Die gekaufte Weihnacht‘

Nachdem ich in den letzten Jahren immer wieder zu Weihnachten alte Bräuche habe hochleben lassen, möchte ich heuer das Fest der Feste von einer anderen Seite betrachten – als Fest des rollenden Rubels, des schnöden Mammons, das weit an den Vorstellungen des Christentums vorbeigeht (soweit zu den christlichen Werten!!!)! Auf die Idee brachte mich ein Beitrag über den „Frankfurt Christmas Market in Birmingham“. Die Briten sind ganz hin und weg von diesem Weihnachtszauber – nach Dienstschluss wandern sie in Massen auf den German Market. Einige Preise, die aber dann doch einschlagen wie ein Meteorit: Die Mass Bier (Double Pint) £12.50, eine Tasse Glühwein £6, eine Bratwurst £7 – kombiniert mit Bier £12.50 – das ist happig!

Doch geht es auch anders – beispielsweise beim Weihnachtszauber am Karer See in Südtirol. Ein kleiner Christkindles-Markt, vollständig natur-belassen inmitten einer herrlichen Landschaft mit durchwegs regionalen Anbietern und Produkten. Ein richtiggehendes: „Zurück zum Ursprung“! Ohne Dauerbedröhnung mit Mariah Carey’s „All I want for Christmas is you“ oder Elvis Presleys „Blue Christmas“, ohne Waren Made in Fernost und ohne täglichem Glühweinbesäufnis. Oder auch beim „Weihnachts-himmel“ in der Ravennaschlucht im Hochschwarzwald. 

Weihnachten ist sinngemäss ein Fest der Freude, schliesslich wurde in Bethlehem das kleine Christuskind geboren. In einem Stall unter mehr als ärmlichen Verhältnissen. Die Geschenke brachten erst später die drei Könige aus dem Morgenland: Gold, Myrrhe und Weihrauch! Wie es auch heute noch beispielsweise in Spanien der Brauch ist. So steht es seit nahezu zwei Jahrtausenden geschrieben. Die neueste Playstation, das I-Phone 24,27 oder der 2342k-Diamantring finden im Heiligen Buch von heute keine Erwähnung. Klar – kleine Geschenke erhalten die Freund-schaft. Doch: Muss ich mich tatsächlich jedes Jahr finanziell dermassen verausgaben um diese Freundschaften zu pflegen? Eine Studie des Markt- und Meinungsforschungsinstituts Integra besagt, dass heuer jede(r) Österreicher/-in 320,- € für Weihnachtsgeschenke ausgibt, die Eidgenossen 343,- CHF (Ernst & Young), die Deutschen 520,40 € (statista.de) pro Kopf. Allerdings sollte nicht unerwähnt bleiben, dass nach einer Insa-Umfrage gerade in Deutschland jeder Dritte keinen nennenswerten finanziellen Spielraum für Weihnachtsgeschenke hat: Hohe Energiekosten, Preistreiberei bei Gütern des täglichen Bedarfs, Inflation, … An der Spitze dieser Liste waren bislang auch die Briten zu finden, die jedoch ebenfalls aufgrund der Teuerungswelle 2022 etwas weniger ausgeben. Die in diesem Jahr verstorbene Queen Elizabeth II. verschenkte vor zwei Jahren noch Geschenke für 33.000,- € – an aller-dings 620 Personen.

Lieber Herr Gesangsverein – da muss ein Kartoffelbauer aber viele Erd-früchtchen für ernten, um diese Summe zu erhalten. Hinzu kommen die zusätzlichen Annehmlichkeiten, die man sich nun mal zu dieser Zeit des Jahres gönnt: Die Fahrt in’s Elternhaus, das gute Essen und Trinken und der eine oder andere Besuch des Christkindles-Marktes.

Apropos – der wohl bekannteste Christkindlesmarkt in Nürnberg lockt pro Tag rund 150 Reisebusse und insgesamt 2,2 Millionen Menschen (2019) aus allen Teilen der Welt an. Neben den vielen Besonderheiten und Wundersamkeiten werden in diesem Jahr spezielle Erlebniswege präsentiert: „Nürnberger“, „Kreative“, „Die Region“ und „Die Lizenz-produkte“. Daneben gibt es natürlich auch heuer wieder das historische Weihnachtspostamt und nicht zuletzt die Rundfahrten mit der historischen Postkutsche (um den Markt!). Die Nürnberg-Info beschreibt das Aussergewöhnliche mit folgenden Worten:

„Es ist seine einzigartige Atmosphäre, die sich in Worten nur schwer beschreiben lässt. Das ‚Städtlein aus Holz und Tuch‘ auf dem Haupt-markt, direkt im Herzen der Altstadt, muss man erlebt haben. Eingebettet zwischen Schönem Brunnen und Frauenkirche bietet die Budenstadt ein Flair, dass individuell betrachtet, wirklich seines-gleichen sucht.“

Aaaah ja! Da fährt der Besucher über hunderte von Kilometern, um sich alsdann vor der ersten Bude stehend von den Massen durch den Markt schieben zu lassen. Mit viel Glück steht dann auch noch das Christkindle oben am Balkon und es konnte im Vorbeifluss noch eine Tasse Glühwein oder Punsch ergattert werden. Ein Foto – nein das geht bei diesem Gedränge und Geschubse nicht. Und die leere Tasse zurückgeben, unmöglich, schliesslich wartet der Bus! Nach jeder Runde erkämpft sich der Besucher einen Platz in einer Reihe weiter aussen, sodass er sich nach sieben bis achten Runden dem Sog entziehen kann und endlich wieder freikommt aus dem Getümmel. Deshalb ein heisser Tipp für diese grossen Märkte: Planen Sie Ihren Abstecher für die Abendstunden ein, wenn die Busse bereits wieder auf der Fahrt zurück sind. Der Nürnberger Christkindles-Markt eröffnet jedes Jahr am Freitag vor dem 1. Advent. Weltbekannt ist der Prolog des Christkindles: †

Ihr Herrn und Fraun, die ihr einst Kinder wart, Ihr Kleinen, am Beginn der Lebensfahrt, ein jeder, der sich heute freut und morgen wieder plagt: Hört alle zu, was Euch das Christkind sagt!“†††

Der Markt findet erstmals im Jahre 1628 auf einer Spanschachtel aus Nadel-Holz Erwähnung. 165 Buden lassen so manchen in’s Schwärmen geraten. Dabei stimmt natürlich auch die Kasse! Reden wir kurz Tacheles? Jeder Tagesbesucher gibt im Schnitt 33,-, der Übernachtungsgast 200,- € aus, der Umsatz- und Kaufkraftzufluss beläuft sich auf rund 180 Mio Euro, der sog. Einkommenseffekt liegt bei zirka 58 Mio Euro (Zahlen: Presse- und Informationsamt der Stadt Nürnberg). Somit also ein durch-aus gewichtiger Imagefaktor für das Standort-Marketing!!! Ach ja – hinzu kommen zudem noch die unzähligen Knöllchen der Polizei: Falschparken, Trunkenheit am Steuer,… 2019 bestand das Produkt-Angebot zu 26 % aus Weihnachtsartikeln, 22 % weihnachtlichen Back- und Süßwaren, 6 % Spielzeug, 24 % handwerklichen Erzeugnisse, Bücher etc. und zu 21 % aus Speisen und Getränken. Angeblich alles aus der Region – heuer gar mit besonderem Vermerk auf Nachhaltigkeit und Bio – Einweggeschirr ist seit Jahren nicht mehr zugelassen, die Glühweintassen weisen keine Jahreszahlen mehr auf, sodass sie auch kommendes Jahr wieder verwendet werden können! 

Und wenn es schneit oder kalt ist, dann wird auch viel Glühwein getrunken – und das ist wahrhaft ein Millionengeschäft: 64 % der Weih-nachtsmarkt-Besucher Deutschlands geben an, das eine oder andere Tässchen geschlürft zu haben. 50 Millionen Liter gehen jedes Jahr im Advent über den Tresen – alleine 10 Mio vom Marktführer Gerstacker aus Nürnberg. Heuer kostet die Tasse des begehrten Heissgetränkes in Nürnberg 4,- € (auf dem grössten Weihnachtsmarkt Deutschlands, am Kölner Heumarkt 4,50 €)!

Im wohl schönsten Christkindlmarkt Österreichs, in Salzburg Stadt/St. Peter, zahlte man bereits 2008 3,40 € für die 0,2 Liter, heuer sind es zwischen 3,80 und 4,50. Jährlich strömen bis zu 1 Mio Menschen vor-nehmlich auf den Salzburger Dom- und Residenzplatz, um sich diesen Weihnachtstraum nicht entgehen zu lassen. 97 Christkindl-Hütten und rund 400 Beschäftigte sorgen dabei für eine Wertschöpfung von nicht weniger als 60 Mio € (inklusive der auch rund 230.000 Übernachtungen zu dieser Zeit). Ob die Verantwortlichen dermassen an den Umsatz gedacht haben, als der Markt angeblich 1491 seine Tore erstmals öffnete??? Kultur- und Brauchtumsveranstaltungen wie etwa Chor-konzerte, Turmbläser oder Krampus- und Perchtenläufe sorgen zudem für die Pflege des Brauchtums – oder ist dies nur für die auswärtigen Besucher gedacht??? Auch in der Mozartstadt wird die regionale Hand-werksqualität als wichtigstes Qualitätszeichen gesehen.

„Der Salzburger Christkindlmarkt am Dom- und Residenzplatz ist für die Stadt Salzburg ein weltweiter Sympathieträger. Vor allem die hochwertige Handwerkskunst ist bei den heimischen und internationalen Gästen sehr begehrt.“

(DI Harald Preuner, Bürgermeister der Stadt Salzburg)

Der US-amerikanische TV-Sender CNN nennt Salzburg in einer Reihe mit New York, Barcelona, Rovaniemi, Honululu und Reykjavik bei den vorweihnachtlichen Destinationen.

Der Glühwein ist erstmals übrigens beschrieben in einem 2000 Jahre alten Rezeptbuch der Römer. Offenbar sehr beliebt, wurde er neben den bekannten Gewürzen mit Honig gesüsst. Daneben waren auch Lorbeer-blätter, Koriander und Thymian enthalten (Rezept nach einem Kochbuch von Marcus Gaviius Apicius – 1. Jhdt. n. Chr.). Dieser Gewürzwein wurde allerdings zumeist kalt getrunken. Vorsicht übrigens ist mit sehr süssen seiner Sorte geboten – mit dem Zucker wird häufig über die schlechte Qualität des Weines hinwegkaschiert. Das sorgt für den schweren Kopf am nächsten Morgen und das eine oder andere Pfund mehr auf den weihnachtlichen Hüften.  

Beim grössten schweizerischen Weihnachts- und Christchindli-Märt in Bremgarten sorgen jedes Jahr mehr als 320 Marktstände dafür, dass jeder Wunsch erfüllt wird. Wenn auch – wie in der Schweiz ohnehin üblich – wesentlich exklusiver als an anderen Orten. 

„Öffnen Sie sich dem Charme Bremgartens und seines Weihnachts-marktes, sehen Sie sich um, entdecken Sie Neues und freuen Sie sich ab dem Altbewährten. Vergessen Sie den Glühwein nicht, denn dieser rundet die Palette an Feinem und Feinstem – herrlich wärmend – ab.“

(Stadtammann Raymond Tellenbach)

Auch hier wird mit der regionalen Handwerkskunst geworben – doch begleiten zudem viele Kulturveranstaltungen das weihnachtliche Markt-treiben (interessant ist, dass hier von Kultur und nicht unmittelbar vom Brauchtum die Rede ist!). Jedoch unterscheidet sich dieser Markt auch ansonsten von seinen Kolleginnen und Kollegen auf dieser Welt: Er findet nur in den ersten vier Tagen des Dezembers statt. Während die vielen anderen inzwischen meist sogar bis nach dem heiligen Fest andauern. Über 100.000 Menschen besuchten auch heuer wieder den Märt – über 5.000 Liter Glühwein verkauft – zum Preis schweigt sich der Schweizer aus. Schliesslich kommen die Einnahmen den Vereinen zugute. Im Vergleich dazu: In Zürich werden pro Tag 2.500 Liter verkauft – die Tasse zu 6,90 CHF (umgerechnet 6,99 €) – viele Marktbesucher haben sich heuer über die horrenden Preise beschwert. Fakt aber ist, dass das Hand-werk schon sehr bald vom Markt in Bremgarten verschwunden sein wird, da die Standpreise zuletzt eklatant erhöht wurden. Na ja – wird der deutsche Familienvater eben in der Schweiz tief in die Geldtasche greifen, wenn er dort Produkte kauft, die er zuhause günstiger bekommen hätte, da: Made in Germany!

Nicht, dass Sie mich nun falsch verstehen – es ist etwas tolles, nach der Arbeit mit den Arbeitskolleginnen und -kollegen auf eine Tasse Glühwein zu gehen oder mit der Familie den Turmbläsern zu lauschen. Doch tendieren immer mehr Märkte zum Umsatz-Grössenwahn. 

Der beliebteste europäische Weihnachtsmarkt übrigens ist das „Winter Wonderland“ im Londoner Hyde-Park. Glaubt man den Rechenkünsten des Portals posterXXL, so sorgen 2,5 Mio Besucher pro Jahr für 15,8 Mio Einträge auf Instagram seit seiner Premiere 2005. Deutschlands Spitzen-reiter, der „Striezelmarkt“ in Dresden findet sich in dieser Auflistung nur auf Platz sieben (trotz 3 Mio Besucher pro Jahr). 

Insgesamt besuchen zwischen Flensburg und Berchtesgaden rund 160 Millionen Menschen die Weihnachts- und Christkindles-Märkte und sorgen für Gesamteinnahmen von nicht weniger als 2,9 Milliarden Euro (Angaben: ift Freizeit- und Tourismusberatung GmbH). Im Vergleich dazu sind es im Alpenstaat jeweils rund 10 % der deutschen Zahlen. Dennoch – eine millionenschwere Geselligkeit! Und es kommt noch viel schlimmer: Nach einer repräsentativen Umfrage der Marktforscher von GfK in Nürnberg feiern 17,6 % der Befragten Weihnachten nurmehr zuliebe der Kinder und Enkel. 71,6 % sind der Meinung, das Weihnachtsfest habe seine religiöse Bedeutung verloren. Stellt sich mir die Frage: Weshalb tun so wenige etwas dagegen? Lasst alte Bräuche auch zuhause wieder aufleben, lest mit den Kindern aus der Bibel, singt Adventslieder, … In dieser Studie im Auftrag der „Apotheken Umschau“ wurden 1015 Personen (älter als 14) befragt

Deshalb hier noch etwas Geschichte. Ebenso wie der Adventskranz und der Christbaum ist auch das Christkind eine evangelische Erfindung. 1545 liess erstmals der Reformator Martin Luther seine Kinder vom Christkind beschenken. Zuvor war es der Heilige Nikolaus. Freuten sich die Kinder damaliger Zeiten noch über Bratäpfel, Nüsse und Mandeln, über Plätzchen (Kekse) und Weihnachtsstollen oder Früchtebrot, so müssen es heute grosse und immer teurere Geschenke sein. Bescheiden-heit und Demut? Wohl fehl am Platz. Stand früher der feierlich geschmückte Christbaum und das Essen mit der ganzen Familie im Mittelpunkt, so ist es heute die Bescherung und das Auspacken, das Ausprobieren und Vergleichen der Geschenke. Für viele bleibt gar nicht mal mehr die Zeit, sich auf das anschliessende Essen im Kreise der ganzen Familie zu konzentrieren. Weihnacht‘, wie es früher mal war – nun ja, das wird offenbar nurmehr dort gefeiert, wo man dem Christentum nicht viel Wert zollt: In den Staaten der Dritten Welt! Gibt es dort etwa die besseren Christen als in unseren Breiten, wo die weihnachtliche Andacht und der Advent, der früher zudem Fastenzeit war, der Geschenke- und Geschäftemacherei gewichen ist??? Lebkuchen oder sonstige Weihnachtsbäckerei interessiert zu Weihnachten niemanden mehr, gibt’s das doch bereits ab September im Supermarkt zu kaufen. Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, als die ersten selbstgebackenen Kekse am Heiligen Abend ausgegeben wurden. Ein besonderer Höhepunkt neben dem Klingeln des Glöckleins durch das Christkind. Aus der andächtigsten, der stillsten Zeit des Jahres ist die hektischste Zeit des Jahres geworden. Und die meiste Last wird dabei auf den Müttern abgeladen: Hausputz, Backen, Geschenke besorgen und schliesslich stundenlang in der Küche stehen und kochen. Die Väter hingegen haben sich einmal mehr hemmungslos dem Lux-Wettkampf mit dem Nachbarn ergeben. Früher war es die Kerze im Küchenfenster – heute kilometerlange LED-Ketten. Und das mit dem Christbaum – der-massen beladen, dass vom Baum selbst nichts mehr zu sehen ist. Dafür wurde er abgehackt! Alsdann war da noch ein Song, der als Ohrwurm über knapp einen Monat allerorts zu hören ist: „Last Christmas, I gave you my heart, but the very next day, you gave it away“ – von George Michael und Andrew Ridgeley eigentlich für Ostern geschrieben. Wie wär’s denn mit etwas Ehrlichem, wie „Es wird scho glei dumper, es wird scho glei Nacht“ oder anderem aus unserer immer wieder dermassen hochgehaltenen Wertegesellschaft???

Ich dachte immer, hinter dem Geist der Weihnacht‘ steckt etwas anderes: Liebe, Besinnlickeit und die Gemeinschaft der Familie! Wäre es da nicht sinnvoller, diese Feierlichkeiten um des Feierns willen wieder auf den Jahreswechsel oder gar auf Dreikönig zu verschieben – so wie es in früheren Zeiten war, damit für den ursprünglichen Sinn von Weihnachten etwas mehr Platz bleibt???!!!

PS:

†Klar – auch ich war mal Kind und freute mich zu Weihnachten vor allem auf die Geschenke. Doch war mir nicht bewusst, dass sich dafür meine Eltern abschuften mussten! Bringt ja eh das Christkind! Hier liegt meines Erachtens das Übel heutiger Zeit – in der Erziehung! Nicht in der unerschöpflichen Umsatz-Gier der Konzerne, die diesen Umstand nur ausnutzen. Zeit füreinander zu haben ist doch viel wertvoller als jedes noch so teure Geschenk. Viele Kinder wünschen sich dies auch: Mama und Papa sollten mehr Zeit für sie haben!

Links:

www.thebfcm.co.uk

eggental.com/weihnachtszauber

www.hochschwarzwald.de/veranstaltungen-hochschwarzwald/weihnachtsmarkt-ravennaschlucht#weihnachtshimmel

www.christkindlesmarkt.de

christkindlmarkt.co.at

www.weihnachtsmarkt.ch/

hydeparkwinterwonderland.com

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Das Christkind bringt allen etwas

2016 wurde nahezu ganz Paraguay überflutet, ein Jahr später Ecuador, Peru und mit Einschränkungen auch Kolumbien! Obgleich es der darauf folgende US-Präsident Donald Trump nicht wahrhaben wollte: Die Klima-Kapriolen, verursacht durch die Verschmutzung der Atmosphäre durch Treibhausgase wie Kohlendioxid, Methan, Schwefeloxide etc. werden noch viele Zerstörungen hervorrufen und sehr viel Leid bringen. Da kann man als reicher Mann in seinem eigenen Hochhaus oder als US-Präsident im sicheren Weissen Haus sitzen und noch so viele Witze reissen – es ist schlichtweg pietätlos über Menschen zu lachen, die in den Fluten ertrinken oder aufgrund der Dürre verhungern! Deshalb forderte auch Trumps Amtskollege aus Peru, Präsident Pedro Pablo Kuczynski, mehr Massnahmen gegen den Klimawandel zu setzen. Dessen aktueller Nachfolger, Pedro Castello, hingegen lässt die Zügel im Andenstaat in dieser Hinsicht wieder schleifen: Illegaler Bergbau ruiniert erneut die Pampa und das Naturschutzgebiet Tambopata, die Abholzung des Waldes schreitet voran – 2020 wurden unter Präsident Martin Vizcarra mehr als 200.000 Hektar Wald gerodet, die Wiedereinsetzung des damals willkürlich abgesetzten Vorsitzenden der Nationalagentur für Forst und Wildleben, Alberto Gonzales-Zúñiga, wurde durch Regierungsinter-vention verhindert, Kokasträucher werden zu Tausenden gepflanzt … Man muss keine Universität besucht haben um schlusszufolgern, dass Unwetter rasch wieder zu Umweltkatastrophen führen können. Denn: Was früher im regelmässigen Abstand von vier Jahren auf die Bevölkerung zukam, ist nun durchaus jedes Jahr möglich!

Verantwortlich für viele der Katastrophen weltweit zeichnet ein Wetter-phänomen, das als „El Niño“ (in diesem konkreten Fall „Das Christus-Kind“) bekannt ist. Der Experte spricht von „ENSO – der El Niño Southern Oscillation“ und versteht hierunter die „ungewöhnlichen, azyklischen Strömungen im ozeanographisch-meteorologischen System“. Vereinfacht ausgedrückt: Anomalien in der Meeres-Oberflächentemperatur. 

Peruanische Fischer haben das Phänomen erstmals 1891/92 zur Weih-nachtszeit beobachtet und deshalb diesen Namen gewählt. Ähnlich wie im Atlantik der Golfstrom, den ich an dieser Stelle ja bereits erklärt habe, steckt auch hier ein riesiger Strom dahinter: Der Humboldtstrom. Er liefert kühles und nährstoffreiches  Wasser an die Küste von Peru, das durch die Passatwinde noch schneller aufgetrieben wird. So hat das Wasser zur Weihnachtszeit bei Indonesien rund 28, vor Peru nurmehr 24 Grad. El Niño nun sorgt dafür, dass die Passatwinde ausbleiben, die Durchmischung nicht mehr funktioniert. Der kalte Humboldtstrom wird schwächer oder kommt gar zum Erliegen. Das Wasser erwärmt sich vor der Küste des Andenstaates, während es vor Australien und Indonesien kälter wird. An sich kein Problem, wird dies doch durch Südostwinde normalerweise ausgeglichen: Während im Ostpazifik ein Hochdruckgebiet entsteht, fällt im Westpazifik, der Luftdruck. Dadurch wird unter normalen Umständen diese sehr feuchte Luft in Richtung Indonesien angezogen („Walker-Zirkulation“). Dort treffen alsdann Südost- und Nordostpassat aufeinander („innertropische Konvergenzzone“). Diese Passatwinde entstehen dadurch, dass sich die Luftmassen durch die senkrecht stehende Sonne erwärmen und in Richtung Pole ziehen. Über den Wendekreisen sinken sie wieder ab und ziehen zum Äquator zurück („Hadley-Zirkulation“). Dabei blasen sie ungeheuerliche Wassermassen vor sich her, was dazu führt, dass der Meeresspiegel in Indonesien um ganze 60 cm höher als in Peru ist. Die Grenzfläche zwischen warmem Oberflächen- und kaltem Tiefenwasser (Thermokline) liegt normalerweise im Osten bei 30, im Westen hingegen bei 150 m. El Niño sorgt aber dafür, dass die Luftmassen und mit ihnen auch das warme Oberflächen-wasser zungenförmig gegen die südamerikanische Küste klatschen. 

