Brasilien wählt – der Klimaschutz hält den Atem an

Nach den vorgezogenen Parlamentswahlen von Italien am vergangenen Wochenende steht an diesem eine erneute, folgenschwere Wahl an: Die Wahl des Präsidenten im grössten Land des lateinamerikanischen Konti-nents: Brasilien! 

Insgesamt sind 156,7 Mio. Einwohner zur Wahl aufgerufen. Was dieser Urnengang bewirken kann, hat die letzte Wahl im Jahre 2018 aufgezeigt. Der Rechtspopulist Jair Messias Bolsonaro machte seiner politischen Einstellung alle Ehre. Sehr zum Ärger der Klimaschützer und Geber-staaten. Bolsonaro steckte zwar die fleissig bezahlten Gelder zum Erhalt des Amazonas-Regenwaldes ein, liess diesen aber unter dubiosesten Umständen trotzdem grossflächig niederbrennen oder roden. Das verschaffte ihm den Spitznamen „politischer Pyromane im Präsidenten-palast“. Ob Naturschutzgebiet oder Schutzzone indigener Völker – voll-kommen gleichgültig. Sein Ziel und damit auch Lebenswerk hat Vorrang vor allem anderen: Die Durchmesser-Autobahn B-163 vom Süden des Amazonas bis zur Grenze Surinams. Zuerst leugnete der die Brände. Als Satellitenbilder des staatlichen Instituts für Weltraumforschung INPE klare Beweise lieferten, setzte er die Verantwortlichen dieser Bundesbehörde auf die Strasse. Nun schob er die Schuld auf die Sonne und den Wind, später dann auf Europäer und Umweltschützer, die den Amazonas-Regenwald angeblich in Brand gesteckt haben sollen um ihn zu verun-glimpfen. Dabei wäre die „grüne Lunge unseres Planeten“ gerade in diesem Jahr so wichtig, da selten zuvor weltweit dermassen viele Wald-brände wüteten, die zu einem Rekordausstoss von CO2 führten. 

Daneben hat sich Bolsonaro, wie kein anderer brasilianische Präsident vor ihm, selbst abgesondert – in Art und Weise seines grossen Vorbildes Donald Trump. Nurmehr wenige wollten mit Brasilien zusammenarbeiten. So boykottierten etwa der französische Präsident Macron, aber auch sein Kollege Higgins von der irischen Insel das geplante Freihandels-abkommen zwischen der EU und Südamerika. „Mercorsur“ sollte schon 2019 auch mit der EU in Kraft getreten sein, wurde alsdann durch das brasilianische Parlament bereits abgesegnet, doch entschieden sich immer mehr EU-Nationalparlamente dagegen, so auch Österreich. Wichtigste Massnahme wäre der Schutz des Regenwaldes, der nicht zuletzt für die Ziele des Handelsabkommen (Export von Rindfleisch und Soja) niedergebrannt wurde und noch immer wird. So deckte die Umwelt-schutzorganisation Greenpeace auf, dass illegale Abholzungen im Feuchtgebiet Pantanal mit dem deutschen Fleischhandel in Verbindung stehen. Einen entsprechenden Passus im Vertrag lehnt Bolsonaro kategorisch ab. Angelegt hat er sich mit nahezu jedem Regierungschef dieser Welt. 

Alles andere entspricht der rechtspopulistischen Grundlagen-Politik: Mehr Macht dem Militär (damit es nicht zu einem Militärputsch kommt) und Ausschalten der kritischen Medien. Eine kurze Geschichte, damit Sie ein besseres Bild von ihm erhalten: Im Jahre 2012 wurde er beim illegalen Angeln im Naturschutzgebiet Estação Ecológica Tamoios südlich von Rio de Janeiro erwischt und erhielt eine saftige Strafe, die er jedoch nie bezahlte. Der Beamte der Umweltbehörde, der dies fotografierte und zur Anzeige brachte, wurde entlassen. Somit war Bolsonaro also alles andere als der erwartete „Messias“ des Landes. Ob seine Söhne, die ebenfalls in der Politik aktiv wurden (zumindest drei von vier), ihn beerben werden, wird sich wohl nach dieser Wahl herausstellen.

Brasilien ist ein Schwellenland, das sich eigentlich auf einem an sich recht guten Weg befand. Doch forderten Korruption und Misswirtschaft enorme Opfer – die wirtschaftliche Situation des Landes war nach der Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele 2016 und der Fussball-WM 2014 mehr als prekär. Wurden davor noch kräftige Gewinne eingefahren, sank das BIP 2015 um 3,8 %, ein Jahr später um erneut 3,4 %. Verantwortlich dafür zeichneten die gerne als „Brasilien-Kosten“ bezeichneten Zusatzaus-gaben für Korruption, miserabler logistischer Infrastruktur und hohe Steuern sowie Finanzierungskosten. All das setzte sich auch unter Bolsonaro fort. Das BIP (nominal) sank von  1.917 Mrd. US-Dollar 2018 auf 1.609 Mrd. im Jahr 2021 (Angaben: Weltbank). Es muss also dringendst ein Marshallplan gefunden werden, damit die Situation in Brasilien, die geprägt ist von Arbeitslosigkeit, Hunger und ständigen Demonstrationen, verbessert werden kann. Bolsonaro hatte vier Jahre Zeit hier anzugreifen – doch verschlimmerte sich vieles. Gegenwärtig leiden rund 33 Mio Menschen unter Hunger.

Der kommende Sonntag ist – wie alle vier Jahre – ein Super-Wahlsonntag. Neben dem Präsidenten (Staatsoberhaupt und Regierungschef) werden auch die Senatoren und Abgeordneten des Nationalkongresses gewählt, die Gouverneure und Vize-Gouverneure der Bundesstaaten und die Abgeordneten der Legislativversammlungen. 12 Personen stellen sich der Präsidentenwahl. Nur zweien davon werden auch Chancen eingeräumt, die kommenden vier Jahre regieren zu können: Jair Messias Bolsonaro von der Liberalen Partei (rechts) und Luiz Inácio Lula da Silva von der Arbeiterpartei (links). Wie bei Rechtspopulisten anscheinend üblich, bekundete Bolsonaro Zweifel an der Sicherheit des Wahlsystems – dubios, schliesslich hätte er diese in den abgelaufenen vier Jahren herstellen können. Die elektronische Wahlurne ist seit 1996 im Einsatz – die unterschiedlichsten Untersuchungen (auch der UNO) haben nach-gewiesen, dass das System in Ordnung sei. Seither gab es 13 Regional- und Präsidentschaftswahlen – bislang ist noch kein Hinweis oder Beleg für einen Betrug aufgetaucht, betont das Oberste Wahlgericht. Kein Argument für Bolsonaro – das ging gar soweit, dass er meinte, er werde das Wahlergebnis nicht akzeptieren, sollte er nicht gewinnen – das wäre dem Wahlbetrug zuzuordnen. Inzwischen hat er diese Aussage zurück-gezogen. Beide Spitzenkandidaten allerdings könnten unterschiedlicher nicht sein.

.) Jair Messias Bolsonaro

Seine italienischen Vorfahren sind im auslaufenden 19. Jahrhundert ausgewandert. Durch seine um 27 Jahre jüngere dritte Ehefrau kam der römisch-katholische Politiker in Kontakt mit den Baptisten und evangelikalen Freikirchen. Sie sollten ihn auch entscheidend unterstützen. Die politische Laufbahn Bolsonaros begann im Jahre 1988, als er sich für die Christdemokraten (PDC) in den Stadtrat von Rio de Janeiro wählen liess. Zwei Jahre später zog er in die Abgeordneten-kammer des Parlamentes ein. Seither wechselte er die Parteien wie andere ihre Autos – bislang acht mal. 2018 kandidierte Bolsonaro für die in’s rechts-konservative Lager abdriftenden Sozial-Liberalen (PSL) für die Präsidentschaftswahlen. Dabei erhielt er die Unterstützung der Rechts-extremen. Sein Programm gleicht dem aller rechts von der Mitte stehenden Volksvertretern: Kampf gegen die Kriminalität, die Korruption und die Wirtschaftskrise und das Recht auf Waffenbesitz, sowie eine Minimierung des Einflusses der Gerichte und damit des Rechtsstaates. Starker Tobak sind seine rassistischen, frauenfeindlichen und homo-phoben Aussagen. 

„Sie verdient es nicht, weil sie sehr hässlich ist. Sie ist nicht mein Typ. Ich würde sie nie vergewaltigen.“

(Bolsonaro über die Abgeordnete Maria do Rosario)

Bei der Stichwahl gegen Fernando Haddad von der Arbeiterpartei („Partido dos Trabalhadores“) am 28. Oktober 2018 schliesslich erhielt er 55,1 % der Stimmen.

.) Luiz Inácio Lula da Silva

„Lula“, so sein Spitzname, kommt aus ärmlichen Verhältnissen und ist Gründungsmitglied der Arbeiterpartei Brasiliens („Partido dos Tralhadores“). Er hatte in den Jahren zwischen 2003 und 2011 bereits die Führung des Landes inne. Den Regierungsstil bezeichnen Experten als „assistenzialistische Sozial- und entwicklungsorientierte Wirtschafts-politik“. Seine Sozialpolitik setzte durch Programme wie Bolsa Família, Fome Zero und dem „Eine-Million-Häuser-Programm“ innenpolitisch wesentliche Akzente bei der Bekämpfung der Armut und des Hungers. Bei der Bekämpfung des milliardenschweren Korruptionsskandals in der „Operation Lava Jato“ („Operation Waschstraße“) wurde Lula 2017 wegen Korruption und passiver Geldwäsche angeklagt, zu zwölf Jahren Haft verurteilt und vorerst für 1,5 Jahre weggesperrt. Investigative Journalisten (etwa von The Intercept) meinen: Zu Unrecht! Es soll sich dabei um Absprachen zwischen Bolsonaro, Staatsanwälten, den politischen Gegnern Lulas und dem damaligen Bundesrichter Sergio Moro gehandelt haben, der im Übrigen später von Bolsonaro zum Justizminister ernannt worden ist. Da Silva sollte durch die Haft an der Teilnahme der Wahl gehindert werden. Das oberste Gericht hob das Urteil Anfang 2021 aus formellen Gründen auf – Sergio Moro soll parteilich befangen gewesen sein. 

Sollte am 02. Oktober keiner der Kandidaten im ersten Wahlgang über die absolute Mehrheit verfügen, wird es wieder eine Stichwahl geben – wie auch 2018. Übrigens herrscht in Brasilien Wahlpflicht. Fehlt ein Wahlberechtigter unentschuldigt, erhält er eine Strafe von umgerechnet rund neun Euro. Bei Wiederholung kann er gar sein Wahlrecht verlieren.  

Bolsonaros Partei, die „Partido Liberal“ hat sich für diese Wahl mit der „Partido Progressistas“ (Progressiven) und den Republikanern („Republi-canos“) zum Bündnis „Pelo Bem do Brasil“ („Zum Wohle Brasiliens“) zusammengeschlossen. Da Silva hingegen kandidiert für das Bündnis „Vamos Juntos Pelo Brasil“ („Wir gehen zusammen für Brasilien“) – einer Vereinigung der unterschiedlichsten Strömungen und Parteien. Nachdem sich Lula gegen die Entwaldung des Amazonas-Gebietes und die dort herrschende Gewalt v.a. gegen indigene Völker ausgesprochen hat, versprach auch Bolsonaro ein Ende des Ganzen. Damit ist der Regenwald zum schwergewichtiges Wahlkampfthema avanciert. Daneben ging es um die Ernährungssicherheit und der Entlastung der Bevölkerung. Da Silva hatte dies während seiner Regentschaft umgesetzt, Bolsonaro sträflichst vernachlässigt. Er schuf zwar mehr Arbeitsplätze, doch sanken die Löhne und Lebensbedingungen.

„Ich arbeite bis zu 13 Stunden am Tag für 200 Euro im Monat. So kann man nicht überleben.“ 

(Alexandre Magalhães, Wachmann auf dem Parkplatz eines Supermarktes und Rapper „MC Macarrão“)

Daneben ist die Arbeitslosigkeit nach wie vor allerorts spürbar

Bolsonaro baute seinen Wahlkampf auf Emotionen auf: „Kampf des Guten gegen das Böse“! Das „Böse“ habe 14 Jahre lang im Land gewütet und dabei Brasilien fast zerstört. Lula beschuldigt Bolsonaro aufgrund seines Krisenmanagements während der Corona-Pandemie als „Völkermörder“. Zuletzt gingen auch die Anhänger der beiden Kontrahenten gewalttätig aufeinander los. Dabei wurde beispielsweise Anfang September ein Anhänger Lulas von einem Anhänger Bolsonaros mit der Axt erschlagen, ein anderer erschossen. 

Das Oberste Wahlgericht hat bereits genaueste Kontrollen vorausgesagt und die Sicherheit der Wähler und ihrer Stimmen garantiert. Das Zünglein an der Waage jedoch könnte das Militär werden. wie wird es sich verhalten, sollte Bolsonaro nicht die Mehrheit erringen? Nachdem da Silva zuletzt in den Umfragen führte, versuchte Bolsonaro die letzten Kräfte zu mobilisieren – auch im Militär. Bereits 2018 war dieses dem ehemaligen Major wohlgesonnen. Vielen Armeeangehörigen hat er zudem Posten in der Regierung vermittelt. Der engste Vertraute des amtierenden Präsi-denten ist dessen Verteidigungsminister, General Walter Braga Netto, der bei einem Erfolg Bolsonaros gar Vizepräsident werden soll. Deshalb schlug der „Chef“ auch vor, eine parallele Stimmauszählung durch das Militär vornehmen zu lassen. Das lässt durchaus Erinnerungen an die Militärdiktatur von 1964 bis 1985 aufkommen. Dennoch hat die Armee angekündigt, Stichproben zu nehmen. Mit dem Argument, eine Zuver-lässigkeit der Stimmen auf 95 % zu gewährleisten. Zum Missfallen des Obersten Wahlgerichtes: Das betont, dass über 100 internationale Wahl-beobachter aus den unterschiedlichsten Organisationen eingeladen wurden.      

„Es ist nicht klar, wie groß der Teil der Militärangehörigen ist, die Bolsonaro wirklich unterstützen.“

(Carolina Botelho, Politikwissenshaftlerin an der föderalen Universität Rio de janeiro)

Einen Militärputsch schliessen Experten inzwischen jedoch aus. Einerseits ist der Rückhalt Bolsonaros hier nicht entsprechend gross, andererseits gäbe es hierfür auch kein Verständnis in der Bevölkerung.

Seine Anhänger allerdings glüht Bolsonaro bereits vor. Es ist somit durchaus möglich, dass sich auch in Brasilia derart schändliche Szenen wie in Washington ereignen werden. Dabei werden wohl auch Waffen eine entscheidende Rolle spielen, schliesslich lockerte der Präsident die Waffengesetze, sodass sich in den letzten fünf Jahren die Waffenbesitzer verzehnfacht haben. Sein Sohn, der Abgeordnete Edorado Bolsonaro, hat inzwischen alle Waffenbesitzer dazu aufgefordert, sich zu einem „Freiwilligen Bolsonaros“ zu machen. Die Universität Rio veröffentlichte zuletzt eine Untersuchung, wonach die politische Gewalt in Brasilien in den letzten drei Jahren um 335 % angestiegen ist. Eine aktuelle Umfrage des Institutes Datafolha zeigte auf, dass 67,5 % der Befragten Angst vor Repressalien durch politische Gewalt haben. 

„Gewalt findet systematisch statt und wird eingesetzt, um bestimmte Ziele zu erreichen. Es ist super wichtig, dass mehrere Organisationen und Institute versuchen, diese Gewalt abzubilden. Aber wir wissen, dass die Straflosigkeit noch immer sehr hoch ist, und das ermutigt auch die Täter“.

(Gisele Barbieri, Justiça Global)

Gewalttaten an Unterstützern der Arbeiterpartei sind inzwischen an der Tagesordnung – oftmals begangen durch rechte bewaffnete Milizen. 

In den letzten Umfragen führte stets Lula mit teils grossem Vorsprung (auch bei einer möglichen Stichwahl)!

PS: 

Der Objektivität halber sollte auch die ehemalige Website von Jair Bolsonaro unten angeführt werden. Wie jedoch darauf zu lesen ist, wurde die Seite nicht mehr gepflegt und bezahlt. Also erwarb der Geschäfts-mann Gabriel Baggio Thomaz die Domain und gestaltete im August den Inhalt gegen die Bolsonaro-Regierung um. 

Links:

– partidoliberal.org.br

– lula.com.br

– pt.org.br

– www.brazil.gov.br

– www.gov.br

– www.tse.jus.br

– www.camara.leg.br

– www.senado.gov.br

– kas.de

– www.greenpeace.de

No Comments »

Kriegsmilliardäre – das unmoralische Angebot

„Exxon made more money than God this year!“

(US-Präsident Joe Biden)

Es hat sehr lange gedauert, bis sich auch auf nationaler Ebene etwas tut. Nachdem aber EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen nun ange-kündigt hat, Übergewinne der Energiekonzerne abschöpfen und auf die Mitgliedsstaaten verteilen zu wollen, sowie eine befristete Erlös-Obergrenze für „inframarginale“ Strom-Produzenten (nicht auf Gas und Erdöl basierend) einführen zu wollen, herrscht nun auch in Berlin und Wien reges Pläneschmieden. Am 30. September werden die ent-sprechenden EU-Minister über den Gesetzvorschlag der Kommission abstimmen. Für viele jedoch kommen diese Massnahmen zu spät.

Selten zuvor hat sich die Preisspirale vor allem in Deutschland und Österreich schneller gedreht als in den vergangenen 7 Monaten. Kopf-schüttelnd stehen die meisten Konsumenten vor den Regalen der Super-märkte. Viele würden zwar gerne, doch können sie nicht: Sie können nicht mehr zugreifen, da es zu teuer für sie ist. Die Preise sind der-massen in die Höhe geschnellt, dass einem schwindelig dabei wird. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine kosten viele Produkte das Doppelte. Konnte man davor noch sparen, indem nicht unbedingt auf Markenartikel sondern vielmehr auf Diskont-Ware zurück-gegriffen wurde, so ist dies inzwischen nicht mehr möglich, da auch diese zugelegt hat, sodass viele nicht wissen, wie sie diesen Winter über die Runden kommen sollen. Die Lebenshaltungskosten steigen unauf-hörlich – jetzt mit dem Beginn der Heizperiode, wird vieles noch wesent-lich schlimmer werden. 

Die Gründe, die dahinterstecken sind vielfältig – sie alle klären zu wollen, würde den Rahmen des Blogs sprengen. Doch auf den wohl schwerge-wichtigsten, sei heute im Detail eingegangen: Die Energiepreise. Wären die Sprit- und Gaspreise möglicherweise noch erklärbar, so grenzen die hohen Strompreise an Wucher. Nie zuvor gab es mehr Photovoltaik und Strom aus Windkraft als in diesen Tagen. Und Petrus meint es gar noch gut mit uns: Es war der sonnenreichste Sommer seit Jahrzehnten: 99,4 Terrawattstunden Solarstrom wurden zwischen Mai und August 2022 in der EU produziert (12 % der Stromproduktion) – umgerechnet auf den derzeitigen Gaspreis hätte dies einem Gasimport von 29 Milliarden € entsprochen. In Deutschland wurden 19 % des erzeugten Stroms durch die Sonne abgedeckt, in Spanien 17 und in den Niederlanden gar 23 %. Zudem zogen Fronten auf, aber auch durch die lokalen Sturmereignisse drehten sich die Riesenpropeller der Windparks um einiges schneller und länger. Energie, die in den letzten 7 Monaten keinerlei Mehrkosten wegen Rohstoffbedarfs oder Transports verursachte und trotzdem war die Kilo-wattstunde nie teurer als derzeit. Was ist da geschehen? 

Der nächste Satz schmerzt – hätte auch niemals gedacht, dies einmal öffentlich sagen zu müssen: Donald Trump hatte mit Nordstream recht! Allerdings hatte er es mehr als schlecht verpackt, schliesslich dachte wohl jeder, dass er das US-amerikanische Fracking-Gas und -Öl ver-kaufen wollte. Anders formuliert, hätte er sicherlich wesentlich mehr Befürworter dafür gefunden: Die allzu starke Bindung an nur einen Anbieter kann zu Problemen führen. China etwa ist ein energiefressender Moloch. Das Land verbraucht fast das Doppelte an Energie als die USA. Auf Platz 3 folgt Indien. Gerade die historisch gewachsenen Beziehungen zwischen Moskau und Peking hätten auch ohne den Einmarsch der Russen in die Ukraine ausgereicht, Alternativen im Einkauf zu suchen. Auch wenn es moralisch durchaus kritisierbar ist, menschenrechts-verachtende Emirate im Nahen Osten oder Regime (wie Venezuela) zu beauftragen, hätte sich eine wesentlich breitere Anbieterschaft und dadurch bessere Aufstellung in der Energiewirtschaft ergeben. Wenn nun – wie geschehen – Putin den Hahnen zudreht oder die Sanktionen keinen weiteren Import von russischem Erdöl zulassen, hätten andere Anbieter den Ausgleich liefern können. Dies wurde jedoch unterlassen. Anstatt dessen belief sich im Jahr 2020 der Anteil der russischen Ölimporte in Deutschland auf 30 % – beim Gas sogar auf 65 %. In Österreich waren es 2021 ganze 38,1 % beim Öl und sage und schreibe 80 % beim Gas. Wie sich dieses Preisspirale dreht – hier ein kleines Beispiel: Die Stadtwerke Konstanz werden zum 01. Oktober die Gaspreise um 200 % steigern. Das Gas wird durch den Fernleitungsbetreiber Terranet BW, einer Tochter der EnBW, zugeliefert. 2017 wurde die Verbundnetz Gas AG (VNG) in Ostdeutschland übernommen. Die VNG versorgt(e), wie auch Uniper, Stadtwerke mit Billiggas aus Russland – jetzt ist sie in argen Schwierig-keiten, da sie das Gas wesentlich teurer über etwa Norwegen oder die Niederlanden einkaufen muss. Die VNG hat deshalb um Hilfe aus der Gasumlage angesucht. Diese ist dafür gedacht, bestehende Verträge erfüllen zu können, ohne dabei Millionenverluste zu machen. Soll heissen, dass das Gas zum bislang geltenden Preis weitergegeben wird. Wenn dies tatsächlich der Fall ist: Wieso erhöhen die Stadtwerke Konstanz dann den Gaspreis derart eklatant (Gasumlage bereits einge-rechnet)? VNG kann keine Gewinne machen, da ansonsten die Hilfe aus der Gasumlage nicht gewährt wird!

