Was können denn die Gänse dafür???
Samstag, November 11th, 2023Warnung: Der heutige Blog ist nichts für Zartbesaitete! Leser/-innen mit schwachen Nerven sollten v.a. Abstand von den verlinkten Videos nehmen. Trotzdem wieder mal ein trauriger Fingerzeig darauf, was Menschen an unschuldigen und wehrlosen Tieren verbrechen!
Der heilige Martin von Tours war ein gar bescheid’ner Mann! Als ihn das Volk von Tours zum Bischof wählen wollte, soll er sich in einem Gänse-stall versteckt haben. Einem Bettler gab er seinen Mantel, den Kranken half er, die Sterbenden begleitete er. Sein Namenstag wird am 11. November gefeiert! Weshalb hingegen sehr viele der armen Gänse ausgerechnet rund um diesen Tag ihr meist qualvolles Leben beenden müssen, ist noch nicht ganz geklärt. Denn: Auch die Gänse sind Geschöpfe Gottes (Genesis, Moses 2-19), die nicht auf diese unmensch-liche Art gehalten oder getötet werden sollten – besonders nicht zu Ehren von Heiligen! Doch wie ist es möglich, hier einen Bezug herzustellen?!
Einerseits begann in früheren katholischen Zeiten am 11. November eine vierzehntägige Fastenzeit. Davor wurde nochmals so richtig geschlemmt. Andererseits ist der 11. November ein sog. „Zinstag“. Hier begannen und endeten etwa Pachtverträge, Arbeitsverhältnisse,… Das musste natürlich gefeiert werden. Auch die Lehnspflicht („Martinsschoss“) war am 11. November fällig. Sie bestand meist aus einer oder mehreren Gänsen. Viele Bauern wollten ihre Tiere zudem nicht durch den Winter füttern. Die Legende vom Heiligen Martin besagt ferner, dass eines schönen Tages eine ganze Gänseschar die Predigt des Bischofs störte. Das Federvieh wurde eingefangen und zu einer Mahlzeit für die Kirchengemeinde verarbeitet – andere Zeiten, andere Gebräuche.
Somit lässt sich also das Naheverhältnis zwischen dem Heiligen Martin und der Martinigans erklären. Und schön knusprig gebraten, mag sie vielleicht auch tatsächlich ausgezeichnet schmecken, kann ich mir vor-stellen. Hatte der Vogel ein erfülltes Leben, habe ich eigentlich auch nichts gegen diese Schlachtungen. Doch werde ich in diesem Blog auf-zeigen, dass dies in den meisten Fällen nicht so ist.
Viele der Gänse sterben noch bevor sie ein Jahr alt sind. Zeit ihres Lebens wurden sie wegen Ihrer Daunen gerupft oder mussten im Akkord Küken produzieren. Das jedoch war schon einmal Inhalt einer meiner Aus-führungen. Die Schlachtung ist dann vielfach eine Erlösung für die armen Geschöpfe.
Und dann gibt es die anderen. Jene, die gemästet werden. Glücklich können sich jene schätzen, die wie in diesem Video genügend Auslauf haben.
Andere hingegen verbringen die Hölle auf Erden – v.a. wenn sie gestopft werden. Diese Tiere sollen keinen Auslauf haben, da es weniger um ihr Fleisch als vielmehr um ihre Leber geht. In Frankreich eine gern gesehene Delikatesse („Foie gras“) – auch hierzulande finden sich immer wieder sog. „Kulinarische Feinspitze“, die zu Gabel und Messer greifen und sich dieses grausame Machwerk der Tierhaltung schmecken lassen. Aus der Fettleber entsteht übrigens auch die Gänseleberpastete („Paté de Foie“). Bei diesem „Stopfen“ („Gavage“) wird dem Tier über drei bis vier Wochen 3- bis 4-mal täglich ein 50 cm langes Rohr in den Hals geschoben. Durch dieses wird ein stark gesalzener Futterbrei direkt in den Magen gepumpt – jede Fuhr entspricht rund 20 % des Gesamtgewichtes der Vögel! Der Brei besteht zu 95 % aus Mais und zu 5 % aus Schweineschmalz. Meist sind auch Antibiotika enthalten. Die mechanisierte Fütterung dauert drei Sekunden – so können pro Stunde rund 400 Tiere gestopft werden. Ein Gummiband um den Hals soll das Erbrechen der Tiere verhindern. Eine solche gestopfte Leber wiegt bei der Schlachtung zwischen einem bis zwei Kilogramm, eine normale im Vergleich hingegen nur 300 Gramm. Der Fettgehalt liegt alsdann bei 40-50 %. V.a. Triglyceride lagern sich in dem Organ an. Eine solche Überfütterung der Vögel fand bereits im alten Ägypten gegen 2500 v. Chr. statt. Frankreich ist in der „Produktion“ mit 75 % Weltmarktführer. Damit Sie eine Vorstellung über das Ausmass des Ganzen bekommen: Jedes Jahr werden alleine in Frankreich, Ungarn, Spanien und Bulgarien mehr als 24.000 Tonnen (!) Fettleber produziert, rund 96 % davon kommt von Enten. Mehr als 25 Mio Tiere mussten hier-für ihr Leben lassen. Zirka 30.000 Menschen sind in diesem Industrie-zweig vornehmlich im Elsass und im Perigord beschäftigt. Haupt-abnehmer der traurigen Delikatesse ist neben Frankreich selbst auch Spanien. Doch Deutschland liegt mit 121 Tonnen (im Jahr 2004) bereits an Stelle Nummer 5 – Verbrauch übrigens steigend. Bis zu 70,- € muss der Konsument für ein Kilogramm Stopfleber auf den Tisch blättern. 