Die Folgen bleiben selbstverständlich nicht aus: Das Plankton in den oberen Wasserschichten stirbt ab, die Fische haben nichts mehr zu futtern, wandern ab oder sterben. Die Robben verhungern oder werden krank. Ganze Nahrungsketten können zusammenbrechen – in einer Region, in der in normalen Jahren etwa zehnmal so viele Fische wie ansonsten gefangen werden können. Auch den Korallenbänken geht’s an den Kragen. 1997/98 gingen etwa 1/6 aller Riffs weltweit kaputt, da sich die symbiotischen Algen von ihnen trennen und Pigmente abgestossen werden – das Leben entweicht, es kommt zur Korallenbleiche. Am besten war dies am Great Barrier Reef bei Australien zu sehen. Dieses erholt sich nun etwas, wird aber immer anfälliger gegenüber Einflüsse. Verant-wortlich dafür ist Stress, der etwa durch zu warme Temperaturen verursacht werden kann, 

Zudem verdunstet das wärmere Wasser schneller. Während der Über-schwemmungskatastrophe in Peru war dort der Pazifik um nicht weniger als fünf Grad Celsius wärmer als üblich in dieser Jahreszeit. Steigt nun die extrem feuchte Luft an den Anden auf, beginnt es zu regnen. Fatal für Peru und auch Kolumbien, da in beiden Ländern grossflächige Abholzungen dazu führen, dass das Wasser nicht mehr im Regenwald gespeichert wird, sodass es samt der Schlammmassen und Geröll zu Tale donnert.

Dieser Beitrag ist 5 Jahre alt – davor gab es auch Hochwasser in Peru – vier Jahre vorher. Die nächsten reissenden Fluten jedoch kamen bereits im Jahr 2019.  

Zurück zum Pazifik: Aufgrund des warmen Wassers – das ja oben fliesst – steigt der Meeresspiegel um rund 30 cm. Durch die Ostwinde wird dieses in Richtung Südamerika getrieben wird. Der Humboldtstrom hatte es ansonsten abgekühlt, wodurch das Wasser absinkt. Nicht weniger als 23 Häfen mussten in Peru während des Naturereignisses geschlossen werden.

Die globalen Auswirkungen sind noch extremer. Während es an der kom-pletten südamerikanischen Westküste wie aus Eimern schüttet, werden die nördlichen Pazifikküsten trockener! In Kalifornien herrscht seit Jahren Wasserknappheit da immer weniger Schnee die Sierra Nevada als Wasser-ressource bedeckt. Um dem entgegen zu wirken wurden riesige Bau-massnahmen gestartet: Staudämme, Kanäle, Leitungen. Zirka 3/4 des Nutzwassers des Bundesstaates kommt aus dem Norden, der Süden aber verbraucht rund 80 % davon. Dennoch zu wenig – Millionen Bäume vertrocknen, brennen nieder oder werden vom Borkenkäfer befallen. Schon vor Beginn dieses Jahrzehnts sprach Gouverneur Brown vom schlimmsten Waldsterben der jüngeren Geschichte Kaliforniens. Auch die riesigen Mammutbäume im Norden des Landes sind hiervon betroffen. 

Auch in Südost-Asien und Australien fehlt der Regen – Dürre und Busch-feuer sind die Regel. So produzierten die Waldbrände 2015 in Indonesien mehr CO2 als die kompletten Vereinigten Staaten im selben Jahr und verursachten einen Schaden von nicht weniger als 16 Mio Dollar! Anfang 2020 wüteten im australischen Busch nicht weniger als 11.400 Feuer. Sie führten zur verheerendsten Buschbrand-Saison in der Geschichte des Kontinents. Das wiederum beeinflusst das Weltklima: Pyro-Kumulon-imbuswolken („PyroCbs“) verfrachten Qualm und damit Unmengen an Partikeln in die obere Troposphäre bis sogar in die untere Stratosphäre, die sich dadurch erwärmt. Dadurch sinkt der schützende Ozongehalt dieser Atmosphärenschicht. 

Der Monsum auf dem indischen Subkontinent verschiebt sich, wird intensiver oder kommt gar nicht. Riesige Wirbelstürme entstehen vor Mexiko (etwa „Stan“ oder „Wilma“ 2005, „Dean“ 2007, „Sandy“ 2012, „Irma“ 2012 oder „Ida“ 2021), die bei ihrer Reise in Richtung Norden unglaubliche Schäden anrichten. 

Aber auch der afrikanische Kontinent leidet darunter. Während etwa Kenia und Tansania übermässig Regen abbekommen, fehlt dieser im südlichen Afrika wie Sambia, Simbabwe, Mosambik und Botswana und zudem Äthiopien.

Auch an den Polkappen ist das pazifische Wetterphänomen zu spüren: Im Sommer verliert die Arktis rund 2,6 Million Quadratkilometer ihres Eises zu viel (Tendenz zunehmend). Die NASA hat zudem nachgewiesen, dass 2016 auch das Meereis in der Antarktis durch das Christkind aus dem Pazifik verringert wurde. Die Experten sprechen von rund 19 Mio Quadratkilometern im Oktober – das wären rund 1 Mio weniger als noch im Rekordjahr 2014. 

Mögliche Auswirkungen auf Europa sind noch nicht geklärt – nur die mehr als kalten Winter 1941/42 (Russlandfeldzug des Dritten Reichs) und 2009/2010 können auf das Wetterphänomen zurückgeführt werden. Derzeit geht die Wissenschaft davon aus, dass ein stärkeres Frühjahrs-regenband in El Niño-Jahren von Südengland bis nach Zentralasien zieht – das aber ist noch nicht erwiesen. 

Alle zwei bis acht Jahre treten diese Wetterphänomene auf. In den anderen Jahren kann es nach einer Übergangsphase zum gegenteiligen Effekt kommen: Einer Verstärkung des normalen Zustandes – bekannt als „La Niña“ („kleines Mädchen“): Der östliche Pazifik kühlt ab – Indonesien bekommt einen sehr nassen Herbst, während in Peru zwei Monate später Dürre herrscht. Je heftiger der vorherige El Niño war, desto schneller tritt La Niña ein. Grössere El Niño-Ereignisse gab es in den Jahren 1997/98 und 2015/16. Das grösste Ereignis aber betrifft die Jahre 1982/83: Über drei Millionen Hektar Wald verbrannten nur auf Borneo; Bolivien, Ecuador und die Westküste der USA gingen im Wasser unter, Hawaii und Tahiti wurden von Wirbelstürmen heimgesucht – Experten sprechen von einem weltweiten Schaden von acht Milliarden Dollar. Die Wassertemperatur lag sieben Grad über dem Durchschnitt, das erwärmte die Umfeld-Luft-temperatur um rund 1,5 Grad (normal in El Niño-Jahren sind 0,25 Grad). 2015/16 gab es riesige Flächenbrände auf Australien und Indonesien, während in der Atacama-Wüste in Chile nach respektablen Regenfällen ein Blumenmeer zum Vorschein kam. Ostafrika wurde von Starkregen, Überflutungen und Erdrutschen heimgesucht, während im Norden Brasiliens eine Dürrekatastrophe herrschte. Gleichzeitig allerdings stieg der Pegel des Parañas im Süden des Landes um bis zu acht Meter.  

Einige Klimaforscher beobachteten in El-Niño-Jahren Veränderungen bei der Intensität der Sonneneruptionen. Alle elf Jahre verändern sich zudem die Sonnenflecken durch heftige Entladungen an der Oberfläche der Sonne. Die Wissenschaftler vermuten, dass die Klimaerwärmung entscheidend zur Häufigkeit und Stärke des El-Niño-Phänomens beiträgt. Was allerdings tatsächlich diese Umkehr der Walker-Zirkulation auslöst, bleibt weiterhin unerforscht! Auch die Vorhersage der Stärke ist nahezu unmöglich! Fakt jedoch ist, dass sich diese Umweltkatastrophen häufen – auch in diesem Jahr können sie nicht ausgeschlossen werden: Einige Regionen wie New South Wales in Australien wurden bereits wieder überflutet, in Pakistan gab es im Herbst einen sehr heftigen Monsun! Im dritten La-Niña-Winter in Folge – zum dritten Mal übrigens in der Geschichte nach 1974 bis 1976 und 1999 bis 2001!

Lesetipps:

.) Super El Niño; Li-Ciao Hong; Springer 2016

.) Fernwirkungen des El Nino und seine historischen Aspekte; Paulina Holbreich; GRIN Verlag 2016

.) El Niño: Klima macht Geschichte; César N. Caviedes; Primus 2005

.) Stichwort El Niño; Christian Eckert; Heyne 1998

.) Die Erde hat ein Leck (und andere rätselhafte Phänomene unseres Planeten); Axel Bojanowski; DVA

.) La Jungle, la nation et le marché. Chronique indonésienne; Frédéric Durand; L’Atalante 2001

.) Das Meer – Wasser, Eis und Klima; Petra Demmler; Verlag Eugen Ulmer 2011

.) El Nino and the Southern Oscillation; Allen J. Clarke; Elsevier Science 2008

Links:

– www.elnino.info/k1.php

– www.enso.info

– www.imk.kit.edu

– www.geomar.de

– www.pik-potsdam.de/en

– ethz.ch/de.html

– www.egu.eu

– iprc.soest.hawaii.edu

– www.climate.gov/enso

– www.jcu.edu.au

– www.weather.gov/fwd/indices

– www.realclimate.org

– worldweather.wmo.int/de

– www.bom.gov.au

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Vanille kann tödlich sein

Weihnachten steht vor der Tür, viele Kekse oder Plätzchen sind bereits gebacken, einige werden noch folgen. Für die meisten gehören die Vanillekipferln zum Fest wie der Weihnachtsbaum. In Österreich beispielsweise rangieren diese noch vor den Linzer-Augen auf Platz 1 des süssen Weihnachtsbäckerei-Rankings. Doch schauen viele in diesem Jahr durch die Finger, da es zwar gottlob wieder genügend der heiss-begehrten Schoten am Markt gibt, die jedoch Unmengen von Geld kosten und damit das Backen dieser Köstlichkeit mit der originalen Vanille nahezu unerschwinglich macht. So kostet eine Schote Bourbon-Vanille aus Madagaskar zwischen 2,50 bis 3,00 €, eine Tahiti-Schote aus Tahiti oder Deutschland zwischen 9-10 €. Vanille ist nach Safran das zweit-teuerste Gewürz. Die richtige Vanille wird inzwischen höher als Silber gehandelt. Wie aber kann das sein? Ein nachwachsendes Gewürz, das wir als Kinder am Liebsten in Kombination mit Eis kannten. 

Die Vanille ist eigentlich eine Orchideen-Gattung mit nicht weniger als 110 Unterarten. Die für das Kochen verwendete wird aus fermentierten Schoten („Kapselfrüchte“) der Gewürzvanille (Vanilia planifolia) gewonnen. Diese Pflanze kommt ursprünglich aus Mittelamerika und hier hauptsächlich aus Mexiko. Die heutigen Hauptanbaugebiete allerdings sind Madagaskar, Reunion und einige andere Inseln im Indischen Ozean. Reunion übrigens hiess früher Île Bourbon – von hier aus startete die Erfolgsreise der Bourbonvanille, die im Regal (wenn noch nicht ausverkauft!) neben der Gewürzvanille steht. Wesentlich weniger verwendet wird die Tahiti-Vanille (Vanilla tahitensis) und die Guadeloupe-Vanille (Vanilla pompona). Alle vier Arten unterscheiden sich im Aroma: Die Bourbonvanille besitzt einen süssen, rumhaltigen Geschmack, die Tahiti-Vanille einen blumigen, die mexikanische einen hölzern-würzigen und die indonesische Vanille einen geräucherten Geschmack. Die Schoten aus Tahiti und Guadeloupe werden bevorzugt für die Herstellung von Duftessenzen wie Parfüms verwendet. 

Schon die alten Azteken wussten den Geschmack der Vanille („tlilxochitl“ = schwarze Blume) zu schätzen – Veracruz am Golf von Mexiko war deren Hauptumschlagplatz, besonders spezialisiert auf den Handel die Tachiwin, andere Ureinwohner Mexikos. Auch für die später eingetroffenen europäischen Seefahrer und Kolonialisten. Die Sage erzählt, dass Häuptling Montezuma II. dem Eroberer Hernán Cortés ein Getränk aus Kakao und dem „Geschenk Gottes“ angeboten haben soll. Der Häuptling selbst soll angeblich bis zu 50 Tassen täglich davon getrunken haben. Die Vanille entwickelte sich in Europa zu einem heiss begehrten Geschmacksverfeinerer. Und der illegale Handel dieser Pflanzen war schon damals sehr gefährlich – in Spanien stand hierauf die Todesstrafe. Erst nachdem Mexiko anno 1810 unabhängig wurde, war der Weg frei – die Niederländer und Franzosen liessen sie in deren Kolonien anbauen. Vorerst erfolglos, da die Bestäuber aus Mexiko fehlten: Der Kolibri bzw. die Melipona-Biene. Also müssen auch heute noch die Pflanzen von Hand bestäubt werden, nach Art des 12-jährigen Plantagensklaven Edmond Albius auf Réunion im Jahr 1841. Anfänglich gefeiert wie ein Held, streute der Chefbotaniker der Inselhauptstadt neidisch das Gerücht, dass der Junge aus Wut über seinen Herren die Blüten zerstören wollte und dabei zufällig bestäubte. Albius wurde erst frei, als Frankreich die Sklaverei abschaffte. Er verstarb völlig verarmt und wurde in einem Massengrab beigesetzt. In der Gemeinde Sainte Suzanne auf Reunion wurde eine Statue mit seinem Antlitz aufgestellt und jährlich das „Fest der Vanille“ an seinem Todestag ausgerichtet.

https://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/weltspiegel/videos/vanille-aus-madagaskar-das-schwarze-gold-100.html

Um Ihnen einen Eindruck der Arbeit zu vermitteln: Ein geübter Vanille-Bauer kann bis zu 1000 Blüten pro Tag bestäuben – das bringt gerade mal 2 kg Schoten. Damit es auch für das normale Volk erschwinglich wurde, entwickelten anno 1874 die deutschen Chemiker Haarmann und Tiemann aus Coniferin einen synthetischen Vanilleersatz: Das Vanillin! Allerdings enthält die natürliche Vanille zusätzlich 50 unterschiedliche Aromastoffe, die in dieser Labor-Vanille nicht produziert werden können. In Österreich wurde beispielsweise der Knoblauch als „Vanille des armen Mannes“ bezeichnet. In alten alpenländischen Rezepten steht deshalb sehr häufig Vanille, gemeint ist jedoch Knoblauch („Vanille-Braten“).

Die heutigen Hauptanbaugebiete sind Madagaskar (rund 60 % des Vanilleaufkommens) und Indonesien, in Uganda boomt der Anbau eben-falls – dort will man am teuren Kuchen teilhaben. Vanille wird in Plantagen angebaut. Die Pflanze selbst wächst als Kletterpflanze bis zu neun Meter an Bäumen nach oben. Deshalb gilt Vanille auch als die Retterin des Regenwaldes, da ein solcher unbedingt vonnöten ist. An ihren Rispen bildet sie einmal im Jahr hellgelbe Blüten, von welchen jeweils nur eine für wenige Stunden am Vormittag blüht. Die Schoten beinhalten die Beeren und erreichen eine Länge von bis zu 30 cm. Sie werden noch gelbgrün, kurz vor der Reife geerntet. Erfolgt die Ernte zu früh, so hat dies enorm negative Auswirkungen auf den Geschmack. Zudem beginnt die Schote zu schimmeln, was ansonsten durch das Vanillin verhindert wird. Dann erfolgt die sog. „Schwarzbräunung“. Beginnend mit dem Blanchieren unter heissem Wasser oder Dampf werden sie anschliessend in Jutetüchern zum Trocknen in die Sonne gelegt oder in luftdichten Behältnissen bis zur Auskristallisierung feiner Glukosenadeln fermentiert. Dadurch schrumpfen die Schoten zu kleinen Vanillestangen, es entsteht der eigentliche Geschmacksstoff, das Vanillin in einer Konzentration von 2-3 %. Schliesslich werden die Stangen gebündelt, in Pergamentpapier eingerollt und in Zinnbehälter gegeben. So gelangen sie nach Europa. Das traditionelle Schwarzbräunen dauert bis zu sechs Monate. In Trocknungsöfen geht es wesentlich rascher, allerdings auf Kosten der Geschmacksunterschiede der Anbaugebiete – sie schmecken danach alle gleich. Aus sechs Kilo grüner Schoten wird ein Kilo echte Vanille. Sie sehen also: Es ist ein sehr aufwendiger Prozess, der durchaus seinen Preis rechtfertigt. 

Weshalb aber nun dieser in ungeahnte Höhen steigt, ist einerseits das Ergebnis von Naturgewalten, andererseits auch der Gewinnsucht der Zwischenhändler. Um 12.30 Uhr Ortszeit erreichte am 7. März 2017 der Zyklon „Enawo“ Madagaskar. Hierzulande mit wenig Interesse verfolgt, war es v.a. für die Vanille-Anbauregion Sava eine Riesenkatastrophe. Der Wirbelsturm fegte mit 205 Stundenkilometern über die Insel, 81 Menschen starben. Zudem wurden rund 30 % der Vanille-Ernte zerstört. Von dem, was zuvor eine lange Dürrezeit überdauert hatte. 1000 Tonnen (ansonsten sind es rund 1.500) blieben übrig. Nun kommt die Gewinnsucht hinzu: Zwischenhändler kaufen grosse Mengen der Schoten auf. Doch anstatt sie auf den Markt zu werfen, werden diese gelagert, der Preis beobachtet und mit Maximalgewinn dann abgestossen. Belief sich der Preis zu Beginn des Jahrtausends noch auf 140 US-Dollar für das Kilo, so sind es 17 Jahre später schon mal bis zu 600 US-Dollar und heute über 600 US-Dollar. Der Preis brach 2020 aufgrund der Corona-Pandemie und der schlechteren Qualität (zu frühe Ernte und Trocknungs-öfen) etwas ein, stieg dann jedoch erneut an. Hauptabnehmer aber auch Hauptmanipulateure des hohen Preises sind Konzerne wie Nestlè, Unilever, Coca Cola und Mondelez. So kritisiert die Regierung Madagaskars beispielsweise die Methoden der Firma Symrise, die angeblich einerseits die Bauern zur Frühernte nötigt, andererseits zum Diebstahl und sogar Mord animieren soll, indem sie gestohlene Ware aufkauft. Siehe hierzu den Bericht des Premierministers Olivier Mahafaly Solonandrasana vom Mai 2017. Nestlé betont immer wieder, sich über die Anbaubedingungen vorort kundig zu machen, mit einem Drei-Punkte-Programm die Bauern beim nachhaltigen Anbau unterstützen zu wollen und nur die beste Vanille aufzukaufen. Der Endverbraucher zahlt allerdings nicht nach Gewicht, sondern nach Schote. Umgerechnet würde ihn alsdann ein Kilogramm zirka 1.330,- € kosten – rund der doppelte Silberpreis!

Diese Preisentwicklung führt zu einem bizarren Anstieg der Kriminalität auf Madagaskar, kann sich doch so manch einer einen kleinen Reichtum damit aufbauen. Die Bauern übernachten sogar auf den Plantagen, damit die Diebe die Schoten nicht direkt von den Bäumen klauen können. Einer der Kleinbauern berichtet, dass er vor allem in der Nacht dabei sein Leben riskiert. Hier setzt auch die Studie des dänischen Instituts für investigativen Journalismus, DanWatch, an. Demnach kämpft jeder Bauer auf der Insel gegen Diebstahl und Nötigung. Kredithaie bieten den Bauern Darlehen an, die sie später zwingen, die Ernte weit unter Wert zu verkaufen. Können sie dennoch nicht zurückzahlen, müssen die Kinder Zwangsarbeit in den Plantagen verrichten. All das wird einem niemals bewusst, wenn in der Küche die Schote mit dem Messer aufgeschnitten und ausgekratzt wird, damit die Aromastoffe des Vanillins im Öl und dem Mark an so manchem Gaumen kitzeln können. Verfeinert werden damit zumeist Kakao und Schokolade, aber auch Süssspeisen wie Puddings und Crèmes. Die englische Königin Elisabeth I. soll ganz wild auf derartige Nachspeisen gewesen sein. Aber auch zu weissem Fleisch, Fisch oder Hummer sagt kein Gourmet nein, zur Vanille. 

Die echte Vanille kann zumeist an den kleinen schwarzen Samen in der Speise erkannt werden – die gelbliche Farbe kommt vornehmlich von den vielen verwendeten Eiern. Doch auch hier zeigt sich die Lebensmittel-industrie als sehr ideenreich: Wird Vanillin aus Holz gewonnen, so kann es rechtlich gesehen durchaus als „natürlich“ bei den Inhaltsstoffen angeführt werden. Die schwarzen Samen werden nur beigegeben, um den Eindruck echter Vanille aufkommen zu lassen – sie haben zumeist kein Aroma mehr. 

In Europa ist es hauptsächlich die Bourbon-Vanille aus Afrika, in den USA und Kanada die mexikanische Vanille, die so manchen Sternekoch begeistert. Coca Cola wollte in den 80er Jahren die teure Vanille durch das synthetische Vanilin ersetzen. Diese Entscheidung trugen aber die Kunden nicht mit, sodass der Versuch abgebrochen werden musste. Heutzutage benötigt das Unternehmen – ähnlich wie Konkurrent Pepsi Cola – rund 40 Tonnen des edlen Gewürzes pro Jahr. Im Vergleich dazu: Die Niederösterreich-Milch (NÖM) braucht neun Tonnen pro Jahr!

Die Vanille aus der Sicht der Heilkunde, Pharmazie und Medizin betrachtet: Sie wirkt potenzsteigernd, entspannend, stoffwechsel-fördernd, galletreibend, muskelstärkend und vieles mehr. Entsprechend auch ihr Einsatzgebiet: Bei Potenzproblemen, Muskelschwäche, Rheuma, Stimmungsschwankungen und Verdauungsstörungen.