Daneben wurde zwar viel versprochen, doch nur wenig gehalten – von der Loslösung von fossilen Brennstoffen. Wurde die Kohleverbrennung eingeschränkt, so vervielfachte sich dafür die Gasnutzung. Weshalb auch etwas ändern, wenn diese Energieart in Hülle und Fülle vorhanden und entsprechend günstig ist. Nun fällt dieses Kartenhaus zusammen. Industrie und Handwerk sind in viel zu grossem Ausmass vom Gas abhängig. So betonte etwa der CEO der Grossbäckerei Lieken, Christian Hörger, im Podcast „Die Stunde Null“, dass das Brot aus zweierlei Gründen teurer werden muss: Die Preise für Mehl sind ordentlich angestiegen (dieses Thema habe ich an dieser Stelle bereits abgearbeitet – Deutschland produziert mehr Getreide, als es verbraucht – sind somit vornehmlich Gierflation-Interessen) und nahezu alle Öfen der Bäcker laufen noch mit Gas! Brot ist das wichtigste Grundnahrungsmittel Deutschlands: Herr Müller und Frau Schmidt verbrauchen pro Jahr 20 kg – pro Kopf!

Und nun zurück zum Strom: Auch bei den Kraftwerksbetreibern gab es in den letzten Jahren eine grossflächige Umstellung: Von Kohle auf Gas! V.a. die Klimasünderin Braunkohle, deren Abbau nach wie vor in Deutschland erfolgt (nun für den Export), aber auch die Steinkohle, die aus Polen und v.a. Russland importiert wurde, sind nahezu gänzlichst vom Markt verschwunden. Kohlekraftwerke wurden abgeschaltet, Gaskraftwerke aufgestellt. Der Bedarf ist nach wie vor da und auch vonnöten. Beispiel? Das deutsche Flächenland Baden-Württemberg ist seit einigen Jahren in der Lage, den Strombedarf am Sonntag-Nachmittag nur aus Photovoltaik zu beliefern. Ziehen jedoch Wolken auf, die Sonne verschwindet, wird von einer Minute auf die andere immens viel Strom weniger geliefert. Damit das Netz nicht zusammenbricht, werden hierfür Gaskraftwerke hoch-gefahren. Das Problem stellte sich beispielsweise auch bei der Sonnen-finsternis 1999. Erschwerend hinzu kommt die Energie- und Kernkraft-wende. AKWs werden reihenweise abgeschaltet ohne gleichwertige Alter-nativen liefern zu können. Die Zeit dafür wäre da gewesen, doch warteten die Entscheider bis zuletzt! So ist die Stromtrasse, die den deutschen Süden mit Windstrom aus Windparks in der Ost- und Nordsee versorgen sollte, nur auf dem Papier vorhanden. Die drei, derzeit noch laufenden Kernkraftwerke liefern nach wie vor enorm viel Strom:

– Isar 2 (Betreiber: Preussen Elektra und Stadtwerke München) 1.485 Megawatt

– Emsland (Betreiber: RWE, Preussen Elektra) 1.406 Megawatt

– Neckarwestheim (Betreiber: EnBW) 1.400 Megawatt

Alle drei sollten in den kommenden Monaten vom Netz gehen – teilweise werden sie bereits runtergefahren. Atomstrom ist der günstigste Strom, rechnet man die Kosten für die Endlagerung nicht hinzu, die jedoch eigentlich durch Stiftungen, bestückt aus dem laufenden Betrieb, abge-deckt sein sollte. Hier gab man sich blauäugig und verliess sich im Notfall auf Frankreich, das nach wie eine unheimlich hohe AKW-Dichte aufweist. Was hier nicht einberechnet wurde: Die französischen Atom-meiler sind grossteils Schrottmeiler und werden nach und nach wegen Sicherheitsbedenken runtergefahren. Woher kommt nun Ersatz für die drei deutschen AKWs?

Dies alles sind grundsätzliche Probleme, die bereits für ein Ansteigen des Energiepreises ausreichen. Nun aber kommen die Finanzhaie in’s Spiel. Jene Investoren, die früher beispielsweise in Hedgefonds investierten, jetzt andere Betätigungsfelder suchen: Agrar und Energie! Die Rendite muss stimmen – alles andere ist gleichgültig. Moral? Nein – die gibt es in diesem Bereich nicht. Im Agrarsektor schon seit Jahren ein riesiges Problem. Werden doch bereits vor der Ernte riesige Mengen an Getreide, Mais und Raps aufgekauft, damit nach der Ernte die Preise in die Höhe schnellen (geringes Angebot am Markt) und unvorstellbare Gewinne damit gemacht werden. Das gilt nun auch für den Energiesektor. Riesige Mengen an Gas und Öl werden aufgekauft, die Strompreise an den entsprechenden Börsen wie „European Energy Exchange“ (EEX) in Leipzig oder „Energy Exchange Austria“ (EXAA), vor allem aber der EPEX (dem Zusammenschluss der deutschen EEX mit der französischen Powernext in Paris) für den Markt der Central Western Europe (CWE) künstlich nach oben getrieben. Dort ist bekannt, dass vor allem im Winter weniger Strom zur Verfügung stehen wird (wenn die Heizlüfter allerorts ihre Arbeit versehen), der dann mit wesentlich grösserer Gewinnmarge verkauft werden kann. Ein Fehler, den die EU im Jahre 1996 mit der Liberalisierung (EU Richtlinie 96/92/EC) anschob, die einen freien Verkauf auch über die Grenzen hinweg ermöglichte. Davor war dies national organisiert. Somit tritt etwa der Irrsinn auf, dass österreichische Bundesländer wie Tirol und v.a. Vorarlberg durch Wasserkraft so viel Strom produzieren, den sie gar nicht selbst aufbrauchen, ihn als Spitzenstrom zu den Preisen der Börsen in’s Ausland verkaufen, die Kilowattstunde bei den heimischen Abnehmern hingegen ebenfalls ordentlich anheben, mit dem Verweis auf die internationale Preisentwicklung. Österreich hat kein Atomkraftwerk und damit eigentlich nicht direkt Zugriff auf den billigen Atomstrom (der jedoch v.a. aus der Slowakei und Tschechien, sowie Ungarn einfliesst). Dennoch wurde im Rahmen der Liberalisierung der sog. „ARENH-Preis“ (Accès régulé à l’électricité nucléaire historique) als Bezugspreis für Stromlieferanten festgelegt, die keinen Zugang zu Atomstrom haben. Die Börsenpreise in Frankreich liegen jedoch oftmals über diesem Preis. Pervers, wird dadurch doch der eigentlich günstigere Atomstrom teurer als beispielsweise Strom aus Wasserkraft verkauft. Österreich teilt sich mit Deutschland den Markt und ist somit an die deutschen Preise gebunden.  

Eine sehr ausführliche Erklärung, die jedoch erforderlich war um das nachfolgende verstehen zu können: Die Übergewinn-Abschöpfung. So sank etwa der Gaspreis innerhalb kürzester Zeit, als bekannt wurde, dass er möglicherweise gedeckelt werden soll. Dies hätte wenn vielleicht auch keine Verluste, so doch eine enorme Einschränkung der Gewinne der Spekulanten bedeutet.  

„Eine reine Umverteilung von Erlösen greift aber zu kurz und wird unweigerlich zu neuen Problemen führen. Wir hätten einen Zugang vorgezogen, der das Thema an der Wurzel packt.“

(Michael Strugl, Präsident von Österreichs Energie und Verbund-Chef)

Neben all den folgenden Informationen sollte eines niemals vergessen werden: Wir müssen uns im Energieverbrauch einschränken! Der World Overshoot Day war dieses Jahr am 28. Juli – ab diesem Zeitpunkt leben wir von den Geo-Ressourcen des kommenden Jahres. Und dieser Tag rückt immer mehr nach vorne! Die EU-Kommission fordert deshalb nicht umsonst die Einschränkung zu Spitzenstromphasen um mindestens 5 % – das würde eine Verringerung des Gasverbrauchs um 1,2 Milliarden Kubikmeter über den Winter hinweg bedeuten. Eine Gesamtersparnis bis 31. März 2023 um 10 % sollte alsdann in’s Auge gefasst werden. 

Nach Vorstellungen von der Leyens soll es europaweit eine „befristete Erlösobergrenze für Stromerzeuger mit geringen Kosten und einen Solidaritätsbeitrag auf der Grundlage von Überschussgewinnen“ geben (greift ab 20 ct/kWh). Derartige Überschussgewinne fallen derzeit im Erdöl-, Erdgas-, Kohle- und Raffineriebereich an. Die darüber erzielten Gewinne sollen an Haushalte und Unternehmen umverteilt werden. 

„Wir stehen Putins Einsatz von Erdgas als Waffe weiter geschlossen gegenüber und werden die Auswirkungen der hohen Gaspreise auf unsere Stromkosten in diesen außergewöhnlichen Zeiten möglichst gering halten.“

(Ursula von der Leyen, EU-Kommissions-Präsidentin)

Nun – das mit der Solidarität ist so eine Sache. Es gibt Unternehmen (wie etwa Unipern, Gazprom Germania (jetzt Sefe) oder die EnBW-Tochter VNG), die sich nahezu ausschliesslich auf günstigstes Gas, Öl oder Kohle aus Russland verliessen und nun durch dessen Ausbleiben wirtschaftlich schwerst erschüttert sind. Uniper wirbt jetzt auf seiner Webseite mit „…grüner Energie für eine nachhaltige Zukunft“. Zuvor mischten sie den Markt mit günstigen Preisen auf. Daneben stehen andere Unternehmen (wie Shell, BP, Total oder Exxon), die auch andere Anbieter einfliessen liessen, dadurch kein Billig-Gas oder -Öl anbieten konnten und nun ihren ehemaligen Billig-Konkurrenten einen Solidarbeitrag leisten sollen. Nichtsdestotrotz – zweitere freuen sich derzeit über den Energie-Höhen-rausch. Sie fahren Gewinne ein, die noch vor zwei Jahren undenkbar erschienen.     

Diese sog. Steuer auf „Residualgewinne“ (Krisengewinnsteuer oder Windfall Tax) wurde bereits in einigen Ländern der EU eingeführt – in Italien werden diese „Zufallsgewinne“ beispielsweise mit 25 % rückwirkend auf den Zuwachs an Wertschöpfung, in Grossbritannien mit 25 % auf Gewinne (bei Investitionen im UK gibt’s Steuererleichterungen), in Spanien und Griechenland mit bis zu 90 % auf Gewinne besteuert. Sie bringt bringt folgendes in Euro:

Italien – 10-11 Mrd

Spanien – 3,5 Mrd

Ungarn – 2 Mrd

Griechenland – 400 Mio

Rumänien – keine Angaben

(Grossbritannien – 5,9 Mrd €)

Geplant ist sie zudem jetzt im Herbst in Belgien und Tschechien!

Der italienische Ministerpräsident Mario Draghi allerdings sieht sich mit einem grossen Problem konfrontiert: Viele Unternehmen weigern sich, diese Gewinnsteuer bzw. Teile davon zu bezahlen. Seine Regierung hat ein Massnahmenpaket beschlossen, um Haushalte und Unternehmen ab Januar entlasten zu können. Nun fehlen für dieses Paket in der Höhe von 33 Mrd. € ganze neun Milliarden! Deshalb geht’s nun an’s Eingemachte: Strafgebühren und Zinsen.  

Welche Konzerne sind nun tatsächlich jene, die mit dem Krieg den grössten Reibach machen?! Waren es in der Corona-Pandemie vornehmlich die Pharmakonzerne, so sind es nun vornehmlich die Öl- und Gasmultis – ihre Gewinne im 2. Quartal des laufenden Jahres in US-Dollar (die Gewinnzahlen des 2. Quartals 2021 in Klammer):

Exxon – 17,9 Mrd. (4,7 Mrd)

Chevron – 11,6 Mrd (3,1 Mrd)

Shell – 11,5 Mrd (5,5 Mrd)

bp – 9,3 Mrd (3,1 Mrd)

Total – 5,7 Mrd (3,5 Mrd)

Diese Konzerne verdienen sich derzeit tatsächlich einen goldenen Zapf-hahnen. Doch sind sie dabei nicht alleine: Der ganze Rohstoffmarkt boomt derzeit wie noch nie zuvor. Glencore in Baar/Schweiz etwa ist die weltweit grösste Unternehmensgruppe im Rohstoffhandel und Berg-werksbetrieb. Das Unternehmen machte im ersten Halbjahr 2022 einen Gewinn von 12,1 Mrd. Dollar – vornehmlich aufgrund der Rekordpreise für Kohle und Energieprodukte. 

Die Gewinnüberflieger in Deutschland:

.) Encavis (Betreiber von Solarparks und Windkraftanlagen aus Hamburg) 643 % – geschätzter Gewinn nach Steuern 72 Mio € (mehr als 700 %)

Mit gerade mal 144 Mitarbeitern ein Krisengewinner aufgrund des hohen Strompreises – das ist eindeutig Übergewinn!!!

.) Bayer (Chemie- und Pharmariese aus Leverkusen) 361 % – geschätzter Netto-Gewinn 4,6 Mrd. € (mehr als 450 %)

Die Gewinne resultieren vornehmlich aus der Saatgut-, Dünge- und Pflanzenschutzmittel-Produktion – das ist eindeutig Übergewinn!!!

.) Commerzbank (Finanzinstitut aus Frankfurt) 261 % – geschätzter Gewinn nach Steuern 1,1 Mrd € (mehr als 300 %)

Die Bank schrieb in den letzten Jahren nur rote Zahlen, musste sogar durch den Bund gestützt werden – er hält nach wie vor 15,6 % – Zinserhöhungen in den USA und Europa sowie ein rigoroses Sparprogramm sind hierfür verantwortlich; Kredite aus Russland und der Ukraine müssen abgeschrieben werden

.) Verbio (Biokraftstoffhersteller aus Zörbig) 248 % – geschätzter Netto-Gewinn 322 Mio €

Der ostdeutsche Konzern hat bislang nie die 100 Mio €-Gewinngrenze erreicht – das ist eindeutig Übergewinn!!! 

.) RWE (Stromproduzent aus Essen) 185 % – geschätzter Gewinn nach Steuern 2,1 Mrd € (fast +300 %)

Der Umsatz aus Gas- und Wasserstrom steigert sich in diesem Jahr um 18 % auf 29 Mrd € – das ist eindeutig Übergewinn!!!

.) Traton (ausgegliederte VW-Nutzfahrzeugsparte aus München) 184 % – geschätzter Netto-Gewinn 1,3 Mrd € (fast +300 %)

Durch Corona brach viel Gewinn weg – 2019 lag dieser bei 1,5 Mrd – heuer aufgrund der Übernahme des US-Herstellers Navistar

.) Medios (Pharmakonzern aus Berlin) 175 % – geschätzter Gewinn nach Steuern 21 Mio

Der Gewinn resultiert vornehmlich aus dem Ankauf eines kleineren Unternehmens – spezialisiert auf seltene Krankheiten

.) Hochtief (Baukonzern aus Essen) 146 % – geschätzter Netto-Gewinn 511 Mio  € (+246 %)

†Der Umsatz ist geringer als 2019 – v.a. in der Asien-Pazifik-Region laufen die Geschäfte dennoch ausgezeichnet

.) Aareal Bank (Immobilienfinanzierer aus Wiesbaden) 125 % – geschätzter Gewinn nach Steuern 120 Mio € (+50 %)

Diese Zahlen wurden jedoch bereits vor der Corona-Krise geschrieben

.) Brenntag (Chemikalienhändler mit Sitz in Essen) 112 % – geschätzter Nettogewinn 2022 950 Mio € (mehr als +50 % im Vergleich zu 2021)

Gewinnsteigerung durch höhere Preise und ein Sparprogramm

Somit werden durch die Einführung einer Krisengewinnsteuer weitaus weniger deutsche Unternehmen als bislang gedacht zur Kasse gebeten. Doch es geht auch anders: Der Energiehändler E.ON wird seinen Gewinn heuer von 4,6 auf geschätzte 1,8 Mrd verringern, Windkraftbetreiber PNE baut ein Gewinn-Minus von 85 %, SME Solar wird gar in die roten Zahlen abdriften. Der Gas-Grosshändler Uniper musste gestützt und verstaat-licht werden, da sich die wirtschaftliche Situation extremst zuspitzte. Das Unternehmen bezog 50 % seines Gases aus Russland – insgesamt werden 40 % der Gas-Nutzer in Deutschland damit beliefert. Ein Konkurs von Uniper hätte unglaubliche Auswirkungen gehabt. Gleiches gilt auch für die Gazprom-Tochter Gazprom Germania (jetzt Sefe). Russland hatte sie abgestossen, die Verwaltung wurde bereits durch den Bund treu-händerisch übernommen – jetzt soll auch sie (nach einem 10 Milliarden-Kredit durch die KfW) verstaatlicht werden. Auch Unternehmen aus anderen Bereichen, wie die Deutsche Bank oder die Deutsche Börse gleichen die letzten Minus-Jahre aus, die DWS-Gruppe und die Deutsche Pfandbriefbank liegen bei Normalgewinnen. Trotzdem rechnet etwa die Rosa-Luxemburg-Stiftung (politisch links einzuordnen) mit Mehrein-nahmen durch die Krisengewinnsteuer in der Höhe von bis zu 102 Mrd – bei einer Versteuerung von 90 % wie in Spanien oder Griechenland. 

Ein ähnliches Bild ergibt sich in Österreich – auch hier wird es schwierig werden, die Krisengewinne von den Normalgewinnen zu unterscheiden. Dabei sollen jedoch die Energieanbieter aus erneuerbaren Energien ausgeklammert werden. Somit bleiben die Übergewinne aus Gas und Öl bzw. Atomstrom über, da die Kosten der Stromproduzenten aus Kohle-, Gas- oder Öl-Kraftwerken nicht gestiegen sind. Auch im Alpenstaat wird man deshalb auf einer Preisdeckelung bei Gas und Strom setzen. Zu den Gewinnern zählt eindeutig die OMV, die den operativen Gewinn im 2. Quartal 2022 um 1,6 Mrd auf 2,9 Mrd Euro steigern konnte – im Ver-gleich zum 2. Quartal 2021. Die Manager klopfen sich auf die Schultern – sie kassieren zusätzliche Boni in der Höhe von 6,2 Mio € ab (Quelle: kontrast.at). Hier würde sich eine Übergewinnsteuer durchaus lohnen. Doch ist der Bund über die ÖBAG zu 31,5 % an der OMV beteiligt – er würde sich also in den eigenen Schwanz beissen. Gleiches gilt für die Strom- und Gasanbieter in den Bundesländern, die zumeist das jeweilige Land als einen der Gesellschafter vorzuweisen haben. Trotzdem brächte eine solche Steuer dem Alpenstaat zwischen vier bis sechs Milliarden.  

Selbstverständlich sorgt eine solche Übergewinnsteuer für Unruhe am Markt. In Spanien knickten die Kurse der Energieriesen und Banken ein, auch in Österreich legte vor allem der Verbund einen Tiefflug hin, als Bundeskanzler Karl Nehammer dies im Mai des Jahres in’s Auge fasste. Doch handelt es sich hierbei ja um Kurse, die zuvor künstlich nach oben gedrückt wurden. Ökonomen warnen erneut: Durch eine derartige Steuer würde das Vertrauen der Investoren und jenes in den Standort riskiert. In der Schweiz wird gar der Wohlstand des Landes als Argument in’s Spiel gebracht. Dem sei entgegengestellt, dass die Investoren auch bei nor-malem Gewinnverlauf durchaus gute Rendite machen, ansonsten hätten Sie ja keine Beteiligung vor dem Steigflug der Preise angestrebt. Bei einem Residualgewinn von 0 werden nämlich die Ansprüche der Kapital-geber bereits vollständig erfüllt. Und wenn Stadtwerke bzw. Unternehmen mit Länder- oder Bundesbeteiligung plötzlich mit der Auslagerung beginnen, so muss ernsthaft über eine derartige Beteiligung der öffent-lichen Hand diskutiert werden, da ja dann alsdann die Steuerpflicht in’s Ausland verlagert wird, was in keinem Falle dem Interesse der Volks-vertreter entsprechen sollte, da es auch der einfache Bürger als Aufruf zur Steuerflucht verstehen könnte.

Links:

– www.eex.com/de

– www.exaa.at

– www.epexspot.com

– www.preussenelektra.de

– www.rwe.com

– www.enbw.com

– www.stadtwerke-konstanz.de/de/

– www.uniper.energy/de

– vng.de

– www.sefe-group.com

– www.omv.at/de-at

– kontrast.at

– www.oegb.at

No Comments »

Elizabeth II. – Die grösste Monarchin aller Zeiten

Am 6. September des Jahres ernannte sie noch die neue britische Premierministerin, lächelte in die Kameras der Journalisten, zwei Tage später schockierte die Meldung über ihren Tod die Welt: Queen Elizabeth II. verstarb im 96. Lebensjahr auf ihrer geliebten Sommerresidenz, Balmoral Castle in Schottland. Sie soll nach Angaben der Familie der Royals im Kreise ihrer engsten Familie friedlich eingeschlafen sein. 

Ich wurde geboren – die Frau war da, ich zitterte bei der Matura (dem Abitur) – die Frau war da, ich stotterte mich durch meine erste Radio-sendung – die Frau war da. Für die meisten unter uns, war die Queen stets da – für viele gar länger als der eigene Ehepartner. Klar – 96 Jahre sind ein hohes Alter, zudem zehrte der Verlust ihres Mannes sehr an ihr. Ihr Tod musste somit durchaus erwartet werden – dennoch kam es sehr überraschend. Queen Elizabeth II. war die am längsten regierende Königin der Geschichte (70 Jahre und 214 Tage) – nur Ludwig XIV. („Der Sonnenkönig“ aus Frankreich) und Sobhuza II. (Oberhaupt von Swasiland) regierten länger, wobei beide als kleine Kinder bereits auf den Thron kamen und die Mütter vorerst die Staatsgeschäfte führten. Die Queen ernannte während ihrer 70-jährigen Amtszeit drei Frauen und 12 Männer zu Premierministern. Ihr ganzes Lebens stellte sie in den Dienst an ihren  Untertanen, ihres Landes und des Commonwealth, wie sie es anlässlich ihres 21. Geburtstages in einer Rundfunkansprache versprochen hatte. Eine grossartige Frau, die jeden Respekt und Ehrerbietung verdient hat. Ihr möchte ich deshalb diesen Blog widmen.