70,- € für sechs Monate Höllenqualen eines Tieres! Und nun zur perversen Tatsache: In 22 der 27 EU-Staaten (darunter auch Deutschland und Österreich, aber auch die Schweiz) ist das Stopfen verboten (so auch in Australien, Argentinien, Israel und der Türkei) – der Verkauf der Produkte jedoch genehmigt! Eigentlich ist die Herstellung von Stopfleber in der EU grundsätzlich verboten, da dies gegen die EU-Richtlinie 98/58CE verstösst (Schutz von Tieren auf Zuchtfarmen – „Die Art des Fütterns und Tränkens darf den Tieren keine unnötigen Leiden oder Schäden verur-sachen.“) – in Deutschland auch gegen § 17 sowie § 3 TSchG. Deshalb hat die Tierschutz-Lobby-Organisation PETA Anfang 2022 gegen viele Restaurantbetreiter, die die Stopfleber auf ihrer Speisekarte haben/hatten Strafanzeige wegen „Beihilfe zur quälerischen Tiermisshandlung“ erstattet. Man möchte es nicht glauben – doch hat die indische Regierung als bislang einzige den Import dieser Produkte untersagt – ein gutes Beispiel. In der Schweiz wurde ein solches Einfuhrverbot in den Jahren 2017 bis 19 diskutiert – der Ständerat jedoch lehnte eine entsprechende Gesetzesvorlage ab. Immer wieder gab es auch in unseren Breitengraden Initiativen: So erstattete die Tierschutzorganisation PETA anno 2008 Strafanzeige gegen rund 50 Restaurants und deren Köche – erfolglos. Im Oktober 2012 scheiterten mehrere EU-Parlamentarier bei ihrem Versuch, die Herstellung von Stopfleber zu verbieten – selbes Spiel im Juli 2019, als einige dänische Abgeordnete vor dem Hintergrund der moralischen Grenzen ein Importverbot durchsetzen wollten. In Frankreich ist die „Gavage“ gar seit 2004 „Nationales und gastronomisches Kulturerbe“ und damit von etwaigen Tierschutzgesetzen ausgenommen. Enten etwa werden innerhalb von nur 7-8 Wochen dermassen gemästet, dass ihre Leber zum Schlachtzeitpunkt 4-5mal grösser als das normal Organ ist.
Und damit leider noch kein Ende! Nach all dieser lebenslangen Tortur hat sich in Rouen und Umgebung eine weitere grausame kulinarische Spezialität gebildet: Die Blutente („Canards au sang“)! Hier wird die Ente in einem Vakuumkasten erstickt. Somit bleibt das Blut im Körper – es sorgt für ein etwas rötliches Fleisch. Das Tier muss innerhalb von zwei Stunden nach seinem Tod zubereitet werden und wird hierfür nur kurz angebraten, damit das Blut und das Eiweiss nicht gerinnt. Das deutsche Tierschutzgesetz verbietet diese Tötungsart, das Lebensmittelgesetz das Schlachten ohne Blutentzug. In Österreich ist dies hingegen durch die Schlachtverordnung v.a. für rituelle Tötungen genehmigt. Nach EU-Gesetz dürfen jedoch auch Blutenten hierzulande verkauft werden.
Lobend zu erwähnen sei, dass der US-Promi-Starkoch mit öster-reichischen Wurzeln, Wolfgang Puck, seit 2006 keine Gänseleber mehr anbietet. Zudem wurde 2004 in Kalifornien ein Gesetz auf den Weg geschickt, das die Herstellung und den Verkauf mit Federn oder anderer Produkte von gestopften Enten und Gänsen verbietet. Eine Klage dagegen wurde durch den Supreme Court zurückgewiesen. Es trat zum 01. Juli 2012 in Kraft. Wieso ist es dort machbar – in unseren Breitengraden jedoch nicht? Die Unterschrift unter dieses Gesetz hat übrigens kein Geringerer als der 38. Gouverneur des Landes, der in Österreich geborene Arnold Schwarzenegger gesetzt. Auch der Stadtrat von Chicago versuchte ein solches Verkaufsverbot durchzudrücken – die Verordnung wurde jedoch zwei Jahre später anno 2008 wieder aufgehoben. In New York City jedoch untersagt seit Oktober 2019 ein Gesetz den Verkauf. Bei Missachten der Verordnung droht ein Bussgeld von bis zu 2.000 US-Dollar.