Wenn Sie selbst auf Einkaufstour gehen, dann achten Sie darauf, dass die Schote lederartig elastisch ist. In ausgetrockneten Stangen sind nurmehr wenig Aromastoffe enthalten. Schwarze Schafe versuchen zudem synthetische Vanillinkristalle auf die Schote aufzusprühen. Die natür-lichen sind unregelmässig verteilt – sie gelten als untrübliches Zeichen für eine ausgezeichnete Qualität- die aufgesprühten sind hingegen regelmässig. Lassen Sie sich dadurch nicht hinter’s Licht führen. Oftmals findet auch das Vanillepulver zuhause Anwendung. Dies sind die gemahlenen Samenkörner. Allerdings sind hier nur ganz wenige Aromastoffen enthalten. Bei der „gemahlenen Vanille“ hingegen werden auch die Kapselhülsen mitgemahlen, sodass diese Aromen erhalten bleiben. Auch besteht zwischen dem „Vanillezucker“ und dem „Vanillin-zucker“ ein Unterschied: Ersterer wird mit echter Vanille hergestellt, zweiterer hingegen mit synthetisch hergestelltem Vanillin.

Die Industrie bevorzugt den Vanille-Extrakt. Er besteht aus bis zu 35 % Ethanol und ist nicht selten mit Zuckersirup gestreckt. Der hoch-konzentrierte Extrakt ist unbegrenzt haltbar. Nach Schätzungen enthalten rund 18.000 Produkte ein Vanillearoma. Vom Joghurt (mein Favorit!) über Eis bis hin zu Parfüms und Medikamenten. Allerdings ist dies zumeist im Labor entwickelt worden. Nur rund 1 % dieser aromatischen Produkte kommt tatsächlich aus der Schote. 

Experten warnen bereits davor: Der nächste Vanille-Kollaps wird nicht mehr lange auf sich warten lassen. Spätestens wenn der Konsument nicht mehr dazu bereit ist, den Preis für echte Vanille bezahlen zu wollen, wird die Seifenblase platzen. Dann wird der Preis enorm fallen, da zudem die Ware aus den anderen Anbaugebieten (Indien, China) auf dem Markt angekommen ist.

Lesetipps: 

.) Wilhelm Haarmann auf den Spuren der Vanille; Björn Bernhard Kuhse; Verlag Jörg Mitzkat 2012

.) Vanille, Gewürz der Göttin; Annemarie Wildeisen; AT Verlag 2001

.) Vanilla planifolia – Echte Vanille (Orchidaceae). Jahrbuch des Bochumer Botanischen Vereins. Bd. 5; Veit Martin Dörken/Annette Höggemeier 2014

.) Gewürze – Acht kulturhistorische Kostbarkeiten; Elisabeth Vaupel; Deutsches Museum 2002

.) Vanille – Die schwarze Königin; Katja Chmelik; Geschichte 2007

.) Vanilla: Travels in Search of the Luscious Substance; Tim Ecott; . Penguin Books 2004

.) Encyclopédie Biologique. Band XLVI; Hrsg: Gilbert Bouriquet; Paul Lechevalier 1954

Links:

– mondevanille.com

– www.vanille-reunion.fr

– www.vanillacampaign.com

– lafaza.com

– austhachmann.de

– www.kotanyi.com/at/de/

– www.symrise.com/de/

– beyondgood.com

– heilkraeuter.de

– www.gesundheit.gv.at

– www.lebensbaum.com/de

– tropicos.org/home

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Licht macht krank

Im Laufe meiner Radio-Karriere habe ich in vielen Live-Studios gearbeitet. Eines davon war besonders schön – jenes der Antenne Tirol! Komplett durchdesigned – ein wirklicher Hingucker. Doch beendete ich damals all meine Sendungen mit rasenden Kopfschmerzen. Nachdem es nicht nur mir so erging, versuchte sich unsere Technik mit der Fehler-suche. Das Resultat (man möchte es nicht glauben) waren die TFT-Monitore, Computer-Flachbildschirme, die sich sehr negativ auf die Augen auswirkten. Mit einer Ausnahme (Platzprobleme) wurden sie damals durch normale Monitore ersetzt. Die Technik war wohl noch nicht so weit, doch sollte auch heute acht gegeben werden, was für wie lange verwendet wird, denn: Licht kann krank machen! Verantwortlich dafür ist vornehmlich das blau-violette Licht. Es wirkt helfend bei Schlafstörungen oder Winterdepression, allerdings schädigt es auch die Augen nachhaltig – eine Tatsache, die schon rund 100 Jahre lang bekannt ist, trotzdem nur wenig Beachtung v.a. bei den Herstellern findet. 

Licht wird in unterschiedlichen Wellenlängen durch den Menschen wahr-genommen. Dabei reicht der sichtbare Bereich von 380 bis zu 780 nm. Darunter ist das für den Menschen unsichtbare ultraviolette Licht (UV) zu finden, darüber das ebenfalls unsichtbare Infrarot-Licht (IR). UV-Licht ist wesentlich energiereicher als blau-violettes Licht, richtet jedoch im vorderen Teil des Auges (Hornhaut, Linse) den meisten Schaden an, wo es absorbiert wird.  

„Sichtbares kurzwelliges Licht hingegen dringt ungehindert bis zur Netz-haut vor und erzeugt dort oxidativen Streß.“

(Alexander Wunsch, Humanmediziner & Lichttherapeut)

Kurzwelliges Licht wird stärker gebrochen – dabei schädigt der Wellen-bereich von 380 bis 440 nm (High Energy Visible HEV) alsdann vornehm-lich die Netzhaut („Blue hazard“) sowie das retinale Pigmentepithel – es kommt zur sog. „Photoretinitis“.

Unser Körper braucht das Licht – das wird vielen v.a. im Winter bewusst, wenn die Sonne nur wenig zum Vorschein kommt. Diese wohltuenden Wellenlängen nehmen wir durch die Augen auf, das Protein Melanopsin ist für die Weiterleitung verantwortlich. Dabei wird das UV-Licht zur Her-stellung von Vitaminen verwenden, das darüber liegende Wellenspektrum ist für die Hormone verantwortlich. Der blaue Teil des Lichtspektrums beeinflusst in entscheidendem Maße die Bildung des Hormons „Mela-tonin“ in der Zirbeldrüse des Zwischenhirns, das uns deutlich macht, wann es Zeit wäre, ein Schläfchen einzulegen (Tag-Nacht- oder circadianer Rhythmus). Deshalb lässt es sich recht leicht erklären, wes-halb blaues Licht bei Schlafstörungen, wie etwa auch der „senilen Bett-flucht“ eingesetzt wird. Verantwortlich dafür zeichnet meist bei älteren Menschen eine Linsentrübung, die weniger blaues Licht zu den Rezep-toren der Netzhaut durchlässt. Das kann den Wach-Schlaf-Rhythmus ganz schön durcheinander bringen. Die Unterdrückung des Melatonins ist zudem für viele hormonbasierenden Erkrankungen verantwortlich, da weniger Schutz gegenüber den freien Radikalen besteht (Dickdarm-, Prostata- oder auch Brustkrebs). Studien haben hierzu ergeben, dass blau angereichertes Licht tagsüber leistungsfähiger, konzentrierter und emotional weniger reizbar macht (Viola et al 2008). So ist beispielsweise im Sonnenlicht zu Mittag mehr Blaulicht als gegen Abend hin enthalten. In der Natur selbst aber ist intensives Blau nur sehr selten – auch das Azur des Himmels oder das Meeresblau des Ozeans sind abgeschwächt.

Bevor Sie nun aber tagsüber mit blauem Licht bestrahlen um wieder besser schlafen zu können, muss ich Sie vorwarnen: Zu viel UV- und blau-violettes Licht führt nicht nur zu sehr schmerzhaften Entzündungen der Binde- und Hornhaut, sondern auch zu nachhaltigen Beschädigungen an der Augenlinse, auch als „Grauer Star“ oder Katarakt bekannt, sowie der Netzhautmitte, der Makula lutea, des „gelben Flecks“, also der Stelle des schärfsten Sehens (Makuladegeneration), da es dort keine entsprechenden Rezeptor-Zapfen für das blaue Licht gibt. In deutschen Landen leiden rund 3,5 Millionen Menschen an einer solcher Makula-degeneration – allerdings aufgrund unterschiedlichster Ursachen.

In der Gegenwart kommen wir ohne einen erhöhten Blauanteil nicht mehr aus. Handy-Displays, LED, Energiesparlampen, Xenon-Scheinwerfer,… Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2012 verwenden in Deutschland rund 84 % täglich einen Computer, ein Smart-phone oder ein Tablet. Beleuchtet werden diese zumeist durch eine Hintergrundbeleuchtung auf Quecksilberbasis, entweder durch Leucht-stoffröhren (cold cathode fluorescent lamps) oder durch Weisslicht-LEDs – beide mit einem erhöhten Blauanteil. Wer sich zu lange diesen unnatürlichen Lichtquellen aussetzt, wird mit zunehmender Zeit auch zunehmend Probleme bekommen: Kopfschmerzen, Konzentrations-probleme, Müdigkeit, Schlafstörungen und Verspannungen aber auch brennende, tränende, stechende, gerötete Augen, Lidflattern, zeitweilige Kurzsichtigkeit, Doppeltsehen, veränderte Farbwahrnehmung. Eine These, die jedoch noch nicht mittels Langzeittestung wissenschaftlich untermauert wurde. Schützen gegen das schädliche Licht geht ganz einfach: Sonnenbrillen mit einem UV-Filter für aussen und Brillen mit einem Blau-Filter oder gelbe Intraokularlinsen für innen! Beide filtern das Licht, sodass nurmehr wenige dieser schädlichen Spektrumsanteile zum Auge gelangen. Die besseren Displays oder Bildschirme passen die Beleuchtungsstärke automatisch an die Lichtverhältnisse der Umgebung an – ansonsten kann dies bei den meisten manuell eingestellt werden.

LED- oder LCD-Screens? Diese Frage ist ganz einfach zu beantworten: LED! Diese Monitore werden durch ein elektrisches Halbleiterelement (Leuchtdioden) zum Leuchten gebracht. QLED- oder v.a. OLED-Fernseher haben derzeit auch die grössten Marktanteile. Im Vergleich dazu sind LCD-Monitore wesentlich komplexer aufgebaut. LC steht für „Liquid Crystal“. Je nach Blickwinkel ändern sich Kontrast und Farbe – aber auch die Leuchtdichte. LCDs leuchten nicht von selbst – hierfür sorgt eine Hintergrundbeleuchtung. Dies übernehmen – wie bereits erwähnt – vor-nehmlich Kaltkathodenröhren oder LEDs. Dabei wird das Licht über eine lichtleitende Folie einheitlich über den Bildschirm (Edge Blacklight) oder über einen Diffuser verteilt (Direct Blacklight). Gleiches gilt übrigens im Grossen und Ganzen auch für die LED-Beleuchtung. Derzeit verfügbar sind mehrere Typen, die sich v.a. durch die Ausrichtung der Flüssig-kristalle zwischen den Glasplatten unterscheiden: 

.) TN (Twisted Nematic – nematische Drehzelle)

Zwei sehr dünne, um 90 Grad zueinander verdrehte Glasplatten sind mit einer transparenten Indium-Zinn-Oxidschicht (Elektrodenschicht) über-zogen. Zwischen den Platten befinden die die Flüssigkristalle in einer weniger als 10 Mikrometer dicken Schicht. Sie sind parallel und in eine vorgegebene Richtung geordnet. Durch die verdrehten Glasplatten. entsteht einen schraubenförmige Struktur im Flüssigkristall (TN). Ein-fallendes Licht wird vor dem Eintritt in die Flüssigkristallschicht linear polarisiert, durch die Verdrillung der Kristalle dreht sich auch die Polarisationsrichtung des Lichts, dadurch kann es den zweiten Polarisator passieren. Im Ruhezustand ist ein solches Display durchsichtig. Legt man eine elektrische Spannung an, so richten sich die Flüssigkristalle parallel zum elektrischen Feld aus. Die Verdrillung wird aufgehoben – das Licht kann den zweiten Polarisator nicht mehr passieren. Dieser TN-Typ ist relativ kostengünstig, schaltet schnell und wird deshalb vornehmlich in Büros oder dem heimischen Wohnzimmer verwendet. Der Nachteil liegt in der geringen Blickwinkel-Stabilität, soll heissen: Je schiefer (spitz-winkliger) auf den Bildschirm geblickt wird, umso mehr lassen Kontrast und Farbe nach. 

.) STN (Super-Twisted Nematic)

In diesen Displays wird der Verdrillwinkel der Moleküle auf 180 bis 270 Grad erhöht. Dadurch wird eine verbesserte Multiplexbarkeit erreicht. Allerdings ist der Aufwand, die Darstellung farbneutral darzustellen, enorm hoch (DSTN-Zellen mit doppelbrechenden Verzögerungsfolien etwa). Das Unternehmen Sharp hat mit CSTN das System weiterentwickelt – Filter in den drei Grundfarben rot, grün und blau sorgen für die Farben.  

.) Triple Super-Twisted Nematic (TSTN)

Auch dies ist eine Weiterentwicklung des TN-Typs. Kurz erklärt: Das Beleuchtungslicht wird polarisiert und durch eine Folie gefiltert. So durchdringt es die beiden Glasscheiben und die dazwischen liegende Flüssigkristallschicht. Danach wird es nochmals durch eine Folie gefiltert und durch den vorderen Polarisator gejagt. Schlussendlich tritt es farbig aus. die beiden Filterfolien gleichen Farbstörungen aus. 

.) In-Plane-Switching (IPS)/Super In-Plane-Switching (SIPS)

Die Elektroden befinden sich hierbei in einer Ebene parallel zur Display-Oberfläche. Wird eine Spannung angelegt, so drehen sich die Moleküle in der Bildschirmebene. Die Schraubenform der TN-Monitore entfällt dadurch. Diese Geräte zeichnen sich durch eine hohe Blickwinkelstabilität und sehr guten Farben aus. Allerdings ist die Herstellung wesentlich kostenintensiver und das Display dunkler als beim vorhergehenden Typ. Dies kann durch eine stärkere Hintergrundbestrahlung ausgeglichen werden, was jedoch den Stromverbrauch ansteigen lässt.

.) Multi Domain Vertical Alignment (MVA)/Pattern Vertical Alignment (PVA)

PVA ist die Weiterentwicklung des MVAs. Beide zeichnen sich durch einen höheren Kontrast und wesentlich grössere Blickwinkel-Unabhängigkeit aus – doch sind sie langsamer als TN-Monitore und deshalb für Bewegtbilder nicht unbedingt geeignet. Zudem sind die Produktions-kosten nicht von schlechten Eltern. 

„Das warme Licht der Glühlampe, das dem Sonnenlicht in vielen Punkten ähnlich ist, kann neuesten Forschungen zufolge die Netz-haut pflegen.“

(Prof. Karl Albert Fischer – Österreichisches Institut für Licht und Farbe)

Vielen Dank Europäische Kommission in Brüssel, die die Herstellung von Glühbirnen schon vor einigen Jahren untersagt hat! Studien haben nämlich ergeben, dass das langwellige Nah-Infrarot-Licht der Glühbirne einerseits die Widerstandskraft, andererseits die Selbstheilungs-möglichkeit der Sinneszellen stärkt. Das Licht der Glühbirne gleicht dem Sonnenlicht im Spektrum am Ehesten. Bei LEDs können dies nur die Tageslichtlampen mit Vollspektrumlicht (zwischen 5.300 und 6.500 Kelvin).  

Mit steigender Beleuchtungintensität verringert sich die Unter-scheidungsmöglichkeit der Farben. Bildschirme oder Displays, die nahe am Fenster positioniert werden, sollten zumindest eine Lichtstärke von 1500 bis 2000 Lux vorweisen. 

Übrigens sorgen die Handy- und Tablet-Displays noch für ein anderes Problem: Der Kurzsichtigkeit! Inzwischen diagnostizieren immer mehr Mediziner die sog. „Schulmyopie“ – Kurzsichtigkeit bereits kurz nach dem Schuleintritt! Taiwan gilt mit neun von zehn Kurzsichtigen als die „Insel der Kurzsichtigen“, gleich danach folgt Südkorea – ähnliche Zahlen kommen aus Japan und China. Wenn es auch die Optiker freut, dass immer mehr Menschen immer früher eine Brille benötigen, so sehen viele Augenärzte dies mit grosser Sorge. Gleiches gilt zudem für die lange konzentrierte Arbeit am Laptop oder Computerbildschirm. Durch die Fokkusierung auf unbewegte Bilder verlieren mit der Zeit jene Muskeln die Beweglichkeit, die für die Linsenbewegung zuständig sind. Sie verkürzen sich. Hier sollte für Ausgleich gesorgt werden, indem beispielsweise fernab der Displays und Bildschirme vermehrt auf bewegte Bilder und in die Ferne geschaut wird, damit die Linsen-Muskeln arbeiten müssen. Eine andere Möglichkeit besteht in Sehübungen oder den Augentrainingsbrillen. Beim abendlichen Fernsehen aufgesetzt, wird der Sehnerv aktiv gehalten! Und übrigens: Halten Sie bis zu 33 cm Abstand zum Display!!!

Lesetipps:

.)  Was ist Licht? Von der klassischen Optik zur Quantenoptik; Herbert Walther/Thomas Walther; Beck Reihe 2010

.) Handbuch Licht und Beleuchtung; Torsten Braun/Markus Felsch/Roland Greule;  Müller Rudolf 2016

.) Beleuchtungstechnik für Praktiker; R. Hans; VDE Verlag 1997

.) Praktische Beleuchtungstechnik; R. Baer; Verlag Technik 1999

.) Optik für Ingenieure; Pedrotti et al.; Springer 2005

.) Bedrohtes Augenlicht – was können wir tun?; Orell Füssli; Books on Demand 2015

.) Spectral quality of light modulates emotional brain responses in humans; Vandewalle et al.; The Rockefeller University New York 2011

Links:

– www.licht.de

– www.augen.at

– www.dog.org

– www.augeninfo.de

– www.sog-sso.ch/startseite.html

– www.leading-medicine-guide.com/de/fachgebiete/augenheilkunde/ allgemeine-augenheilkunde

– bildschirmarbeit.org

– retina.ch

– www.seilnacht.com/nachricht.html

– www.zeiss.de/corporate/home.html

– www.auge-online.de

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Jemen – die derzeit grösste humanitäre Katastrophe

Vor einigen Jahren wurde noch von der schlimmsten humanitären Katas-trophe gesprochen, doch kurz danach wurde es wieder still um den Krieg im Jemen. Ja richtig – es begann mit einem Bürgerkrieg, mit der Beteili-gung der Jemen-Allianz und des Irans wurde es zum Krieg. Sechs Monate lang haben zuletzt die Waffen geschwiegen – jetzt wurde der Waffenstill-stand aufgekündigt. 

„Das kann bedeuten, dass die Gewalt wieder das gesamte Land erfassen wird. Dass Millionen Menschen erneut Opfer werden von Luftangriffen, Raketenangriffen und Kämpfen am Boden.“

(Abdulwasea Mohammed, Hilfsorganisation Oxfam)

Geändert hat sich freilich nicht viel, ganz im Gegenteil: Die Lage in diesem Armenhaus der Welt wird immer brutaler und menschenver-achtender. Der Konflikt kam nicht etwa durch das Ende des Waffen-stillstandes in die deutschen Medien, sondern vielmehr aufgrund eines Entgegenkommens der Bundesregierung, die wohl eine grosse Blutspur hinterlassen wird: Deutschland liefert Munition, Ausrüstungsgegenstände und Ersatzteile an Saudi Arabien – möglicherweise als Gegengeschäft für Flüssiggaslieferungen. Doch hierzu etwas später mehr – zuvor einige Infos, wie alles begann.

Zirka 1000 n. Chr. wanderten über Mekka die Haschemiten im Jemen ein. Sie sind Nachkommen des im Islam verehrten Propheten Mohammed. Die al-Huthi-Familie gehört dem zaiditischen Zweig des schiitischen Islam an. Eigentlich keine Haschemiten, wurden und werden sie aufgrund ihres hohen Bildungsniveaus jedoch von der jemenitischen Gesellschaft geschätzt und bekleiden seit Jahrhunderten hohe Ämter wie Richter oder Konfliktvermittler. Bis zum Fall der Monarchie im Jahre 1962 stellte die Familie auch die Imame. Aufgrund von Korruption und Benachteiligung durch die Regierung schlossen sich im Norden des Jemen immer mehr der zaiditischen Stämme zusammen. Die dortigen jemenitischen Stammesführer („Scheichs“) wurden von der Regierung unterstützt und somit ruhig gehalten. Die Huthis hingegen begehrten immer mehr gegen die Korruption, Vetternwirtschaft sowie den „sunnitischen Extremismus“ der Regierung auf und wurden somit zum Sprachrohr der einfachen, armen Bevölkerung. 2004 kam es zu ersten Kampfhandlungen der schiitischen Huthis gegen die sunnitische Regierung, in deren Verlauf Hussein al-Huthi fiel. Im Rahmen des Arabischen Aufstandes 2011 erfolgte die erste politische Wahrnehmung der Huthis – ihre Gegner sahen als deren erklärtes Ziel die Wiedereinrichtung eines zaiditischen Imamats. Diesen jedoch ging es zu Beginn um mehr Autonomie, wirt-schaftliche Ressourcen, die Ausübung ihrer Religion und der Marginali-sierung der Regierung. Die Huthis hatten inzwischen einen florierenden Handel mit Kath aufgebaut, einer Droge, die vom Kathstrauch hergestellt wird. Mit diesem Geld konnten sich die Kämpfer auch militärisch aus-rüsten. Die Regierung des Jemens unter Abed Rabbo Mansur Hadi ging mit Waffengewalt gegen die Rebellen vor. 2015 nahmen die Huthis unter Abdulmalik al-Huthi die Hauptstadt Sanaa ein. Dabei fielen ihnen Waffen, Panzer, Fahrzeuge, Flugzeuge etc. im Wert von rund 500 Mio US-Dollar in die Hände, die kurz zuvor die USA geliefert hatten. Den eingesetzten Übergangsrat und den fünfköpfigen Präsidialrat erkannten die sunni-tischen Stammesführer und die Führer im Süden allerdings nicht an. 