Elizabeth II. wurde am 21. April 1926 als Elizabeth Alexandra Mary in Mayfair/London geboren. Zu diesem Zeitpunkt stand sie auf Platz drei der Thronfolge, nach ihrem amtierenden Onkel Eduard VIII. und ihrem Vater dem Herzog von York, Prinz Albert später König Georg VI. Im Jahr 1936 dankte Eduard vorzeitig ab – Grund dafür waren, nach zahlreichen Affären mit zumeist verheirateten Frauen, die Hochzeitspläne mit der zweifach geschiedenen US-Amerikanerin Wallis Simpson, die er als Oberhaupt der anglikanischen Kirche von Gesetzes wegen nicht ehelichen durfte. Er war übrigens Zeit seines Lebens nicht gekrönt. Sein Bruder Albert bestieg 1936 als Georg VI. den Thron. Kronprinzessin Elizabeth musste ihn jedoch ab 1949 immer öfter bei öffentlichen Anlässen vertreten, da Georg an Lungenkrebs und Arteriosklerose litt. Er verstarb in der Nacht vom 5. auf den 6. Februar 1952 an einer arteriellen Throm-bose. Prinzessin Elizabeth folgte auf den Thron, die Krönungs-Zeremonie fand am 2. Juni 1953 in Westminster Abbey statt. Erstmals wurde die Krönung eines Staatsoberhauptes im Fernsehen übertragen – 300 Mio Menschen sollen dies weltweit mitverfolgt haben.

Queen Victoria (gestorben im Jahre 1901) entstammte dem Hause Hannover. Mit ihr endete auch dieses Stammhaus, da der letzte Herzog Ernst II. 1893 ohne leibliche Erben verstarb. Damit erlosch aber auch die deutsche Linie des Hauses. Mit Victorias jüngstem Sohn, Eduard VII. ging das Königshaus an die Linie Saxe-Coburg and Gotha (Sachsen-Coburg und Gotha). Während des Ersten Weltkriegs wurde das Haus am 17. Juli 1917 in „Windsor“ umbenannt. Windsor ist eine kleine Gemeinde in der Grafschaft Berkshire, in dem Windsor Castle steht. Das Schloss diente seit Wilhelm dem Eroberer als Residenz der königlichen Familie. Auch heute noch stehen deutsche Nachkommen der Häuser Hannover und Sachsen-Coburg zwar in der Thronfolge, jedoch praktisch ohne Chancen auf den Thron. So trägt etwa Ernst August von Hannover (jener Hochadeliger, der sich an einem Pavillon der Weltausstellung erleichterte) die offizielle Bezeichnung: Ernst August Prinz von Hannover Herzog zu Braunschweig und Lüneburg Königlicher Prinz von Großbritannien und Irland. Elizabeth wollte mit der Thronbesteigung eigentlich den Namen ihres Mannes „Mountbatten“ übernehmen (somit wäre auch das Königshaus umbenannt worden), doch wussten ihre Grossmutter (Königin Mary) und Premier-minister Winston Churchill dies zu verhindern. Prinz Philip meinte einst, dass er der einzige Mann im UK wäre, der seinen Kindern nicht seinen Namen mitgeben könne. Nach dem Ableben Elizabeths steht nun King Charles III. dem Hause Windsor vor. 

Am 20. November 1947 heiratete die damalige Thronfolgerin Prinz Philip von Griechenland und Dänemark. Angeblich war die 13-jährige Elizabeth bereits in den fünf Jahre älteren Cousin dritten Grades verliebt, nachdem sie sich im Royal Naval College in Dartmouth getroffen hatten. Queen Victoria war ihre gemeinsame Ururgrossmutter. Am 14. November 1948 kam deren erstes Kind Charles Philip Arthur George zur Welt, ihm folgten später Anne, Andrew und Edward. Philip war zu Beginn sehr umstritten. Er hatte im Boulevard den Titel „Prinz ohne Heimat und Königreich“, Elizabeths Mutter soll ihn gar als „Hunnen“ bezeichnet haben, ein Schimpfwort für Deutsche, das auf der „Hunnenrede“ Kaiser Wilhelms II. bei der Verabschiedung des ostasiatischen Expeditionskorps anno 1900 beruhte. Vor der Hochzeit konvertierte er vom griechisch-orthodoxen Glauben zum Anglikanismus und verzichtete auf seine Ansprüche in Griechenland und Dänemark. Zudem nahm er den anglisierten Namen seiner Mutter an (aus „Battenberg“ wurde „Mountbatten“) und kurz vor der Hochzeit wurde er zum Duke of Edinburgh. Damit stand einer Aufnahme in die königlichen Familie nichts mehr im Wege, er musste offiziell als „His Royal Highness“ angesprochen werden. Philip wurde mit der Zeit zu einem der beliebtesten Royals, nicht zuletzt aufgrund seines Humors, den auch Elizabeth teilte. Er verstarb am 9. April 2021 – ein grosser Schicksalsschlag für die Queen. Das Bild der Trauerfeierlichkeiten rührte Millionen von Menschen auf der ganzen Welt zu Tränen: Aufgrund der CoVID-19-Bestimmungen sassen die Mitglieder des Königshauses getrennt voneinander – die Queen komplett abgeschottet gänzlichst alleine.  

Vom Tode ihres Vaters erfuhr Elizabeth während einer Reise im Jahre 1952, die in Kenia begann und weiter nach Australien und Neuseeland führen sollte. Doch bereits nach der ersten Nacht in Kenia erhielt sie die Todesnachricht. Nachdem sich Georgs Gesundheitszustand seit 1951 kontinuierlich verschlechtert hatte, trug Martin Charteris, Elizabeths Privatsekretär, stets den Entwurf der Thronbesteigungserklärung bei sich. Die Reise wurde abgebrochen, Elizabeth kehrte mit ihrem Gemahl sofort nach London zurück.     

Die Queen hatte eine sehr enge Beziehung zu Schottland. Das war vornehmlich familiär bedingt. Ihre Mutter „Queen-Mum“ war die jüngste Tochter des schottischen Grafen Claude Bowes-Lyon, 14. Earl of Strathmore and Kinghorne. Deshalb hätte sie wohl eine Loslösung Schottlands aus dem United Kingdom schwer getroffen. Zudem hatte sie auch mit Marion Crawford eine schottische Gouvernante. Balmoral Castle gehört jedoch nicht zum königlichen Besitz, sondern vielmehr zum Privatbesitz Elizabeths. Das ehemalige Jagdschloss Roberts II. wurde durch James Duff, dem 2. Earl Fife an Königin Victoria vermietet und später von Albert käuflich erworben. Wie ihre Ururgrossmutter war auch Elizabeth von der schottischen Landschaft stark beeindruckt.  

Wie bereits vorher erwähnt, versprach Queen Elizabeth II., ihr Leben in den Dienst ihres Landes und ihrer Untertanen zu stellen. Dieses wichtige Kapitel möchte ich deshalb keineswegs in diesen heutigen Ausführungen aussparen. 

Im Zweiten Weltkrieg wollte Lord-Kanzler Hailsham die Königsgemahlin und ihre Kinder nach Kanada in Sicherheit bringen. Dies jedoch lehnte diese ab: Sie verlasse niemals ohne ihren Mann das Land und die Kinder nicht ohne sie. 1942 absolvierte die Thronfolgerin mit ihrem Besuch bei den Grenadier Guards ihren ersten öffentlichen Auftritt. Im Frühjahr 1945 trat sie in den Auxiliary Territorial Service (ATS) ein, wo sie eine Ausbildung zur Lastwagenfahrerin und Mechanikerin erhielt. Ein Jahr nach ihrer Thronbesteigung besuchte sie im Rahmen einer Weltreise mit ihrem Gatten alle Länder des Commonwealth. Erstmals als Oberhaupt auch Australien und Neuseeland. Später kamen jede Menge hinzu. Insgesamt absolvierte sie 100 Staatsbesuche und 180 Reisen in die Länder des Commonwealth – sie ist somit das weitestgereiste Staats-oberhaupt der Welt. Trotz veröffentlichten Attentatsplänen (etwa 1961 in Ghana oder 1964 in Quebec) hielt die Queen an ihren Reiseplänen fest. Ja – sie setzte gar noch eins drauf: So führte sie die sog. „Royal Walkabouts“ ein – Spaziergänge und Händeschütteln beim normalen Volk.

In ihrer Amtszeit fehlte sie nur dreimal bei der Eröffnung der Sitzungs-periode des britischen Parlaments: 1959 und 1963 war sie schwanger (Andrew und Edward), 2022 liess es ihr Gesundheitszustand nicht mehr zu. Obgleich es ist nicht die Aufgabe der Queen bzw. Kings ist, sich in einer konstitutionellen, parlamentarischen Monarchie in das politische Tagesgeschäft einzumischen, nahm sie 2012 als erste Monarchin seit Georg III. im Jahre 1781 an einer Kabinettssitzung in Friedenszeiten teil. Nach Angaben der Zeitung „The Guardian“ liess die Queen während ihrer Amtszeit nicht weniger als 1062 Gesetze überprüfen („Queens Consent“). Zu ihrer politischen Einstellung hingegen äusserte sie sich niemals in der Öffentlichkeit. Margaret Thatcher meinte einst, sie würde wohl die Labour Party wählen. Bei der Einmischung Grossbritanniens in der Suezkrise, dem Falklandkrieg gegen Argentinien, dem Brexit hielt sie sich zurück – obwohl es ihr enorm schwer fiel. Als es im damaligen Rhodesien Probleme mit der Proklamation der Unabhängigkeit gab, entliess sie den dortigen Gouverneur Ian Smith, der ihr kurz zuvor noch seine Loyalität und Ergebenheit zum Ausdruck brachte, sich jedoch gegen die Unab-hängigkeitspläne stemmte. Auch bei dem vorzeitigen Ende der süd-afrikanischen Apartheidspolitik soll Elizabeth im Hintergrund vermittelt haben. Die Staatsbesuche des rumänischen Diktators Nicolae Ceausescue 1978 und des US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump 2019 absolvierte sie nur widerwillig. Ansonsten zeigten sich alle Staatsober-häupter stets von der Queen beeindruckt. Übrigens auch Michael Fagan, der sich am 09. Juli 1982 in das königliche Schlafzimmer eingeschlichen hatte. Die Queen verwickelte ihn für mehrere Minuten in ein Gespräch, bis die Polizei ihn festnehmen konnte. 1992 klagte die Königin das Boulevard-Blatt The Sun auf Verletzung der Urheberrechte, da diese die königliche Weihnachtsansprache zumindest teilweise im Vorhinein abdruckte. Die Zeitung musste die Anwaltskosten der Königin über-nehmen und 200.000 Pfund an wohltätige Zwecke und Einrichtungen überweisen. 

Immer wieder allerdings scheute sie nicht davor zurück, als Mahnerin zu agieren. Die Queen genoss während ihrer gesamten Amtszeit sehr hohe Beliebtheitswerte in der Bevölkerung – auch unter Gegnern der Monarchie als solche. Einzig die Abschottung des Königshauses nach dem Tod von Lady Di bis einen Tag vor ihrer Beerdigung sorgte für Unmut in den Strassen. Die öffentlichen Thronjubiläen, aber auch das alljährliche Geburtstagsspektakel „Trooping the coulor“ machten bis zuletzt die meisten Briten stolz auf ihr Königshaus. Auch völlig unerwartet der Humor der Queen: Wie beim Kurzfilm mit Daniel Craig alias James Bond anlässlich der olympischen Sommerspiele in London 2012 („unvergess-lichstes Bond-Girl aller Zeiten“) oder zuletzt das Video mit dem sehr beliebten TV-Teddy Paddington zu ihrem 70. Thronjubiläum. Elizabeth stand als Schirmherrin über 600 wohltätigen und ehrenamtlichen Organisationen vor. Als Oberhaupt der anglikanischen Kirche traf sie sich mit drei Päpsten und unterstützte den interreligiösen Dialog. 

„Mehr als 50 Jahre hat Elizabeth Windsor ihre Würde, ihr Pflichtgefühl und ihre Frisur behalten. Ich bewundere sie für Ihren Mut, und ihr Durch-haltevermögen. Ohne sie würde ich jetzt nicht hier stehen!“

(Helen Mirren, Oscar beste weibliche Hauptrolle 2007 in „Die Queen“)

Auf Charles III. lastet nun grosse Verantwortung. Schliesslich wusste seine Mutter wie keine andere, mit Streitschlichtung umzugehen. Sie schickte Charles und Diana nach Australien, das sich vom Commonwealth abzuspalten drohte. Dank Di’s Zutun geschah dies nicht. Beim ersten Besuch einer britischen Monarchin in der Republik Irland trat Elizabeth im Mai 2011 in einem grünen Kostüm auf (Nationalfarbe Irlands) und begann ihre Ansprache auf Gälisch. Beides vergassen ihr die Verant-wortlichen nie, obwohl die Briten dort nach wie vor als Kolonialverbrecher gelten. Auch ging das Königshaus auf nordirische Politiker mit IRA-Wurzeln zu obgleich Lord Mountbatten, ein enger Vertrauter der Queen, durch die IRA umgebracht wurde.  

Bei der Fahrt über rund 300 km von Balmoral nach Edinburgh gaben zehntausende Menschen der Queen die letzte Ehre. Viele mit Tränen in den Augen, manche applaudierten, andere salutierten. Von Schottlands Hauptstadt ging es mit dem Flugzeug weiter nach London. Das Staats-begräbnis findet am 19. September im Beisein vieler internationaler, hochrangiger Würdenträger aus Politik und Königshäusern sowie mehreren hunderttausend Menschen in London statt!

Filmtipps:

.) Tod einer Jahrhundertzeugin: Queen Elizabeth II. – ARTE-Doku

.) Elizabeth II., ganz privat – ARTE-Doku

.) Die Queen; Regie: Stephen Frears 2006)

Lesetipps:

.) Die Queen. Elizabeth II – Porträt einer Königin; Paola Calvetti; Piper Verlag 2021

.) Elizabeth II.; Thomas Kielinger, C.H. Beck 2022 

.) Queen Elizabeth II. und die königlicher Familie, Susan Kennedy; DK 2021

.) Her majesty; Christopher Warwick; Raschen 2021

.) The Queen: Elizabeth II and the Monarchy; Ben Pimlott; HarperPress 2012

.) Queen Elizabeth II: Her Life in Our Times, Sarah Bradford; Penguin 2012

.) The Servant Queen and the King She Serves, William Shawcross; Bible Society 2016

Links:

– www.royal.uk

– www.stasi-unterlagen-archiv.de

No Comments »

Transhumanz – Der Zug der Schafe

Das Ötztal ist eines der wohl schönsten und besten Beispiele dafür, wes-halb das österreichische Bundesland Tirol jedes Jahr von Touristen aus nah und fern förmlich überrannt wird. Im Winter aufgrund der Möglich-keiten in den Wintersportregionen Sölden-Hochsölden, Obergurgl-Hoch-gurgl und Oetz, im Sommer aufgrund der unglaublichen Wander- und Bergsteigerimpressionen in jener Region der Ostalpen mit den meisten 3000ern. Beispielsweise auf dem Weltwanderweg Via Alpina, der in insgesamt neun Etappen geteilt ist. Vom Inntal aus geht es über 65 Kilo-meter direkt hinein in das Zentrum der Alpen. Es ist das längste Quertal der Ostalpen, das die Stubaier Alpen im Osten von den Ötztaler Alpen im Westen trennt. Bei Zwieselstein teilt sich dieses Haupttal in das Venter- und das Gurglertal. Verkehrstechnisch endet das Gurglertal mit dem Timmelsjoch, einem der höchstgelegensten Grenzübergänge der Alpen (2.474 m über dem Meeresspiegel). Die Timmelsjoch-Hochalpenstrasse ist einer der schönsten Autostraßen Europas und war eine Heraus-forderung für den Strassenbau der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts. Auf Südtiroler Seite liess Benito Mussolini ab 1933 eine Militärstrasse im Passeier errichten, die bis zwei Kilometer vor das Joch reichte, um dadurch die Möglichkeit für eine Offensive gegen Österreich zu bieten. Am 15. September 1968 wurde die Verbindung für den Verkehr freige-geben. 

Das Jahr 2018 war sehr schneereich, während die Räumung 2022 ein-facher und rascher vonstatten ging.

Wer allerdings denken sollte, dass das Ötztal eine erst recht neue Verbindung von Nord nach Süd darstellt, geht fehl. Am 19. September 1991 fand das Bergwanderpaar Erika und Helmut Simon aus Nürnberg am Tilsenjoch (im Similaungletscher) die Leiche eines Mannes. Bei den Untersuchungen an der Universität Innsbruck wurde sehr rasch klar, dass es sich hierbei um einen Menschen handelt, der wohl seit rund 5.300 Jahren im ewigen Eis konserviert die Wirren der Menschheitsgeschichte überstand: Der „Ötzi“ (engl. „Iceman“ oder mein Lieblingsausdruck: „Frozen Fritz“)! Eine Wunde zeigte zudem auf, dass er von einem Pfeil getroffen wurde, dessen Schaft auch wieder herausgezogen wurde. Er war also nicht allein. Dieser Umstand beweist, dass auch unsere Urahnen diese Verbindung über die Alpen durch das ewige Eis der Gletscher („Ferner“) nutzten. Zu Fuss! Der Grund dafür sind die Berge selbst. So schirmt der Tschirgant das Tal vor eisigen Nordwinden ab, die Winde aus dem Süden werden beim Aufsteigen sehr stark erwärmt – das beschert dem Tal ein aussergewöhnlich mildes Klima, das sich zudem auch beim Pflanzenwachstum nachvollziehen lässt. Das Schiefergestein bildet als-dann einen ausgezeichneten Boden dafür. Heute geht die Geschichts-forschung deshalb davon aus, dass diese Hochgebirgsregion schon zu Ötzis Zeiten als Hochweidegebiet genutzt wurde.

In den Chroniken ist nachzulesen, dass schon im 13. und 14. Jahrhundert neben den Herren von Schwangau, von Starkenberg sowie den Klöstern und Stiften von Frauenchiemsee und Stams auch die Herren von Montalban bei Meran zu den Grossgrundbesitzern gehörten. Ein durchaus starker Einfluss also auch von Südtiroler Seite beim nördlichen Bruder. Der erste Saumweg über das Timmelsjoch wurde im Jahr 1320 angelegt. 

Fernab von alledem erfolgt seit Jahrhunderten zweimal im Jahr ein Spek-takel, das eindruckvoller nicht sein könnte: Der Schafstrieb über die Jöcher. Tatsächlich soll diese Tradition rund 6.000 Jahre alt sein – urkundlich erwähnt wurden die Weiderechte der Schnalser Bauern auf dem Rofenberg erstmals anno 1357, im Niedertal anno 1415 (zu besichtigen im Tiroler Landesarchiv in Innsbruck). Vor 1977 querten auf diese Weise rund 7.000 Tiere die Alpen – bis zirka 1900 waren auch Rinder und Pferde dabei.

Mitte Juni werden über 3.000 Schafe in kleineren Gruppen vom Schnalstal in Südtirol bis ins Venttal zur Martin Busch-Hütte und dem Hochjoch-Hospiz aufgetrieben, Anfang bzw. Mitte September erfolgt dann in zwei grossen Gruppen der Abtrieb, wo sie in Vernagt im Rahmen eines grossen Volksfestes („Schôfschoad“) wieder in Empfang genommen werden. Dabei geht es via teils sehr schmale Pfade über Bergwiesen, steile Felsabhänge, durch Gebirgsbäche aber auch durch Schnee und Eis des Similaunferners. Bei Sonnenschein, Regen- oder Schneefall, dichtestem Nebel oder auch von allem etwas, da das Wetter in den Bergen sehr rasch umschlägt. Insbesondere der Aufstieg ist sehr mühsam und gefährlich. Nicht selten müssen Männer mit Schaufeln vor der Herde die Wege freimachen und vortrampeln. Jeder Fehltritt kann das eigene Leben kosten oder viele Tiere in den Tod treiben. Beginnt für die ersten bereits um 03.00 Uhr der eigentliche Aufstieg in Vernagt, kommen etwa die Vinschgauer Gruppen einen Tag zuvor aus Laas über das Taschenjöchl. Ein Zwölfstunden-Marsch, der bereits Mensch und Tier alles abverlangt. Die Überquerung des Alpenhauptkammes erfolgt entweder am Niederjoch (3.019 m) oder dem etwas niedrigeren Hochjoch (2.770 m – dieser Zug endet bei der Rofenbergalm). Ein dritter Zug übrigens mit Tieren aus dem Passeier geht über das Timmelsjoch nach Obergurgl. Bis zum Jahr 1962 wurde noch ein weiterer Auftrieb geführt: Über den Gurgler Ferner mit der Alpenhaupt-kamm-Überquerung am Gurgler Eisjoch (3.154 m)! Diese gefährlichste Tour (Gletscherspalten, Eisfelder, …) aber wurde eingestellt. 

Wir bleiben etwas beim beschwerlichsten, beim ersten Zug. Nach einer kurzen Pause bei der Similaunhütte beginnt der Abstieg in’s Ötztal. Die ersten Schafe werden beim Martin-Busch-Haus zurückgelassen, die zweite Gruppe folgt bei der alten, die restlichen dann bei der neuen Schäferhütte. Nicht allen Schafrassen kann diese Tortur zugemutet werden. Ausgesucht für die Almkräuter und Höhenluft werden vornehm-lich das Tiroler Berg- bzw. Steinschaf und das Schwarznasenschaf. Immer wieder müssen Lämmer über die steilsten Wegstrecken hinweg von den Hirten und Treibern getragen werden. 

Nach elfstündigem Marsch und über 1.800 überwundenen Höhenmetern ist die Karawane auf der Alm angelangt. Im Vergleich dazu die noch beeindruckenderen Zahlen für die Herden aus Laas im Vinschgau: 44 km, 3200 Höhenmeter im Aufstieg und 1800 Meter im Abstieg – wohlgemerkt für den Alm-Auftrieb! Waren am Aufstieg noch bis zu 80 Menschen als Schaufler oder Treiber beteiligt, so reicht für die kommenden drei Monate ein Schäfer mit Hunden, um die Herden zu beaufsichtigen. Einer dieser Schäfer und Leiter des Schafsübertriebs ist Elmar Horrer mit seinem Hirtenhund Aiko. Ein braungebrannter, kerniger Mann, den nahezu nichts mehr erschüttern kann. Er verbringt die meiste Zeit unter freiem Himmel, hat selbst nur die alte oder neue Schäferhütte als Unterstand und ist das Leben allein auf der Alm gewöhnt: Ohne Handy, ohne Internet oder Fernsehen. In der 800 Jahre alten Schäfer-Hütte gibt es nach wie vor keinen Strom oder fliessendes Wasser. Nur selten erhält er Besuch vom zuständigen Jäger oder dem Pächter der Similaunhütte, der ihn auch mit dem Lebensnotwendigsten versorgt. Ansonsten muss er selbst bis nach Sölden absteigen, um sich Vorräte zu holen. Tagwache ist um halb sechs. Als erstes wird mittels des Fernglases der Tierbestand kontrolliert. Kurz danach geht es auch schon in’s Gelände. Schafe müssen gesucht, gebrochene Läufe gegipst und verunfallte oder verendete Schafe geborgen, sowie die Salzbehälter aufgefüllt werden. Ein bis zwei Prozent der Schafe bleiben übrigens verschwunden. Die Hirten sprechen davon, dass sie „vom Berg gefressen“ werden. So spult der Hirte Tag für Tag Kilometer um Kilometer ab. Insgesamt sind es 2.900 Hektar, die zwar nicht abgegangen, allerdings beobachtet werden müssen. 