Welche Qualen diese Tiere durchzumachen haben, war ihnen anzusehen. Immer mehr Prominente unterstützen deshalb Initiativen, die an die Gaumenfreude unserer Mitbewohner appellieren: Nein zur Martini-Gans und v.a. Nein zur Stopfleber. So meinte beispielsweise der Obmann des Tierschutzvereins „Animal Spirit“, Dr. Franz-Joseph Plank:
„Es ist unmoralisch, ein ‚Luxus‘-Produkt zu verkaufen bzw. zu verzehren, welches so viel Leid verursacht hat!“
Auch die beiden durch die UNO anerkannten Tierschutzorganisationen „WSPA“ und „Advocates for Animals“ haben zum Verzicht auf französische Gänseleber-Produkte aufgerufen.
Auf dieser Website können Sie eine Petition in Deutschland unterschreiben, um den Bundes-Landwirtschafts- und Verbraucherminister Cem Özdemir vom Bündnis 90/Die Grünen zu weiteren Massnahmen „anzuregen“ – verpflichten kann man ihn leider nicht.
Zurück zum Heiligen Martin: Jedes Jahr landen alleine in Österreich vornehmlich zu Martini oder zu Weihnachten rund 300.000 Gänse auf den Festtagstischen. Und mit „heimischer Produktion“ ist da leider nicht viel los: Etwa 90 % stammen von industriellen Mastbetrieben aus Ungarn, Polen oder Frankreich. Keulen und Brust sind in der Stopfleber-Produktion zumeist Abfallprodukte – finden sich jedoch nicht selten auf den Tellern der Feinspitze wieder. Auch in Deutschland werden 7 von 8 Gänsen importiert. In diesen Dunstkreis der Tierfolter fallen nun auch jene Gänsebauern, die Ihren Tieren sechs Monate „Leben“ ermöglichen. Mit Auslauf, normaler Nahrung und der benötigten Weidemöglichkeit. Deshalb sollte es doch auch im Interesse jener Bauern sein, wenn solche grauenhafte Tierhaltung und der Handel der daraus entstehenden Pro-dukte verboten wird. Da lobe ich mir den Martini-Brauch in Süd-deutschland, wo die Kinder, die gerade vom Martini-Laternenumzug zurückkommen, kleine Martinigänse aus gebackenem Keks- oder Hefeteig erhalten.
Die Gans hat in den Legenden und Sagen immer wieder eine herausragende Bedeutung. Gänse haben im alten Griechenland die Tempel bewacht, das römische Capitol soll aufgrund des Geschnatters der Gänse vor dem Angriff der Gallier gerettet worden sein. Julius Cäsar rühmte den Anmut und den Geist der Gänse, Konrad Lorenz baute seine Verhaltenspsychologie nicht etwa auf Beobachtungen der Spezies „Mensch“ auf, sondern verdankt seine Erkenntnis den Graugänsen. Wieso vergehen sich dann ausgerechnet jene Menschen an den anmutigen Vögeln, die von sich aus behaupten, etwas besseres zu sein und sich diesen Luxus leisten wollen? Zudem – weshalb schiessen Jäger zusätzlich Wildgänse aus Skandinavien, die in Bundesländern wie Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt überwintern möchten (im Jahr 2001 waren es nicht weniger als 35.000 Vögel, nach Angaben des Komitees gegen den Vogelmord). Darunter auch sehr viele Kraniche. Immer wieder jagen Hobbyschützen ausserdem in Naturschutzgebieten – 2003 wurden 27 solcher illegaler Jäger angezeigt.
PS: Achten Sie beim Kauf einer Ente oder Gans darauf, dass auch die Innereien enthalten sind. Fehlen diese, so könnte es sich um eines dieser armen Tiere handeln, das die schlimmste Tortur durchgemacht hat, die man einem Tier nur antun kann. Hier können Sie überprüfen, ob dies der Fall ist:
https://media.4-paws.org/3/4/1/c/341c447033b172d0db2c64cf0cf4711bd1372637/20170327_Positivliste_deutsch_aktualisiert__2_.pdf
PPS: Angesichts solcher Bilder, solcher Zahlen empfinde ich es als mehr als geschmacklos, dass der Morgenmoderator eines bayrischen Rundfunksenders einst meinte, dass er nun auch alle Martinigänse begrüsse, an diesem Tage, der ihr letzter sein werde!
Links:
- www.vgt.at
- www.tierschutzverein.at/martinigaense/
- www.peta.de/themen/foie-gras/
- www.vier-pfoten.de/kampagnen-themen/themen/nutztiere/gaense/stopfmast
- animalequality.de/blog/die-verlogenheit-der-stopfleberindustrie/
- www.ethikguide.org
- albert-schweitzer-stiftung.de/aktuell/stopfleberproduktion
- www.tierschutzvolksbegehren.at/martini/
- www.tierschutzombudsstelle.steiermark.at
- www.das-isst-österreich.at