Nach wie vor ungeklärt ist die Herkunft der Waffen und die Unterstützung bei den Kampfhandlungen der Huthis vor der Einnahme Sanaas. Sie selbst hätten wohl keine derart raschen und grossen Gebietserfolge liefern können. Einerseits wird vermutet, dass die Rebellen durch den Iran unterstützt werden – der Einsatz von iranischen Drohnen ist ein stich-haltiger Hinweis hierfür. Andererseits wird vermutet, dass Salih-treue Militärverbände an den Kampfhandlungen beteiligt sind. Ali Abdullah Salih stand über drei Jahrzehnte an der Spitze des Staates. Während des Arabischen Frühlings hatte er das Amt zurückgelegt, zog aber weiterhin im Hintergrund die Fäden. Das resultiert einerseits aus seiner Person als graue Eminenz in seiner ehemaligen Partei, dem Allgemeinen Volks-kongress, und zudem auf der Loyalität des Militärs. Nach Schätzungen von Experten sollen ein bis zwei Drittel der Armee auch 2022 auf Salihs Seite stehen. Andere Schätzungen reden von 70 % der Salih-getreuen Kommandeure von Militäreinheiten. Dieser selbst wurde über Jahre hin-weg finanziell durch Saudi Arabien unterstützt, bis das dortige Königs-haus 2012 an seinem Rücktritt beteiligt war. Mit diesem Geld finanzierte er wohl die bewaffneten Verbände. Dazu zählt ohne Zweifel auch die ehemals durch seinen Sohn Ahmed kommandierte Republikanische Garde, die 2014 einen entscheidenden Sieg gegen die jemenitische 12. Division erzielen konnte, worauf die Hauptstadt Sanaa den Huthis offen stand. Die Anhänger Salihs erhoffen sich dadurch die Wiedererlangung der Regierungsmacht unter Salihs Sohn, was Salih jedoch später zurück-gewiesen hatte. Die USA, aber auch die Vereinten Nationen machen hin-gegen Salih für die katastrophalen Zustände im Land verantwortlich, weshalb über ihn und viele seiner Anhänger im Rahmen der UN-Sicher-heitsratsresolution 2216 vom April 2015 Sanktionen verhängt wurden. Mehr als interessant ist jedoch die Tatsache, dass Salih selbst während seiner Regentschaft mehrere bewaffnete Kämpfe gegen die Huthis führte. Der jemenitische Politologe Samir Shaibany bezeichnete diese Koalition einst als „Allianz im Rahmen einer konfessionellen Mobilisierung“ mit unterschiedlichen Zielsetzungen.

„Saudi-Arabien beteiligt sich am Jemen-Krieg und tritt Menschen-rechte mit Füßen. Rüstungsexportstopp an Saudi-Arabien muss weiter gelten.“

(Bundesaussenministerin Annalena Baerbock im März 2019 auf Twitter)

Durch diese vorhin erwähnte Resolution 2216/2015 des UN-Sicherheits-rates sollte eigentlich die Bevölkerung vor der Aggression der inter-national nicht anerkannten Huthis geschützt werden – wie sich zeigen sollte, ein grosser Irrtum. Saudi Arabien, VAE (bis 2019), Marokko (bis 2019), Katar (bis 2017), Senegal, Bahrein, Kuwait und Ägypten bildeten daraufhin die Jemen-Allianz, intervenierten militärisch und drängten die Huthis zurück. Salih begrüsste nach Abschluss der Operation Decisive Storm die Resolution und forderte die Huthis zum Rückzug aus den eroberten Gebieten auf. Gleichzeitig rief er zur „Rückkehr zum Dialog“ auf. Im Dezember 2017 schliesslich brach er mit den Huthis und schloss sich Saudi Arabien an. Am 04. Dezember desselben Jahres wurde er durch Huthi-Milizen getötet. Die Huthis stiessen inzwischen in Richtung Süden des Landes vor. Die Kämpfe wurden erbittert durch beide Seiten fortgeführt – sie zerstörten nahezu das ganze Land. 

Zwischen den Fronten steht die Zivilbevölkerung, die den Repressalien beider Seiten ausgesetzt ist. Nach UN-Angaben wurden bislang rund 380.000 Menschen getötet – ein Grossteil davon an den indirekten Folgen des Kriegs: Hunger, Krankheiten, … Vier Millionen sind geflüchtet, etwa 20 Mio leiden an Hunger – darunter mindestens 311.000 Kinder an starker Unterernährung! Viele Kinder lassen sich inzwischen von den Milizen als Kindersoldaten rekrutieren um dadurch Zugang zu Nahrung zu bekommen. 

Im April 2022 wurde unter Vermittlung der UNO eine Waffenruhe ausge-rufen, die zweimal verlängert – nun jedoch aufgekündigt wurde. Inzwischen haben sich auch die Vorzeichen geändert. So kämpfen beispielsweise die von den VAE unterstützten südjemenitische Einheiten für die erneute Unabhängigkeit der Region vom Norden, wie es vor der Vereinigung 1990 bestand. Sie machten auch keinen Halt vor den von Saudi-Arabien unterstützten jemenitischen Einheiten – es kam zu Kampfhandlungen zwischen den bisherigen Koalitionspartnern. Zudem will das sunnitisch-wahhabitisch geprägte Saudi-Arabien verhindern, dass sich der Einflussbereich des schiitischen Iran auch auf der arabischen Halbinsel vergrössert. 

Das Vorgehen der Jemen-Allianz und hier vor allem jenes von Saudi Arabien ist jedoch äusserst umstritten. 

„Saudi-Arabien und die Koalitionspartner bombardieren Krankenhäuser, Kindergärten, Schulen. Das sind alles Kriegs-verbrechen.“

(Wenzel Michalski, Human Rights Watch)

Nicht zuletzt deshalb, aber auch aufgrund der Ermordung des Journalisten Kashoggi, entschied sich die Regierung Merkel, die Waffen-exporte nach Saudi Arabien nahezu einzufrieren. Beliefen sich die Rüstungsexporte Deutschlands an Saudi Arabien 2018 noch auf 416,4 Mio €, so waren es 2019 nurmehr 0,8, 2020 30,8 und 2021 2,5 Mio €. Im Vergleich dazu berichtet das Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) von 23 % der gesamten US-Waffen-Exporte, die in Richtung Saudi Arabien verschifft wurden. Jetzt sorgt eine Zusage der Regierung Scholz für einen lauten Aufschrei: Deutschland liefert gemein-sam mit Italien, Spanien und Grossbritannien Munition, Ausrüstungs-gegenstände und Ersatzteile für die Tornados und Eurofighter (36 Mio €) sowie den Airbus A330 (2,8 Mio €).  

„Das sind genau die Waffensysteme mit denen Saudi-Arabien in der Vergangenheit Luftangriffe im Jemen geflogen hat, auch immer wieder systematisch gegen zivile Ziele!“

(Max Mutschler, International Center for Conversion in Bonn)

An die Partnerstaaten der Jemen-Allianz wurde jedoch auch weiterhin geliefert.

Es werden wohl, so betonen Experten, Gegengeschäfte für die LNG-Gas-lieferungen sein. Diese Flüssiggaslieferungen wurden zwischen Bundes-kanzler Scholz und dem saudi-arabischen Königshaus vereinbart, zuvor führte auch Bundeswirtschaftsminister Habeck vorort entsprechende Verhandlungen – auch mit anderen Lieferstaaten. Der Aufschrei ist durchaus berechtigt, da sich Saudi Arabien nicht wirklich um die Menschenrechtscharta der UN schert. Das Land enthielt sich bei dessen Verabschiedung am 10. Dezember 1948. Allerdings ist für das Quasi-Monopol Russlands auf Gaslieferungen nach Deutschland die Grosse Koalition zwischen CDU/CSU und der SPD verantwortlich. In all den vorhergehenden Jahren wurde keinerlei Anstrengung unternommen, auf andere LNG-Lieferanten wie u.a. Kanada oder Argentinien zuzugehen. Donald Trump brachte es durch seine Kritik von Nordstream II auf’s Tapet, allerdings um selbst mehr Fracking-Gas verkaufen zu können. Zudem wurden entsprechende Massnahmen zur Energiewende viel zu zaghaft angegangen. Damit steckt die aktuelle Ampel-Regierung in der Bredouille: Nach wie vor schwebt das Damokles-Schwert des winterlichen Energie-Kollapses über den bundesdeutschen Köpfen. Geht das Gas aus, werden vielerorts auch die Lichter ausgehen. 

Wie die Aufkündigung der Waffenruhe klarstellt, wird die Lage im Jemen nicht so einfach zu lösen sein, da sich die Kriegsparteien und deren Zulieferer weder an Absprachen halten, noch sich gesprächsbereit zeigen. Der von Russland ausgelöste Krieg in der Ukraine zeigt es in aller Grausamkeit auf: Will der Entscheider nicht, so siegt der, der den längeren Atem hat. Bis dahin wird sowohl in der Ukraine als auch im Jemen noch sehr viel Blut fliessen!     

Filmtipps: 

– Der vergessene Krieg im Jemen – Deutsche Welle

– The Great Escape from Yemen (Part1 & 2) – Rajya Sabha TV

– The Fight for Yemen – Frontline/BBC Arabic

– The Rise of the Houthis – BBC Arabic

Lesetipps:

.) Jemen – Der vergessene Krieg; Said AlDailami; C.H.Beck 2019

.) Yemen in Crisis: Autocracy, Neo-Liberalism and the Disintegration of a State; Helen Lackner;Saqi Books 2018

Links:

– www.un.org/securitycouncil/s/res/2216-%282015%29-0

– www.unocha.org

– www.unhcr.org

– www.unicef.org

– civil-protection-humanitarian-aid.ec.europa.eu/index_en

– www.sipri.org 

– www.bicc.de

– www.bpb.de

– www.hrw.org

– www.oxfam.de

– www.sabanew.net

– www.spa.gov.sa

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Pfui deibel!!!

„Bis zu 80 Prozent aller ansteckenden Krankheiten werden über die Hände übertragen.“

(Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung BZgA)

Der Knigge – die Benimm-Bibel der zivilisierten Gesellschaft – hat so manche unnötige Passage enthalten, die sogar einen Angriff auf unsere Gesundheit bedeuten kann. Das Händeschütteln etwa. Hierzulande ist es eine Geste des guten Willens – ein Entgegenkommen. Gleichzeitig zeigt man dem Gegenüber dadurch auch, dass man keine Waffe in der rechten Hand hält. Nach Knigge schlägt der Ranghöhere dem Niedrigeren, die Frau oder der Gastgeber dem Anderen vor, sich die Hände zu reichen. Orthodoxe Juden etwa dürfen keiner Frau die Hand drücken, da in einer der Mitzwe der Tora geschrieben steht, dass Mann keinen Ehebruch begehen darf. Damit er erst gar nicht in Versuchung kommt, dies zu tun, darf er sich keiner Frau annähern (soweit also zur zeitgemässen Aus-legung von Religionen)! Na ja – andere Länder andere Sitten. In Fernost verbeugt man sich als Ausdruck der Wertschätzung – meines Erachtens gerade in Zeiten wie diesen sicherlich die bessere Variante. Die kommunistische Kusszeremonie? Bitte nicht! Könnte übrigens auch mit der Grund sein, dass grosse Teile der sog. „Busserl-Gesellschaft“ in diesen Monaten mit Corona bzw. der Grippe danieder liegen. 

Nein – nicht dass Sie mich missverstehen: Ich habe nichts gegen den Händedruck! Doch haben Studien aufgezeigt, dass es unter Männlein und Weiblein verdammt viele Schmutzfinken gibt, die sich nach dem Toilettengang nicht die Hände waschen. „Hee Monk – wirst schon nicht daran sterben!“, werden nun einige unter Ihnen meinen. Kann allerdings u.U. tatsächlich der Fall sein. Im Schnitt gebe ich täglich zumindest vier-mal die Hand. Statistisch gesehen ist somit ein solches Ferkel wie der Sohn einer guten Ex-Bekannten dabei, der sich grundsätzlich nicht die Hände nach dem Toilettengang gewaschen hat. Dieser arbeitet nun im Einzelhandel, gilt also durchaus als potentieller Keimüberträger. So ist es auch geschehen, dass immer wieder Restaurants zusperren müssen, da Kellner oder Köche sich nicht die Hände waschen und hierdurch etwa Salmonellen weitergeben können. 2003 wurde beispielsweise ein Strand-bad in Klagenfurt/Kärnten wegen hygienischer Missstände geschlossen – es gab nicht weniger als 100 Personen, die sich in diesem Strand-restaurant angesteckt hatten. Die Justiz reagierte mit einer Verurteilung wegen fahrlässiger Gemeingefährdung und fahrlässiger Körperverletzung – somit also beileibe kein Kavaliersdelikt!!! Aus diesem Grunde kommt es immer häufiger vor, dass bei den Waschbecken in Personaltoiletten Kameras angebracht sind, die unhygienische Angestellte herausfiltern sollen. Peinlich nur, wenn der Chef selbst dabei ertappt wird!!!

Eine Umfrage der britischen Organisation „Food and Drink Federation“ (FDF) bestätigt die oben erwähnte Vermutung: 31 % der Männer und 17 % der Frauen schauen sich lieber im Spiegel an, ob noch alles passt, als die Hände zu waschen. Ein gross angelegter Raststationen-Test in Deutsch-land brachte noch weitaus schlimmere Ergebnisse ans Tageslicht: Nur 32 % der Männer und 64 % der Frauen haben sich nach dem Geschäft die Hände gewaschen – bei 200.000 Probanden!!! Die Wissenschafter der London School of Hygiene and Tropical Medicine brachten in einem zweiten Schritt Tafeln mit eindeutigen Botschaften an. Hier kam es nun zu einem erstaunlichen Unterschied. Männer reagierten vermehrt auf deftiges, wie „Seif es ab oder iss es später!“, Frauen hingegen auf sachliche Hinweise. Doch zeigten auch die Schilder nur einen begrenzten Erfolg. Tafeln, die das Schamgefühl ansprachen („Wäscht sich die Person neben Ihnen mit Seife?“), erzielten eine wesentlich bessere Wirkung (American Journal of Public Health). 

UV-Licht zeigt auf, dass der Bakterienbefall nach dem Toilettengang doppelt so hoch ist wie nach dem Händewaschen oder vor dem WC. Dies sind vornehmlich Koli-Bakterien, die zu Brechdurchfall führen können. Das wäre dann die typische sommerliche Magen-Darm-Grippe, die auch durch ungenügend gekühlte Speisen oder Getränke auftreten kann. Der heimtückische Noro-Virus etwa übersteht ohne Probleme die Magen-säure. In der Darmschleimhaut angelangt, nistet er sich dort ein und lässt es sich gut gehen. Anzeichen für eine solche Erkrankung durch Noro-Viren ist plötzliche Übelkeit, Erbrechen und teilweise auch Durchfall. Dadurch trocknet der Körper aus. Wird nicht genügend Flüssigkeit zuge-führt, erfolgt eine Dehydrierung – dies kann tödlich enden. 

Keine Angst – sie sollten nun keine Panik bekommen und stets das Des-infektionsspray mitführen. Richtiges Händewaschen hilft hier schon enorm weiter, da die fäkal-orale Schmierinfektion dadurch weitestgehend ausgeschlossen wird. Vergessen Sie dabei nicht die Fingerkuppen, Fingerzwischenräume und die Daumen – hier befinden sich die meisten Keime. Werden Hände jedoch zu häufig gewaschen, so beeinflusst dies den ph-Wert der Haut (sauer – liegt zumeist zwischen 4-7). Seifen sind jedoch basisch. Deshalb empfiehlt sich hier die Verwendung von ph-neutralen Seifen.

Auch wenn die Hände noch so sauber sind, gilt für alle, die Speisen zubereiten: Achten Sie auf die Frische der Speisen, garen sie diese nach Möglichkeit gut durch, Hygiene am Arbeitsplatz ist selbstverständlich und penibles Händewaschen ist ein „Muss“. 2011 gelangten EHEC-verseuchte Produkte auf den deutschen Markt. Viele Menschen verstarben an Folgeerscheinungen wie dem Nierenversagen, da sie die Warnhinweise nicht oder zu spät wahrgenommen haben. Auslöser dieser Epidemie waren aus Ägypten importierte, kontaminierte Bockshornklee-samen. 

Dies gilt übrigens auch für die Bakterien und Viren in der kalten Jahres-zeit. Durch Husten, Niesen und Schnäuzen herrscht ein reges Treiben im Luftraum. Auch hier kann das richtige Händewaschen Wunder bewirken. Zudem sollten Sie in ein Taschentuch niessen oder mangels dessen in den linken Ärmel Ihres Pullovers husten. Wird die rechte Hand  hierfür herangezogen, so werden auch hier die Atemwegserkrankungen direkt übertragen, da sich der mit einem Handshake Begrüsste sicherlich irgendwann mit der rechten Hand im Gesicht berührt. Verwenden Sie zur biologischen Abwehr Ihre linke Hand, so greifen Sie mit dieser auch dort-hin, wo andere Menschen ebenfalls angreifen: Dem Einkaufswagen oder dem Haltegriff in der Strassenbahn! Über die Schleimhäute der Augen, der Nase oder des Mundes gehen die Erreger über. Dann nimmt das Schicksal seinen Lauf. 

Das richtige Händewaschen sollte den Kindern bereits in der kindlichen Früherziehung beigebracht werden. Nach der Toilette, vor dem Essen, nach dem Angreifen von Treppengeländern oder Haltegriffen, wenn ich nach Hause komme, nach dem Tollen im Garten und dem Spielen mit Tieren, … Dies kann etwa spielerisch erlernt werden („Ich sehe was, was Du nicht siehst!“ oder „Nach dem Klo und vor dem Essen, Händewaschen nicht vergessen!“). Für die erforderliche Dauer bzw. Gründlichkeit kann zweimal „Happy birthday to you“ gesungen werden. Verleiht beim nächsten Kindergeburtstag Textsicherheit und dauert genau 20 Sekunden. Nicht zu vergessen auch das richtige Abtrocknen (am besten mit Einwegtüchern), da eine feuchte und warme Umgebung perfekter Nährboden für Keime darstellt: Feuchte Hände übertragen bis zu 1.000-mal mehr Keime als trockene. Die Gefahr bei Händetrocknern: Sie entfernen weniger Keime mechanisch und verteilen zudem viele in der Luft des Waschraumes.

Sofern Sie bereits den Weihnachtsurlaub in südlicheren Gefilden gebucht haben: Verwenden Sie niemals Eiswürfel und trinken Sie grundsätzlich nur aus geschlossenen Gefässen (wie Flaschen). Sollten dennoch Vergif-tungserscheinungen nach einem Restaurantbesuch auftreten, so müssen sie sofort durch eine ärztliche Untersuchung Sicherheit einholen. Da-neben ist es für etwaige Schadensersatzansprüche wichtig, möglichst viele Zeugen oder Selbst-Betroffene zu suchen. Denn hier gilt die Nach-weispflicht. So hat beispielsweise das Landgericht Leipzig (Aktenzeichen 5 O 1659/10) eine Schadensersatzklage zurückgewiesen, wonach der 15-jährige Sohn der Klägerin während eines Türkei-Aufenthaltes mit Salmonellen infiziert wurde und daran erkrankte. Die Frau jedoch konnte nicht die Schuld des Hotels nachweisen, da keine zehn Prozent der Hotelgäste erkrankt sind.  

Sollte tatsächlich eine Virenerkrankung vorliegen, so muss diese aus-kuriert werden, da sie ansonsten verschleppt wird. Das körpereigene Abwehrsystem befördert durch Husten und Niessen die Atemwegs-Viren hinaus bzw. durch Erbrechen und Durchfall auch die Magen-Darm-Erreger. Hinzukommendes Fieber bringt die Abwehr auf Hochtouren. Begleitende Medikamentierung lässt die Krankheitssymptome bald abklingen. Diese aber sollte von einem Arzt verschrieben werden. Inzwischen gilt es, penibelste Hygiene einzuhalten und keinen körper-lichen Kontakt zu anderen Menschen zu pflegen. Auch das Kuscheln mit ihrer Hauskatze kann diese zum Überträger machen.

Durch die Ärzte-Serien im Fernsehen wissen wir, dass sich Ärzte beim Berühren von Patienten Einweg-Handschuhe überstreifen oder vor Operationen minutenlang die Hände waschen („5 Momente der Hände-hygiene“). Dies geht auf den Assistenzarzt Ignaz Semmelweis zurück. Er begann seine medizinische Karriere 1846 als Assistenzarzt an der 1. Gebärklinik des AKH Wien. Nicht weniger als 15 % der Frauen starben dort nach der Geburt ihres Kindes an Kindbettfieber. An der 2. Gebär-klinik war diese Sterblichkeitsrate wesentlich geringer. Semmelweis untersuchte dies und kam zu folgendem Ergebnis: In seiner Klinikab-teilung führten Ärzte die Geburten durch, in der 2. hingegen Hebammen. Die Hebammen hatten sich jeweils vor der Geburt die Hände gewaschen, die Ärzte nicht. Sie kamen teilweise direkt vom Sezieren in den Kreissaal. Dort infizierten sie die Frauen mit Leichengift. Doch kam die Erkenntnis bei Semmelweis erst nach dem Tod eines Freundes, dem Pathologen und Gerichtsmediziner Jakob Kolletschka, der beim Sezieren durch einen Student an der Hand verletzt wurde und an Blutvergiftung starb. Er zeigte dieselben Symptome wie die verstorbenen Mütter. Es folgten Tier-versuche mit Kaninchen und schliesslich die Desinfizierung der Hände und Geräte mit Chlorkalk. So konnte die Sterblichkeitsrate auf 1,3 % minimiert werden. Semmelweis wurde von vielen seiner Kollegen ange-feindet, vor allem aufgrund der Tatsache, dass sie nicht für den Tod der Frauen verantwortlich sein wollten. Am meisten übrigens durch den bekannten Pathologen Rudolf Virchow. Der Hygiene-Vorreiter wurde dadurch gebrochen, er ging nach Ungarn, wo er an der Universität Pest als Hebammenausbildner und Professor für theoretische und praktische Geburtshilfe lehrte. Unter nach wie vor nicht geklärten Umständen verstarb er an einer Krankheit in der Landesirrenanstalt Wien-Döbling. Erst nach seinem Tod führte 1867 der Chirurg Joseph Lister die Desin-fektion mit Karbol vor den Operationen ein.   

Ein Grossteil der Erreger wird über unsere Hände übertragen. Auf den Handflächen eines Menschen tummeln sich über 200 unterschiedliche Keimarten (Viren, Bakterien, Pilze aber auch Würmer oder Parasiten). Durch das richtige Händewaschen können bis zu 99 % dieser Erreger einfach weggespült oder zerstört werden, da Seifen unter anderem Ten-side beinhalten, die die Schützhülle des Virus zerstören. Durch die Ver-wendung antibakterieller Seifen allerdings können Sie Erreger resistent machen oder Allergien auslösen. Diese enthalten beispielsweise den Bakterienhemmer Triclosan, der vom Bundesinstitut für Risikobewertung als gefährlich eingestuft wird. 

„Lassen Sie besser die Finger davon!“ 

(Dr. Thomas Holzmann vom Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene der Universität Regensburg)

Auch Desinfektionsmittel sollten Sie – im Gegensatz zu medizinischem Personal – nur dann zuhause verwenden, wenn ein Erkrankungsfall in Ihrer Familie festgestellt wurde. Zudem werden durch diese normal erhältlichen Mittel nicht alle Erreger abgetötet (Bakteriensporen etwa)! Und schliesslich enthalten die Profi-Desinfektionsmittel rückfettende Substanzen, die durch die Einreibemethode gemeinsam mit den Haut-fetten aus der Hornschicht wieder in die Haut gerieben werden. 

