Archive for the ‘Allgemein’ Category

Pfui deibel!!!

„Bis zu 80 Prozent aller ansteckenden Krankheiten werden über die Hände übertragen.“

(Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung BZgA)

Der Knigge – die Benimm-Bibel der zivilisierten Gesellschaft – hat so manche unnötige Passage enthalten, die sogar einen Angriff auf unsere Gesundheit bedeuten kann. Das Händeschütteln etwa. Hierzulande ist es eine Geste des guten Willens – ein Entgegenkommen. Gleichzeitig zeigt man dem Gegenüber dadurch auch, dass man keine Waffe in der rechten Hand hält. Nach Knigge schlägt der Ranghöhere dem Niedrigeren, die Frau oder der Gastgeber dem Anderen vor, sich die Hände zu reichen. Orthodoxe Juden etwa dürfen keiner Frau die Hand drücken, da in einer der Mitzwe der Tora geschrieben steht, dass Mann keinen Ehebruch begehen darf. Damit er erst gar nicht in Versuchung kommt, dies zu tun, darf er sich keiner Frau annähern (soweit also zur zeitgemässen Aus-legung von Religionen)! Na ja – andere Länder andere Sitten. In Fernost verbeugt man sich als Ausdruck der Wertschätzung – meines Erachtens gerade in Zeiten wie diesen sicherlich die bessere Variante. Die kommunistische Kusszeremonie? Bitte nicht! Könnte übrigens auch mit der Grund sein, dass grosse Teile der sog. „Busserl-Gesellschaft“ in diesen Monaten mit Corona bzw. der Grippe danieder liegen. 

Nein – nicht dass Sie mich missverstehen: Ich habe nichts gegen den Händedruck! Doch haben Studien aufgezeigt, dass es unter Männlein und Weiblein verdammt viele Schmutzfinken gibt, die sich nach dem Toilettengang nicht die Hände waschen. „Hee Monk – wirst schon nicht daran sterben!“, werden nun einige unter Ihnen meinen. Kann allerdings u.U. tatsächlich der Fall sein. Im Schnitt gebe ich täglich zumindest vier-mal die Hand. Statistisch gesehen ist somit ein solches Ferkel wie der Sohn einer guten Ex-Bekannten dabei, der sich grundsätzlich nicht die Hände nach dem Toilettengang gewaschen hat. Dieser arbeitet nun im Einzelhandel, gilt also durchaus als potentieller Keimüberträger. So ist es auch geschehen, dass immer wieder Restaurants zusperren müssen, da Kellner oder Köche sich nicht die Hände waschen und hierdurch etwa Salmonellen weitergeben können. 2003 wurde beispielsweise ein Strand-bad in Klagenfurt/Kärnten wegen hygienischer Missstände geschlossen – es gab nicht weniger als 100 Personen, die sich in diesem Strand-restaurant angesteckt hatten. Die Justiz reagierte mit einer Verurteilung wegen fahrlässiger Gemeingefährdung und fahrlässiger Körperverletzung – somit also beileibe kein Kavaliersdelikt!!! Aus diesem Grunde kommt es immer häufiger vor, dass bei den Waschbecken in Personaltoiletten Kameras angebracht sind, die unhygienische Angestellte herausfiltern sollen. Peinlich nur, wenn der Chef selbst dabei ertappt wird!!!

Eine Umfrage der britischen Organisation „Food and Drink Federation“ (FDF) bestätigt die oben erwähnte Vermutung: 31 % der Männer und 17 % der Frauen schauen sich lieber im Spiegel an, ob noch alles passt, als die Hände zu waschen. Ein gross angelegter Raststationen-Test in Deutsch-land brachte noch weitaus schlimmere Ergebnisse ans Tageslicht: Nur 32 % der Männer und 64 % der Frauen haben sich nach dem Geschäft die Hände gewaschen – bei 200.000 Probanden!!! Die Wissenschafter der London School of Hygiene and Tropical Medicine brachten in einem zweiten Schritt Tafeln mit eindeutigen Botschaften an. Hier kam es nun zu einem erstaunlichen Unterschied. Männer reagierten vermehrt auf deftiges, wie „Seif es ab oder iss es später!“, Frauen hingegen auf sachliche Hinweise. Doch zeigten auch die Schilder nur einen begrenzten Erfolg. Tafeln, die das Schamgefühl ansprachen („Wäscht sich die Person neben Ihnen mit Seife?“), erzielten eine wesentlich bessere Wirkung (American Journal of Public Health). 