Neben all den guten Jahren, in welchen nichts geschehen ist, sitzt den Bauern das Jahr 1979 nach wie vor als Katastrophe in den Rippen. Bei einem Schneesturm erstickten unterhalb der Similaunhütte rund 70 Tiere. Das Leben in den Bergen sollte niemals verharmlost werden.

Kein Job für Warmduscher!

Auch das Ötztal profitiert von diesem Zug der Schafe. Dominierte doch dort in Urzeiten der Flachsanbau und später die Rinderzucht die Land-wirtschaft. Erst in letzter Zeit wurden wieder die Vorzüge der Schaf-haltung erkannt. Die Tiere sorgen dafür, dass auch an unzugänglichen Stellen einerseits das Gras auf der Hochalm nicht zu hoch wächst, was zu Hangrutschungen und im Winter Lawinenabgängen führt, und anderer-seits werden unerwünschte Pflanzen wie junge Bäume oder Unkräuter von ihnen samt der Wurzel entfernt. Dadurch verwaldet das Gebiet nicht vollends.   

Die ersten zweibeinigen Sommerfrischler übrigens brachte gegen 1866 Clemens Franz Xaver Reichsgraf von Westphalen nach Oetz. Inzwischen wird das Ötztal alljährlich in den Wintermonaten von Millionen Urlaubs-gästen geradezu überflutet (alleine in Sölden rund 2 Millionen Über-nachtungen). Noch mehr erwarteten sich die Touristiker im hinteren Ötztal durch die Seilbahnverbindung mit dem Pitztal – diese Verbindung allerdings wurde fallen gelassen. In einem Bürgerentscheid sprachen sich im Juli 2022 von 1.200 Einwohnern in St. Leonhard im Pitztal 50,4 % gegen das Projekt aus. Insgesamt kamen 59 % zu den Urnen. 

Die dortige Sprache (Bairisch vornehmlich beeinflusst durch das Passeier- und das Schnalsertal) gehört zum immateriellen Kulturerbe Österreichs.  

Transhumanz – der Zug der Schafe wurde im Jahr 2011 in die UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Wie lange es diese noch geben wird, ist jedoch fraglich. Immer mehr Weidegebiete fallen der Gewinnsucht der Wintertouristiker zum Opfer, neue Seilbahn- und Pisten-erschliessungen sorgen immer wieder für Kontroversen. Sollten Sie die Gelegenheit haben, den Zug der Schafe vorort mitzuverfolgen, so nutzen sie dies. Die Schnalser Gletscherbahnen ermöglichen es auch für die Nicht-Alpinisten! Selbstverständlich können Sie im nächsten Jahr zudem als freiwilliger Helfer aktiv werden. Dafür sollten Sie durchtrainiert, wetterfest und bergtauglich sein sowie sich mit Schafen auskennen. Die Eindrücke werden Sie Ihr Leben lang nicht vergessen!

Rückkehrtermine 2022:

– Niedertalalm am 10. September nach Vernagt

– Rofenbergalm am 11. September nach Kurzras

Infos:

.) www.merano-suedtirol.it/de/schnalstal/natur-kultur/land-leute/trans-humanz.html#ltseventslist

.) www.suedtirolerland.it/de/suedtirol/schnalstal/vernagt-am-see/

.) www.suedtirolerland.it/de/suedtirol/schnalstal/kurzras/

Filmtipps:

– Mit di Schoof gian; Sebastian Marseiller 

– Schafe und Schneefelder; Rolf Bickel

Lesetipps:

.) Pässe, Übergänge, Hospize; G. Bodini;  Tappeiner Verlag 1999 

.) Wege der Schafe: Die jahrtausendalte Hirtenkultur zwischen Südtirol und dem Ötztal; Hans Haid; Tyrolia-Verlag 2008

.) Schafe und Hirten im Vinschgau & Schnalstal; G. Bodini; Hrsg: Kultur-verein Schnals  2005 

.) Schafe in Tirol; Thomas Stoffaneller/Susanne Schaber; Tyrolia-Verlag 2016

.) Aufbruch in die Einsamkeit – 5000 Jahre überleben in den Alpen; Hans Haid; Ed. Tau 1992

.) Die Grundherrschaften des Tales Schnals in Untervinschgau; Franz Huter; Innsbruck 1926

.) Alpenvereinsführer Ötztaler Alpen; Walter Klier; Bergverlag Rother Ottobrunn 1997

Links:

– www.transhumanz.net

– www.kulturverein-schnals.it

– www.provitaalpina.com

– www.vent.at

– www.merano-suedtirol.it

– www.naturpark-oetztal.at

– www.timmelsjoch.com

– www.unesco.at

– similaun.net

– www.museen-suedtirol.it

– www.oetzi-dorf.at

– www.oetztal.com

– www.kulturnatur.de

– hoehepunkt-tirols.oetztal.com

No Comments »

Na denn: Mahlzeit!!!

Wir alle kennen – spätestens seit dem Amtsantritt Donald Trumps als US-amerikanischer Präsident den Ausdruck „Fake News“ für erfundene Nach-richten. Inzwischen ist „Fake“ salonfähig geworden und dient in sehr vielen Bereichen für etwas, das nicht so ganz der Wahrheit entspricht. In der Werbung werden immer wieder Fake-Geschichten vorgespiegelt, damit der Absatz für die Produkte steigt, wenn etwa der Toilettenreiniger glücklich macht oder eine hübsche Bikini-Frau die Kürbis-Prostata-Zusatzernährung anpreist. Jeder weiss inzwischen, dass durch gute Ausleuchtung und Lebensmittelfarbe beispielsweise Tellergerichte, Fleisch oder Obst wesentlich besser aussehen, als sie es tatsächlich sind. Dass nun jedoch nicht mehr das in der Verpackung ist, was auch drauf steht, das wird offenbar leider immer mehr zur Sitte. Man nennt dies übrigens „Fake-Foods“! Hier wäre es mehr als wichtig, durchzugreifen, da der Konsument auf das Übelste gefoppt wird. 

Eines der begehrtesten Schauplätze hierfür ist der Begriff „Bio“. 

So warnte beispielsweise die sächsische Geflügelwirtschaft bereits im April davor, dass Bio-Eier aufgrund des Ukraine-Krieges knapp werden könnten, da das Futter (Soja, Sonnenblumenkerne und Raps) für die Hühner zwar vornehmlich über den Grosshandel in Polen bezogen, tat-sächlich aber aus der Ukraine stammt. Ohne der Beifügung von konventionellem Futter werde das Bio-Ei vom Markt verschwinden. In Natura kommen nahezu alle zwei Jahre Skandale vom Bio-Eier-Markt an’s Tageslicht. So warnte Öko-Test 2019 vor den Bio-Eiern bei Lidl und Aldi. Zwei Jahre zuvor berichteten Mimikama und der SWR über die Zulieferer-betriebe von Aldi Süd. 2015 stand die Geflügelwirtschaft Niedersachsens im Scheinwerferlicht… 

Greift der Konsument zu einer Ware mit dem Etikett „Bio“, so ist er gerne dazu bereit, rund 15 Cent pro Ei mehr zu bezahlen, da er weiss, dass nicht nur die Qualität des Produktes stimmt, sondern auch die Herstellung bzw. die Tierhaltung! Das nennt sich „bewusste Ernährung“! Leider eine Wunschvorstellung! In vielen Bioställen sieht es gleich wie in der kon-ventionellen Landwirtschaft aus. 2013 ermittelte die Staatsanwaltschaft Oldenburg gegen 200 landwirtschaftliche Betriebe, die beschuldigt wurden, dass auf der Eier-Verpackung etwas anderes stehe, als tatsächlich drinnen war. Nur ein Jahr später musste der Agrarminister Mecklenburg-Vorpommerns, Till Backhaus, eingestehen, dass 12.000 Eier aus vier Betrieben des Bundeslandes mit dem Öko-Siegel gekennzeichnet waren, obwohl sie das gar nicht verdient hätten. Auch hier ermittelte die Staatsanwaldschaft Rostock. Dieser Fall wurde allerdings nach besten Mitteln und Methoden durch die Politik verschleiert, obgleich im §40 des Lebens- und Futtermittelgesetzes klar definiert ist, dass die Öffentlichkeit ein Anrecht auf die Namen jener Betriebe hat, die den Verbraucher getäuscht haben. Klasse Lobby-Arbeit! 

Wann darf aber nun tatsächlich das Ei als Bio-Ei verkauft werden? Hier gibt es klare Richtlinien des deutschen Bio-Siegels in Verbindung mit der EG-Öko-Verordnung als Mindestanforderungen. So muss etwa die Henne zumindest vier Quadratmeter Auslauf (ausserhalb des Stalles) pro Tag haben, im Stall selbst dürfen nicht mehr als sechs Hühner auf einem Quadratmeter gehalten werden (in der Regel sind es nach wie vor 12!) – nicht mehr als 3.000 pro Stallung (wer zählt das nach?). Eine präventive Medikamentierung mit Antibiotika ist verboten – dem Huhn darf nur Biofutter verfüttert werden. Werden diese Kriterien nicht erfüllt, so ist das Ei aus „Bodenhaltung“! Ein natürliches Huhn legt pro Jahr 30 Eier – die meisten Hühner auch aus der Bio-Haltung allerdings 300. Es sind Hybrid-Hühner, gezüchtete Legemaschinen, die nach einem Jahr ihren anstrengenden Job erledigt haben und entsorgt werden. Zudem: Was geschieht mit den männlichen Küken am Bio-Gut? In Deutschland ist das Kükenschreddern seit dem 01. Januar 2022 verboten – davor waren es rund 45 Mio im Jahr. Auch in der Schweiz ist dies seit 2019 verboten – hier werden jedes Jahr etwa 3 Mio männliche Küken vergast – 1/4 davon stammt aus Bio-Produktion. In Österreich ist das „sinnlose“ Töten von männlichen Küken erst mit 2023 verboten. Die Bio-Branche jedoch zieht auch die Hähne in der sog. „Bruderhahn-Mast“ gross.  

Inzwischen hat sich auch im Bio-Bereich die industrielle Produktion etabliert, die übrigens vom Deutschen Tierschutzbund toleriert wird. Somit kann sich wohl jeder selbst ausrechnen, was diese 15 Cent mehr pro Ei bei 10.000 Hühnern mit jeweils 300 Eiern pro Jahr pro Farm ausmachen. Bio-Betriebe werden dreimal im Jahr durch Kontrolleure der jeweiligen Verbände oder in deren Auftrag überprüft – zweimal unan-gekündigt, einmal angekündigt. Hinzu kommen die Lebensmittel-kontrolleure. Deshalb und aufgrund des bürokratischen Aufwandes drehen viele Bauern dem Ökolandbau inzwischen wieder den Rücken zu und  zur konventionellen Landwirtschaft zurück. 

Ähnliches ist auch in Österreich zu sehen: Halbnackt scharren bis zu 10 Hühner pro Quadratmeter nach Futter. Mit den glücklichen, freilaufenden Hühnern aus der Werbung hat auch dies hier wenig zu tun. Auch im Alpenland werden grossteils Hybridhühner verwendet, die sich aufgrund der Züchtung meist gar nicht mehr selbst vermehren können. Auch zwischen Neusiedler- und Bodensee werden in den meisten Bio-Betrieben die männlichen Küken gleich nach dem Schlüpfen vergast oder geschreddert. Das bestätigte anno 2013 auch der Obmann der österreichischen Biobauernvereinigung „Bio Austria“, Rudi Vierbauch. 

Doch leider können oder wollen die Kontrolleure die toten Tiere nicht sehen. Jene, die langsam und schmerzvoll krepiert sind an Eileiter- oder Bauchfellentzündung, Parasitenbefall, Brustbeinverkrümmungen und Brustbeinbrüchen, Kannibalismus, Viren, Bakterien. 

Obgleich Österreich mit 26,4 % der landwirtschaftlichen Fläche (Stand: 2020) als Bio-Fläche europaweit eine Vorreiterrolle eingenommen hatte, landeten bislang gerade mal 6 % Bioprodukte im Supermarkt (in Deutschland waren es 4 %). Dies änderte sich allerdings während der Corona-Pandemie: 2020 wurde in Österreich erstmals ein Marktanteil von 10 % erreicht. In Deutschland nahm der Biomarkt im Vergleich zu 2019 um 22 % auf 6,4 % zu – hier geht es inzwischen um Umsätze in der Höhe von 14,99 Milliarden Euro. Ähnlich auch in der Schweiz – ein Plus von 19,1 % im Vergleich zu 2019 auf 10,8 % – 3,856 Milliarden Schweizer Franken. Es ist also durchaus möglich, auf dem Bio-Markt gutes Geld zu verdienen.  

Wenn Sie sich wirklich bio-bewusst ernähren wollen, dann schauen Sie sich den Hof Ihres Vertrauens genau an! Das empfiehlt auch der österreichische Bio-Vorzeigebauer Werner Lampert, der für die Rewe-Gruppe die „Ja-natürlich!“ und für Hofer die „Zurück zum Ursprung“-Marke gründete: 

„Bio ist kein Paradies!“

Allerdings stellt er auch den Konsumenten die Rute in’s Fenster: Nach wie vor – auch bei Bio – erweisen sich zu kleine Kartoffeln oder krumme Gurken als Ladenhüter. Da kann sich auch der ehrliche Klein-Bio-Bauer den Rücken krumm arbeiten – werden seine Produkte nicht verkauft, wird er nicht mehr von Bio zu begeistern sein. 

2016 wurde durch eine Untersuchung aufgedeckt, dass immenses Schindluder mit dem Begriff „fair“ am Markt getrieben wird. Der Begriff ist bei der Vergabe von Siegeln nicht geschützt – er wird somit stets anders interpretiert. Über 100 Öko- und Bio-Siegel gibt es alleine am bundes-deutschen Markt, von Demeter über Bioland, Naturland oder GÄA e.V. usw. So wurde nach Untersuchungen veröffentlicht, dass etwa im Kara-mell-Eis von Ben & Jerry’s nur 19 % Fair Trade-Produkte enthalten waren – trotzdem ist das Eis mit dem Fairtrade-Siegel versehen. In der Schokolade von Cavalier machte dieser Anteil gerade mal 32 %, in der Nuss-Nougat-Crème von Rewe 53 % aus. Zur Erklärung: Bei der Herstellung von Kakao, Orangensaft, Tee und Zucker muss kein einziges Fairtrade-Produkt enthalten sein – wichtig ist der Mengenausgleich, da hier konventionelle und Fairtrade-Produkte vermischt werden. Entdecken Sie also bei Ihrer Suche nach fairen Produkten die Aufschrift „Mengenausgleich“ auf der Packung, würde ich mir durchaus überlegen, ob ich für dieses Produkt wirklich mehr bezahlen möchte als für ein herkömmliches! Nur Kaffee mit dem Fairtrade-Siegel muss auch tatsächlich zu 100 % fair sein, ansonsten reichen seit 2011 nurmehr 20 % – auf die Gefahr hin, dass sich nun viele die Haare raufen werden, weil sie seit Jahren viel mehr für inhaltlich fast dieselben Waren bezahlen! Im Kakao der Aldi-Waffeln waren gar nur 8 %, im Kakao von Netto 20 % aus fairem Anbau aus kleinbäuerlichen Strukturen enthalten. Trotzdem prangert auf beiden Produkten das UTZ-Siegel. Beim UTZ-Siegel ist keine Mindestmenge an fair gehandelten Bestandteilen festgeschrieben. Das Gepa-Siegel hingegen geht von einem Mindestanteil von 50 % fair gehandelter Bestandteile aus. Meines Erach-tens eine bewusste Aufweichung der ansonsten recht guten und sinn-vollen Kriterien und damit ein Betrug am verantwortungsbewussten Konsumenten. Fairtrade Deutschland hingegen argumentiert, dass das Siegel nur dann vergeben wird, wenn die Zutaten, die fair angebaut und gehandelt wurden, auch auf der Verpackung angeführt sind. Tatsächlich kann nur zwei Bio-Labels getraut werden: dem EU- und dem Deutschen-Bio-Siegel. Hier müssen 95 % der landwirtschaftlich produzierten Zutaten aus ökologischen Anbau stammen. Ansonsten ist die Zertifizierung rasch verloren – regelmässig finden deshalb angekündigt und nicht-angekündigte Kontrollen statt. 

Nicht jedermann’s Geschmack (meiner etwa gar nicht) sind Garnelen. Trotzdem ist ausgerechnet die Surimi-Garnele heiss begehrt! Doch –  was die meisten Anhänger gar nicht wissen: Von Meeresfrucht keine Spur! Surimi ist nämlich ein Meeresfrüchte-Fake, hergestellt aus Fisch, Salz und Hühnereiweiss oder Stärke! Nachdem das meist nach gar nichts schmeckt, sorgen Aromen und Geschmacksverstärker (Krebsaroma) sowie Lebens-mittelfarben für das Prickeln auf der Zunge und das Leuchten in den Augen. Entdeckt wurde das, was der Japaner unter „zermahlenem Fleisch“ versteht, vor rund 900 Jahren, als ausfindig gemacht wurde, dass sich derart zubereiteter Fisch länger hält. Europa entdeckte Surimi in den 1950ern – verwendet werden Fischsorten, die zumeist nicht direkt verkauft werden können, wie beispielsweise Magerfisch oder auch Krill. Es ist zumeist alsdann ein Produkt aus dem Beifang. Überzeugte Surimi-Gustianer sprechen allerdings von Fischfilets von Weissfischen (Seelachs, Kabeljau, Brassen oder auch Seehecht). Sie können es sich somit aussuchen! Wer also so oder so wirklich Garnelen essen möchte, sollte auf Surimi verzichten!!! Apropos: Mit Tintenfischresten vermischt dient Surimi als Tintenfischersatz, kommt aber auch in so manchem Würstchen zum Einsatz! Wurde Surimi verwendet, so sollte dies gut sichtbar auf der Verpackung angeführt sein! Sollte! 1994 führte die Hamburger Bundes-forschungsanstalt für Fischerei eine Überprüfung durch – in sieben von zehn Garnelenfleischproben wurde nicht angeführtes Surimi verarbeitet. 2010 entschied der Verwaltungsgerichtshof von Baden-Württemberg, dass ab einem Surimi-Anteil von zumindest 20 % Deklarationspflicht besteht (Az. 9 S 1130/08). 

Ach ja – weil wir’s gerade so schön von Meer und Früchten hatten: Wissenschafter des Leibnitz-Institutes für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin entdeckten vor einigen Jahren einen riesigen Kaviar-Fake. Von 27 Kaviar-Produkten enthielten nicht weniger als 10 keinen oder nur einen Teil des Original-Kaviars, sondern vielmehr Eier anderer Fischarten oder künstlich hergestellte Imitate. Dies konnte jedoch nur aufgrund von DNA-Abgleichen („DNA-Barcoding“) festgestellt werden. Bei Preisen von 220,- € bis 450,- € pro 100 Gramm der Sorte des Beluga Störs – durchaus rentabel dieser Betrug! Die Kollegen des Forschungsinstitutes Wilhelms-haven entlarvten mittels des Bar-Codings auch Ölfische, die als Makrelen verpackt waren oder statt des echten Heilbutts den Schwarzen Heilbutt usw.!

Bleiben wir doch noch etwas in Japan und beim Sushi. Die Umweltgruppe Oceana entdeckte bei einer Untersuchung von Sushi-Restaurants in Japan anderen Fisch als jener, der tatsächlich verkauft wurde. Erschreckend ist die Quote: 100 %! Oceana schreibt in der Aussendung, dass die Wahr-scheinlichkeit weissen Thunfisch in einem Sushi-Restaurant zu bekommen, gleich ist mit jener, beim Roulette in Vegas eine Null oder Doppel-Null zu erspielen! Vor 2013 übrigens lag die Quote bei rund 84 % weisser Thunfisch.

Wer übrigens Sushi mag, wird wohl auch Wasabi mögen. Wasabi ist ein japanischer Meerrettich, somit also ein Kreuzblütengewächs, dessen Stamm vornehmlich in der japanischen Küche den Speisen eine extreme Schärfe verleihen kann. Da die Pflanze jedoch nur in Japan und auf der russischen Insel Sachalin wächst, ist das Gewürz sehr selten und damit teuer (Kilopreis der Wurzel: Bis zu 400 €). Hierzulande bekommt man den Scharfmacher in Dosen, Gläsern oder auch Tuben als Paste. Apropos Paste: In den meisten in Deutschland angebotenen Produkten ist nur eine Mixtur aus europäischem Meerettich- und Senfpulver in Verbindung mit Stärke und den Farbstoffen E133 und E102 enthalten – ein Produkt aus dem Lebensmittellabor! Echter Wasabi ist nicht froschgrün sondern mint und kitzelt die Geschmackpapillen der Zunge mit einem süsslichen Unterton und die Nase mit dem Geruch ätherischer Öle. Frisch gerieben allerdings hält sich Wasabi nur über rund eine halbe Stunde. Zu diesem Chemie-Mus kommt noch hinzu, dass in den meisten Fällen der Azo-Farbstoff Tartrazin enthalten ist. Dieser war lange Zeit in heimischen Landen verboten, da er heftige Allerigen auslösen kann. Der Kunst-Wasabi ist inzwischen in vielen anderen Lebensmitteln wie Nüssen, Chips oder Knuspererbsen enthalten. Untersuchungen derartiger Wasabi-Produkte aus dem Supermarktregal ergaben jedoch einen Anteil von 0,003 bis gerade mal 2 % des Gesamtproduktes. 2009 musste das Unternehmen Kattus nach einem Urteil des Münchener Landgerichtes II umbenennen, da in den „Wasabierbsen“ kein einziges Gramm Wasabi enthalten war. Und trotzdem produziert dessen Tochtergesellschaft Bamboo Garden die Wasabi-Paste auch weiterhin – mit unglaublichen 3,5 Prozent Wasabi-Gehalt lt. Zutatenliste. 