In manchen Religionen gehört das „Lavabo“, das rituelle Händewaschen des Priesters, zur Messe dazu. Wir müssen es ja nicht übertreiben, doch dient Körperhygiene dem eigenen und dem Schutz der Gesellschaft – vor allem in Zeiten von Corona und der Grippe. So könnten jährlich rund 1 Mio Menschen gerettet werden, die an Durchfallerkrankungen oder deren Folgewirkungen sterben bzw. die Atemwegserkrankungen (als eine der Hauptursache für die hohe Kindersterblichkeit in den Entwicklungs-ländern) stark eingedämmt werden. Dies zeigt alsdann eine Studie aus Ländern der Dritten Welt auf: Nach der Einschulung zum richtigen Händewaschen mit Wasser und Seife konnten bei Kindern unter fünf Jahren Lungenentzündungen um 50 und Durchfallerkrankungen bei Kindern unter 15 Jahren gar um 53 % reduziert werden. Doch auch in Kanada, den USA und Australien wurden durch das richtige Hände-waschen in Kinderbetreuungsstätten grosse Erfolge erzielt: So gingen grippale Infekte und Atemwegserkrankungen um 32 % zurück. Selbstver-ständlich auch bei Erwachsenen: Im Rahmen einer Untersuchung der US-Navy mussten Soldaten fünfmal täglich gründlich die Hände waschen. Die Zahl der Atemwegserkrankungen ging um satte 45 % zurück. Das sollte uns die kurze Zeit am Waschbecken und die vergleichbar günstige Seife durchaus wert sein, denn: Spätestens seit Beginn der Corona-Pandemie wissen wir, dass richtiges Händewaschen Leben retten kann. Dabei ist es nicht relevant, ob das Wasser warm oder kalt ist (bezugnehmend auf die derzeitige Energie-Diskussion) – entscheidend ist die Dauer und somit die Gründlichkeit des Reinigens. Nur heisses Wasser kann noch mehr bewirken – das aber verbrüht die Hände und schädigt den natürlichen Säure-Fettmantel der Haut. Wenn keine Seife vorhanden ist: Durch Wasser lassen sich viele Magen-Darm-Bazillen wegspülen, wirklich sauber jedoch werden die Hände dadurch nicht. In einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) verwendeten 87 % die Seife, allerdings nutzten nur 36 % die empfohlenen 20 Sekunden. Dabei sollte jedoch auch nicht vergessen werden, dass zu häufiges Händewaschen die Haut austrocknet, wobei Keime wesentlich besser durch die schützende Schicht in den Körper eindringen können. 

Zuletzt noch drei Tipps: Reinigen Sie öfters das Lenkrad Ihres Fahr-†zeuges, das Display des Handies oder die PC-Tastatur mit einem Mikro-fasertuch und/oder einem entsprechenden Desinfektionsspray – beides sind richtiggehende Keimschleudern!

Übrigens: Der 5. Mai ist Welthändehygienetag, der 15. Oktober Welt-händewaschtag!

Anreize für Kinder:

– „Happy birthday to you“ zweimal singen 

– „Hände waschen, Hände waschen muss ein jedes Kind“ – fünfmal singen

– Schaumwettbewerb mit Stoppuhr – wer macht mehr Schaum innerhalb von 20 bzw. 30 Sekunden

– Malseife macht die Hände während des Waschens farbig

– Schwabbelige Wabbelseife verwenden

– Glitzerseife 

– Knisterbad dazugeben

Links:

– www.infektionsschutz.de

– www.gesundheit.gv.at

– www.bmgf.gv.at

– www.unicef.de

– www.meduniwien.ac.at

– www.who.int

– www.rki.de

– www.ages.at

– www.arbeitsinspektion.gv.at

– www.oeghmp.at

Lesetipps:

.) Hände-Hygiene im Gesundheitswesen; Günter Kampf; Springer 2013

.) Wie wirksam ist händewaschen gegen Influenzaviren?; Maren Eggers / Elena Terletskaia-Ladwig / Martin Enders; Hygiene & Medizin 2009

.) Haben wir seine Botschaft verstanden? Ein Abriss zur Geschichte der Händehygiene anlässlich des 200. Geburtstages von Ignaz Philipp Semmelweis; N.O. Hübner / I. Schwebke; Epid Bull 2018

.) Infektionsschutz durch Hygiene. Einstellungen, Wissen und Verhalten der Allgemeinbevölkerung; A. Rückle / L. Seefeld / U. Müller et al., BZgA-Forschungsbericht 2018

.) Kurzlehrbuch Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie; Uwe Groß; Georg Thieme Verlag 2013

.) An internet-delivered handwashing intervention to modify influenza-like illness and respiratory infection transmission (PRIMIT): a primary care randomised trial; P. Little / B. Stuart / FD. Hobbs / M. Moore / J. Barnett / D. Popoola et al.; Lancet 2015

.) Handwashing and respiratory illness among young adults in military training; MA. Ryan / RS. Christian / J. Wohlrabe; Am J Prev Med 2001

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Ist bald Schluss?

„Zeige mir einen Wissenschaftler, der behauptet, es gebe kein Bevölkerungsproblem, und ich zeige dir einen Idioten.“

(Paul Ehrlich)

Ist das 6. globale Massensterben bereits unaufhaltsam in vollem Gange? Dieser Frage möchte ich heute nachgehen – Anlass hierzu liefert ein Inter-view des renommierten emeritierten Stanford-Professors Paul Ehrlich, das er bereits 2018 der britischen Zeitung „The Guardian“ gab. Dann kam Corona und nahezu nichts hat sich geändert – ja, vieles ist sogar noch schlimmer geworden! 

All jene unter ihnen, die ihn kennen, werden nun sicherlich meinen: Na ja – der Schmetterlingsforscher hat für die 70er- und 80er-Jahre ähnliches vorausgesagt, das dann nicht so eingetroffen ist. Doch dieses Mal geht Ehrlich (auch Experte für das Thema „Überbevölkerung“) seine Über-legungen von einer anderen Perspektive aus an: Der Chemiekeule! Dazu mehr etwas später. Dass aber derartige Theorien durchaus ernst zu nehmen sind und zumindest etwas geändert werden sollte, dürfte klar sein. Denn: Das berühmte „5 vor 12“ ist schon längst überschritten – es geht in Siebenmeilen-Stiefeln direkt auf die 12 zu. Das werde ich im Folgenden aufzeigen.  

Der letzte Kollaps liegt rund 750 Millionen Jahre zurück. Der Grund dafür war die Teilung des riesigen Kontinents Rodinia. Zugleich erreichte die Konzentration an Kohlendioxid seinen historischen Tiefststand. Es fand also der gegenteilige Effekt des Treibhauses statt: Die Vereisung, da die auf den Planeten auftreffende Strahlung nahezu ungehindert wieder in’s Weltall reflektiert wurde. Gletscher bedeckten einen Grossteil des Planeten. Verantwortlich dafür war das Basaltgestein, das durch dieses tektonische Auseinanderbrechen der riesigen Landmassen freigesetzt wurde. Es verwitterte und entzog dadurch der Atmosphäre das CO2. Zuvor herrschte ein extrem trockenes Klima auf diesem Superkontinent. Nach der Trennung ergossen sich allerdings die Fluten über den Planeten. Nach Berechnungen des „Centre national de la recherche scientifique“ reichten damals durchschnittlich knapp mehr als 8 Grad Celsius weniger, um diese eiszeitliche Katastrophe auszulösen. Jetzt bekommen Sie auch einen Anhaltspunkt, was die immer wieder erwähnten „2 Grad mehr“ für die Zukunft bedeuten werden. 

„Während einige in der Gesellschaft darauf hinweisen, dass wir auf einen Kollaps zusteuern und grundlegende Veränderungen ein-fordern, um das Schlimmste zu verhindern, sind es die Eliten, die genau diese Veränderungen verhindern.“

(Studie der NASA)

Querverweis zum Energieverbrauch in diesem Krisenjahr: Die 10 % der Reichsten der Weltbevölkerung verbrauchen 20 mal so viel Energie wie die ärmsten zehn Prozent (Studie der University of Leeds)! 

Der Biologe Paul Ehrlich nun hat gemeinsam mit seiner Frau Anne vor 50 Jahren den Bestseller „Die Bevölkerungsbombe“ auf den Büchermarkt gebracht. Dort prognostizierte er für die 70er und 80er-Jahre des vorher-gehenden Jahrhunderts gewaltige Hungerkatastrophen mit hunderten Millionen Todesopfern. Auslöser dafür sollte vornehmlich die Überbe-völkerung des Planeten, aber auch der grenzenlose Konsum sein. Ehrlich könnte Recht gehabt haben, doch bezog er einige Parameter in seine Theorie nicht ein. Die „grüne Revolution“ beispielsweise. Dieser Fach-begriff beschreibt den Anstieg der Nahrungsmittelproduktion durch den Einsatz von Agrarchemikalien, wie dem synthetischen Kunstdünger, und der Entwicklung ertragreicher Getreidesorten. Dennoch: In den Jahren zwischen 1968 und 2010 verhungerten 300 Millionen Menschen! 

Diese daraus hervorgegangene Intensivlandwirtschaft jedoch hat auch seine Nachteile, die der heute 90-jährige in diesem Interview offenbarte. Die eingesetzten Chemikalien haben unseren Planeten vergiftet!  

„Es gibt Anzeichen dafür, dass die Gifte die Intelligenz von Kindern verringern!“

(Paul Ehrlich, emeritierter Professor an der Stanford University)

Auch damit hat Ehrlich nicht so ganz unrecht. Betrachtet man sich das in vielen Nahrungsmitteln inzwischen nachgewiesene Glyphosat und die angebliche interne Mail des Monsanto-Konzerns (jetzt Bayer AG) damals, wonach das Mittel entgegen vorher veröffentlichter Untersuchungs-ergebnisse doch die Entstehung von Krebs begünstige, so ist es nurmehr eine Frage der Zeit, wann sich die Menschheit selbst ausgerottet hat. Durch die Hungerkatastrophen und die Klimaänderung oder auch Kriege wird dies noch beschleunigt. Allerdings, so Ehrlich, werden die meisten dumm sterben. Viele der eingesetzten Chemikalien beeinflussen die menschliche Intelligenz. Negativ! So verwies der emeritierte Professor auf den republikanischen Präsidentschaftswahlkampf 2016 und die anschliessende „Kakistokratie“ – die Herrschaft der Schlechtesten! 

Die beiden Neurowissenschafter Philippe Grandjean (Universität von Süd-dänemark in Odense) und Philip Landrigan (Harvard University) haben nachgewiesen, dass mindestens elf Chemikalien bei bereits früher Belastung zu Entwicklungsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern führen können. Darunter sind mehrere Pestizide und Lösungs-mittel, aber auch Produkte, die Blei, Mangan, Quecksilber und Fluor- bzw. Chlorverbindungen beinhalten. Grandjean und Landrigan betonen, dass bereits jedes zehnte Kind von Geburt an eine Entwicklungs- oder Verhal-tensstörung wie Autismus, Hyperaktivität, geistige Defizite aufweist und zudem später beispielsweise eine wesentlich höhere Aggressionsstufe hinzukommen kann. Dabei sind aber nur 30 bis max. 40 % durch genetische Defekte verursacht. Bei den restlichen müssten viele bereits im Mutterleib mit solcherlei Neurotoxinen in Kontakt gekommen sein. Das sich entwickelnde Gehirn ist gerade beim ungeborenen Kind besonders empfindlich. Durch die Versorgung mit mütterlichem Blut werden derartige Gifte direkt übertragen. So konnten im Jahr 2021 bei einer Studie von Aolin Wang et.al. von der University of California in San Francisco nicht weniger als 109 Industriechemikalien durch eine spezielle Massenspektrometrie des Nabelschnurblutes festgestellt werden: 40 stammen aus Weichmachern, 28 aus Kosmetika, 29 von Arzneimitteln und 25 aus Haushaltsmitteln, wie der Vergleich mit einer Referenzdatenbank ergab. Doch das war noch lange nicht alles: Gefunden wurden zudem 23 Pestizde, drei Flammschutzmittel und sieben polyfluorierte Alkyl-verbindungen. 55 Verbindungen wurden bis zu diesem Zeitpunkt noch nie im Blut nachgewiesen.

„Es ist alarmierend, dass wir immer wieder Chemikalien finden, die von schwangeren Frauen an ihre Kinder weitergegeben werden.“

(Tracey Woodruff, University of California)

Im Rahmen einer früheren Überblicksstudie wurden mehr als 200 Chemikalien aus dem Nabelschnurblut herausgefiltert. Darunter das vorhin bereits angesprochene Blei und Quecksilber, aber auch Arsen, polychlorierte Biphenyle sowie das Lösungsmittel Toluol. Sind auch solche Vergiftungen nicht unmittelbar feststellbar, so führen sie zu grossen Problemen im Sozialverhalten, motorischen Störungen, eine geringere geistige Leistungsfähigkeit und möglicherweise zu einem kleineren Hirnvolumen. Andere Studien aus Kanada und Bangladesch zeigten unmittelbare Auswirkungen von Mangan auf die mathematischen Fähigkeiten und einer Hyperaktivität der Kinder auf, in Frankreich und den USA Tetrachlorethylen auf aggressives Verhalten, Hyperaktivität und psychische Erkrankungen. Bei drei weiteren Untersuchungen wurden Auswirkungen von Organophosphat-Pestiziden auf den Kopfumfang und Defizite in der geistigen und sozialen Entwicklung bestätigt. Sicherlich stehen auch schlechtere schulische Leistungen, Konzentrations-schwierigkeiten und eine verlangsamte Entwicklung in Korrelation mit Chemikalien – das jedoch ist derzeit noch nicht wissenschaftlich unter-mauert. Schäden, die das Kind durch eines oder mehrere dieser derzeit 214 Neurotoxine, die zumeist in grossen Mengen ausgebracht werden, aufweist, bleiben ein Leben lang bestehen. Volkswirtschaftler schätzen etwa die IQ-Einbussen in der EU nur aufgrund der Quecksilberbelastung auf jährlich 600.000 IQ-Punkte – ein ökonomischer Schaden von zirka zehn Milliarden Euro – ebenfalls pro Jahr! Und dieses Problem besteht nicht erst seit den letzten Jahren, da in den 70er Jahren mit dem Verbot des Pestizids DDT, das im Verdacht stand, bei Säugetieren Krebs zu erregen, beispielsweise fieberhaft nach neuen Mitteln gesucht wurde. Und die Babies dieser damaligen Zeit sind die Erwachsenen von heute!

Neben solchen neurotoxischen Pestiziden werden auch Herbizide, Fungi-zide, Düngemittel, Wachstumsregulatoren, Vorratsschutzmittel etc. in grossen Mengen auf die Felder und Äcker gesprüht. Wir atmen somit – v.a. im Umkreis von Ackerflächen – mit jedem Atemzug auch Giftstoffe ein, die der Körper (wenn überhaupt) nur sehr schwer abbauen und ausscheiden kann. Das Augenmerk gilt dabei vornehmlich den Insekti-ziden, die zwar auf ihren unmittelbaren Schaden bei Säugetieren, nicht jedoch auf pränatale oder schleichende Negativwirkungen hin überprüft sind. Ergo: Professor Ehrlich hat durchaus recht mit seiner Annahme, dass wir zuerst dumm werden und dann sterben.  

„Wir müssen weg von der irrigen Annahme, nach der neue Chemikalien und Technologien solange als ungefährlich gelten, bis das Gegenteil nachgewiesen wird.“

(Grandjean/Landrigan)

Zudem nehmen wir Giftstoffe auch über die Nahrung auf. So wurde beispielsweise Glyphosat bereits im Trinkwasser so mancher Region entdeckt. In einer Untersuchung des eidgenössischen Bundesamtes für Gesundheit aus dem Jahr 2013 wird darauf verwiesen, dass 92 % aller Giftstoffe über Nahrungsmittel tierischen Ursprungs aufgenommen werden (Milchprodukte beispielsweise 54%). Diese Gifte („persistente Umweltschadstoffe“) werden auch noch eine ganze zeitlang in der Nahrungskette bleiben. Schliesslich sind sie weiterhin im Boden oder Tierkörper, auch wenn eine spontane Absetzung erfolgt ist. Dennoch sollten alle Anstrengungen unternommen werden, langfristig auf derartige Chemikalien zu verzichten. 

Wer nun denken sollte: „Na ja – dann bekommen die Kleinen eben Fisch!“, macht genau einen Schritt in die falsche Richtung. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Universität Granada/Spanien. Die Studienleiter haben einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem vermehrten Konsum von Meeresfischen und der geistigen Leistungsfähigkeit bei Vorschulkindern im Alter von vier Jahren festgestellt. In den Haaren der Kinder wurden teils unwahrscheinlich hohe Quecksilberkonzentrationen nachgewiesen. Das wirkte sich v.a. bei den Gedächtnisleistungen und dem sprachlichen Ausdrucksvermögen aus. Diese Untersuchungen wurden durch die Kollegen von der Universität Barcelona untermauert. Kinder mit viermaligem Fischkonsum pro Woche enthielten wesentlich höhere Quecksilberkonzentrationen in den Haaren. Das gilt übrigens auch für Neugeborene, deren Mütter während der Schwangerschaft viel Fisch aßen. Die deutsche Meeresstiftung veröffentlichte vor geraumer Zeit eine Untersuchung, wonach in den Meeren rund um Europa nicht weniger als 114.000 Tonnen atomarer Müll in teilweise bereits verrosteten Fässern lagern. Oder auch darunter: So wurden im vergangenen Jahr in der Nähe des schwedischen Atomkraftwerks Forsmark 60 m unter dem Meeres-grund der Baltischen See bereits rostende Fässer mit nicht weniger als 2.800 to radioaktiven Materials aus den 70er- bzw. 80er-Jahren gefunden. Es dürfte sich um schwach- bis mittelradioaktiven Abfall aus der medizinischen bzw. militärischen Industrie handeln. Dieses muss nun kostenaufwendig für eine sichere Lagerung saniert werden. Dennoch: Die Meere müssen immer mehr als Müllkippe herhalten. Durch die Fische gelangen schliesslich diese Schadstoffe auch wieder auf den Mittagstisch. 

„Kurz gefasst, bisher wurde noch nichts wirklich Relevantes unternommen, um das Schlimmste zu verhindern!“

(Arne Mooers, Professor für Biodiversität Simon Fraser Universität/ Kanada)

Was bleibt also zu tun? Sofortiges Verbot von Agrarchemikalien, Rückkehr zur nachhaltigen Nahrungsmittelproduktion und Kontrolle des Bevölkerungswachstums. Durch das Verbot von Fluorchlorkohlenwasser-stoffen (FCKW) als Kühlmittel beispielsweise ging das Loch in der vor gefährlichen Strahlung schützenden Ozonschicht auf das Niveau von 1988 zurück. 

Lobend erwähnt werden muss auch das Verbot von drei Insektiziden durch die EU (spät aber doch noch). Sie beinhalten Neonicotinoide, die v.a. für das grosse Bienensterben verantwortlich sind. Der Rechtsstreit zwischen dem Konzern Bayer und der EU dauerte acht Jahre und endete im vergangenen Jahr mit einer Bestätigung des Verbots durch den Europäischen Gerichtshof.

Es gibt viele Alternativen zu Agrarchemikalien, die jeder im Garten verwenden kann: Kaffee etwa ist ein Supermittel. In Blumenbeeten ausge-brachter, gebrauchter Kaffeesatz hält Schnecken fern. In Buchsbäumen gestreut, ist er auch ein probates Mittel gegen den Buchsbaumzünsler. Und schliesslich ist Kaffee ein perfekter Dünger. Alleine durch etwas, das ansonsten weggeworfen wird, können drei unterschiedliche Chemikalien ersetzt werden!!!

Die Erde ist eigentlich auf zwei Milliarden Menschen ausgelegt. Derzeit sind es bereits 7,96 Milliarden (Stand: Juli 2022)! Und jährlich kommen mehr als 66 Millionen hinzu (täglich 180.000). 2050 werden somit 9,7 Milliarden Menschen auf dem Globus leben, 2100 gar 10,9 (Zahlen: Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen). Ehrlich spricht in diesem Zusammenhang von „andauerndem Wachstum als Merkmal von Krebszellen“! Er verfolgt auch hier einen sehr interessanten Ansatz: Bildung und Gleichberechtigung der Frauen weltweit – sie sind keine „Geburtsmaschinen“, die durch möglichst viel Nachwuchs die Zukunft der Familie sichern sollen. Zugang zu modernen Verhütungsmitteln in den Entwicklungsländern sowie eine grossflächige Umverteilung des Reichtums. Durch den exzessiven Konsum der Industriestaaten werden die Dritte Welt und die Schwellenländer immer mehr ausgebeutet. 

„Der Mensch ist gemacht aus Wasser, Erde und Luft. Wenn er aufhört, die Elemente zu achten, vergiftet und tötet er schließlich sich selbst.“

(Indianische Weisheit)

Dieses 6. Globale Massensterben ist somit durch den Menschen gemacht. Jene zuvor war die natürliche Kontrolle der Erde durch Vulkanausbruch, Eiszeit oder auch einen Meteoriteneinschlag vor 65 Millionen Jahren. Das Sterben hat schon vor einigen Jahren bei den Insekten begonnen. Ganze Pflanzenpopulationen verschwinden nach und nach. Die Klimaerwärmung vernichtet zudem komplette Ernten. Auch mit dem Ziel von +2 Grad Celsius sind alsdann ganze Regionen ernährungstechnisch bedroht: Afrika und Südamerika werden von Dürrekatastrophen heimgesucht, Asien droht in den Fluten der Taifune unterzugehen. Hitzephasen wie zuletzt werden auch Europa in die Knie zwingen. 

Ehrlich bezeichnet den Weltwirtschaftsgipfel in Davos als „Treffen der Weltzerstörer“! In seinen Ansichten wird der Professor von nicht weniger als 15.364 Wissenschaftlern/-innen aus 184 Ländern unterstützt, die vor einigen Jahren einen Brandbrief unterschrieben („Warnung an die Menschheit“). Ein erster Versuch im Jahr 1992 mit 1.700 unter-zeichnenden Wissenschaftler (darunter viele Nobelpreisträger) blieb nahezu ungehört! 

