sie erstmals aus. Bis das bei den ersten Arbeiterinnen der Fall ist, wird die Brut von der Königin versorgt. Für den Stock sehr gefährlich, da sie zur leichten Beute für Insektenfresser wird. Die Hauptaufgabe der Arbeiterinnen besteht alsdann in der Fütterung der Königin und der Larven. Dazu fangen sie Insekten, wie etwa Wespen oder Spinnen – zeit-weise auch Bienen. Die Arbeiterinnen selbst bevorzugen zuckerhaltige Säfte, wie Frucht-, Pflanzen- oder Baumsäfte – später dann auch jene des Fallobstes. Zudem wird der Nestbau nun von Ihnen übernommen. Dieses kann schon mal bis zu 60 cm lang werden und auf über 1.300 Zellen anwachsen, in Japan sogar auf bis zu 1.900. Wird das Nest zu klein, kann das Hornissenvolk, das bis auf 700 Tiere anwächst, auch umziehen (Filial-bildung). Die Arbeiterinnen überleben zwischen 20 bis 40 Tage. Sie sind Akkordarbeiterinnen im wahrsten Sinne des Wortes, die auch in der Nacht fleissig sind. Apropos Nacht – in diesen Stunden gibt es eine Besonder-heit: Zwischen 20 bis 25 Mal verfallen alle im Stock wie auf ein geheimes Zeichen in eine Art Tiefschlaf. Nach einer halben Minute ist auch dieser dann wieder vorbei.
Im August/September erfolgt die Produktion der Geschlechtstiere. Dabei werden aus unbefruchteten Eiern Drohnen, aus den befruchteten Königinnen. Der Anfang vom Ende für die alte Königin, die nicht mehr richtig versorgt wird, schliesslich das Nest verlässt und nach einem sehr anstrengenden Leben stirbt.
Ein Volk kann bis zu 200 Jungköniginnen heranbilden, die sich mit Kohle-hydraten und Eiweissen anfressen und so für den Winter vorbereiten. Noch im Herbst erfolgt die Befruchtung durch die männlichen Drohnen. Dies nimmt die Jungkönigin dann im sog. „Receptaculum seminis“ in das Winterquartier mit. Das jedoch überleben viele Königinnen nicht, da sie entweder Pilzen oder Vögeln zum Opfer fallen. Inzwischen werden Arbeiterinnen-Larven nicht mehr gefüttert oder den anderen Geschlechts-tier-Larven zum Frass vorgeworfen. Sollte ein Stock die Königin verlieren („orphaner Stock“), werden bei einigen Arbeiterinnen für kurze Zeit die Eierstöcke aktiviert, was zuvor durch ausgestossene Pheromone verhindert wurde. Sie legen nun unbefruchtete Eier, aus welchen Drohnen schlüpfen. Der Stock stirbt aufgrund fehlender Arbeiterinnen aus.
Übrigens gibt es im Hornissennest auch einen Parasiten: Der Hornissen-käfer (Velleius dilatatus) ernährt sich von den Abfällen der Nestbewohner, beseitigt aber auch verendete Hornissen und Larven. Sein Artenkollege, der Quedius brevicornis hingegen kann für das Volk gefährlich werden, da sich dieser über die Brut hermacht. Doch ist er nicht der einzige, der den Nachwuchs gefährdet. Finden die Arbeiterinnen wegen schlechten Wetters keine Insekten, halten sie sich an den Eiern und Larven schadlos.
Hornissen sind friedfertige Tiere und lassen normalerweise den Menschen in Ruhe, ja sie fliehen richtiggehend vor ihm. Sollte dies nicht der Fall sein, pusten Sie das Tier nicht an, da sich dieses in Gefahr fühlt und zustechen könnte. Auch Butter, Konfitüre oder Wurst vom Frühstückstisch auf der Veranda interessiert sie nicht, solange keine Fruchtsäfte auf dem Tisch stehen. Ganz im Gegenteil dazu sind Hornissen sogar Nützlinge, vertilgen sie doch die weitaus aggressiveren Wespen, die sich sehr wohl durch das morgendliche Treiben auf der Terrasse angezogen fühlen. Da sie Hunger haben, sind sie zu dieser Tageszeit auch besonders anhängig. Nachdem die Hornisse hier ihre Wespe, Fliege, Biene,… gefunden hat, fliegt sie in Richtung Nest. Dort wird die Beute zerlegt (interessant ist nur die proteinhaltige Flugmuskulatur aus dem Bruststück) und in das Nest gebracht wird. Ein Volk frisst pro Tag bis zu einem halben Kilo Insekten. Sollten nun die Imker unter Ihnen aufschreien und lautstark die Aus-rottung der Hornissen fordern: Pro Volk und Tag werden ab Juni nur rund 10-15 Bienen erbeutet. Hierfür gibt es jeweils spezialisierte Jäger. Im Vergleich zu rund 1.500 bis 3.000 schlüpfenden Jungbienen pro Stock und Tag Pipifax! Manche Imker stellen sogar in unmittelbarer Nach-barschaft ihrer Bienen-Stöcke Hornissenkästen auf, da diese in der Nacht die für das Bienenvolk weitaus gefährlicheren Wachsmottenfalter ein-fangen. Zudem jagen die Hornissen nicht in unmittelbarer Umgebung ihres Nestes.