Ich mag sie ja unheimlich gern – viele andere verabscheuen sie: Die weisse Schokolade! Streng genommen aber ist dies keine Schokolade mehr, da sie kein Kakaopulver oder Kakaomasse sondern nurmehr die Kakaobutter enthält. Ergänzt durch Zucker und Milch liegt der Angriff auf die menschlichen Hüften schön sortiert bei ihren schwarzen bzw. braunen Kollegen im Supermarkt. 

Schwarze Oliven sind für so manch einen etwas ganz exklusives. Doch ist dem nicht wirklich so. Zumeist werden einfach die grünen Kumpels schwarz eingefärbt. Das muss auf der Verpackung nicht mal angeführt sein. Finden Sie allerdings dort die Bezeichnungen E579 (Eisen-II-Gluconat) und/oder E585 (ERisen-II-Lactat), so sollten Sie vielleicht doch besser die Ware im Regal belassen. 

Über die Unsitte der Cornflakes und des angeblich so gesunden Fertig-Müslis habe ich an dieser Stelle ja schon mal geschrieben. Auch Vollkornbrot ist nicht immer unbedingt Vollkorn und damit gesund. Es könnte auch eingefärbtes Weizenbrot dahinterstecken – das nennt sich dann „Vollkorn-Look“. In originalem Vollkornbrot muss mindestens 90 % Vollkornschrot enthalten sein. 

Zu all diesen ganz offiziellen, teilweise nicht ganz legalen Fällen der Verbrauchertäuschung kommen noch die Imitate hinzu: Champagner aus italienischem Spumante, Oregano aus Olivenblättern, Babymilch, die mit dem Kunststoff Melamin gestreckt wird. Anno 2008 starben in China nicht weniger als 6 Kinder daran, 300.000 waren erkrankt. Auch der Grossteil des Apfelsaftes, der in den USA verkauft wird, stammt nach Aussagen des Aufdeckers Larry Olmsted aus chinesischen Konzentraten – inklusive Pestiziden oder anderer Chemikalien!  

Die Ministerien für Ernährung und Landwirtschaft sowie für Verbraucher-schutz, das Bundesamt für Verbraucherschutz, das Bundesinstitut für Risiko-Berwertung aber bereits auch schon die Staatsanwaltschaft, Zoll, Interpol und Europol sprechen von Gewinnraten wie im Drogenhandel. Auch die Mafia ist inzwischen mit von der Partie. Und es wird immer einfacher für die Betrüger: Gab es früher wesentlich mehr Einzelhändler mit einer somit auch grösseren Vielfalt am Markt, so konzentriert sich zusehends alles auf drei bis max. vier Supermarktketten, die bei einem Lieferanten für all ihre Märkte bzw. Tochtergesellschaften einkaufen. 

Unternehmen, aber auch Überwachungsbehörden begegnen dem Treiben nun mit einem chemischen Fingerabdruck (Nuclear Magnetic Resonance). Mit der Hilfe der Kernmagnetresonanz-Spektroskopie können die magne-tischen Eigenschaften der Wasserstoffmoleküle aufgezeigt und damit echte von nachgemachter Ware unterschieden werden. Nur mit diesem Echtheitsnachweis wird in vielen Fällen Betrug aufgedeckt. Nachdem derartige Laboruntersuchungen zumeist nicht günstig sind und sich so mancher Laborbetreiber entsprechende Daten vergolden lässt, wurde in Deutschland die staatlichen Datenbank „FoodAuthent“ aufgebaut. Darin enthalten sind Daten, auf welche die Behörden jederzeit zugreifen können, wenn Verbraucher geschützt werden müssen. So kann der Ölfisch beispielsweise Krämpfe hervorrufen, künstliche Salze im Käse ebenfalls an die Gesundheit gehen. 

Bisherige Erfolge:

– Chinesischer Honig wurde als US-Qualitätsware verkauft

– Billiges Olivenöl umgefüllt und als hochwertige 1A-Ware verkauft

– Cabernet Sauvignon entpuppte sich als Tempranillo 

– Orangensaft aus Südafrika wurde als spanischer ausgegeben

– Chinesisches Kürbiskernöl kam angeblich aus der Steiermark

– Chardonnay aus einem Verschnitt von Pinot Grigio und Sauvignon zusammengestellt

– Honig, gestreckt mit Zuckersirup

Während der „Operation Opson VI“ wurden 2016/17 von Zoll, Europol, Interpol und den Lebensmittelbehörden in weltweit 61 Ländern, darunter 21 EU-Länder, Waren im Wert von rund 230 Mio € (10.000 Tonnen) beschlagnahmt. Vom gefälschten Mineralwasser, falschen Haselnüssen bis hin zu erneut verpackten, zuvor jedoch abgelaufenen Sardinen – es war alles dabei. ein Jahr später (Operation Opson VII) lag der Schwerpunkt bei manipuliertem Thunfisch, 2018/19 (Opson VIII) bei verfälschtem Kaffee, 2019/20 bei gefälschtem Olivenöl und 2020/21 bei verfälschtem Honig. Beschlagnahmt wurden bei Opson X nicht weniger als 15.451 Tonnen von illegalen oder gefälschten Produkten

Wenn Sie also wirklich nachhaltig, umwelt- und sozialbewusst einkaufen möchten, sollten Sie sich davor kundig machen. Auch ich kam erst nach Strichcode-Recherchen drauf, dass meine Kaffeebohnen eigentlich in Estland geröstet werden. Wie auch ein grosses Produkt, von dem immer wieder behauptet wird, dass es aus Österreich käme! Den Angaben und Herstellern vertrauen – das war gestern!!!

Film-Tipps

– Die Bio-Lüge (ARTE-Doku)

– Biofleisch – Ethik oder Etikettenschwindel (SWR-Doku)

– Am Schauplatz: Das Bio-Dilemma (ORF-Doku)

Lesetipps:

.) Die Wahrheit über Bio-Lebensmittel; Alex A. Avery; TvR Medienverlag 2007

.) Friss oder stirb; Clemens G. Arvay;  Ecowin-Verlag 2013

.) Sushi-Bar: Japanischer Genuss häppchenweise: Sushi, Suppen, Salate und Spießchen; Tanja Dusy; GRÄFE UND UNZER Verlag GmbH 2008

.) Chemie im Essen: Lebensmittel-Zusatzstoffe. Wie sie wirken, warum sie schaden; Hans-Ulrich Grimm/Bernhard Ubbenhorst;  Knaur 2013

.) Bio-Lebensmittel. Worauf Sie wirklich achten müssen: Warum sie wirklich gesünder sind; Andrea Flemmer; humboldt / Schlütersche 2008

.) Die unsichtbare Kraft in Lebensmitteln, BIO und NICHTBIO im Vergleich; A.W. Dänzer; Verlag Bewusstes Dasein 2014

.) Strategische Positionierung im Markt für Bio-Lebensmittel; Hannes Hanke; VDM 2015

.) Extra Vergine: Die erhabene und skandalöse Welt des Olivenöls; Tom Mueller; Redline Verlag 2012

.) Real Food/Fake Food: Why You Don’t Know What You’re Eating and What You Can Do About It by; Larry Olmsted; Algonquin Books 2017

.) Food Forensics: The Hidden Toxins Lurking in Your Food and How You Can Avoid Them for Lifelong Health; Mike Adams; BenBella Books 2016

Links:

– www.biowahrheit.de

– agriculture.ec.europa.eu/farming/organic-farming/organic-logo_de

– www.oekolandbau.de/bio-siegel/

– www.tierschutzbund.de

– www.was-steht-auf-dem-ei.de

– www.alternativ-gesund-leben.de

– www.lebensmittelklarheit.de

– www.bio-austria.at

– www.kinjirushi.co.jp/

– osuseafoodlab.oregonstate.edu

– www.fairtrade-deutschland.de/

– foodrisklabs.bfr.bund.de

– oceana.org

No Comments »

Luftverschmutzung – jährlich 40.000 Tote

Als ich für den vorhergehenden Blog über die Zukunft der Mobilität recherchierte, fiel mir ein Zeitungsartikel aus dem Jahre 2000 auf. Berichtet wird darin über eine Studie zur Auswirkung der Auspuffabgase und Industriegifte. Diese wissenschaftliche Publikation kam zu dem Schluss, dass in Westeuropa jährlich rund 40.000 Menschen an den Folgen der Luftverschmutzung sterben – darunter 5.500 aus Österreich und 3.300 aus der Schweiz. Damals litten in Westeuropa etwa 300.000 Menschen an Bronchitis-Erkrankungen und zirka 500.000 an Asthma-anfällen – jedes Jahr! Dies führt zu jährlich rund 16 Mio Krankenstands-tagen. 35.000 Kinder bekommen alleine in Österreich jedes Jahr lebens-gefährliche Asthma-Attacken, 6.000 Erwachsene erkranken an Bronchitis. 

Harte Tatsachen zum Start des neuen Jahrtausends. Was nun hat sich in den zurückliegenden 22 Jahren getan? Wie haben sich die Klima-Maß-nahmen der Regierungen in den jeweiligen Ländern ausgewirkt? Beein-flusst die Luftverschmutzung etwa auch die Ansteckung mit Erkrankungen der Luftwege und der Lunge? So wurde beispielsweise in einer Studie von Marco Ferrario von der Universität Insubrien in der oberitalienischen Stadt Varese nachgewiesen, dass Einwohner an Strassen mit erhöhter Luft-schadstoffkonzentration häufiger an CoVID-19 erkrankten als Bürger aus anderen Stadtteilen („Occupational and Environmental Medicine“ 2022). Die Erklärung: Feinstaub kann von Viren als Transportmittel verwendet werden.

Zu Beginn erstmal gute Nachrichten: Es hat sich tatsächlich sehr viel bei den Verbrennungsmotoren sprich dem Verkehr getan, allerdings wurde die Situation in diesem Bereich nicht wirklich verbessert. Auch in der Industrie wurden Massnahmen gesetzt, sodass der Teil der Smogopfer durch diesen Bereich in Deutschland etwa auf 13 % gesenkt werden konnte. Eklatant zugenommen haben jedoch die Emissionen aus der Landwirtschaft. So werden die Massentierhaltung und die übermässige Düngung v.a. mit Gülle, aber auch mit Mist für einen erheblichen Teil der Toten durch Luftverschmutzung verantwortlich gemacht. Grosse Mengen von Ammoniak werden freigesetzt, die die Atemwege extrem belasten! 

Im Jahr 2000 führte noch Frankreich mit 31.000 Opfern die Todesliste an – 2021 war es Deutschland mit 34.000. Nach wie vor sterben jährlich rund 7.000 Deutsche (ca. 20 %) an den Folgen der durch den Verkehr verursachten Luftverschmutzung. Nur in China, Indien, den USA und Russland ist der Anteil noch höher, weltweit liegt er bei rund 5 %. Eine unmittelbare Folge der immer dichter werdenden Besiedlung und der Landflucht. Wissenschaftler des Max-Planck-Institutes haben errechnet, dass diese Kurve bis zum Jahr 2050 noch weiter ansteigen wird – neben Europa und den USA vornehmlich in Süd- und Ostasien. Weltweit könnte sich die Zahl der Smogopfer auf 6,6 Mio Menschen nahezu verdoppeln. In London etwa von 2.800 auf 4.200, in Moskau von 8.600 auf 11.700 und in Kalkutta von 13.500 auf gar 54.800, um nur drei Beispiele zu nennen.    

Fairerweise muss jedoch erwähnt werden, dass Deutschland und auch Österreich (die Schweiz weniger) von Nachbarstaaten umgeben sind, die nicht wirklich auf die Reduktion der Klimagase, Stickoxide und des Feinstaubs achten. Trotzdem: Gerade Deutschland zählt zu den Top Ten etwa der CO2-Verursacher. Pro Kopf wurden im Jahr 2019 rund 7,75 to Kohlendioxid ausgeschieden, in den USA sind es 14,44 to. In Österreich lag dieser Ausstoss bei 7,1, in der Schweiz bei 4,16 to pro Kopf und Jahr. Es zeigt auf, dass hier die Hausaufgaben seit der Unterschrift unter das Pariser Klimaschutzabkommen 2015 nicht wirklich gut erledigt wurden. Den Schwarzen Peter den anderen zuzuschieben, ist grundlegend falsch.

„Würde man die gesamte Weltbevölkerung in 50 Gruppen einteilen, von denen jede zwei Prozent der globalen Emissionen verursacht – folgt daraus dann, dass niemand etwas machen muss?“

(Stefan Rahmstorf, Dt. Klimaforscher)

Doch zurück zur Luftverschmutzung. Schon als Kind lernten wir von unseren Eltern, dass wir zum Spielen an die frische Luft gehen sollen. Nun hat eine Studie aus Südkorea aufgezeigt, dass Sport an der „frischen Luft“ ab einem gewissen Grad der Luftverschmutzung gar mehr schaden als nützlich sein kann. Bei 1,5 Mio jungen Erwachsenen wurde im Zeitraum von fünf Jahren nachgewiesen, dass hohe Feinstaubwerte beim Sport im Freien das Herz-Kreislauf-System belasten. Der Feinstaub gelangt über die Lungenbläschen in das Blut. Dadurch schädigt er alle Organe des Körpers. Im Blutkreislauf inklusive des Herzens etwa verursacht dieser Entzündungen, Arteriosklerose, Herzinfarkt und Schlaganfall, sogar im Gehirn brechen Entzündungen aus, da die kleinsten. Partikel die Blut-Hirn-Schranke ohne Probleme überwinden. 

„Die Feinstaub-Grenzwerte der EU liegen ganz nah an dem Bereich, in dem laut der Studie körperliche Aktivität im Freien bereits schädlich für das Herz-Kreislauf-System ist. Regional werden die Grenzwerte in Deutschland sogar überschritten, etwa in Hochindustriegebieten.“

(Univ.-Prof. Dr. med. Thomas Münzel, Direktor der Kardiologie I an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz )

Feinstaub wird in unterschiedlicher Partikel-Grösse zugeordnet: 

– grob 10 µg

– fein 2,5 µg

– ultrafein 0,1 µg

Entsprechend der Studie wurde die Feinstaubbelastung von unter 26,4 µg/m3 als moderat bis niedrig eingeordnet (bei feinen Partikeln), der EU-Grenzwert liegt im Jahresdurchschnitt bei 25 µg/m3, die WHO empfiehlt 10 µg/m3. Zum Vergleich: Der Grenzwert liegt in den USA bei 12 µg/m3. Über das Thema Feinstaub habe ich an dieser Stelle bereits ausführlich berichtet. 

Wissenschaftler des Max-Planck-Institutes für Chemie und der Universi-tätsmedizin Mainz berechneten in einer Studie, dass die Luftver-schmutzung die Lebenserwartung der Menschen weltweit um rund drei Jahre verkürzt. Wesentlich mehr als durch Infektionskrankheiten oder dem Rauchen als Herz-Kreislauf-Risikofaktor. Im Rahmen der Studie wurden Zahlen aus dem Jahr 2015 ausgewertet. Damals starben weltweit vorzeitig rund 8,8 Mio Menschen an den Folgen der Luftverschmutzung – in Europa sind es 800.000. Umgerechnet bedeutet dies eine durchschnittliche Reduktion der Pro-Kopf-Lebenserwartung um 2,9 Jahre (in Europa um knapp mehr als 2,0 Jahre), beim Rauchen sind es 2,2 Jahre. vor allem der bereits erwähnte Feinstaub, aber auch das Ozon setzen dabei dem Körper schwer zu. Global betrachtet ist die vorzeitige Sterblichkeit in Ost- und Südasien mit 35 bzw. 32 % am höchsten. In Europa sind es 9 %. Australien hat die höchsten Luftreinhaltungsgesetze – dort liegt die Rate bei 1,5 %. Der Grossteil der Luftverschmutzung stammt aus der Verwendung fossiler Energieträger wie Erdöl, Kohl und Erdgas. Durch einen Verzicht könnten rund zwei Drittel der jährlich Sterbefälle mit dieser Ursache vermieden werden.  

Auch die Sektion Umweltmedizin des Südtiroler Sanitätsbetriebes führte zu dieser Thematik Untersuchungen anhand der Messwerte der Luft-messstationen Bozen, Meran, Bruneck, Brixen, Sterzing und Latsch von den Jahren 2000 bis 2004 durch. Das Land ist deshalb grossflächig von der Schadstoffbelastung betroffen, da nahezu alle Gewerbegebiete, Hauptverkehrsadern und alle Städte im Tal angesiedelt sind. Hier leben nicht weniger als 172.600 Menschen. Bei Inversionslagen (vornehmlich im Winter) und Windstille findet keine Durchlüftung statt – es kommt zu Smog. Stickoxide, Feinstaub, Kohlenmonoxid, Ozon und Benzol bleiben somit über Tage hinweg im Tal. Benzol beispielsweise gilt als krebser-regend. Aufgenommen wird es durch einatmen, verschlucken und Hautkontakt. Eine akute Vergiftung zeigt sich durch Haut- und Schleim-hautreizungen, es folgen Übelkeit, Erbrechen und Rauschzustände. Die kann weiters zu Herzrhythmusstörungen, Bewusstlosigkeit und epileptischen Anfällen führen. Durch schwefelarme Treibstoffe und Heizung mittels Erdgas konnte zumindest die Schwefeloxid-Belastung gesenkt werden. 

„Lungenärzte sehen in Kliniken Todesfälle durch COPD und Lungenkrebs. Durch Feinstaub und NOx, auch bei sorgfältiger Anamnese, nie.“ 

(Prof. Dr. med. Dieter Köhler, emeritierter Präsident des Arbeitskreises bzw. Verbandes Pneumologischer Kliniken)

Prof. Köhler löste durch seine Veröffentlichungen eine breite Diskussion über die Folgen der Luftverschmutzung aus. Dabei hatten sich mehrere Rechenfehler eingeschlichen. Zudem wurde die Ursache der Erkrankungen ausser Acht gelassen – Feinstaub oder Stickoxide schienen alsdann nie als todesursächlich auf, sondern die Erkrankung als solche. Inzwischen sind die Aussagen des Herrn Professor nicht zuletzt aufgrund auch von Kohortenstudien widerlegt: 

„An Tagen mit höherer Luftverschmutzung sterben mehr Menschen als an Tagen mit niedriger Luftverschmutzung!“

(Ralf Krauter, Wissenschaftsjournalist spektrum.de)

Dem schliesst sich auch das Forum der internationalen Lungengesell-schaften (FIRS) an. Von dort ist zu vernehmen, dass Langzeitexposition zu chronischen Veränderungen wie Herzerkrankungen, Krebs und auch Demenz, Diabetes sowie zu Schädigungen bei Neugeborenen führt. Soll heissen, dass die Lebenserwartung von Menschen aus Stadtteilen mit hoher Verkehrsbelastung geringer ist als von Menschen aus anderen Stadtteilen. Am stärksten davon betroffen sind Menschen, die bereits vorerkrankt sind. Höchst interessant war in diesem Zusammenhang die Studie des Nationalen Herz- und Lungeninstitutes im Jahr 2007 in London. Asthmakranke mussten dabei durch die stark belebte Oxford-Street über einen vorher genau bestimmten Weg mit ebenso klar fixierten Pausen spazieren. Damals durfte die Oxford Street nur von Bussen und Diesel-Taxis befahren werden. Drei Wochen später wurde das Experiment im Hyde-Park wiederholt. Jeweils danach fand eine Überprüfung der Lungenfunktion statt. Den Probanden setzte die Einkaufsstrasse deutlich mehr zu.  

In Österreich erfolgte im Juli 2012 der Startschuss für „LEAD“, die erste österreichische Langzeitstudie zur Lungengesundheit. 10.000 Menschen werden noch bis 2024 am Ludwig-Boltzmann-Institut für COPD und Pneumologische Epidemiologie an der Klinik Penzing (ehemals Otto-Wagner-Spital) in Wien untersucht. Durch die regelmässige Untersuchung der Lunge sollen Veränderungen des Organs erforscht werden, um entsprechende Erkrankungen früher feststellen zu können. Die chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD) ist auch im Alpenland auf stetem Vormarsch. Etwa 10 % der Österreicher sind behandlungsbedürftig – die Patienten werden zudem immer jünger. Wird COPD vorzeitig diagnos-tiziert ist es recht gut behandelbar.

„Stickstoffdioxid ist schädlich und schadet der Gesundheit auf zahlreichen Wegen.“ 

(Barbara Hoffmann, Leiterin der Umweltepidemiologie am Uniklinikum Düsseldorf)

Stickoxide können bei chronischem Lungenleiden schon bei Konzen-trationen, die unterhalb des Grenzwertes liegen, zu Asthmaattacken mit Atemnot und Husten führen. Eine schwedische Studie wies bei Asthmatikern bereits Reaktionen während der halbstündigen Fahrt in einem hoch-frequentierten Strassentunnel nach. NOx-Emissionen tragen gemeinsam mit flüchtigen organischen Verbindungen (VOCs) und dem UV-Licht in einem grossen Ausmass zur Bildung von Feinstaub und Ozon bei. 

Nach Schätzungen der Europäischen Umweltagentur waren im Jahr 2018 20.600 Todesfälle auf Ozon zurückzuführen. Ozon besteht aus drei Sauerstoffatomen, ist alsdann sehr instabil und zerfällt in kürzester Zeit zu dimerem Sauerstoff. Bei normalem Luftdruck und Zimmertemperatur ist es gasförmig. Ozon ist ein starkes Oxidationsmittel. Auf den Körper wirkt es als Reizgas, das zu Augenreizungen (Tränenreiz), Atemwegs-beschwerden (Husten) und Kopfschmerzen führt. Die Lungenfunktion wird stark eingeschränkt, bei besonders hoher Konzentration wird das Organ auch geschädigt. Mediziner gehen davon aus, dass O3 das Erbgut schädigt und zudem krebserregend wirkt. Eine sehr interessante wissenschaftliche Erkenntnis sei hier noch angefügt: In der zu Beginn des Blogs erwähnten Studie aus Varese fiel auf, dass mit steigender Ozon-konzentration in der Luft die Zahl der CoVID-19-Erkrankungen gesunken ist. Die Wissenschaftler erklärten sich dies mit der reduzierten Umwand-lung von NO in O3 bei starkem Strassenverkehr. 