„Schon bald wird es zu spät sein, den falschen Kurs zu korrigieren.“

(Brandbrief der Wissenschaft unter Federführung von William Ripple, Professor für Ökologie an der Oregon State University)

Demnach steht die Erde unmittelbar vor einer ökologischen Katastrophe. Die Weltbevölkerung ist innerhalb von nur 25 Jahren um 2 Milliarden Menschen angestiegen. Der Ressourcenverbrauch ist immens. Es muss dringendst etwas gegen die Klimaveränderungen, die Entwaldung, das Artensterben und die Todeszonen in den Ozeanen unternommen und der Zugang zu Süsswasser für alle gesichert werden. Während beispielsweise das Süsswasser in den letzten 25 Jahren um 26 % abgenommen hat (Schmelzen des polaren und Gletschereises), nahmen die Todeszonen in den Meeren, die für jedwedes Leben zu heiss, sauerstoffarm oder zu giftig sind, um 75 % zu. Die meisten Wasserquellen haben ihren Ursprung im Wald – 121 Millionen Hektar wurden im vergangenen Viertel Jahrhundert abgeholzt (pro Jahr etwa 13 Millionen Hektar)! Insekten, Tiere, Amphibien, Vögel, Fische – sie sterben zu Millionen. Das „ökologische Armageddon“ stehe unmittelbar bevor; der verstorbene Stephen Hawking meinte, die Menschheit müsse innerhalb der nächsten 600 Jahre den Planeten verlassen, wenn sie überleben möchte!

2019 erschien eine Studie der IPBES, der „Intergovernmental Science-Policy-Platform in Biodiversity and Ecosystem Services“. Über drei Jahre hinweg haben 150 Wissenschaftler aus 50 Ländern mit weiteren 310 Experten nahezu 15.000 Studien und Berichte ausgewertet. Das Ergebnis: Innerhalb der nächsten Jahrzehnte werden bis zu eine Million Tier- und Pflanzenarten nahezu oder komplett ausgerottet werden. Die Ursachen: Luftverschmutzung, keine bestäubenden Insekten, mangelndes Trink-wasser, Überfischung. Auch der Küstenschutz vor dem Ansteigen des Meeresspiegels spielt eine enorm wichtige Rolle. Dieses Sterben hat schon längst begonnen.  

Im Mai wurde der 6. Sachstandsbericht des Weltklimarates IPCC veröffentlicht (https://www.ipcc.ch/report/sixth-assessment-report-working-group-3/). Demnach ist eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad bis 2100 (Pariser Klimaabkommen) noch möglich – aber nur mit rigorosen Massnahmen, da wertvolle Zeit schlichtweg verschlafen wurde. Entscheidende Schritte müssten in allen Weltregionen und Sektoren gesetzt werden – beginnend bei der Land- und Forstwirtschaft, über Verkehr und Industrie bis hin zu den Energiesystemen. Zudem müssten nach Meinung der IPCC-Experten auch Technologien wie CCS (Carbon Capture and Storage, also Abscheidung und Speicherung von CO2) bzw. CDR (Carbon Dioxide Removal – das dauerhafte Entfernen von CO2 aus der Atmosphäre) grossflächig und kostenaufwendig betrieben werden. Kritiker jedoch sind der Ansicht, dass hierdurch keine Minderung des CO2-Ausstosses erreicht werden würde. 

Im Klima-Update der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vom 09. Mai 2022 wird die Wahrscheinlichkeit mit 50 % angegeben, dass diese 1,5 Grad-Steigerung bereits innerhalb der nächsten fünf Jahre überschritten sein wird. Zwar nahmen die THG-Emissionen seit 2010 mit rund 1,3 % pro Jahr etwas langsamer zu, sind aber nach wie vor die höchsten in der Geschichte. 

Die nächste UN-Klimakonferenz (COP 27) findet vom 07. bis 18. November im ägyptischen Scharm asch-Schaich statt. Das Motto hierzu lautet „Gemeinsam für eine gerechte, ambitionierte Umsetzung JETZT“! Betrachtet man sich den CO2-Fussabdruck dieses Spektakels, das ohnedies wieder keine greifbaren Ergebnisse liefern wird, wäre es wohl besser, die Veranstaltung abzusagen oder als Video-Konferenz durchzuführen. Die Russen unter Putin werden alles blockieren, die befreundeten Staaten sich dem anschliessen, die rechtspopulistisch regierten Länder interessieren sich nicht für Klimaschutz,… In der ganzen Tragik um die menschengemachte Vernichtung dieses Planeten und die derzeitige Energienot aufgrund des Ausbleibens fossiler Brennstoffe, muss ernsthaft die wohl wichtigste Frage gestellt werden: Was wurde die ganzen Jahre hindurch nach der lautstark verkündeten Energiewende eigentlich unternommen? Wo bleiben die Taten zu den bei Klimatreffen gemachten Versprechungen?

„Die Sorge, die ich habe, ist, dass die guten Menschen nicht wirksam genug kooperieren werden. Man muss existierende Parteien und Bürokratien mit an Bord holen, sonst bleibt das alles hier ein Debattierclub.“

(Sonja Puntscher-Riekmann, Professorin für Politische Theorie und Europäische Politik an der Universität Salzburg)

Sollten auch die Ehrlichs erneut nicht recht haben, so müssen dringend Überlegungen angestellt werden, wie den globalen Problemen entgegen zu kommen ist. Viele werden nun sagen: „Nun – an mir liegt’s ja nicht!“ Doch! Weil sich das alle denken. Wenn jeder Wasser oder Energie einspart, ist schon viel getan. Den Industriebossen ist es egal, ob die Lebensmittel aufgebraucht oder weggeworfen werden. Hauptsache die Kasse stimmt! Machen Sie sie zu dem, was sie wirklich sind und wie sie heissen: Lebensmittel! Es sind keine Wegwerfmittel! Wer braucht um 18.00 Uhr noch ofenfrisches Brot in den Supermärkten? Kaufen Sie nur so viel ein, wie Sie auch tatsächlich aufbrauchen. Wird weniger konsumiert, geht auch die Produktion zurück – das Gesetz des Marktes! 

„In den USA leben sie, als hätten wir fünf Planeten. In Europa leben wir, als hätten wir drei Planeten.“

(Graham Maxton, briticher Ökonom und ehemaliger Generalsekretär des Club of Rome)

Und gerade Tieren können Sie unsägliches Leid ersparen. Apropos: Für die „Produktion“ eines Kilogramms Rindfleisch sind rund 15.500 l Wasser erforderlich, für die Herstellung einer Jeans 6.000 l! Senken Sie den Fleischkonsum pro Woche, leben Sie nicht nur gesünder, sondern reduzieren auch den Süsswasser-Verbrauch v.a. in Staaten, die auf sauberes Trinkwasser angewiesen sind. Wechseln Sie Ihre Garderobe nicht jedes Jahr, tun Sie auch hier der Umwelt Gutes und ersparen sehr vielen Billigstlöhnern in Fernost ein Leben mit 12-16 Stunden Arbeit pro Tag! Wenn nicht jeder seinen Konsum ändert, wird es keinerlei Veränderungen geben. Forscher appellieren seit geraumer Zeit, eine Konsum-Kehrtwende in der Grössenordnung von 2/3 in der westlichen Welt durchzuziehen. 

Schon 2025 wird die 50 %-Zerstörungsmarke der kleineren Ökosysteme erreicht sein. Mit Ihnen werden auch die grossen kollabieren, warnt der Biologe Anthony Barnosky, emeritierter Professor der Universität von Kalifornien! Nach diesem „Point of no return“ bedarf es nahezu unmög-licher Massnahmen, noch etwas ausrichten zu können. Der im vergangenen Juli verstorbene James Ephraim Lovelock, Mediziner, Biophysiker, Mathematiker und Chemiker an der Oxford University sowie Bestseller-Autor, setzt den Untergangspunkt noch vor das Jahr 2100 – 80 % der Menschheit werden dies nicht überleben. Nicht schleichend – es wird sehr plötzlich kommen. Es sei keine Zeit mehr für Windkraftwerke – die Menschheit solle anfangen, Archen zu bauen, so Lovelock! Sind es schon unsere Töchter und Söhne? Vielleicht unsere Enkel, die durch unser bisheriges, ruinöses Schaffen sterben werden! Während wir noch stolz waren auf die Errungenschaften unserer Eltern und Grosseltern nach dem 2. Weltkrieg, werden uns unsere Nachfahren verfluchen!

Wir haben’s wahrlich weit gebracht!!!

Lesetipps:

.) Die Bevölkerungsbombe; Paul Ehrlich/Anne Ehrlich; Hanser, Carl GmbH + Co. 1982

.) Wir sind dran; Ernst Ulrich von Weizsäcker/Anders Wijkman; Gütersloher Verlagshaus 2017

.) Was verträgt unsere Erde noch?: Wege in die Nachhaltigkeit; Hrsg.: Klaus Wiegandt; FISCHER 2007

.) Grenzen des Wachstums – Das 30-Jahre-Update; Donella H. Meadows/Jørgen Randers/Dennis Meadows; Hirzel 2015 

.) Ein Prozent ist genug – Mit wenig Wachstum soziale Ungleichheit, Arbeitslosigkeit und Klimawandel bekämpfen; Jørgen Randers/Graeme Maxton; Oekom 2016

.) Was wird aus unserer Umwelt? – Die Zukunft des Menschen zwischen Glaube und Natur; Hans Dietrich Engelhardt; Tectum Verlag 2017

.) BiodiversiTOT – Die globale Artenvielfalt jetzt entdecken, erforschen und erhalten; Vreni Häussermann/Michael Schrödl; Books on Demand 2017

.) Katastrophen der Erdgeschichte – Globales Artensterben; József Pálfy; Schweizerbart’sche 2004

.) Die Weltbevölkerung: Dynamik und Gefahren; Herwig Birg; C.H.Beck 2004

.) Weltbevölkerung: Zu viele, zu wenige, schlecht verteilt?; Hrsg.: Karl Husa; Promedia 2011 

.) Wie schnell wächst die Zahl der Menschen?: Weltbevölkerung und weltweite Migration; Hrsg.: Klaus Wiegandt; FISCHER 2007

.) Der Klimawandel im Zeitalter technischer Reproduzierbarkeit; Hannes Fernow; Springer VS 2014

Links:

– www.ipcc.ch

– mahb.stanford.edu

– www.dsw.org

– www.dge.de

– www.cnrs.fr

– www.bag.admin.ch

– www.cleanenergy-project.de/

– virtuelles-wasser.de

– academic.oup.com/bioscience

– www.sciencedirect.com

– www.thelancet.com

– www.ncbi.nlm.nih.gov

– www.pitt.edu

– www.vulkane.net

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Vogelgrippe – es war noch lang nicht alles!

Eigentlich sollte man meinen, nach zwei Jahren Corona-Pandemie müsste es zumindest für diese Generation genug sein! Doch ist dem offenbar ganz und gar nicht so. Die europäische Gesundheitsbehörde ECDC warnt nach der Auswertung der Daten des jüngsten Seuchenzugs vor einer der wohl schwersten Epidemien, die jemals in Europa aufgetreten sind: Die Vogelgrippe (Geflügelpest)!

In der Saison 2021/22 wurden nahezu 2.500 Ausbrüche in Geflügel-haltungen erfasst. Insgesamt mussten 48 Mio Tiere in diesen Haltungen gekeult werden. Noch mehr Ausbrüche (mehr als 3.500) wurden bei Wildvögeln festgestellt. Schwer davon betroffen sind Nord- und Ostsee – allerdings zieht sich der Seuchenzug bis nach Portugal in Richtung Südwesten und in östlicher Richtung bis in die Ukraine. Betroffen sind 37 Länder. Auch in Nordamerika konnte heuer ein derartiges Seuchen-geschehen beobachtet werden. Bislang orientierte sich die Ausbreitung vornehmlich am saisonalen Zug der Vögel – inzwischen aber tritt sie ganzjährig auf. Das ist umso tragischer, als es den Brutbeginn der Vögel in grossen Kolonien überdauert. Dadurch kann es ohne Hindernisse wüten. In Zoos und Wildparks wurde das Virus in 190 Fällen nachge-wiesen – nicht nur bei Geflügel, sondern auch bei Säugetieren. Und hier besteht die grösste Gefahr: Das Vogelgrippe-Virus kann den Menschen befallen und zu schweren Erkrankungen wie beispielsweise einer Lungenentzündung führen. Bislang gab es in der EU noch keine nachge-wiesenen Infektionen. Dennoch ist Vorsicht geboten: Füchse, Marder, Otter und sogar ein Schwarzbär sind bereits an den Folgen dieser Infektion verstorben. Die meisten an einer Meningoenzephalitis. Aller-dings wurden noch keine Infektionsketten festgestellt. 

„Was uns warnen sollte, sind doch eine Reihe von Fällen bei Säugetieren mit genau diesem Virus!“

(Prof. Dr. Timm Harder PhD, Nationales Referenzlabor für Aviäre Influenza (AI) / Geflügelpest)

Gefahr besteht etwa für Menschen mit Atemwegserkrankungen, die Kontakt mit Geflügel haben. Sie werden zu Tests aufgerufen, damit eine mögliche Erkrankung vorzeitig bemerkt werden kann. In vielen Staaten wurden inzwischen Krisenpläne für den Fall einer massiven Ausbreitung der Vogelgrippe erarbeitet, die wohl nach und nach aus den Schubladen geholt werden. Sie sehen u.a. eine Impfung innerhalb von 16 Wochen und eine Folgeimpfung vor. Bei der Impfmoral der mitteleuropäischen Bevölkerung – ein Tropfen auf den heissen Stein.

Viren, die sowohl Tier als auch Mensch infizieren können, werden als „Zoonosen“ bezeichnet. Ebola, die Schweinegrippe, Tollwut, SARS und CoVid19 – aber auch die Vogelgrippe werden durch derartige Zoonosen ausgelöst. Das Virus wechselt den Wirt – seit 1997 auch bei der Vogelgrippe nachgewiesen. Das menschliche Abwehrsystem steht dem Angriff zumeist machtlos gegenüber, da es bis zu diesem Zeitpunkt nicht mit einer solchen Infektion zu tun hatte. Somit bestehen keine Abwehr-mechanismen wie v.a. Antikörper. Deshalb sind derartige Infektionen umso gefürchteter. 

„Wenn wir es schaffen, den Prozess des Wirtswechsels zu verstehen, verbessert sich unser grundsätzliches Verständnis zur Entstehung neuartiger Epidemien!“

(Prof. Dr. Christian Drosten, Institut für Virologie am Universitätsklinikum Bonn)

Auch der Humangrippe-Erreger bzw. andere menschliche Viren wurden in umgekehrter Richtung schon bei Schweinen nachgewiesen – daraus entwickelte sich beispielsweise der Typ H1N2. Diese Virusvarianten werden mit einem „v“ gekennzeichnet – etwa A(H1N1)v. Wissenschaftliche Studien des US-amerikanischen Virologen Jeffery Taubenberger et.al. kamen zu dem Ergebnis, dass die verheerende Pandemie der Spanischen Grippe in den Jahren 1918/19 durch einen mutierten Vogelgrippe-Virus ausgelöst wurde. Diese Erkenntnis ergab die Untersuchung von in Formalin eingelegtem Autopsie-Materials eines Opfers, aber auch unter-suchtem Lungengewebes eines im Permafrost begrabenen weiteren Opfers.

Deshalb warnen die Vereinten Nationen vor derartigen Pandemien, die im Worst Case bis zu 150 Mio Menschen das Leben kosten können. Das soll jedoch nicht dazu animieren, die normale Grippe „Influenza“ auf die leichte Schulter zu nehmen. Grosse Grippe-Epidemien gab es beispiels-weise in den Jahren 1957 und 1968, aber auch 2005. Alleine in Deutschland mussten bei letzterer bis zu 32.000 Personen in Kranken-häuser eingewiesen werden – 15-20.000 verstarben daran. 2 Millionen Menschen wurden krankgeschrieben. Die Influenza ist und bleibt eine schwere Infektionskrankheit, die durchaus tödlich enden kann. Erste Befürchtungen, wonach in diesem Jahr die Grippe mit CoVID-19 zusammenfallen könnte (wie im abgelaufenen Winter auf der Südhalb-kugel) weisen schon mal auf erhöhte Alarmbereitschaft bei den Gesund-heitsbehörden hin. Wenn nun auch die Vogelgrippe mitmischt, könnte es durchaus zu einem Schreckensszenario kommen. Es macht also Sinn, die FFP2-Schutzmaske alsdann gegen die Influenza wieder zu verwenden – auch wenn es keine Tragepflicht geben sollte. Die normale Grippe-impfung übrigens wirkt ebenso wenig gegen die Vogelgrippe wie eine präventive Einnahme von etwa Tamiflu®! Davon ist übrigens unbedingt abzuraten, da die Erreger gegen die Arzneimittel resistent werden können. Soll heissen: Das Arzneimittel hilft bei einer Erkrankung nicht mehr.

Die Influenza wird durch die sog. „Orthomyxoviren“ der Typen A, B und C übertragen. Die Humangrippe durch Erreger der Typen A sowie der Subtypen H1 bis H3. H5 und H7 lösen vornehmlich bei Hausgeflügel die Vogelgrippe aus. A(H7N9) trat erstmals im Frühjahr 2013 in China auf – es spielt hierzulande noch keine Rolle – ist aber auch für den Menschen sehr gefährlich! Nicht weniger als 1.500 Erkrankungen wurden bislang gemeldet – einige hundert Personen verstarben daran. Ebenso beim Menschen nachgewiesen wurden: A(H10N8), A(H9N2) und A(H5N6) vornehmlich bei Patienten in China. Tödlich verliefen in einigen Fällen die A(H5N6)-Erkrankungen – während die A(H9N2)-Verläufe recht mild ausfielen.

Die Symptome einer A(H5N1)-Erkrankung treten 2-5 Tage nach der Infektion auf, in Einzelfällen auch bis zu 14 Tage danach. Sie gleichen den Symptomen der Humangrippe: Hohes Fieber, Halsschmerzen, Atem-not und Husten. Hinzu kommt bei rund der Hälfte der Erkrankungen Durchfall und seltener auch Bauchschmerzen und Erbrechen. Der weitere Verlauf ist gekennzeichnet durch eine Lungenentzündung, die zu einem Lungenversagen und dem Tod führen kann. Im Frühstadium der Erkrankung werden sog. „antivirale Neuraminidase-Hemmer“ wie Oseltamivir (Tamiflu®) bzw. Zanamivir (Relenza®) eingesetzt. 

Wildvögel können alle 18 H-Typen übertragen. „H“ steht dabei für Hämagglutinin-Proteine. Zusätzlich werden neun verschiedene N-Subtypen unterschieden – „N“ steht dabei für Neuraminidase-Proteine. Einige dieser Influenza-Viren treten nur bei speziellen Arten auf: Schweine, Wale, Pferde, Wild- und Hauskatzen, Seehunde und eben der Mensch. Die Human-Grippe wird vornehmlich durch den Typus A(H3N2) oder A(H1N1) mittels Tröpfcheninfektion übertragen. Der Virentyp B bildet keine Subtypen aus – hier unterscheidet man nach Linien (etwa der Yamagata- und der Victoria-Linie). Er trat bislang nur bei Menschen auf! Der Vogelgrippe-Virus hingegen ist ein hochinfektiöser Typ A(H5N1). Er wird zumeist mit dem Kot der Tiere ausgeschieden und bleibt etwa im Wasser oder feuchtem Schlamm für längere Zeit infektiös. Hierbei ergibt sich für den Menschen der Übertragungsweg durch virenbelastete Tröpfchen oder Staub. In Deutschland kursiert der Subtyp A(H5N8). Auch wenn hier noch keine Infektion nachgewiesen werden konnte, heisst dies nicht automatisch, dass eine solche nicht möglich ist. 

Taubenberger konnte eine Korrelation der Virolenz (Aggressivität) des Viruses mit seiner Erbsubstanz nachweisen. Werden Sequenzen davon durch Sequenzen normaler Grippe-Viren ersetzt, ist das Virus weitaus weniger ansteckend. Eine Forschergruppe rund um Elodie Ghedin vom Institute for Genomic Research wies zudem nach, dass sich die Viren in jeder Saison ändern (mutieren) und neue Stämme hervorbringen. So könnte sich auch der Vogelgrippe-Virus „menschentauglich“ mutiert haben. 

Seit Mitte der 90er-Jahre sucht der Subtyp A(H5N1) jährlich Südostasien heim. Mehr als 100 Mio Tiere sind bislang daran verendet oder mussten gekeult werden, 60 Menschen sind an den Folgen einer H5N1-Vogelgrippe-Infektion verstorben. Sie hatten sich an Tieren angesteckt – eine Übertragung von Mensch zu Mensch ist bislang nicht nicht bekannt – kann sich jedoch rasch durch eine Mutation ändern. Die grössten Befürchtungen der Verantwortlichen! Beispielsweise wenn zwei unter-schiedliche Virentypen (etwa H5N1 und H3N2) in einem Wirt aufeinander-treffen, wodurch sich das Erbgut vermischen könnte. 

Versuche ergaben, dass sich Stockenten zwar anstecken und das Virus weitergeben können, jedoch selbst nicht daran erkranken. Eine Impfung von Hausgeflügel ist zwar möglich, jedoch unheimlich aufwendig. Wie kann geimpftes Geflügel von nicht-geimpftem unterschieden werden? Die Antikörper sind nahezu dieselben. Ergo: Es muss ein Marker-Impf-stoff verwendet werden. Dies kann zudem nur in der Küken-Phase erfolgen. Doch da werden die Tiere bereits mit allen möglichen pharma-zeutischen Produkten vollgepumpt. Und auch hier ist Vorsicht geboten: Impfstoffe gelangen dadurch in die Nahrungskette. Ähnlich wie bei Hormonen oder Antibiotika bei Säugetieren kann das zu erheblichen Auswirkungen beim Konsumenten und der Humanmedizin führen.

Bei Verhaltensauffälligkeiten von Haustieren, die eine Ansteckung und Erkrankung vermuten lassen, sollte dringenst der Tierarzt aufgesucht werden. Auf Rügen und in Österreich hatten sich nachweislich Katzen infiziert.  Bei Geflügelhöfen wird eine Sperrzone mit einem Radius von 3 km eingerichtet. Zudem eine Beobachtungszone von daran anschliessend 10 km und eine Kontrollzone von 13 km.