Vorsicht für den Menschen ist nur in der unmittelbaren Umgebung ihres Nestes geboten (zwei bis sechs Meter Radius, kann sich erweitern, wenn die Insekten häufig gestört werden). Manche Parfums enthalten Duft-stoffe, die jenem Pheromon ähneln, das die Hornissen bei Gefahr verwenden um ihren Artgenossen die Richtung des Eindringlings zu zeigen. Nicht wirklich förderlich! Der Todesfall eines Menschen nach einem Angriff der Vespa crabro ist nicht bekannt, liegt aber nach Schätzungen bei 500 Stichen und mehr. Geht man davon aus, dass bei Gefahr für das Nest nur rund ein Zehntel der Nestbewohner stechen, so sollte auch der Angriff eines grossen Volkes nicht tödlich sein. Gefähr-licher jedoch sind die asiatischen Vespa orientalis und Vespa affinis. Hier kam es nach 300 Stichen zu einem berichteten Todesfall. Das resultiert aus der Tatsache, dass die Giftdosis nicht dermassen hoch ist wie bei einer Honigbiene, da die Biene ja nur einmal im Leben, die Hornisse jedoch mehrfach zustechen kann. Nach wissenschaftlichen Berechnungen liegt die LD50-Giftmenge, die bei 50 % aller Fälle zum Tode führt bei Honigbienen bei rund 40 Stichen pro Körpergewicht (6 mg Gift/kg Körpergewicht), bei Hornissen hingegen bei 154-180 Stichen pro kg (10 mg Gift/kg Körpergewicht). Nachzulesen ist dies bei Habermann 1974 bzw. Kulike 1986. Die Giftblase einer einzelnen Hornisse enthält rund 0,5 mg Frischgewicht an Gift. Pro Stich werden nur zwischen 10-50 % abgegeben. Der Stachel allerdings ist weitaus grösser und kann somit in tiefere Hautschichten vordringen. Hornissen stechen meist nur dann zu, wenn sich ein Mensch ihrem Nest nähert oder sie gequetscht werden, während Wespen völlig unmotiviert auf den Menschen zufliegen. Ist es aber dennoch geschehen, gelten für Hornissenstiche dieselben Mass-nahmen wie für Wespen- oder Bienenstiche. Ziehen Sie mit einer Pinzette möglichst gerade den Stachel heraus, sollte sich dieser noch an der Einstichstelle befinden. Diese muss desinfiziert und dann gekühlt werden. Die Stichquaddel beläuft sich auf rund 10 cm im Durchmesser. Schlimmer wird’s für Allergiker, da eine lgE-Reaktion ausgelöst werden kann, die für die meisten lebensbedrohlich ist (anaphylaktischer Schock). In meinem Falle dürfte ich den Stachel des Tieres beschädigt haben, wodurch das komplette Gift der Giftblase in die Wunde floss. Eine recht schmerzhafte Geschichte.
Hornissen sind in Deutschland, in manchen Teilen Österreichs und der Schweiz (nicht im Kanton Bern) geschützt, da sie Im Kreislauf der Natur wichtige Funktionen erfüllen: Sie halten das Insektengleichgewicht auf-recht, fliegen auch bei kühlerem oder regnerischem Wetter und in der Nacht (bei bis zu 0,01 Lux – für den Menschen völlige Dunkelheit). Dadurch bestäuben sie auch an Tagen Pflanzen, an welchen Bienen nicht fliegen. Zudem verbauen sie morsches Holz zu Nestern aus „Papier“. Somit dürfen die Insekten auch nicht mit Insektengift bekämpft werden. Sollten Sie ein Nest entdeckt haben, das stört, sollten Sie sich mit der Gemeinde, dem Magistrat oder dem Kreisamt in Verbindung setzen. Ansonsten können Nester ab dem November entfernt werden. Experten empfehlen allerdings, dies erst im darauffolgenden Frühjahr zu erledigen, da Nützlinge, wie die Florfliege derartige Nester zum Überwintern nutzen. In Deutschland werden ausserhalb des Siedlungsraumes künstliche Nester aufgestellt, damit Hornissenvölker vom Wohnraum ferngehalten werden. Lästig kann jedoch der Kot des Volkes werden, da dieser aus der Öffnung auf der Unterseite des Nestes entsorgt wird. Hier kann man sich mit dem Unterstellen eines grösseren Gefässes aushelfen.
Da die Hornisse für den Menschen eigentlich ungefährlich ist, sollte sie dieser auch nicht bekämpfen sondern vielmehr fördern.
Lesetipps:
.) E. Habermann – Bienen und Wespenstiche aus medizinischer Sicht (Allgemeine Deutsche Imkerzeitung 1974)
.) H. Kulike – Zur Struktur und Funktionsweise des Hymenopterenstachels (Amts- und Mitteilungsblatt des Bundesamtes für Materialprüfung 1986)
.) Schützt die Hornissen. Das Standardwerk zum Schutz der Hornissen und anderer Wespen in Deutschland, Österreich und der Schweiz; Robert Ripberger, Claus-Peter Hutter, Berthold Faust; Weitbrecht 1992
.) Wespen beobachten, bestimmen; Rolf Witt; Naturbuch / Weltbild 1998
.) Bienen, Wespen, Ameisen. Hautflügler Mitteleuropas; Heiko Bellmann; Kosmos 2005
Links:
www.hornissenschutz.de
www.hornissenschutz.ch/
www.vespa-crabro.de
www.wildbienenschutz.de
www.nabu.de
www.artenschutz.ch
www.wespenschutz.ch
www.oenj.at
www.umweltbundesamt.at
dejure.org