In einem am 29. Juni 2018 in der Zeitschrift „The Lancet Planetary Health“ erschienenen Artikel berechneten die Autoren Jos Lelieveld, Andy Haines und Andrea Pozzer die durch den vorzeitigen Tod aufgrund der Folge-wirkungen von Feinstaub und Ozon verloren gehenden Lebensjahre. Sie gelangten auf 122 Millionen Lebensjahre. Die Wissenschaftler bezifferten auch die im Jahr 2015 an schlechter Luft verstorbenen Kleinkinder: Rund 246.000, wovon 237.000 einer Infektion der unteren Atemwege (wie etwa einer Lungenentzündung) erlagen. Zum Vergleich: Im selben Jahr verstarben 87.000 Kleinkinder an HIV/AIDS. Alles in allem kann die Luftverschmutzung zu folgenden Erkrankungen oder Erscheinungen führen:

– Herzinfarkt

– Herzrhythmusstörungen

– Herzinsuffizienz

– höherer Blutdruck

– tiefe Venenthrombose

– Schlaganfall

– Parkinson

– Alzheimer

– Lungenkrebs

– Lungenentzündung

– geringeres Lungenwachstum bei Kindern und Jugendlichen

– Diabetes I und II

– Fehlgeburten bzw. geringeres Geburtsgewicht

– schlechtere Spermienqualität

– vorzeitige Hautalterung 

Links:

– www.who.int/europe/home?v=welcome

– unece.org

– www.eea.europa.eu/de

– www.umweltbundesamt.at

– www.epa.gov/isa

– www.bafu.admin.ch/bafu/de/home.html

– www.pneumologenverband.de

– www.uniklinik-duesseldorf.de

– www.iass-potsdam.de/de

– www.mpic.de

– www.ufz.de

– www.ogp.at

– www.swisstph.ch/de/

– www.mpg.de

– www.uu.nl/en

Lesetipps:

.) Eine Studie zur Ökobilanzierung bei der Kontrolle der Luftver-schmutzung; Saman Saffarian; Verlag Unser Wissen 2022

.) Epidemiologische Ansätze zur Klärung der Zusammenhänge von Luftverschmutzung und Gesundheit; Ursula Ackermann-Liebrich; Umwelt-medizin in Forschung und Praxis 1999

.) Chemie der Umweltbelastung;  Günter Fellenberg; Verlag B. G. Teubner 1997

.) Die Wirkungen von Luftverunreinigungen auf Waldökosysteme; Ernst-Detlef Schulze/Otto Ludwig Lange; Chemie in unserer Zeit 1990

.) Die Zukunft des Klimas. Neue Erkenntnisse, neue Herausforderungen. Ein Report der Max-Planck-Gesellschaft; Hrsg.: Jochem Marotzke/Martin Stratmann; Beck 2015

.) Air pollution and health; Hrsg.: S.T. Holgate et al; Academic Press 1999

.) Loss of life expectancy from air pollution compared to other risk factors by country; Jos Lelieveld, Andrea Pozzer, Ulrich Pöschl, Mohammed Fnais, Andy Haines, Thomas Münzel; Cardiovascular Research 2020

No Comments »

Urbane Mobilität – Mit der Seilbahn zur Arbeit

„Parkende Autos sind eine gigantische Platzverschwendung! In Zukunft können wir uns das noch weniger leisten, weil unsere Städte widerstandsfähiger werden müssen gegen die Folgen des Klima-wandels.“

(Andreas Knie, Univ.-Prof. für Soziologie an der TU Berlin) 

Seine Arbeit spaltet die Meinungen, obgleich er nicht wie sein Kollege Hermann Knoflacher (emeritierter Professor für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik an der TU Wien) oder der ehemalige PDS-Bundestags-abgeordneter Winfried Wolf den völligen Verzicht auf Autos fordert. Andreas Knie ist seit 35 Jahren wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wissen-schaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und leitet dort seit zwei Jahren die Forschungsgruppe „Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung“. Prof. Knie fordert vielmehr die Einschränkung des städtischen Individualverkehrs mit Privatautos. Anstatt dessen favorisiert er die Einführung von „Robo-Shuttles“ – selbstfahrenden Autos, die über das Handy geordert werden können. Die meisten unter Ihnen werden sie aus den unzähligen Sci-Fi-Filmen kennen! Im heutigen Blog wird es sehr technisch, aber auch sehr interessant werden.

Seit Jahrzehnten grübeln Städteentwickler, Verkehrsplaner und Soziologen über Lösungsmöglichkeiten des Individualverkehrs in den Städten. Ballungszentren, die aufgrund der Landflucht immer grösser werden, obwohl sich viele die Wohnung gar nicht mehr leisten können und ein Parkplatz vor dem Haus nahezu ebenso viel kostet, wie eine Garconniere auf dem Land! Übrigens ein ganz heisses Thema anscheinend auch für die Auto-Produzenten, denn wer hier eine derartige Lösung liefern kann, dürfte wohl eine Nasenlänge vor der Konkurrenz liegen. So gab es u.a. bereits ein gemeinsames Projekt von VW und Uber mit E-Cars. Und dann schlagen die Meldungen von Tesla ein wie eine Bombe, wonach der Autopilot Kinder offenbar nicht als Hindernis erkennt (3 von 3 Kinder wären angefahren oder überrollt worden). Das wirft nicht nur den Musk-Konzern, sondern alle Unternehmen um Meilen zurück, die am auto-nomen Fahren arbeiten. Kern ist also von diesem Konzept der Robo-Shuttles überzeugt, die des nächtens zum Aufladen in die Aussenbezirke fahren würden. 

Dennoch ist es nur eine Möglichkeit, die Städte wieder wohnbarer zu machen. Eine andere wäre sicherlich die Fahrrad-Stadt. Amsterdam gilt in diesem Bereich als die Fahrradhauptstadt Europas. In der nieder-ländischen Grossstadt leben rund 810.000 Menschen, doch gibt es geschätzte 880.000 Drahtesel. Es ist eine gesunde Möglichkeit, da Bewegung ja bekanntlich dem Körper in allen Belangen gut tut. Allerdings nur machbar mit massiven Einschränkungen des motorisierten Verkehrs oder gar komplett autofreier Zonen, da Radfahrer in so mancher Stadt als wesentlich gefährdeter als Fussgänger gelten – viele aufgrund ihrer Fahrweise auch durchaus selbstverschuldet. Stellt sich die Frage: Wie kann in einer autofreien Zone umgezogen werden und wie gestaltet sich das mit Lieferfahrten? Alles kann mit einem Lastenfahrrad nicht transportiert werden. Schon mit einem Wocheneinkauf kann es Probleme geben. Amsterdam hat zudem auch nur ganz wenige und geringe Steigungen. Stelle ich mir jedoch vor, wie es nur mit dem Fahrrad in Städten wie etwa Innsbruck ausschaut, wo teils ordentliche Steigungen zu meistern sind. 

Eine weitere Möglichkeit wäre Carsharing! Die Fixkosten wie Steuer und Versicherung, sowie Parkkarte oder Garagenstellplatz können eingespart werden. Wird ein Auto nötig, so kann man es sich buchen. Allerdings ist hier eine gute Planung vonnöten, schliesslich greifen mehrere auf ein und dasselbe Auto zu. Das kann gerade bei Stosszeiten zu Wartezeiten führen. Besser, man verschiebt dann seine Erledigungen und Termine auf die Randzeiten. Im Vergleich zu den Robo-Shuttles müssen dies nicht auto-nom fahrende Autos sein. Die Gefahr bei dieser Lösung: Bei einem Unfall stehen plötzlich mehrere Carsharing-Nutzer ohne Auto da. 

Nurmehr öffentliche Verkehrsmittel. Ich war acht Monate lang in Wien. Viele Strecken legte ich zu Fuss zurück – ansonsten war ich mit der U-Bahn wesentlich rascher am Ziel als mit dem Auto. Allerdings wirft auch diese Lösung eine Frage auf: Was mache ich in der Früh und am Abend, wenn die halbe Stadt auf dem Weg zur oder von der Arbeit ist. Die Bilder der überfüllten U-Bahnen in Tokio sind nicht wirklich eine Werbung hierfür. Um das zu vermeiden, könnte man ja früher bzw. später unter-wegs sein. Jedoch meldet sich alsdann der Chef als Erster, da sich viele Überstunden ansammeln oder die Kernzeiten nicht eingehalten werden; schliesslich wird dies auch die Familie nicht wirklich gutheissen, wenn man nach der Arbeit noch auf ein Feierabend-Bierchen geht, obwohl zuhause das Abendessen wartet. 

Und da gibt es dann noch die Idee mit der Stadtseilbahn (Favorit des Schreiberlings). Die erste urbane Seilbahn wurde 1862 in Lyon errichtet. Mit ihren Drei-Wagen-Zügen konnten bis zu 324 Personen zwischen den hügeligen Stadtteilen befördert werden. In den letzten Jahren entwickelte sich die Stadtseilbahn zum interessantesten Projekt der Städte- und Verkehrsplaner. Verantwortlich dafür ist sicherlich auch der Erfolg der Bahn in Koblenz. Sie wurde anlässlich der Bundesgartenschau errichtet und verbindet die Altstadt mit der Festung Ehrenbreitstein. Ein Hotspot nicht nur für Touristen, sondern inzwischen auch für viele Einheimische, die die Bahn täglich nutzen. Bis vorläufig erstmal 2026, dann endet die Betriebsgenehmigung. 35 Personen passen in eine Kabine – pro Stunde und Richtung können bis zu 6.000 Personen befördert werden. 

Auch in London, Bozen, Madrid, Barcelona, Lissabon etc. findet man Stadtseilbahnen. In Ankara wurde 2014 zwischen der U-Bahnstation Yeni Mahalle und dem Stadtteil Sentepe die längste Stadtseilbahn Eurasiens in Betrieb genommen. Für die 3.228 m lange Strecke benötigt man 10 Minuten – die Verbindungsstrasse hingegen ist ständig verstopft – mit dem Auto wären es 60 Minuten. Stündlich können bis zu 2.400 Personen befördert werden. Die Kabinen verfügen über eine Sitzheizung, ein Multi-Informationssystem und erreichen eine Fahrhöhe von bis zu 60 m. 

Der Kontinent mit den meisten Stadtseilbahnen jedoch ist Südamerika. Die erste Bahn fuhr ab 2004 in Medellin/Kolumbien. Sie verbindet die Armenviertel mit der Innenstadt. Fünf Jahre später folgte Manizales (ebenfalls Kolumbien), 2010 Caracas (Venezuela), Rio de Janeiro 2011, Mexiko-Stadt 2016 und Bogotá 2018. Das beste Seilbahnen-Netz versieht in der bolivianischen Hauptstadt La Paz seinen Dienst. 2014 wurde der erste Abschnitt eröffnet – inzwischen ist auch der letzte in Betrieb: 33 Kilometer lang, verbindet das Seilbahnnetz vornehmlich die Hauptstadt La Paz mit der zweitgrössten Stadt des Landes El Alto (4.000 m Seehöhe). Die Bahn wird hauptsächlich von Pendlern benutzt, täglich sind es alsdann rund 125.000 Personen. 

Für Deutschland und Österreich liegen inzwischen auch bereits konkrete Pläne vor – nicht nur für den Wintertourismus. Auch in den Städten gibt es bereits baufertige Konzepte. 

.) Salzburg beabsichtigte den Bau einer U-Bahn zwischen dem Haupt-bahnhof und dem Mirabellplatz. Kosten anno 2018: 150 Mio € mit viel Luft nach oben, da es aufgrund des Setons zu Bauproblemen kommen könnte. Also schlug der Stadtverein eine Seilbahn-Lösung vor, damit all die Touristen-Busse nicht mehr in die Stadt fahren müssen. Geplant in einem ersten Schritt ist eine Linie vom Messegelände im Norden zum Rot-Kreuz-Parkplatz, der zweite vom Park & Ride Platz an der Alpenstrasse Süd bis zum Nonntal. In der Früh und am Abend würde damit den Pendlern, tagsüber den Touristen geholfen. Die Baukosten von 160 Mio für beide Bahnen und Betriebskosten von rund 6 Mio (ebenfalls für beiden Bahnen) würden sich innerhalb weniger Jahre amortisieren. 

.) Linz arbeitet ebenfalls an einem Projekt von Pichling zum Pleschinger See. Gesamtlänge: 10 km. Der Knackpunkt: Die Kosten in der Höhe von 283 Mio €. Bürgermeister Klaus Luger sprach sich zuletzt im März erneut für dieses Projekt aus, schliesslich pendeln tagtäglich rund 100.000 Menschen in die oberösterreichische Hauptstadt. Pro Stunde und Fahrt-richtung könnten 5.500 Fahrgäste transportiert werden. In drei Bau-phasen soll es umgesetzt werden: 1. Bauphase über 3,5 km von Ebelsberg in das Linzer Industriegebiet. 2. Bauphase über 4,9 km bis zum Handelshafen und Bauphase 3 über die Donau bis nach Plesching. Errechnete Fahrzeit: 29 Minuten. Die Betriebskosten würden jährlich rund sieben Mio € ausmachen. 

.) Graz – Nach einer Studie der Technischen Universität Graz könnte die Einwohnerzahl bis 2035 auf 500.000 ansteigen, derzeit pendeln täglich rund 180.000 Personen im Grossraum Graz. Die Seilbahn soll über 12 km entlang der Mur führen und dabei auch die Park & Ride-Parkplätze im Norden und Süden der Stadt einbinden. Die Baukosten belaufen sich auf rund 200 Mio €, auch Güter könnten mit der Bahn transportiert werden.

.) Wien könnte um eine Attraktion reicher werden mit der Stadtseilbahn vom Bahnhof Hütteldorf zum Bahnhof Ottakring. Die Partei der NEOs brachte diese Möglichkeit bereits 2017 in die Diskussion ein – anstatt des geplanten Lobautunnels. Zuletzt wurde eine Machbarkeitsstudie durch-geführt – das Ergebnis sollte gegen Jahresende präsentiert werden.

In Deutschland hat das Bundesministerium für Digitales und Verkehr bereits 2019 eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich mit der urbanen Mobilität mit Stadtseilbahnen befasst. Workshops fanden bislang in Bonn, Frankfurt am Main, München, Stuttgart, Leipzig und Kiel statt. Erstellt wurde ein Leitfaden, der bei der Cable Car World (Fachmesse für Stadt-seilbahnen) in Essen vorgestellt wurde. 2021 wurde Förderbedarf für nicht weniger als 266 Vorhaben angemeldet (2020 waren es noch 127) – darunter jedoch nur ein Seilbahnprojekt. Derzeit gebaut wird an der Seil-bahn für die Bundesgartenschau in Mannheim 2023. Sie verbindet das Spinelli-Gelände mit dem Luisenpark, führt über 2 Kilometer und soll ab April bis zu 2.800 Gäste pro Stunde befördern. Es handelt sich hierbei um eine Leihgabe, die nach der BUGA 23 wieder abgebaut werden soll. Die erste Stütze steht bereits seit Ende Juli, der Bau sollte bis Jahresende fertig sein. Kosten: 8 Mio €. Der Breakeven liegt bei 150 bis 200 zahlenden Fahrgästen die Stunde – das sollte erreichbar sein!

In Frankreich hingegen boomt der Stadtseilbahnbau: Brest, Grenoble, Toulouse, Paris,… 

Es gibt viele Vorteile einer Stadtseilbahn: 

– läuft immer – es gibt also keine Staus

– nahezu geräuschlos

– umweltfreundlich

– hohe Kapazität

– hoher Unterhaltungswert

– geländeunabhängig

– flächengünstig

Nachteile: Ab einer Windgeschwindigkeit von 100 km/h muss der Betrieb der meisten Bahnen eingestellt werden. Ebenso bei Gewitter, da ein Blitzschlag ein relativ hohes Risiko darstellt.

Seilbahnen können die sog. „Rückgrat-Systeme“ wie U-Bahn, Bahn, Strassenbahn nicht zur Gänze ersetzen. Sie können sie jedoch sehr attraktiv miteinander verbinden. Stellt sich alsdann die Frage, weshalb solche Bahnen nach wie vor nur in einigen ausgesuchten Städte im Einsatz sind, da eine Linienführung etwa entlang eines Flusses oder Hauptstrasse auch keinerlei Auswirkungen auf die Privatsphäre der Eigentümer darunterliegender Grundstücke hätte.

Ach ja – und da gibt es übrigens auch noch weitere Konzepte, die ich der Vollständigkeit halber erwähnen möchte: 

.) City-Cable-Car (Doppelmayr)

.) Conn-X (Leitner)

.) Ropetaxi (Bartholet)

https://www.bartholet.swiss/de/ropetaxi

.) UpBUS (RWTH Aachen)

Filmtipp:

.) ARTE – Xenius „Stadtseilbahn“

.) SWR – „Ohne Auto mobil – Wie kann das gehen?“

.) Web Fleet Mobility Conference 2022 – „Urbane Mobilität und Smart Cities in den nächsten zehn Jahren“

.) Free Now – „Urbane Mobilität: Ein Blick hinter die Kulissen“

Lesetipps:

.) Urbane Mobilität – Politische Perspektiven und rechtlicher Rahmen; Hrsg.: Martin Kment/Matthias Rossi; Mohr Siebeck 2021

.) Urbane Mobilität als Schlüssel für eine neue Gesellschaft; Torsten Ambs/Kathrin Pipahl; Springer Gabler 2020

.) Zukunft Urbane Mobilität: Eine ganzheitliche Betrachtung; Hrsg.: Bernhard Müller; Urban Future Edition 2020

.) Urbane Mobilität im Umbruch; Uta Schneider; Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2017

.) Bewegende Zeiten: Mobilität der Zukunft; Julian Weber; Springer 2020

Links:

– ec.europa.eu/info/es-regionu-ir-miestu-pletra/temos/miestai-ir-miestu-pletra/prioritetines-temos/judumas-mieste_de

– www.plattform-urbane-mobilitaet.de/de/

– verkehrsforschung.dlr.de

– www.bmvi.de

– www.bmk.gv.at/kontakt.html

– www.th-nuernberg.de

– www.kit.edu

– mobilitaetderzukunft.at/de/

– www.vcoe.at

– www.vda.de

– www.profilregion-ka.de/

– www.doppelmayr.com/de/

– www.leitner.com

No Comments »

Wenn sich Medienmanager selbst bedienen

Hinweis: Für alle Fersonen – v.a. jenen, die namentlich in diesem Beitrag angeführt sind – gilt bis zum Abschluss der Untersuchungen bzw. einer rechtskräftigen Verurteilung, die Unschuldsvermutung!

Es brodelt ausserordentlich in den Führungsetagen der öffentlich-recht-lichen Rundfunk- und Fernsehstationen Deutschlands. Die Causa Patricia Schlesinger liegt ihren Kollegen schwer im Magen, müssen sie doch nun auch selbst mit erheblichem Gegenwind rechnen. Wären der RBB bzw. die ARD normale Unternehmen, so wäre die Sache wohl morgen wieder vergessen. Doch sind die Öffentlich-Rechtlichen eine Körperschaft, die sich zu einem erheblichen Teil durch Zwangsgebühren finanzieren. Und das wiederum stösst den Konsumenten sauer auf, da sie derzeit jeden Cent doppelt umdrehen müssen. 

Rückblende:

Patricia Schlesinger wurde am 14. Juli 1961 in Hannover geboren. Nach dem Abitur studierte sie in Hamburg Wirtschaftsgeographie, Politische Wissenschaft sowie Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Daneben jobbte sie als freie Mitarbeiterin ab 1983 beim NDR und dem Hamburger Abend-blatt. Nach dem Studienabschluss begann sie 1988 ein Volontariat beim NDR. Ab 1990 moderierte sie das ARD-Magazin Panorama, wo sie sich einen ausgezeichnete Ruf als investigative Journalistin erarbeitete. Es folgte von 1995 bis 1997 die Leitung des ARD-Auslandsstudios in Singapur. Nach einem kurzen Intermezzo bei den ARD-Magazinen Panorama, extra3, Brennpunkt und der Leitung der Auslandsredaktion Fernsehen übernahm sie die Korrespondentenstelle im ARD-Studio Washington. 2004 kehrte sie gemeinsam mit ihrem Mann Gerhard Spörl (bis 2010 Auslands-Redakteur und Ressortleiter Ausland bei „Der Spiegel“) nach Hamburg zurück. Beim NDR übernahm sie die Abteilung Dokumentation und Reportage des Programmbereichs Kultur. 2016 wurde sie nach nicht weniger als sechs (!!!) Wahlgängen zur Intendantin des Radios Berlin-Brandenburg (RBB) gewählt. Daneben bekleidete sie den Posten der Aufsichtsratsvorsitzenden der ARD-Produktionsfirma Degeto-Film und vom 01. Januar 2022 weg turnusmässig auch den ARD-Vorsitz. Am 04. August legte sie diesen zurück und schied auch als RBB-Intendantin aus – nach vertraglich vereinbarter Ankündigungspflicht zum 28. Februar 2023 – vorzeitig nur gegen Zahlung einer Abfindung. Auch die Pensionsansprüche in der Höhe von rund 15.000,- € pro Monat sollen bestehen bleiben. 

„Persönliche Anwürfe und Diffamierungen haben ein Ausmaß angenommen, das es mir auch persönlich unmöglich macht, das Amt weiter auszuüben.“

(Patricia Schlesinger)

Was aber ist in diesen Tagen geschehen? Für grossen Unmut sorgte die durch den Verwaltungsrat des RBB genehmigte Gehaltserhöhung auf 303.000 € (+16 %) plus Bonus von mehr als 20.000,- € plus einem zu versteuernden geldwerten Vorteil für die Privatnutzung des Dienstfahr-zeuges (Angaben: Business Insider). Daneben tauchten Gerüchte über Vetternwirtschaft auf – auch die Geschäftsbeziehungen ihres Ehemanns zum Vorsitzenden des Verwaltungsrates, Wolf-Dieter Wolf, führten zu weiteren Spekulationen. Mitte Juli wurde durch die RBB-Revision eine externe Prüfung in Auftrag gegeben. Zugleich kündigten die Landes-rechnungshöfe von Berlin und Brandenburg eine gemeinsame Prüfung an. Die derart letzte wurde im Jahr 2018 durchgeführt. Bereits damals kritisierte der Landesrechnungshof Berlin neben anderem auch „übermässige Gehaltserhöhungen und Sonderzahlungen“. Inzwischen führte zudem der Landtag Brandenburg eine Sondersitzung hierzu durch, beantragt durch den Hauptausschuss. Nicht zur Sitzung erschienen ist Patricia Schlesinger. Ab diesem Zeitpunkt überschlugen sich die Meldungen zu Unregelmässigkeiten. Federführend daran beteiligt die Tageszeitung „Der Tagesspiegel“ ( Verleger: Dieter von Holtzbrinck) und die Wirtschafts- und Nachrichten-Plattform „Business Insider“ (Axel Springer SE). Dort war zu lesen von teuren Umbaumassnahmen, hochdotierten Beraterverträgen, einem luxuriösen Dienstwagen, Abrechnungen von Dienstessen in der Privatwohnung etc. – dies alles wird inzwischen von Fachleuten geprüft. Über ihren privaten Mail-Account bei AOL soll Schlesinger entgegen der Dienstanweisung „Informations-management“ alsdannn interne Nachrichten verschickt und vertrauliche Papiere des Senders empfangen haben.  