In diesem Winter kann wahrhaftig einiges auf uns zukommen. Deshalb hier einige Tipps:

– Regelmässiges Händewaschen

– Greifen Sie niemals totes Geflügel an

– Melden Sie grössere Tod-Funde (Gänse, Enten, Greifvögel, …) der Polizei oder dem Veterinäramt, die auch die Beseitigung übernehmen

– Leinen Sie Hunde vornehmlich im Uferbereich stets an und halten Sie Katzen davon fern

– Braten oder kochen Sie Geflügelfleisch und auch Eier ordentlich durch (mindestens fünf Minuten über 70 Grad)

– Vorsicht auch im Umgang mit Schweinen, die als Zwischenwirte dienen können

– Bei Fernreisen vorher über die aktuelle Situation vorort informieren (Zusatzversicherung für einen möglichen Rücktransport)

Hier noch weitere Hinweise:

.) Tierhalter

– Österreich: https://www.kammern-liesingtal.at/wp-content/uploads

/2017/01/Merkblatt_Tierhalter_GP_Risikogebiet.pdf

– Deutschland: https://vv.potsdam.de/vv/Merkblatt-fuer-Gefluegel-halter-††zur-Gefluegelpest.pdf

.) Reisen in betroffene Gebiete

– Österreich: https://www.bmeia.gv.at/ministerium/presse/aktuelles/

2005/†information-des-aussenministeriums-zur-vogelgrippe/

– Deutschland: https://www.bmel.de/DE/themen/tiere/tiergesundheit/

tierseuchen/†gefluegelpest-hinweise-reisende.html

.) Influenza -Pandemiepläne

– Österreich https://eportal.mountsinai.ca/Microbiology//avian/Plans/

Austria.pdf

– Deutschland https://www.gmkonline.de/documents/

pandemieplan_teil-i_1510042222_1585228735.pdf

und

https://edoc.rki.de/bitstream/handle/176904/174/29x3vlR5Miwxa6.pdf?sequence=1&isAllowed=y

– Schweiz https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/das-bag

/publikationen/†broschueren/publikationen-uebertragbare-krankheiten/pandemieplan-2018.html

Lesetipps:

.) Vogelgrippe. Zur gesellschaftlichen Produktion von Epidemien; Mike Davis; Assoziation A 2005

.) The Fatal Strain: On the Trail of Avian Flu and the Coming Pandemic; Alan Sipress; Viking 2009††

.) Bird Flu. A Virus of Our Own Hatching; Michael Greger; Lantern Books 2006†

Links:

– www.zoonosen.net

– www.who.int

– www.ecdc.europa.eu

– www.fli.de

– www.bundesregierung.de

– www.bmel.de

– www.gesundheitsforschung-bmbf.de

– www.sozialministerium.at

– www.bfr.bund.de

– www.llv.li

– www.rki.de

– www.ukbonn.de/virologie/

– www.mpg.de

– www.ages.at

– www.lungenaerzte-im-netz.de

– www.lbv.de

– www.afip.org

– www.cdc.gov

– www.jcvi.org

– www.askjpc.org

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Brasilien wählt – der Klimaschutz hält den Atem an

Nach den vorgezogenen Parlamentswahlen von Italien am vergangenen Wochenende steht an diesem eine erneute, folgenschwere Wahl an: Die Wahl des Präsidenten im grössten Land des lateinamerikanischen Konti-nents: Brasilien! 

Insgesamt sind 156,7 Mio. Einwohner zur Wahl aufgerufen. Was dieser Urnengang bewirken kann, hat die letzte Wahl im Jahre 2018 aufgezeigt. Der Rechtspopulist Jair Messias Bolsonaro machte seiner politischen Einstellung alle Ehre. Sehr zum Ärger der Klimaschützer und Geber-staaten. Bolsonaro steckte zwar die fleissig bezahlten Gelder zum Erhalt des Amazonas-Regenwaldes ein, liess diesen aber unter dubiosesten Umständen trotzdem grossflächig niederbrennen oder roden. Das verschaffte ihm den Spitznamen „politischer Pyromane im Präsidenten-palast“. Ob Naturschutzgebiet oder Schutzzone indigener Völker – voll-kommen gleichgültig. Sein Ziel und damit auch Lebenswerk hat Vorrang vor allem anderen: Die Durchmesser-Autobahn B-163 vom Süden des Amazonas bis zur Grenze Surinams. Zuerst leugnete der die Brände. Als Satellitenbilder des staatlichen Instituts für Weltraumforschung INPE klare Beweise lieferten, setzte er die Verantwortlichen dieser Bundesbehörde auf die Strasse. Nun schob er die Schuld auf die Sonne und den Wind, später dann auf Europäer und Umweltschützer, die den Amazonas-Regenwald angeblich in Brand gesteckt haben sollen um ihn zu verun-glimpfen. Dabei wäre die „grüne Lunge unseres Planeten“ gerade in diesem Jahr so wichtig, da selten zuvor weltweit dermassen viele Wald-brände wüteten, die zu einem Rekordausstoss von CO2 führten. 

Daneben hat sich Bolsonaro, wie kein anderer brasilianische Präsident vor ihm, selbst abgesondert – in Art und Weise seines grossen Vorbildes Donald Trump. Nurmehr wenige wollten mit Brasilien zusammenarbeiten. So boykottierten etwa der französische Präsident Macron, aber auch sein Kollege Higgins von der irischen Insel das geplante Freihandels-abkommen zwischen der EU und Südamerika. „Mercorsur“ sollte schon 2019 auch mit der EU in Kraft getreten sein, wurde alsdann durch das brasilianische Parlament bereits abgesegnet, doch entschieden sich immer mehr EU-Nationalparlamente dagegen, so auch Österreich. Wichtigste Massnahme wäre der Schutz des Regenwaldes, der nicht zuletzt für die Ziele des Handelsabkommen (Export von Rindfleisch und Soja) niedergebrannt wurde und noch immer wird. So deckte die Umwelt-schutzorganisation Greenpeace auf, dass illegale Abholzungen im Feuchtgebiet Pantanal mit dem deutschen Fleischhandel in Verbindung stehen. Einen entsprechenden Passus im Vertrag lehnt Bolsonaro kategorisch ab. Angelegt hat er sich mit nahezu jedem Regierungschef dieser Welt. 

Alles andere entspricht der rechtspopulistischen Grundlagen-Politik: Mehr Macht dem Militär (damit es nicht zu einem Militärputsch kommt) und Ausschalten der kritischen Medien. Eine kurze Geschichte, damit Sie ein besseres Bild von ihm erhalten: Im Jahre 2012 wurde er beim illegalen Angeln im Naturschutzgebiet Estação Ecológica Tamoios südlich von Rio de Janeiro erwischt und erhielt eine saftige Strafe, die er jedoch nie bezahlte. Der Beamte der Umweltbehörde, der dies fotografierte und zur Anzeige brachte, wurde entlassen. Somit war Bolsonaro also alles andere als der erwartete „Messias“ des Landes. Ob seine Söhne, die ebenfalls in der Politik aktiv wurden (zumindest drei von vier), ihn beerben werden, wird sich wohl nach dieser Wahl herausstellen.

Brasilien ist ein Schwellenland, das sich eigentlich auf einem an sich recht guten Weg befand. Doch forderten Korruption und Misswirtschaft enorme Opfer – die wirtschaftliche Situation des Landes war nach der Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele 2016 und der Fussball-WM 2014 mehr als prekär. Wurden davor noch kräftige Gewinne eingefahren, sank das BIP 2015 um 3,8 %, ein Jahr später um erneut 3,4 %. Verantwortlich dafür zeichneten die gerne als „Brasilien-Kosten“ bezeichneten Zusatzaus-gaben für Korruption, miserabler logistischer Infrastruktur und hohe Steuern sowie Finanzierungskosten. All das setzte sich auch unter Bolsonaro fort. Das BIP (nominal) sank von  1.917 Mrd. US-Dollar 2018 auf 1.609 Mrd. im Jahr 2021 (Angaben: Weltbank). Es muss also dringendst ein Marshallplan gefunden werden, damit die Situation in Brasilien, die geprägt ist von Arbeitslosigkeit, Hunger und ständigen Demonstrationen, verbessert werden kann. Bolsonaro hatte vier Jahre Zeit hier anzugreifen – doch verschlimmerte sich vieles. Gegenwärtig leiden rund 33 Mio Menschen unter Hunger.

Der kommende Sonntag ist – wie alle vier Jahre – ein Super-Wahlsonntag. Neben dem Präsidenten (Staatsoberhaupt und Regierungschef) werden auch die Senatoren und Abgeordneten des Nationalkongresses gewählt, die Gouverneure und Vize-Gouverneure der Bundesstaaten und die Abgeordneten der Legislativversammlungen. 12 Personen stellen sich der Präsidentenwahl. Nur zweien davon werden auch Chancen eingeräumt, die kommenden vier Jahre regieren zu können: Jair Messias Bolsonaro von der Liberalen Partei (rechts) und Luiz Inácio Lula da Silva von der Arbeiterpartei (links). Wie bei Rechtspopulisten anscheinend üblich, bekundete Bolsonaro Zweifel an der Sicherheit des Wahlsystems – dubios, schliesslich hätte er diese in den abgelaufenen vier Jahren herstellen können. Die elektronische Wahlurne ist seit 1996 im Einsatz – die unterschiedlichsten Untersuchungen (auch der UNO) haben nach-gewiesen, dass das System in Ordnung sei. Seither gab es 13 Regional- und Präsidentschaftswahlen – bislang ist noch kein Hinweis oder Beleg für einen Betrug aufgetaucht, betont das Oberste Wahlgericht. Kein Argument für Bolsonaro – das ging gar soweit, dass er meinte, er werde das Wahlergebnis nicht akzeptieren, sollte er nicht gewinnen – das wäre dem Wahlbetrug zuzuordnen. Inzwischen hat er diese Aussage zurück-gezogen. Beide Spitzenkandidaten allerdings könnten unterschiedlicher nicht sein.

.) Jair Messias Bolsonaro

Seine italienischen Vorfahren sind im auslaufenden 19. Jahrhundert ausgewandert. Durch seine um 27 Jahre jüngere dritte Ehefrau kam der römisch-katholische Politiker in Kontakt mit den Baptisten und evangelikalen Freikirchen. Sie sollten ihn auch entscheidend unterstützen. Die politische Laufbahn Bolsonaros begann im Jahre 1988, als er sich für die Christdemokraten (PDC) in den Stadtrat von Rio de Janeiro wählen liess. Zwei Jahre später zog er in die Abgeordneten-kammer des Parlamentes ein. Seither wechselte er die Parteien wie andere ihre Autos – bislang acht mal. 2018 kandidierte Bolsonaro für die in’s rechts-konservative Lager abdriftenden Sozial-Liberalen (PSL) für die Präsidentschaftswahlen. Dabei erhielt er die Unterstützung der Rechts-extremen. Sein Programm gleicht dem aller rechts von der Mitte stehenden Volksvertretern: Kampf gegen die Kriminalität, die Korruption und die Wirtschaftskrise und das Recht auf Waffenbesitz, sowie eine Minimierung des Einflusses der Gerichte und damit des Rechtsstaates. Starker Tobak sind seine rassistischen, frauenfeindlichen und homo-phoben Aussagen. 

„Sie verdient es nicht, weil sie sehr hässlich ist. Sie ist nicht mein Typ. Ich würde sie nie vergewaltigen.“

(Bolsonaro über die Abgeordnete Maria do Rosario)

Bei der Stichwahl gegen Fernando Haddad von der Arbeiterpartei („Partido dos Trabalhadores“) am 28. Oktober 2018 schliesslich erhielt er 55,1 % der Stimmen.

.) Luiz Inácio Lula da Silva

„Lula“, so sein Spitzname, kommt aus ärmlichen Verhältnissen und ist Gründungsmitglied der Arbeiterpartei Brasiliens („Partido dos Tralhadores“). Er hatte in den Jahren zwischen 2003 und 2011 bereits die Führung des Landes inne. Den Regierungsstil bezeichnen Experten als „assistenzialistische Sozial- und entwicklungsorientierte Wirtschafts-politik“. Seine Sozialpolitik setzte durch Programme wie Bolsa Família, Fome Zero und dem „Eine-Million-Häuser-Programm“ innenpolitisch wesentliche Akzente bei der Bekämpfung der Armut und des Hungers. Bei der Bekämpfung des milliardenschweren Korruptionsskandals in der „Operation Lava Jato“ („Operation Waschstraße“) wurde Lula 2017 wegen Korruption und passiver Geldwäsche angeklagt, zu zwölf Jahren Haft verurteilt und vorerst für 1,5 Jahre weggesperrt. Investigative Journalisten (etwa von The Intercept) meinen: Zu Unrecht! Es soll sich dabei um Absprachen zwischen Bolsonaro, Staatsanwälten, den politischen Gegnern Lulas und dem damaligen Bundesrichter Sergio Moro gehandelt haben, der im Übrigen später von Bolsonaro zum Justizminister ernannt worden ist. Da Silva sollte durch die Haft an der Teilnahme der Wahl gehindert werden. Das oberste Gericht hob das Urteil Anfang 2021 aus formellen Gründen auf – Sergio Moro soll parteilich befangen gewesen sein. 

Sollte am 02. Oktober keiner der Kandidaten im ersten Wahlgang über die absolute Mehrheit verfügen, wird es wieder eine Stichwahl geben – wie auch 2018. Übrigens herrscht in Brasilien Wahlpflicht. Fehlt ein Wahlberechtigter unentschuldigt, erhält er eine Strafe von umgerechnet rund neun Euro. Bei Wiederholung kann er gar sein Wahlrecht verlieren.  

Bolsonaros Partei, die „Partido Liberal“ hat sich für diese Wahl mit der „Partido Progressistas“ (Progressiven) und den Republikanern („Republi-canos“) zum Bündnis „Pelo Bem do Brasil“ („Zum Wohle Brasiliens“) zusammengeschlossen. Da Silva hingegen kandidiert für das Bündnis „Vamos Juntos Pelo Brasil“ („Wir gehen zusammen für Brasilien“) – einer Vereinigung der unterschiedlichsten Strömungen und Parteien. Nachdem sich Lula gegen die Entwaldung des Amazonas-Gebietes und die dort herrschende Gewalt v.a. gegen indigene Völker ausgesprochen hat, versprach auch Bolsonaro ein Ende des Ganzen. Damit ist der Regenwald zum schwergewichtiges Wahlkampfthema avanciert. Daneben ging es um die Ernährungssicherheit und der Entlastung der Bevölkerung. Da Silva hatte dies während seiner Regentschaft umgesetzt, Bolsonaro sträflichst vernachlässigt. Er schuf zwar mehr Arbeitsplätze, doch sanken die Löhne und Lebensbedingungen.

„Ich arbeite bis zu 13 Stunden am Tag für 200 Euro im Monat. So kann man nicht überleben.“ 

(Alexandre Magalhães, Wachmann auf dem Parkplatz eines Supermarktes und Rapper „MC Macarrão“)

Daneben ist die Arbeitslosigkeit nach wie vor allerorts spürbar

Bolsonaro baute seinen Wahlkampf auf Emotionen auf: „Kampf des Guten gegen das Böse“! Das „Böse“ habe 14 Jahre lang im Land gewütet und dabei Brasilien fast zerstört. Lula beschuldigt Bolsonaro aufgrund seines Krisenmanagements während der Corona-Pandemie als „Völkermörder“. Zuletzt gingen auch die Anhänger der beiden Kontrahenten gewalttätig aufeinander los. Dabei wurde beispielsweise Anfang September ein Anhänger Lulas von einem Anhänger Bolsonaros mit der Axt erschlagen, ein anderer erschossen. 

Das Oberste Wahlgericht hat bereits genaueste Kontrollen vorausgesagt und die Sicherheit der Wähler und ihrer Stimmen garantiert. Das Zünglein an der Waage jedoch könnte das Militär werden. wie wird es sich verhalten, sollte Bolsonaro nicht die Mehrheit erringen? Nachdem da Silva zuletzt in den Umfragen führte, versuchte Bolsonaro die letzten Kräfte zu mobilisieren – auch im Militär. Bereits 2018 war dieses dem ehemaligen Major wohlgesonnen. Vielen Armeeangehörigen hat er zudem Posten in der Regierung vermittelt. Der engste Vertraute des amtierenden Präsi-denten ist dessen Verteidigungsminister, General Walter Braga Netto, der bei einem Erfolg Bolsonaros gar Vizepräsident werden soll. Deshalb schlug der „Chef“ auch vor, eine parallele Stimmauszählung durch das Militär vornehmen zu lassen. Das lässt durchaus Erinnerungen an die Militärdiktatur von 1964 bis 1985 aufkommen. Dennoch hat die Armee angekündigt, Stichproben zu nehmen. Mit dem Argument, eine Zuver-lässigkeit der Stimmen auf 95 % zu gewährleisten. Zum Missfallen des Obersten Wahlgerichtes: Das betont, dass über 100 internationale Wahl-beobachter aus den unterschiedlichsten Organisationen eingeladen wurden.      

„Es ist nicht klar, wie groß der Teil der Militärangehörigen ist, die Bolsonaro wirklich unterstützen.“

(Carolina Botelho, Politikwissenshaftlerin an der föderalen Universität Rio de janeiro)

Einen Militärputsch schliessen Experten inzwischen jedoch aus. Einerseits ist der Rückhalt Bolsonaros hier nicht entsprechend gross, andererseits gäbe es hierfür auch kein Verständnis in der Bevölkerung.

Seine Anhänger allerdings glüht Bolsonaro bereits vor. Es ist somit durchaus möglich, dass sich auch in Brasilia derart schändliche Szenen wie in Washington ereignen werden. Dabei werden wohl auch Waffen eine entscheidende Rolle spielen, schliesslich lockerte der Präsident die Waffengesetze, sodass sich in den letzten fünf Jahren die Waffenbesitzer verzehnfacht haben. Sein Sohn, der Abgeordnete Edorado Bolsonaro, hat inzwischen alle Waffenbesitzer dazu aufgefordert, sich zu einem „Freiwilligen Bolsonaros“ zu machen. Die Universität Rio veröffentlichte zuletzt eine Untersuchung, wonach die politische Gewalt in Brasilien in den letzten drei Jahren um 335 % angestiegen ist. Eine aktuelle Umfrage des Institutes Datafolha zeigte auf, dass 67,5 % der Befragten Angst vor Repressalien durch politische Gewalt haben. 

„Gewalt findet systematisch statt und wird eingesetzt, um bestimmte Ziele zu erreichen. Es ist super wichtig, dass mehrere Organisationen und Institute versuchen, diese Gewalt abzubilden. Aber wir wissen, dass die Straflosigkeit noch immer sehr hoch ist, und das ermutigt auch die Täter“.

(Gisele Barbieri, Justiça Global)

Gewalttaten an Unterstützern der Arbeiterpartei sind inzwischen an der Tagesordnung – oftmals begangen durch rechte bewaffnete Milizen. 

In den letzten Umfragen führte stets Lula mit teils grossem Vorsprung (auch bei einer möglichen Stichwahl)!

PS: 

Der Objektivität halber sollte auch die ehemalige Website von Jair Bolsonaro unten angeführt werden. Wie jedoch darauf zu lesen ist, wurde die Seite nicht mehr gepflegt und bezahlt. Also erwarb der Geschäfts-mann Gabriel Baggio Thomaz die Domain und gestaltete im August den Inhalt gegen die Bolsonaro-Regierung um. 

Links:

– partidoliberal.org.br

– lula.com.br

– pt.org.br

– www.brazil.gov.br

– www.gov.br

– www.tse.jus.br

– www.camara.leg.br

– www.senado.gov.br

– kas.de

– www.greenpeace.de

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Kriegsmilliardäre – das unmoralische Angebot

„Exxon made more money than God this year!“

(US-Präsident Joe Biden)

Es hat sehr lange gedauert, bis sich auch auf nationaler Ebene etwas tut. Nachdem aber EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen nun ange-kündigt hat, Übergewinne der Energiekonzerne abschöpfen und auf die Mitgliedsstaaten verteilen zu wollen, sowie eine befristete Erlös-Obergrenze für „inframarginale“ Strom-Produzenten (nicht auf Gas und Erdöl basierend) einführen zu wollen, herrscht nun auch in Berlin und Wien reges Pläneschmieden. Am 30. September werden die ent-sprechenden EU-Minister über den Gesetzvorschlag der Kommission abstimmen. Für viele jedoch kommen diese Massnahmen zu spät.

Selten zuvor hat sich die Preisspirale vor allem in Deutschland und Österreich schneller gedreht als in den vergangenen 7 Monaten. Kopf-schüttelnd stehen die meisten Konsumenten vor den Regalen der Super-märkte. Viele würden zwar gerne, doch können sie nicht: Sie können nicht mehr zugreifen, da es zu teuer für sie ist. Die Preise sind der-massen in die Höhe geschnellt, dass einem schwindelig dabei wird. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine kosten viele Produkte das Doppelte. Konnte man davor noch sparen, indem nicht unbedingt auf Markenartikel sondern vielmehr auf Diskont-Ware zurück-gegriffen wurde, so ist dies inzwischen nicht mehr möglich, da auch diese zugelegt hat, sodass viele nicht wissen, wie sie diesen Winter über die Runden kommen sollen. Die Lebenshaltungskosten steigen unauf-hörlich – jetzt mit dem Beginn der Heizperiode, wird vieles noch wesent-lich schlimmer werden. 

Die Gründe, die dahinterstecken sind vielfältig – sie alle klären zu wollen, würde den Rahmen des Blogs sprengen. Doch auf den wohl schwerge-wichtigsten, sei heute im Detail eingegangen: Die Energiepreise. Wären die Sprit- und Gaspreise möglicherweise noch erklärbar, so grenzen die hohen Strompreise an Wucher. Nie zuvor gab es mehr Photovoltaik und Strom aus Windkraft als in diesen Tagen. Und Petrus meint es gar noch gut mit uns: Es war der sonnenreichste Sommer seit Jahrzehnten: 99,4 Terrawattstunden Solarstrom wurden zwischen Mai und August 2022 in der EU produziert (12 % der Stromproduktion) – umgerechnet auf den derzeitigen Gaspreis hätte dies einem Gasimport von 29 Milliarden € entsprochen. In Deutschland wurden 19 % des erzeugten Stroms durch die Sonne abgedeckt, in Spanien 17 und in den Niederlanden gar 23 %. Zudem zogen Fronten auf, aber auch durch die lokalen Sturmereignisse drehten sich die Riesenpropeller der Windparks um einiges schneller und länger. Energie, die in den letzten 7 Monaten keinerlei Mehrkosten wegen Rohstoffbedarfs oder Transports verursachte und trotzdem war die Kilo-wattstunde nie teurer als derzeit. Was ist da geschehen? 