Zu den Anschuldigungen im Einzelnen:

.) CNC – Das Crossmediale News-Center

Um den Anforderungen der Gegenwart und Zukunft entsprechen zu können, wurde durch den RBB ein eigenes Newscenter in Berlin errichtet. Ziel ist es, jene Schichten zu erreichen, die sich nahezu ausschliesslich im Internet über die Geschehnisse kundig machen. Das Zentrum des CNC ist ein 400 qm grosser Newsraum, der keinerlei Wünsche offen lässt. Insgesamt wurden 2.400 qm des sechsten und siebten Stockwerks des Landesfunkhauses komplett umgestaltet. Die Kosten für all dies sind inzwischen auf 150 Mio Euro explodiert. Hier wird nun dem Verwaltungs-ratsvorsitzenden Wolf vorgeworfen, dass einige seiner Geschäftspartner in diesem Zusammenhang und auch bei anderen Immobilienprojekten zu durchaus hochdotierten Beraterverträgen und Aufträgen kamen – dabei geht es offenbar um sechsstellige Honorare. 

„Das CNC ist unsere neue Werkstatt, in der wir journalistische Exzellenz und plattformgerechte Aufbereitung verbinden können. Davon profitieren alle aktuellen Programme.“

(Patricia Schlesinger)

Die Sinnhaftigkeit dieser crossmedialen Einrichtung, die nicht nur die bisherigen, sondern auch die digitalen „Ausspielwege“ bedienen kann, steht dabei nicht zur Diskussion. Es sind vielmehr die Verträge und die Kosten, die nun genau überprüft werden.

.) Miet-Dienstwagen

Der Intendantin stand ein Audi A8 mit zwei Chauffeuren zur Verfügung. Das Fahrzeug soll mehrere Sonderausstattungen wie etwa Massagesitze aufweisen, die es auf einen Listenpreis von 145.000,- € bringen. Anschuldigungen stehen nun im Raum, wonach auch der Ehegatte, Familienmitglieder und gar Freunde dieses Fahrzeug inklusive der Chauffeure für private Zwecke verwendet haben sollen. Zum Vergleich: Die Leasingkosten für das Dienstauto, das der Intendant der Deutschen Welle selbst fährt, belaufen sich auf 336,- € monatlich, der SR, das Deutschlandradio und der SWR haben kleinere BMW- bzw. Toyota-Modelle für die Direktoren, Radio Bremen verzichtet gänzlich auf einen Dienstwagen. Der Intendant des HR hat das bisherige Dienstauto, einen BMW 745e, gegen ein kleineres Elektroauto eingetauscht. ZDF-Chef Himmler hat sein Dienstauto, einen BMW 740Ld xDrive, von seinem Vorgänger übernommen – mit ihm werden auch andere Mitglieder der Geschäftsführung gefahren. Privatfahrten gibt es nur auf Fahrtenbuch – monatliche Leasing-Kosten: 508,16 € plus MwSt.

.) Bewirtungsabrechnungen

Schlesinger rechnete einige Abendessen ab, die sie angeblich aus dienstlichen Gründen in ihrer Privatwohnung in Berlin abgehalten haben soll. Abgerechnet wurden mehrfach Abendessen mit 3 bis 11 Personen zu einem Kostenbeitrag von 69,20 € pro Person. Hier besteht der Vorwurf, dass diese teils erheblich frisiert wurden bzw. für private Festivitäten missbraucht wurden. 

Schlesinger selbst versprach noch in Amt und Würden eine lückenlose Aufklärung. Doch war die Reue offenbar nicht so gross, als sie der Sondersitzung im brandenburgischen Parlament hätte selbst beiwohnen wollen. Immer mehr Details kamen schliesslich ans Tageslicht, die sie zu ihrem Rücktritt bewogen. So wurde offenbar auch die Chefetage des RBB im 13. Stock umgebaut und neu möbliert. Rechnungssumme: 650.000 €! Alleine der hochwertige Öko-Parkettboden soll 17.000 € verschlungen haben, die Designer-Möbel den Klacks von 60.000 €. 

Nach Angaben der Tageszeitung „Die Welt“ (Axel Springer SE) bezeichnet der RBB-Personalrat und die Redaktion die Arbeitsatmosphäre als „Klima der Angst“. 

Auch die Kollegen des ZDF recherchierten inzwischen über diesen Fall für das TV-Investigativ-Magazin „Frontal 21“ – in der Vergangenheit nach ungeschriebenem Gesetz durchaus unüblich.

Selbstverständlich gilt für alle hier namentlich Erwähnten bis zum Ende der Untersuchungen die Unschuldsvermutung. Der Verwaltungsrats-vorsitzende Wolf hat zwischenzeitlich ebenfalls seinen Rücktritt erklärt. Er soll Spörl nach Angaben von Business Insider übrigens zudem einen mit 72.000 € dotierten Vertrag für Mediencoaching des Chefs der Messe Berlin zugeschanzt haben. Die Leiterin der Intendanz, Verena F.-M. wurde mit sofortiger Wirkung freigestellt.

„Jetzt ist es notwendig, dass der RBB unverzüglich mit absoluter Transparenz die Sachverhalte aufklärt!“

(Daniel Keller, Vorsitzender des Hauptausschusses im Brandenburger Landtag)

Die Berliner Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen eingestellt, der hierfür erforderliche Anfangsverdacht wurde verneint. Inzwischen jedoch antwortete die Berliner Generalstaatsanwaltschaft auf Anfrage am vergangenen Donnerstag, dass sie Ermittlungen wegen des Anfangsver-dachtes der Untreue und Vorteilsnahme aufgenommen hat. Die Prüfungen durch eine externe Kanzlei werden bis Oktober andauern. Sollten diese Anschuldigungen jedoch der Wahrheit entsprechen, wird dies wohl weitreichende Folgen für den gesamten öffentlich-rechtlichen Bereich haben. So wurde erst vor einigen Jahren die GEZ zur zwangshaften Haus-haltsabgabe umgewandelt, die zu erheblichen Mehreinnahmen führte. Dennoch kommen viele der Landesfunkhäuser nicht mit dem Geld zurecht – jetzt erschein es klar, weshalb. Erst am 20. Juni 2021 beschloss der Bundesverfassungsgerichtshof die Beitragsanpassung von bislang 17,50 € pro Haushalt auf 18,36 €. Ausschlaggebend war eine Verfassungs-beschwerde von ARD, ZDF und Deutschlandradio gegen die Landes-regierung von Sachsen-Anhalt, die eine Landtagsabstimmung zum 1. Medienänderungsstaatsvertrag und damit einer Anpassung der Rund-funkgebühren abgesagt hatte. Am 01. August wurde der Beitrag erhöht – im Jahr 2021 flossen 8,42 Milliarden Euro Gebühren in die Kassen der Öffentlich-Rechtlichen. Doch – immer mehr sprechen sich inzwischen gegen die Zwangsgebühren aus.

Auch in den Nachbarstaaten durchaus umstritten. In Frankreich entschied sich nach der Nationalversammlung auch der Senat gegen die Rundfunk-gebühren (138,- € pro Jahr und Haushalt) – der öffentlich-rechtliche Bereich wird künftig aus dem Staatshaushalt finanziert. 

In der Schweiz sprachen sich zwar 71,6 % in einer Volksabstimmung am 04. März 2018 gegen die Abschaffung der Rundfunk- und Fernsehge-bühren (BILLAG) aus, dort kommen die Gebühren jedoch auch regionalen Fernsehstationen, Lokalradios und nicht-gewinnorientierten Radioan-stalten zugute. 

In Österreich findet im September erneut ein Volksbegehren für die Abschaffung der GIS statt. Das letzte im Jahr 2018 erzielte 320.000 Unterschriften, wurde jedoch ausgerechnet unter einer Regierung abgewiesen, der die FPÖ angehörte, die selbst schon mehrfach gegen die GIS-Zwangsabgaben eintrat. Inzwischen wurden die Rundfunkgebühren erhöht. Nach der Entscheidung der Bundesverfassungsrichter soll auch dieses System reformiert werden – entweder nach dem Vorbild der deutschen Haushaltsabgabe oder jenem der Finanzierung aus dem Staatshaushalt, wie in Frankreich.

In Dänemark machte die „medielicens“ 1.353,- Kronen (rund 182,- €) jährlich pro Haushalt aus. Sie wurde stufenweise bis zum 31.12.2021 abgeschafft und wird nun durch eine Reduktion des steuerlichen Personenfreibetrages finanziert.  

Abschliessend nun noch eine kleine Auflistung der Gehälter der Inten-danten. Ob solche Zuwendungen angesichts der derzeitigen wirtschaft-lichen Entwicklungen in Deutschland und Österreich moralisch noch vertretbar sind, überlasse ich Ihren Überlegungen.

Deutschland (2022 – Angaben Tarifstruktur ZDF/interner Gehaltsreport ARD, veröffentlicht durch „Die Welt“)

.) WDR – Tom Buhrow 413.000,- € (2017 – 399.000,-)

.) ZDF – Norbert Himmler 372.000,- € (Vorgänger Thomas Bellut 2019 – 369.000,-)

.) SWR – Kai Gniffke 361.000,- € (Vorgänger Peter Boudgoust – 338.000,-)

.) NDR – Joachim Knuth 346.000,- € (Vorgänger Lutz Marmor 365.000,-)

.) BR – Katja Wildermuth 340.000,- € (Vorgänger Ulrich Wilhelm – 403.000,-)

.) RBB – Patricia Schlesinger 303.000,- € + Bonus (2017 – 257.000,-)

.) MDR – Karola Wille 295.000,- € (2017 – 275.000,-)

.) Radio Bremen – Yvette Gerner 281.000,- € (Voränger Jan Metzger – 257.000,-)

.) HR – Florian Hager 255.000,- € (Vorgänger Manfred Krupp 305.000,- )

.) SR – Martin Grasmück 245.000,- € (Vorgänger Thomas Kleist – 257.000,-)

Diese Gehälter werden von den Aufsichtsgremien der Rundfunkanstalten beschlossen.

Österreich (Angaben Gehaltsbericht bzw. „Der Standard“)

Hier recherchierte ich bereits mehrfach sehr intensiv nach dem Gehalt des Generalintendanten – jedoch leider erfolglos. Und dies, obgleich die Gehälter transparent sein müssten. Nach Angaben des „Der Standard“ könnten es 420.000,- € für Alexander Wrabetz im Jahr 2020 gewesen ein (inkl. Sach- und Sozialleistungen). Die weiteren Geschäftsführer nach dem Gehaltsbericht des Bundes:

.) ORF Direktoren im Schnitt 248.000,- € 

4 Frauen zu je im Schnitt 255.800,- / 10 Männer zu je im Schnitt 244.900,- €

.) 2 GIS-Direktoren zu jeweils im Schnitt 223.700,- €

.) ORF-Vermarktungstochter Enterprise (Werbung)

1 Geschäftsführer zu 332.200,- € / 1 Geschäftsführerin zu  212.300,- 

Schweiz (2020 – Angaben: Geschäftsbericht)

.) SRG-Direktor Gilles Marchand 533.000,- CHF (inkl. Bonus von 101.000,- CHF)

.) SRF-Direktorin Nathalie Wappler 450.000,- CHF

.) 7 weitere Mitglieder der Geschäftsleitung jeweils 390.000 CHF (inkl. Bonus über je 73.400,- CHF)

Links:

.) www.rbb-online.de

.) www.daserste.de

.) www.zdf.de

.) www.orf.at

.) www.srgssr.ch

.) www.businessinsider.de

.) www.tagesspiegel.de

.) www.welt.de

.) www.derstandard.at

.) www.landtag.brandenburg.de

No Comments »

Das leise Sterben des Buchs

Es ist jedes Wochenende dasselbe: Nach einem Samstag im Garten bin ich am Sonntag wie gerädert – Kopfschmerzen, tränende Augen, rinnende Nase, starker Husten und heftiges Niessen. Lange Zeit wusste ich nicht, weshalb ich derartige Symptome aufwies, muss aber erwähnen, dass ich seit einigen Jahren unter Pollenallergie, also Heuschnupfen leide. Doch sind diese allergischen Reaktionen meist nicht derart stark ausgeprägt.

Vor kurzem nun ging ich der Sache auf den Grund: Buchsbäume, mit diesen auch der Buchsbaumzünsler und dessen Härchen! Der Buchsbaum ist eine der beliebtesten Pflanzen der heimischen Gärten. Er galt als pflegeleicht und robust sowie einfach zu schneiden. Ich selbst habe Koniferen rund um mein Grundstück gesetzt – viele meiner Nachbarn aber erfreuen sich solcher Buchsbäume! Der Buchsbaumzünsler (Cydalima perspectalis) ist ein Schädling, der dem Menschen gleich zweifach schaden kann. Einerseits durch das Vernichten der mit viel Liebe und Ausdauer aufgezogenen Buchsbäume, andererseits durch die Netze und Haare der Raupen. Doch – eines nach dem anderen!

Der Falter legt seine bis zu 150 Eier zumeist an der unteren Blätterseite des Gewöhnlichen (Buxus sempervirens) und des Kleinblättrigen Buchs-baumes (Buxus microhylla) ab. Die daraus schlüpfenden Raupen fressen zuerst die Blätter, dann auch die Rinde des Astes. Jener Teil oberhalb der Frassstelle stirbt ab. Der Baum wird mit der Zeit beige-gelblich, trägt kaum noch Blätter und ist meist komplett von den Raupen eingesponnen. Die Raupen selbst sind gelblich- bis dunkelgrün und schwarz gepunktet, besitzen weisse Borsten und eine schwarze Kopfkapsel. Sie können bis zu 5 cm lang werden. Ursprünglich stammt das Insekt aus Ostasien – höchstwahrscheinlich wurde es über ein Containerschiff nach Deutschland eingeschleppt (die ersten Befallsherde waren 2004 rund um Rhein-Binnenhäfen zu bemerken) und verbreitet sich seither rasend schnell auf dem europäischen Kontinent – seit 2007 auch in der Schweiz und 2009 in Österreich. Experten gehen davon aus, dass alle zwei Monate eine neue Generation entsteht – so können pro Jahr vier Generationen heran-wachsen.

Der Zünsler selbst ist ein weisser Falter mit schwarzem Muster. Seine Flügelspannweite beträgt zwischen 40 bis 45 mm. Die meiste Zeit seines nur 8-tägigen Lebens verbringt er unter den Blättern, nicht unbedingt ausschliesslich des Buchsbaumes. Die Weibchen legen ihre Eier nur in noch nicht befallene Bäume. Die letzte Generation im Jahr überwintert in Kokons aus verklebten und verformten Blättern eingesponnen im Geäst des Buchsbaumes. Steigt das Thermometer dann wieder konstant auf über 7 Grad Celsius beginnen die Larvenstadien. Innerhalb von zehn Wochen werden so bis zu sieben Larvenstadien durchlaufen. Bei Temperaturen von 20 Grad und mehr kann dies auf nur drei Wochen reduziert werden. Anschliessend verpuppen sich die Vielfrasse in Kokons und schlüpfen nach einer Woche als Falter. 

Zu Beginn eines Befalles sind die Schäden meist gering und nur bei genauer Betrachtung zu sehen. Er beginnt an den inneren Ästen des Baumes. Erst wenn die Raupen den Aussenbereich der Pflanze erreichen, wird der Befall erkennbar. Dann aber ist der Schaden bereits enorm. Die Pflanze muss nicht zwangsläufig durch den Befall absterben, allerdings sollten auf jeden Fall mehrere dieser Befälle verhindert werden. Befallene Einzelpflanzen sollten am besten entfernt und verbrannt werden.

Das Paradies für derartige Zünsler war auch der grösste Buchs-Wald im Wildwuchs nördlich der Alpen bei Grenzach-Wyhlen in den Jahren 2017 und 2018: 150 Hektar sind „so gut wie tot“ – 100 Hektar davon stehen seit 1939 unter Naturschutz! Zudem wütete auch seit geraumer Zeit ein Pilz (siehe weiter unten), dass es so manchem Förster die Tränen in die Augen treibt! Die grössten Teile der Buchswaldes wurden entlaubt, zudem wurde den einzigen natürlichen Feinden der Raupen, den Haussperlingen und Buntspechten mehr Lebensraum eingeräumt. Weitere Buchswälder finden sich zwischen Karden und Müden an der Mosel sowie im Kehr-bachtal bei Löf, in den Wäldern des Jurasüdhangs in der Schweiz (namensgebend für Buix), der Provence, der Macchia Istriens, Südengland (South Downs) oder im Riesengebirge.

Das sog. „Gespinst“, also die Spinnweben, sind viel dichter als jene der Spinnen verwebt. Dieses und v.a. die feinen Härchen der Raupen sind der wahre Horror für manchen Allergiker, da das Immunsystem auf 100 % hochfährt! 

Aufgrund seiner rasend schnellen Ausbreitung und der fehlenden Lang-zeituntersuchungen ist es sehr schwer, etwas gegen die vielfressenden Raupen zu unternehmen. Es beginnt bereits beim Kauf der Pflanze. Vermeiden Sie den Ankauf von Billigpflanzen aus dem Baumarkt. Sie sind meist aus Fernost importiert und somit die Überträger des Schädlings. Jede einzelne sollte auf einen möglichen Befall hin untersucht werden. Ist es dann trotzdem geschehen, so sollen die unterschiedlichsten Mittelchen helfen. 

.) Bacillus thuringiensis

Dieses Bakterium spielt eine wichtige Rolle in der biologischen Schädlingsbekämpfung, aber auch dem Kampf gegen Stechmücken. 1901 erstmals durch den Japaner Ishiwatari Shigetane beschrieben (er fand das Bakterium in Seidenraupen), lebt es vornehmlich an den Wurzeln der Pflanzen. Es produziert über 200 der sog. „Bt-Toxine“, kristalline Proteine („Cry-Proteine“), die auf Käfer, Schmetterlinge, Haut- und Zweitflügler sowie Nematoden tödlich wirken, bei Wirbeltieren wie Mensch und Tier jedoch wirkungslos und komplett biologisch abbaubar sind. Die kristallinen Endotoxine zerstören die Darmwand und setzen Stoffwechsel-gifte frei. Die Larve verendet nach wenigen Tagen. Für Bienen unschädlich – wird sogar von Imkern gegen die Wachsmotte eingesetzt!

.) Buchsbaum-Zünsler-Falle

Sie funktioniert in etwa wie die Mottenfalle: Durch Pheromone (Duftstoffe) werden die Männchen angelockt und bleiben auf dem Leim am Boden der Falle kleben. Einerseits kann so festgestellt werden, ob der Zünsler auch in Ihrem Garten aktiv ist, andererseits bleiben dadurch viele der Weibchen unbefruchtet! Hilft allerdings nicht gegen einen grossflächigen Befall. Dient vornehmlich dem Monitoring!

.) Azadirachtin

Diese 1968 erstmals gewonnene chemische Verbindung findet sich im sog. „Neem-Baum“, der ursprünglich aus Indien und Pakistan stammt, inzwischen aber in allen tropischen und subtropischen Regionen wächst. Synthetisch wurde es erstmals 2007 hergestellt. Es gehört zu den Limonoiden – hemmt also die Larvenentwicklung sehr vieler Insekten (Ecdyson-artige Wirkung). Für Säugetiere soll es relativ ungefährlich sein. Die Halbwertszeit liegt bei 13 bis 94 Stunden – je nach UV-Einwirkung. Beobachtet wurden nur In Flugkäfigen bei Kleinstvölkern der Honigbiene (etwa zur Königinnenzucht) Auswirkungen bei der Brut. 

.) Pyrethrine

Der Extrakt „Pyrethrum“ wird aus verschiedenen Chrysanthemen-Sorten isoliert und in den Bereichen Pflanzenschutz, Schädlingsbekämpfung, aber auch der Medizin angewendet. Eingesetzt erstmals durch die US-Marine im Jahr 1917 im Kampf gegen Fliegen und Stechmücken, erfolgt heutzutage die Herstellung grossteils auf synthetischer Basis. Während das natürliche nur über wenige Tage Wirkung zeigt, behält das synthetische diese über ca. sechs Wochen. Als Kontaktgift finden Pyrethrine Verwendung gegen Blatt-, Woll- und Schmierläuse, der Weissen Fliege, Spinnmilben, Zikaden und Käfer-Larven. Die Wirkung tritt innerhalb weniger Minuten ein („Knock-Down-Effekt“). Inzwischen gelingt es aber vielen Schädlingen, die Wirkstoffe abzubauen. Deshalb wird er häufig auch mit dem Synergisten Piperonylbutoxid vermischt. Allerdings kann der Wirkstoff auch auf Wirbeltiere einwirken. So beläuft sich etwa die letale Dosis bei Nagern auf 130 bis über 600 mg/kg. Der Wirkstoff ist für Bienen giftig, weshalb von dessen Gebrauch abgeraten wird. 

.) Thiacloprid

Dieses Insektizid gehört zur Klasse der Neonikotinoiden und wird vornehmlich gegen Blattläuse, Mottenschildläusen, Blattflöhen, Apfel-wicklern und Rüsselkäfer eingesetzt. Es kann allerdings auch für Warm-blütler wie dem Menschen gefährlich werden (Atemprobleme), allerdings muss die Dosis sehr hoch sein. Das Gift wirkt als Kontakt- und Frassgift. Es dringt in die Pflanze ein und gelangt somit auch über die Kartoffel oder die Tomate in die Nahrungskette des Menschen. 2013 hat die EU-Kommission viele Pestizide, die diesen Wirkstoff enthalten, auf eine Liste zur Wiederbewertung gesetzt, das deutsche Bundesamt für Verbraucher-schutz und Lebensmittelsicherheit hat daraufhin die entsprechenden Produkte vom Markt genommen. Gift für die Bienen, wird auch die Fortpflanzung des Menschen möglicherweise beeinflusst (reproduktions-toxisch).

.) Acetamiprid

Auch diese heterocyclische, aromatische Verbindung zählt zur Gruppe der Neonikotinoide. Eingesetzt wird der Wirkstoff gegen Schild-, Motten-schild- und Schmierläuse, der Weissen und der Kirschfruchtfliege sowie der Trauermücke. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit schliesst eine Beeinflussung des sich entwickelnden Nervensystems beim Menschen nicht aus. Deshalb gibt es in der EU Tagesdosen, in der Schweiz einen Toleranzwert. Wie alle Neonikotinoide gefährlich für Bienen.

Bei all diesen Mitteln hingegen – Insbesondere bei Thiacloprid – sollte an die Nützlinge, wie die Bienen gedacht werden. Wenn auch das Mittel selbst nicht unbedingt direkt tödlich ist, so kann die Biene dadurch die Orientierung verlieren, nicht mehr zum Stock zurückfinden und dadurch zugrunde gehen. Auch im Hinblick auf die Vögel sollte mit biologischer Voraussicht gearbeitet werden. So liebt beispielsweise der Buntspecht die Zünsler-Raupen – zumindest für einen Moment. Sind diese vergiftet, so wird auch der Vogel und im Speziellen seine Brut daran zugrunde gehen. Deshalb sollte vor dem Einsatz der Chemiekeule unbedingt von alternativen Methoden Gebrauch gemacht werden:

.) Giessen mit Brennesseljauche

.) Besprühen mit einer Chiliöl-Spülmittel-Wasserlösung

.) Bestäuben mit Kaffeesatz

.) Abspritzen mit dem Hochdruckstrahler (kann aber auch der Pflanze nicht gut tun)

.) Ablesen der Raupen und Kokons (im Hausmüll entsorgen)

.) Buntspechte, Haussperlinge (sie erbrechen allerdings die Raupen wieder, da Buchs giftig ist)

.) Blindschleichen

Auch das in Österreich käufliche „Pro Loh“ soll recht gut wirken. Es besteht aus Wasser, Mineralien und pflanzlichen Gerbstoffen, erhöht die Widerstandsfähigkeit der Pflanze und schützt zudem vor Pilzbefall. Der Zünsler mag den Geschmack der Gerbstoffe nicht. 

Experten, wie etwa jene des Verbandes der Gartenbaumschulen NRW raten inzwischen gar davon ab, abgestorbene Bäume durch neue zu ersetzen, da diese ebenfalls innert kürzester Zeit befallen sein werden. Zur Plage der Buchsbaumzünsler kommt nämlich noch der Pilz Cylindrocladium buxicola hinzu. Auch er führt zum Triebsterben. Erkennbar ist der Pilz an schwarzen Streifen auf den Trieben. Bei dieser Erkrankung muss die komplette Pflanze und ein Teil des Erdreichs in den Hausmüll gegeben oder verbrannt werden. Beide dieser Unsitten der Natur lassen so manchen Hobby- aber auch Profi-Gärtner an seinem Können zweifeln. Die wärmeren Winter und feuchtkühlen Wetterperioden begünstigen den Befall. Denken Sie vielleicht über Alternativen nach – wie etwa die Japanische Hülse (Ilex crenata) mit ihren Untersorten „Dark Green“ oder „Caroline Upright“ oder der Tatra-Seidelbast, dem Rhodo-dendron bzw. der Polsterberberitze! Auch der kleinwüchsige Lebensbaum oder die Steineibe finden immer mehr Fans unter den Gärtnern.

Übrigens gilt grundsätzlich: 

– Je grösser die Artenvielfalt in einem Garten ist, desto weniger kann ein einzelner Schädling anrichten!!! 

– Erkundigen Sie sich beim Kauf eines Insektizids immer auch, ob Nütz-linge wie Bienen, Hummeln etc. ebenfalls davon betroffen sind!

– Insektizide dürfen nicht vorbeugend gespritzt werden!

– Achten Sie darauf, dass das biologisch abbaubare Insektizid mittels Drucksprüher auch bis tief in’s Innere des Buchsbaumes gelangt!

Lesetipps:

.) Pflanzenschutz im Bio-Garten; M.-L. Kreutler; BLV 1990

Links:

www.buchsbaumzuensler.net

www.lepiforum.de/

www.bund-rvso.de

www.landwirtschaftskammer.de

www.fva-bw.de

www.proplanta.de

echa.europa.eu/de/

www.bund.net

www.bienenjournal.de

www.imkerei-technik.de

www.bvl.bund.de

www.ltz-bw.de

www.nuetzlinge.de

www.naturimgarten.at

www.aha.ch

oekologischerlandbau.jki.bund.de

No Comments »

Können Sie es sich leisten?

„Man ist in diesem reichen Deutschland nicht erst dann arm, wenn man unter Brücken schlafen oder Pfandflaschen sammeln muss. Armut beginnt nicht erst dann, wenn Menschen verelenden.“

(Ulrich Schneider, Geschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohl-fahrtsverbandes)

Die Ferien- und Urlaubszeit ist nahezu allerorts angebrochen – viele Kinderlose haben bereits die Vorsaison-Angebote genutzt – nach coronabedingter Streichung der beiden vorhergehenden Sommerurlaube. Wie sieht’s bei Ihnen aus? Wohin verschlägt Sie der Wind? Manche Destinationen fallen auch heuer aus Sicherheitsgründen weg, viele andere sind schlichtweg zu teuer! Die Geiz-Touris zieht es derzeit massenweise nach Mallorca oder in die Türkei – sie war noch nie derart billig wie heuer (bis zu -55 %). Doch auch hier muss erwähnt werden: Sowohl das deutsche als auch das österreichische Außenministerium haben eine partielle Reisewarnung ausgesprochen – sie gilt vornehmlich für die Grenzregionen zu Syrien und dem Irak. Dennoch kann beispielsweise österreichischen Staatsbürgern, die auch über einen türkischen Pass verfügen, kein konsularischer Schutz zukommen. Das deutsche Aus-wärtige Amt warnt zudem, vor möglichen Festnahmen und Einreise-verweigerungen. Der Ausnahmezustand – er wurde 2016 nach dem miss-glückten Putschversuch ausgerufen – ist zwar 2018 beendet worden, doch wurden die unterschiedlichsten Anti-Terror-Regularien erst im vergan-genen Jahr verlängert. Der stellvertretende Fraktionsführer der grössten Oppositionspartei CHP, Özgür Özel, spricht in diesem Zusammenhang von einem „Defacto-Ausnahmezustand“. Wer also entsprechende Warnungen missachtet, ist selbst schuld. Gleiches gilt für Ägypten und selbstverständlich Russland (Teilreisewarnung), den Phillipinen (partielle Reisewarnung für einige Inseln und Segeltörns) – ja sogar für Japan (nach wie vor für das Gebiet rund um Fukushima). Hinzu kommen natürlich auch alle Gebiete, in welchen aufgrund der Trockenheit Wald- und Flächenbrände ausgebrochen sind. Sicherheitshinweise gibt es zudem für beispielsweise Argentinien, der Dominikanischen Republik und Costa Rica (Kriminalität), Australien und den USA (Pandermie). Auch für die Ukraine besteht verständlicherweise eine Reisewarnung – ist aber auch vor dem russischen Einmarsch nicht wirklich eine typische Urlaubsdestination gewesen. Nicht so ganz einfach in diesem Jahr.

Hinzu kommt allerdings alsdann, dass sich offenbar immer weniger einen Urlaub überhaupt leisten können. So war es zumindest im Jahr 2021 – sowohl Deutschland als auch Österreich haben ja inzwischen neue Regierungen bzw. Regierungsmannschaften, wodurch sich das selbst-verständlich zum Guten geändert hat! Wirklich???

Auch ich hatte mal einen dieser Jobs, den niemand anderer haben wollte. Mit dem Netto-Gehalt konnte ich nicht mal meine laufenden Zahlungen begleichen – also hätte ich auch am Samstag ganztags arbeiten müssen. Acht Tage Einschulung – es folgten zwei 13-h-Arbeitstage mit jeweils nur EINER kurzen Rauchpause und meine Aufgabe mittels Kündigung am dritten Tage. Meine Arbeit wurde auf 1 + 3 Mitarbeiter aufgeteilt! Urlaub? Das 13. und 14. Monatsgehalt hätte ich wohl zum Ausgleichen des Kontostandes benötigt! Urlaub auf Balkonien – mehr wäre da nicht drin gewesen. 

Doch heuer – ja heuer wird es nochmals anders werden.

„Das Inflationsmonster wird die Schere zwischen Reisenden und Bleibenden weiter verstärken!“

(Dietmar Bartsch, Fraktionschef der Linkspartei)

Nach seiner Abfrage bei der Europäischen Statistikbehörde Eurostat (gilt also auch für Österreich) haben 22,4 % der Bevölkerung kein Geld, sich zumindest einmal im Jahr eine Woche Urlaub leisten zu können. Vor allem kritisch ist die Lage demnach bei Alleinerziehenden – hier beträgt die Quote gar 42,2 %. Doch auch bei Paaren mit Kindern ist nicht alles eitel Urlaubs-Sonnenschein: Mit einem Kind sind es 18,1 %, bei drei Kindern gar 29,4 %. Bei kinderlosen älteren Paaren liegt die Zahl bei 15,9 %. Im Vergleich dazu die Zahlen von Alleinstehenden: Frauen 31,7 %, Männer 30,3 %. Die Daten beruhen auf der EU-SILC-Befragung aus dem Jahr 2020.

Die Tafeln in Deutschland und Österreich sowie die meisten anderen Sozialeinrichtungen arbeiten am Anschlag. In Deutschland nutzen derzeit rund 2 Mio Menschen das Angebot der Tafeln. Viele Experten befürchten ebenso wie Bartsch, dass sich dies noch verschärfen wird: Durch die Inflation, die hohen Preise für Grundbedürfnisse – spätestens jedoch mit dem Start der Heizperiode. Der Linkspolitiker fordert deshalb beispiels-weise eine Kindergrundsicherung. 

Ein genauerer Blick bei Eurostat legt die bittere Wahrheit auf den Tisch – etwa in dem Bereich „Von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohte Bevölkerung“. Während im vergangenen Jahr bei vielen EU-Mitglieds-staaten die Zahlen erfreulicherweise gefallen sind, nahmen sie in vier Staaten im Vergleich zum Jahr 2020 zu: 

.) Deutschland 20,7 % (20,4 % im Jahr davor)

.) Österreich 17,3 % (16,7 %)

.) Dänemark 17,3 % (16,8 %)

.) Italien 25,2 % (24,9 %)

Auf den ersten Blick vielleicht nicht wirklich besorgniserregend. Kritischer wird’s jedoch, wenn dies mit den Einwohnerzahlen quergerechnet wird: So sind 0,3 % in Deutschland gleich mal knapp 250.000 – nahezu die Ein-wohnerzahl von Wiesbaden, in Österreich 26.800 – eine Stadt grösser als Baden bei Wien.

Diese Menschen haben grösste Not damit, ihre Miete überweisen zu können, im Winter die Wohnung zu beheizen bzw. Ihren Kindern die Schulsachen zu kaufen. Wie zum Beispiel jene Mutter, die drei Rech-nungen für Schullandwochen und Ferienbetreuung zugleich erhielt. Gesamtforderung: 800,- €! Da bleibt dann nicht mehr wirklich viel für „die schönste Zeit des Jahres“ über. Dieses „zwar gerne wollen aber nicht können“ ist ganz eindeutig ein Zeichen von Armut, von der v.a. die Kinder betroffen sind. Nicht etwa, da sie zu Schulbeginn im Herbst nichts zu erzählen haben. Viele Sozialexperten fordern deshalb einen Mindestlohn von 12 Euro (im Oktober 2022 zumindest für Deutschland der Fall, in Österreich gibt es nach wie vor keinen gesetzlichen Mindestlohn) und das Aus für die Niedriglohnbeschäftigungsformen, wie etwa der Leiharbeit. In diesen Jobs werden Experten in ihrem erlernten Brotberuf durch eine Leiharbeitsfirma an Unternehmen ausgeliehen. Dort versehen sie dieselbe Arbeit wie ihre fixangestellten Kollegen – allerdings nicht nach dem Tarif für ihren Lehr-Beruf sondern dem der Leiharbeit. 

Neben der Leiharbeit ist auch die Teilzeitarbeit ein grosses Problem. Viele Unternehmen greifen auf diese Möglichkeit zurück, da sie sich dadurch Lohnnebenkosten einsparen können. McDonalds Deutschland etwa beschäftigt nach eigenen Angaben auf der Unternehmensseite rund 55.000 Mitarbeiter. Nur 35 % davon sind vollzeitbeschäftigt – 40 % teilzeit-, 12 % geringfügig und 13 % kurzfristig beschäftigt.  

Viele Arbeitsverträge sind absichtlich knapp über Tarif vereinbart. Damit obliegt es jedem Einzelnen, jährlich das so angenehme Gehaltsgespräch mit dem Chef zu absolvieren. Durch die kalte Progression und die ständige Steigerung der Lebenshaltungskosten schaut dann so manch fleissiger Arbeitnehmer trotz Lohnerhöhung durch die Finger. 

Diese Befragung betreffs der Selbsteinschätzung zu „materiellen Entbeh-rungen“ wird regelmässig durchgeführt. International gesehen bessert sich die Situation geringfügig. Armut während des Berufslebens bedeutet noch weitaus grössere Armut im Alter, da nichts zurückgelegt werden kann. Von der Altersarmut sind rund 16 % der Rentner in Deutschland betroffen – das entspricht zirka 3 Mio (von den Ü80 gar 22,4 %) – 579.095 bezogen im September 2021 eine Grundsicherung. Nach Schätzungen beantragen rund 60 % diese Grundsicherung jedoch gar nicht, obgleich sie bezugsberechtigt wären. In Österreich waren nach Angaben von Statistik Austria im Jahr 2021 232.000 Menschen über 65 Jahren von Armut oder Ausgrenzung betroffen (insgesamt 1,519 Mio)  

Gemeint bei all diesen Überlegungen sind nicht etwa jene, die jedes Jahr ein neues Handy brauchen, einmal die Woche shoppen gehen, immer wieder Konzerte besuchen oder sich mindestens zweimal die Woche das Feierabendbier in der Stammkneipe schmecken lassen! Nein, gemeint sind vielmehr jene Menschen, die selbst nach der akribischsten Rotstiftaktion kein Einsparpotential mehr orten können. Ein zweiter Job? Das ist ein Rechenexempel. Schliesslich genügt bei vielen bereits eine geringfügige Beschäftigung um dadurch in eine andere Steuerklasse zu kommen. Schlussendlich werden nämlich beide Einkommen in einen Topf geworfen und die Lohnsteuer anhand dieses Beitrages berechnet (minus der bereits abgezogenen). So bleibt oftmals vom Zweiteinkommen nicht viel übrig – dann arbeitet man sozusagen nurmehr für Vater Staat und die Sozial-versicherungen. 

Wenn der Urlaub mal ausfällt, weil eine Wohnung gekauft oder ein Haus gebaut wurde? Ein neues Auto? Diese Überlegung sollte man sich auf jeden Fall davor stellen! Während des Studiums beispielsweise arbeitete ich in den Sommerferien und nebenbei. Dafür konnte ich mir ein Motorrad und eine starke HiFi-Anlage leisten. Ein Studienkollege zog es vor, zwei bis drei Wochen lang Amerika zu erforschen. Somit sind also auch solche Umfragen mit etwas Vorsicht zu geniessen: Ist es den Eltern bewusst, dass sich nach einer Woche Bibione die Schulsachen ihrer Kinder nicht mehr ausgehen, sollte das Problem anders angegangen werden. Es ist also eine Frage der Prioritäten, die bei derartigen Umfragen nicht berück-sichtigt werden. 

Die Ergebnisse der EU-SILC-Befragung fliessen auch in den jährlichen Armutsbericht der Armutskonferenz in Österreich bzw. jenem des Paritätischen Gesamtverbandes in Deutschland ein. Erschreckende Zahlen wurden dabei im April in Deutschland vorgelegt: Im zweiten Pandemiejahr 2021 erreichte die Armut zwischen Flensburg und Berchtesgaden mit 16,6 % ihren bisherigen Höhepunkt. 13,8 Mio Bundesbürger werden somit als arm bezeichnet, das sind um 600.000 mehr als vor der Pandemie. Besonders auffallend ist lt. Bericht der Anstieg bei den Selbständigen (von 9 auf 13,1 %). Aber auch die Höchststände von 17,9 % bei den Rentnern und 20,8 % bei den Kindern und Jugendlichen sind alarmierend. Geographisch am meisten davon betroffen ist der grösste Ballungsraum Deutschlands – das Ruhrgebiet! Hier lebt jeder Fünfte in Armut. Durch die gestiegenen Lebenshaltungskosten und die Inflation wird sich die Lage noch wesentlich verschlimmern, fürchtet der Paritätische Wohlfahrts-verband.

„Pandemie und Inflation treffen eben nicht alle gleich. Wir haben keinerlei Verständnis dafür, wenn die Bundesregierung wie mit der Gießkanne übers Land zieht, Unterstützung dort leistet, wo sie über-haupt nicht gebraucht wird und Hilfe dort nur völlig unzulänglich gestaltet, wo sie dringend erforderlich wäre!“

(Dr. Ulrich Schneider, Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbandes)

In Österreich sind die Zahlen für das Jahr 2021 ebenfalls erdrückend. Gottlob zumindest in einem Bereich leicht rückläufig: 2,4 % der Bevölkerung (208.000 Menschen) sind „erheblich materiell depriviert“. Hierunter versteht man im Alpenland, dass sie sich wesentliche Güter bzw. Lebensbereiche (Heizung, Waschmaschine, Handy, …) oder uner-wartete Ausgaben von bis zu 1.160,- € nicht leisten können. Im Jahr 2020 waren es noch 0,3 % mehr. Weitere 14,7 % (1,292 Mio Menschen) sind von der Armut gefährdet – ein Anstieg um 0,8 % im Vergleich zu 2020. Als armutsgefährdet gilt zwischen Neusiedler und Bodensee eine Person, die mit weniger als 1.371,- € im Monat das Auslangen finden muss (2 erwachsene Personen 2.057,- €,1 Erwachsener mit einem Kind 1.783,- €). Hiervon besonders betroffen sind Kinder, Frauen in der Pension, Langzeitarbeitslose und Menschen ohne Staatsbürgerschaft.     

Als arm gilt europaweit jemand, der über weniger als 60 % des durch-schnittlichen Einkommens verfügt („Medianeinkommen“). Als Single bedeutet dies umgelegt ein Netto-Einkommen von bis zu 917 Euro, bei Alleinerziehenden mit einem Kind unter sechs Jahren 1.192 bzw. bei einer vierköpfigen Familie je nach Alter der Kinder 1.978 bzw. 2.355 Euro. Der Beginn dieser Todesspirale ist meist die Trennung vom Lebenspartner, Krankheit oder auch der Verlust des Arbeitsplatzes. Vermögenswerte wie Auto, Wohnung, Haus etc. müssen verkauft werden bis schliesslich nichts mehr übrig ist. Trotzdem noch kein Arbeitsplatz in Sicht, denn: Je älter und länger man arbeitslos ist, desto weniger gern erfolgt eine Einstellung bei den Unternehmen. Worst Case: Ein 61-jähriger Arbeiter, dessen Firma dicht macht. Er verfügt möglicherweise über ein bereits abbezahltes Haus, über Erspartes und eine Altersvorsorge. Auch wenn er durchaus weiterarbeiten möchte und hier einige Abstriche im Vergleich zur Quali-fikation machen würde. Schliesslich landet er bei der Mindestsicherung oder in Deutschland bei Hartz IV. Und dabei schliesst sich der Kreis mit dem Urlaub wieder: Zu den Fragen der sog. „Erheblichen materiellen Deprivation“ in der europaweit einheitlich durchgeführten SILC-Umfrage zählt auch eine Woche Urlaub – einmal im Jahr! 

Klar, werden nun einige sagen: Es muss ja nicht unbedingt die Domi-nikanische Republik oder Indonesien sein. Deshalb hier einige Tipps:

– Preisvergleiche über Urlaubsbörsen lohnen sich

– Nebensaison ist wesentlich günstiger als Hauptsaison

– Fliegen Sie wenn möglich von kleineren Flugplätzen ab

– Starten Sie in einem Bundesland, in dem die Sommerferien vielleicht schon vorbei sind (Flüge werden billiger)

– Auto oder v.a. Bahn sind weitaus günstiger und umweltfreundlicher als Flugzeuge

– Zelt oder Wohnmobil anstelle teurer Hotels können auch etwas romantisches haben

– Wenn Hotel, dann Halbpension anstatt All inclusive

– Ökologischer Natururlaub (Aktivprogramm meist inkludiert)

– Busreisen – nicht nur für Senioren

Wenn nun vornehmlich rechtspopulistische Regierungen dieses soziale Netz noch weiter kürzen mit der Rechtfertigung, dass es genügend Arbeit gebe, die Langzeitarbeitslosen nur nicht einer Beschäftigung nachgehen wollen, so wird dadurch einzig und allein noch mehr Armut produziert. Schliesslich können mit dem Gehalt eines Tellerwäschers die zuvor aufgenommenen und für den Lebensunterhalt notwendigen Kredite nicht zurückbezahlt werden („Working Poor“). Die Folge: Privatkonkurs trotz 100 %-iger Beschäftigung. Ist das die Lösung eines Sozialstaates??? 

PS:

Für all jene Politiker, die derzeit populistisch auf die Arbeitslosen los-gehen: Niemand ist gerne arbeitslos. Für etwa 10 % der österreichischen Erwerbstätigen bedeutet Armut soziale Ausgrenzung (Vereinszuge-hörigkeit, Schullandwochen – ja sogar das Feierabend-Bierchen gehören zu jenen Dingen, die man sich plötzlich nicht mehr leisten kann). Bei den Arbeitslosen sind es satte 57, bei mehr als sechs Monaten ohne Job gar 79 %!!!

Lesetipps:

.) Armut; Darren McGarvey; btb Verlag 2021

.) Kein Pausenbrot, keine Kindheit, keine Chance: Wie sich Armut in Deutschland anfühlt und was sich ändern muss; Jeremias Thiel; Piper Paperback 2020

.) Armut heute: Eine Bestandsaufnahme für Deutschland; Eleonora Kohler-Gehrig; W. Kohlhammer GmbH 2019

.) Armut in einem reichen Land – Wie das Problem verharmlost und verdrängt wird; Christoph Butterwegge; Campus 

.) Heart´s Fear: Hartz IV – Geschichten von Armut und Ausgrenzung; Bettina Kenter-Götte; Verlag Neuer Weg 2018

.) Armut in Deutschland: Wer ist arm? Was läuft schief? Wie können wir handeln?; Georg Cremer; C.H.Beck 2017

.) Armut: Ursachen, Formen, Auswege; Philipp Lepenies; C.H.Beck 2017

.) Zwangsgeräumt: Armut und Profit in der Stadt; Matthew Desmond;  Ullstein 2018

.) Wohlstand und Armut der Nationen: Warum die einen reich und die anderen arm sind; David Landes; Pantheon Verlag 2009

Links:

– ec.europa.eu/eurostat/de/home

– www.der-paritaetische.de

– www.armutskonferenz.at

– www.sozialministerium.at

– www.boeckler.de/wsi-tarifarchiv_2275.htm

– www.statistik.at

– www.budgetberatung.at

– www.agenda-austria.at

– www.forschungsnetzwerk.at

No Comments »

WP Login