Der nächste Satz schmerzt – hätte auch niemals gedacht, dies einmal öffentlich sagen zu müssen: Donald Trump hatte mit Nordstream recht! Allerdings hatte er es mehr als schlecht verpackt, schliesslich dachte wohl jeder, dass er das US-amerikanische Fracking-Gas und -Öl ver-kaufen wollte. Anders formuliert, hätte er sicherlich wesentlich mehr Befürworter dafür gefunden: Die allzu starke Bindung an nur einen Anbieter kann zu Problemen führen. China etwa ist ein energiefressender Moloch. Das Land verbraucht fast das Doppelte an Energie als die USA. Auf Platz 3 folgt Indien. Gerade die historisch gewachsenen Beziehungen zwischen Moskau und Peking hätten auch ohne den Einmarsch der Russen in die Ukraine ausgereicht, Alternativen im Einkauf zu suchen. Auch wenn es moralisch durchaus kritisierbar ist, menschenrechts-verachtende Emirate im Nahen Osten oder Regime (wie Venezuela) zu beauftragen, hätte sich eine wesentlich breitere Anbieterschaft und dadurch bessere Aufstellung in der Energiewirtschaft ergeben. Wenn nun – wie geschehen – Putin den Hahnen zudreht oder die Sanktionen keinen weiteren Import von russischem Erdöl zulassen, hätten andere Anbieter den Ausgleich liefern können. Dies wurde jedoch unterlassen. Anstatt dessen belief sich im Jahr 2020 der Anteil der russischen Ölimporte in Deutschland auf 30 % – beim Gas sogar auf 65 %. In Österreich waren es 2021 ganze 38,1 % beim Öl und sage und schreibe 80 % beim Gas. Wie sich dieses Preisspirale dreht – hier ein kleines Beispiel: Die Stadtwerke Konstanz werden zum 01. Oktober die Gaspreise um 200 % steigern. Das Gas wird durch den Fernleitungsbetreiber Terranet BW, einer Tochter der EnBW, zugeliefert. 2017 wurde die Verbundnetz Gas AG (VNG) in Ostdeutschland übernommen. Die VNG versorgt(e), wie auch Uniper, Stadtwerke mit Billiggas aus Russland – jetzt ist sie in argen Schwierig-keiten, da sie das Gas wesentlich teurer über etwa Norwegen oder die Niederlanden einkaufen muss. Die VNG hat deshalb um Hilfe aus der Gasumlage angesucht. Diese ist dafür gedacht, bestehende Verträge erfüllen zu können, ohne dabei Millionenverluste zu machen. Soll heissen, dass das Gas zum bislang geltenden Preis weitergegeben wird. Wenn dies tatsächlich der Fall ist: Wieso erhöhen die Stadtwerke Konstanz dann den Gaspreis derart eklatant (Gasumlage bereits einge-rechnet)? VNG kann keine Gewinne machen, da ansonsten die Hilfe aus der Gasumlage nicht gewährt wird!

Daneben wurde zwar viel versprochen, doch nur wenig gehalten – von der Loslösung von fossilen Brennstoffen. Wurde die Kohleverbrennung eingeschränkt, so vervielfachte sich dafür die Gasnutzung. Weshalb auch etwas ändern, wenn diese Energieart in Hülle und Fülle vorhanden und entsprechend günstig ist. Nun fällt dieses Kartenhaus zusammen. Industrie und Handwerk sind in viel zu grossem Ausmass vom Gas abhängig. So betonte etwa der CEO der Grossbäckerei Lieken, Christian Hörger, im Podcast „Die Stunde Null“, dass das Brot aus zweierlei Gründen teurer werden muss: Die Preise für Mehl sind ordentlich angestiegen (dieses Thema habe ich an dieser Stelle bereits abgearbeitet – Deutschland produziert mehr Getreide, als es verbraucht – sind somit vornehmlich Gierflation-Interessen) und nahezu alle Öfen der Bäcker laufen noch mit Gas! Brot ist das wichtigste Grundnahrungsmittel Deutschlands: Herr Müller und Frau Schmidt verbrauchen pro Jahr 20 kg – pro Kopf!

Und nun zurück zum Strom: Auch bei den Kraftwerksbetreibern gab es in den letzten Jahren eine grossflächige Umstellung: Von Kohle auf Gas! V.a. die Klimasünderin Braunkohle, deren Abbau nach wie vor in Deutschland erfolgt (nun für den Export), aber auch die Steinkohle, die aus Polen und v.a. Russland importiert wurde, sind nahezu gänzlichst vom Markt verschwunden. Kohlekraftwerke wurden abgeschaltet, Gaskraftwerke aufgestellt. Der Bedarf ist nach wie vor da und auch vonnöten. Beispiel? Das deutsche Flächenland Baden-Württemberg ist seit einigen Jahren in der Lage, den Strombedarf am Sonntag-Nachmittag nur aus Photovoltaik zu beliefern. Ziehen jedoch Wolken auf, die Sonne verschwindet, wird von einer Minute auf die andere immens viel Strom weniger geliefert. Damit das Netz nicht zusammenbricht, werden hierfür Gaskraftwerke hoch-gefahren. Das Problem stellte sich beispielsweise auch bei der Sonnen-finsternis 1999. Erschwerend hinzu kommt die Energie- und Kernkraft-wende. AKWs werden reihenweise abgeschaltet ohne gleichwertige Alter-nativen liefern zu können. Die Zeit dafür wäre da gewesen, doch warteten die Entscheider bis zuletzt! So ist die Stromtrasse, die den deutschen Süden mit Windstrom aus Windparks in der Ost- und Nordsee versorgen sollte, nur auf dem Papier vorhanden. Die drei, derzeit noch laufenden Kernkraftwerke liefern nach wie vor enorm viel Strom:

– Isar 2 (Betreiber: Preussen Elektra und Stadtwerke München) 1.485 Megawatt

– Emsland (Betreiber: RWE, Preussen Elektra) 1.406 Megawatt

– Neckarwestheim (Betreiber: EnBW) 1.400 Megawatt

Alle drei sollten in den kommenden Monaten vom Netz gehen – teilweise werden sie bereits runtergefahren. Atomstrom ist der günstigste Strom, rechnet man die Kosten für die Endlagerung nicht hinzu, die jedoch eigentlich durch Stiftungen, bestückt aus dem laufenden Betrieb, abge-deckt sein sollte. Hier gab man sich blauäugig und verliess sich im Notfall auf Frankreich, das nach wie eine unheimlich hohe AKW-Dichte aufweist. Was hier nicht einberechnet wurde: Die französischen Atom-meiler sind grossteils Schrottmeiler und werden nach und nach wegen Sicherheitsbedenken runtergefahren. Woher kommt nun Ersatz für die drei deutschen AKWs?

Dies alles sind grundsätzliche Probleme, die bereits für ein Ansteigen des Energiepreises ausreichen. Nun aber kommen die Finanzhaie in’s Spiel. Jene Investoren, die früher beispielsweise in Hedgefonds investierten, jetzt andere Betätigungsfelder suchen: Agrar und Energie! Die Rendite muss stimmen – alles andere ist gleichgültig. Moral? Nein – die gibt es in diesem Bereich nicht. Im Agrarsektor schon seit Jahren ein riesiges Problem. Werden doch bereits vor der Ernte riesige Mengen an Getreide, Mais und Raps aufgekauft, damit nach der Ernte die Preise in die Höhe schnellen (geringes Angebot am Markt) und unvorstellbare Gewinne damit gemacht werden. Das gilt nun auch für den Energiesektor. Riesige Mengen an Gas und Öl werden aufgekauft, die Strompreise an den entsprechenden Börsen wie „European Energy Exchange“ (EEX) in Leipzig oder „Energy Exchange Austria“ (EXAA), vor allem aber der EPEX (dem Zusammenschluss der deutschen EEX mit der französischen Powernext in Paris) für den Markt der Central Western Europe (CWE) künstlich nach oben getrieben. Dort ist bekannt, dass vor allem im Winter weniger Strom zur Verfügung stehen wird (wenn die Heizlüfter allerorts ihre Arbeit versehen), der dann mit wesentlich grösserer Gewinnmarge verkauft werden kann. Ein Fehler, den die EU im Jahre 1996 mit der Liberalisierung (EU Richtlinie 96/92/EC) anschob, die einen freien Verkauf auch über die Grenzen hinweg ermöglichte. Davor war dies national organisiert. Somit tritt etwa der Irrsinn auf, dass österreichische Bundesländer wie Tirol und v.a. Vorarlberg durch Wasserkraft so viel Strom produzieren, den sie gar nicht selbst aufbrauchen, ihn als Spitzenstrom zu den Preisen der Börsen in’s Ausland verkaufen, die Kilowattstunde bei den heimischen Abnehmern hingegen ebenfalls ordentlich anheben, mit dem Verweis auf die internationale Preisentwicklung. Österreich hat kein Atomkraftwerk und damit eigentlich nicht direkt Zugriff auf den billigen Atomstrom (der jedoch v.a. aus der Slowakei und Tschechien, sowie Ungarn einfliesst). Dennoch wurde im Rahmen der Liberalisierung der sog. „ARENH-Preis“ (Accès régulé à l’électricité nucléaire historique) als Bezugspreis für Stromlieferanten festgelegt, die keinen Zugang zu Atomstrom haben. Die Börsenpreise in Frankreich liegen jedoch oftmals über diesem Preis. Pervers, wird dadurch doch der eigentlich günstigere Atomstrom teurer als beispielsweise Strom aus Wasserkraft verkauft. Österreich teilt sich mit Deutschland den Markt und ist somit an die deutschen Preise gebunden.  

Eine sehr ausführliche Erklärung, die jedoch erforderlich war um das nachfolgende verstehen zu können: Die Übergewinn-Abschöpfung. So sank etwa der Gaspreis innerhalb kürzester Zeit, als bekannt wurde, dass er möglicherweise gedeckelt werden soll. Dies hätte wenn vielleicht auch keine Verluste, so doch eine enorme Einschränkung der Gewinne der Spekulanten bedeutet.  

„Eine reine Umverteilung von Erlösen greift aber zu kurz und wird unweigerlich zu neuen Problemen führen. Wir hätten einen Zugang vorgezogen, der das Thema an der Wurzel packt.“

(Michael Strugl, Präsident von Österreichs Energie und Verbund-Chef)

Neben all den folgenden Informationen sollte eines niemals vergessen werden: Wir müssen uns im Energieverbrauch einschränken! Der World Overshoot Day war dieses Jahr am 28. Juli – ab diesem Zeitpunkt leben wir von den Geo-Ressourcen des kommenden Jahres. Und dieser Tag rückt immer mehr nach vorne! Die EU-Kommission fordert deshalb nicht umsonst die Einschränkung zu Spitzenstromphasen um mindestens 5 % – das würde eine Verringerung des Gasverbrauchs um 1,2 Milliarden Kubikmeter über den Winter hinweg bedeuten. Eine Gesamtersparnis bis 31. März 2023 um 10 % sollte alsdann in’s Auge gefasst werden. 

Nach Vorstellungen von der Leyens soll es europaweit eine „befristete Erlösobergrenze für Stromerzeuger mit geringen Kosten und einen Solidaritätsbeitrag auf der Grundlage von Überschussgewinnen“ geben (greift ab 20 ct/kWh). Derartige Überschussgewinne fallen derzeit im Erdöl-, Erdgas-, Kohle- und Raffineriebereich an. Die darüber erzielten Gewinne sollen an Haushalte und Unternehmen umverteilt werden. 

„Wir stehen Putins Einsatz von Erdgas als Waffe weiter geschlossen gegenüber und werden die Auswirkungen der hohen Gaspreise auf unsere Stromkosten in diesen außergewöhnlichen Zeiten möglichst gering halten.“

(Ursula von der Leyen, EU-Kommissions-Präsidentin)

Nun – das mit der Solidarität ist so eine Sache. Es gibt Unternehmen (wie etwa Unipern, Gazprom Germania (jetzt Sefe) oder die EnBW-Tochter VNG), die sich nahezu ausschliesslich auf günstigstes Gas, Öl oder Kohle aus Russland verliessen und nun durch dessen Ausbleiben wirtschaftlich schwerst erschüttert sind. Uniper wirbt jetzt auf seiner Webseite mit „…grüner Energie für eine nachhaltige Zukunft“. Zuvor mischten sie den Markt mit günstigen Preisen auf. Daneben stehen andere Unternehmen (wie Shell, BP, Total oder Exxon), die auch andere Anbieter einfliessen liessen, dadurch kein Billig-Gas oder -Öl anbieten konnten und nun ihren ehemaligen Billig-Konkurrenten einen Solidarbeitrag leisten sollen. Nichtsdestotrotz – zweitere freuen sich derzeit über den Energie-Höhen-rausch. Sie fahren Gewinne ein, die noch vor zwei Jahren undenkbar erschienen.     

Diese sog. Steuer auf „Residualgewinne“ (Krisengewinnsteuer oder Windfall Tax) wurde bereits in einigen Ländern der EU eingeführt – in Italien werden diese „Zufallsgewinne“ beispielsweise mit 25 % rückwirkend auf den Zuwachs an Wertschöpfung, in Grossbritannien mit 25 % auf Gewinne (bei Investitionen im UK gibt’s Steuererleichterungen), in Spanien und Griechenland mit bis zu 90 % auf Gewinne besteuert. Sie bringt bringt folgendes in Euro:

Italien – 10-11 Mrd

Spanien – 3,5 Mrd

Ungarn – 2 Mrd

Griechenland – 400 Mio

Rumänien – keine Angaben

(Grossbritannien – 5,9 Mrd €)

Geplant ist sie zudem jetzt im Herbst in Belgien und Tschechien!

Der italienische Ministerpräsident Mario Draghi allerdings sieht sich mit einem grossen Problem konfrontiert: Viele Unternehmen weigern sich, diese Gewinnsteuer bzw. Teile davon zu bezahlen. Seine Regierung hat ein Massnahmenpaket beschlossen, um Haushalte und Unternehmen ab Januar entlasten zu können. Nun fehlen für dieses Paket in der Höhe von 33 Mrd. € ganze neun Milliarden! Deshalb geht’s nun an’s Eingemachte: Strafgebühren und Zinsen.  

Welche Konzerne sind nun tatsächlich jene, die mit dem Krieg den grössten Reibach machen?! Waren es in der Corona-Pandemie vornehmlich die Pharmakonzerne, so sind es nun vornehmlich die Öl- und Gasmultis – ihre Gewinne im 2. Quartal des laufenden Jahres in US-Dollar (die Gewinnzahlen des 2. Quartals 2021 in Klammer):

Exxon – 17,9 Mrd. (4,7 Mrd)

Chevron – 11,6 Mrd (3,1 Mrd)

Shell – 11,5 Mrd (5,5 Mrd)

bp – 9,3 Mrd (3,1 Mrd)

Total – 5,7 Mrd (3,5 Mrd)

Diese Konzerne verdienen sich derzeit tatsächlich einen goldenen Zapf-hahnen. Doch sind sie dabei nicht alleine: Der ganze Rohstoffmarkt boomt derzeit wie noch nie zuvor. Glencore in Baar/Schweiz etwa ist die weltweit grösste Unternehmensgruppe im Rohstoffhandel und Berg-werksbetrieb. Das Unternehmen machte im ersten Halbjahr 2022 einen Gewinn von 12,1 Mrd. Dollar – vornehmlich aufgrund der Rekordpreise für Kohle und Energieprodukte. 

Die Gewinnüberflieger in Deutschland:

.) Encavis (Betreiber von Solarparks und Windkraftanlagen aus Hamburg) 643 % – geschätzter Gewinn nach Steuern 72 Mio € (mehr als 700 %)

Mit gerade mal 144 Mitarbeitern ein Krisengewinner aufgrund des hohen Strompreises – das ist eindeutig Übergewinn!!!

.) Bayer (Chemie- und Pharmariese aus Leverkusen) 361 % – geschätzter Netto-Gewinn 4,6 Mrd. € (mehr als 450 %)

Die Gewinne resultieren vornehmlich aus der Saatgut-, Dünge- und Pflanzenschutzmittel-Produktion – das ist eindeutig Übergewinn!!!

.) Commerzbank (Finanzinstitut aus Frankfurt) 261 % – geschätzter Gewinn nach Steuern 1,1 Mrd € (mehr als 300 %)

Die Bank schrieb in den letzten Jahren nur rote Zahlen, musste sogar durch den Bund gestützt werden – er hält nach wie vor 15,6 % – Zinserhöhungen in den USA und Europa sowie ein rigoroses Sparprogramm sind hierfür verantwortlich; Kredite aus Russland und der Ukraine müssen abgeschrieben werden

.) Verbio (Biokraftstoffhersteller aus Zörbig) 248 % – geschätzter Netto-Gewinn 322 Mio €

Der ostdeutsche Konzern hat bislang nie die 100 Mio €-Gewinngrenze erreicht – das ist eindeutig Übergewinn!!! 

.) RWE (Stromproduzent aus Essen) 185 % – geschätzter Gewinn nach Steuern 2,1 Mrd € (fast +300 %)

Der Umsatz aus Gas- und Wasserstrom steigert sich in diesem Jahr um 18 % auf 29 Mrd € – das ist eindeutig Übergewinn!!!

.) Traton (ausgegliederte VW-Nutzfahrzeugsparte aus München) 184 % – geschätzter Netto-Gewinn 1,3 Mrd € (fast +300 %)

Durch Corona brach viel Gewinn weg – 2019 lag dieser bei 1,5 Mrd – heuer aufgrund der Übernahme des US-Herstellers Navistar

.) Medios (Pharmakonzern aus Berlin) 175 % – geschätzter Gewinn nach Steuern 21 Mio

Der Gewinn resultiert vornehmlich aus dem Ankauf eines kleineren Unternehmens – spezialisiert auf seltene Krankheiten

.) Hochtief (Baukonzern aus Essen) 146 % – geschätzter Netto-Gewinn 511 Mio  € (+246 %)

†Der Umsatz ist geringer als 2019 – v.a. in der Asien-Pazifik-Region laufen die Geschäfte dennoch ausgezeichnet

.) Aareal Bank (Immobilienfinanzierer aus Wiesbaden) 125 % – geschätzter Gewinn nach Steuern 120 Mio € (+50 %)

Diese Zahlen wurden jedoch bereits vor der Corona-Krise geschrieben

.) Brenntag (Chemikalienhändler mit Sitz in Essen) 112 % – geschätzter Nettogewinn 2022 950 Mio € (mehr als +50 % im Vergleich zu 2021)

Gewinnsteigerung durch höhere Preise und ein Sparprogramm

Somit werden durch die Einführung einer Krisengewinnsteuer weitaus weniger deutsche Unternehmen als bislang gedacht zur Kasse gebeten. Doch es geht auch anders: Der Energiehändler E.ON wird seinen Gewinn heuer von 4,6 auf geschätzte 1,8 Mrd verringern, Windkraftbetreiber PNE baut ein Gewinn-Minus von 85 %, SME Solar wird gar in die roten Zahlen abdriften. Der Gas-Grosshändler Uniper musste gestützt und verstaat-licht werden, da sich die wirtschaftliche Situation extremst zuspitzte. Das Unternehmen bezog 50 % seines Gases aus Russland – insgesamt werden 40 % der Gas-Nutzer in Deutschland damit beliefert. Ein Konkurs von Uniper hätte unglaubliche Auswirkungen gehabt. Gleiches gilt auch für die Gazprom-Tochter Gazprom Germania (jetzt Sefe). Russland hatte sie abgestossen, die Verwaltung wurde bereits durch den Bund treu-händerisch übernommen – jetzt soll auch sie (nach einem 10 Milliarden-Kredit durch die KfW) verstaatlicht werden. Auch Unternehmen aus anderen Bereichen, wie die Deutsche Bank oder die Deutsche Börse gleichen die letzten Minus-Jahre aus, die DWS-Gruppe und die Deutsche Pfandbriefbank liegen bei Normalgewinnen. Trotzdem rechnet etwa die Rosa-Luxemburg-Stiftung (politisch links einzuordnen) mit Mehrein-nahmen durch die Krisengewinnsteuer in der Höhe von bis zu 102 Mrd – bei einer Versteuerung von 90 % wie in Spanien oder Griechenland. 

Ein ähnliches Bild ergibt sich in Österreich – auch hier wird es schwierig werden, die Krisengewinne von den Normalgewinnen zu unterscheiden. Dabei sollen jedoch die Energieanbieter aus erneuerbaren Energien ausgeklammert werden. Somit bleiben die Übergewinne aus Gas und Öl bzw. Atomstrom über, da die Kosten der Stromproduzenten aus Kohle-, Gas- oder Öl-Kraftwerken nicht gestiegen sind. Auch im Alpenstaat wird man deshalb auf einer Preisdeckelung bei Gas und Strom setzen. Zu den Gewinnern zählt eindeutig die OMV, die den operativen Gewinn im 2. Quartal 2022 um 1,6 Mrd auf 2,9 Mrd Euro steigern konnte – im Ver-gleich zum 2. Quartal 2021. Die Manager klopfen sich auf die Schultern – sie kassieren zusätzliche Boni in der Höhe von 6,2 Mio € ab (Quelle: kontrast.at). Hier würde sich eine Übergewinnsteuer durchaus lohnen. Doch ist der Bund über die ÖBAG zu 31,5 % an der OMV beteiligt – er würde sich also in den eigenen Schwanz beissen. Gleiches gilt für die Strom- und Gasanbieter in den Bundesländern, die zumeist das jeweilige Land als einen der Gesellschafter vorzuweisen haben. Trotzdem brächte eine solche Steuer dem Alpenstaat zwischen vier bis sechs Milliarden.  

Selbstverständlich sorgt eine solche Übergewinnsteuer für Unruhe am Markt. In Spanien knickten die Kurse der Energieriesen und Banken ein, auch in Österreich legte vor allem der Verbund einen Tiefflug hin, als Bundeskanzler Karl Nehammer dies im Mai des Jahres in’s Auge fasste. Doch handelt es sich hierbei ja um Kurse, die zuvor künstlich nach oben gedrückt wurden. Ökonomen warnen erneut: Durch eine derartige Steuer würde das Vertrauen der Investoren und jenes in den Standort riskiert. In der Schweiz wird gar der Wohlstand des Landes als Argument in’s Spiel gebracht. Dem sei entgegengestellt, dass die Investoren auch bei nor-malem Gewinnverlauf durchaus gute Rendite machen, ansonsten hätten Sie ja keine Beteiligung vor dem Steigflug der Preise angestrebt. Bei einem Residualgewinn von 0 werden nämlich die Ansprüche der Kapital-geber bereits vollständig erfüllt. Und wenn Stadtwerke bzw. Unternehmen mit Länder- oder Bundesbeteiligung plötzlich mit der Auslagerung beginnen, so muss ernsthaft über eine derartige Beteiligung der öffent-lichen Hand diskutiert werden, da ja dann alsdann die Steuerpflicht in’s Ausland verlagert wird, was in keinem Falle dem Interesse der Volks-vertreter entsprechen sollte, da es auch der einfache Bürger als Aufruf zur Steuerflucht verstehen könnte.

Links:

– www.eex.com/de

– www.exaa.at

– www.epexspot.com

– www.preussenelektra.de

– www.rwe.com

– www.enbw.com

– www.stadtwerke-konstanz.de/de/

– www.uniper.energy/de

– vng.de

– www.sefe-group.com

– www.omv.at/de-at

– kontrast.at

– www.oegb.at

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