UV-Licht zeigt auf, dass der Bakterienbefall nach dem Toilettengang doppelt so hoch ist wie nach dem Händewaschen oder vor dem WC. Dies sind vornehmlich Koli-Bakterien, die zu Brechdurchfall führen können. Das wäre dann die typische sommerliche Magen-Darm-Grippe, die auch durch ungenügend gekühlte Speisen oder Getränke auftreten kann. Der heimtückische Noro-Virus etwa übersteht ohne Probleme die Magen-säure. In der Darmschleimhaut angelangt, nistet er sich dort ein und lässt es sich gut gehen. Anzeichen für eine solche Erkrankung durch Noro-Viren ist plötzliche Übelkeit, Erbrechen und teilweise auch Durchfall. Dadurch trocknet der Körper aus. Wird nicht genügend Flüssigkeit zuge-führt, erfolgt eine Dehydrierung – dies kann tödlich enden. 

Keine Angst – sie sollten nun keine Panik bekommen und stets das Des-infektionsspray mitführen. Richtiges Händewaschen hilft hier schon enorm weiter, da die fäkal-orale Schmierinfektion dadurch weitestgehend ausgeschlossen wird. Vergessen Sie dabei nicht die Fingerkuppen, Fingerzwischenräume und die Daumen – hier befinden sich die meisten Keime. Werden Hände jedoch zu häufig gewaschen, so beeinflusst dies den ph-Wert der Haut (sauer – liegt zumeist zwischen 4-7). Seifen sind jedoch basisch. Deshalb empfiehlt sich hier die Verwendung von ph-neutralen Seifen.

Auch wenn die Hände noch so sauber sind, gilt für alle, die Speisen zubereiten: Achten Sie auf die Frische der Speisen, garen sie diese nach Möglichkeit gut durch, Hygiene am Arbeitsplatz ist selbstverständlich und penibles Händewaschen ist ein „Muss“. 2011 gelangten EHEC-verseuchte Produkte auf den deutschen Markt. Viele Menschen verstarben an Folgeerscheinungen wie dem Nierenversagen, da sie die Warnhinweise nicht oder zu spät wahrgenommen haben. Auslöser dieser Epidemie waren aus Ägypten importierte, kontaminierte Bockshornklee-samen. 

Dies gilt übrigens auch für die Bakterien und Viren in der kalten Jahres-zeit. Durch Husten, Niesen und Schnäuzen herrscht ein reges Treiben im Luftraum. Auch hier kann das richtige Händewaschen Wunder bewirken. Zudem sollten Sie in ein Taschentuch niessen oder mangels dessen in den linken Ärmel Ihres Pullovers husten. Wird die rechte Hand  hierfür herangezogen, so werden auch hier die Atemwegserkrankungen direkt übertragen, da sich der mit einem Handshake Begrüsste sicherlich irgendwann mit der rechten Hand im Gesicht berührt. Verwenden Sie zur biologischen Abwehr Ihre linke Hand, so greifen Sie mit dieser auch dort-hin, wo andere Menschen ebenfalls angreifen: Dem Einkaufswagen oder dem Haltegriff in der Strassenbahn! Über die Schleimhäute der Augen, der Nase oder des Mundes gehen die Erreger über. Dann nimmt das Schicksal seinen Lauf. 

Das richtige Händewaschen sollte den Kindern bereits in der kindlichen Früherziehung beigebracht werden. Nach der Toilette, vor dem Essen, nach dem Angreifen von Treppengeländern oder Haltegriffen, wenn ich nach Hause komme, nach dem Tollen im Garten und dem Spielen mit Tieren, … Dies kann etwa spielerisch erlernt werden („Ich sehe was, was Du nicht siehst!“ oder „Nach dem Klo und vor dem Essen, Händewaschen nicht vergessen!“). Für die erforderliche Dauer bzw. Gründlichkeit kann zweimal „Happy birthday to you“ gesungen werden. Verleiht beim nächsten Kindergeburtstag Textsicherheit und dauert genau 20 Sekunden. Nicht zu vergessen auch das richtige Abtrocknen (am besten mit Einwegtüchern), da eine feuchte und warme Umgebung perfekter Nährboden für Keime darstellt: Feuchte Hände übertragen bis zu 1.000-mal mehr Keime als trockene. Die Gefahr bei Händetrocknern: Sie entfernen weniger Keime mechanisch und verteilen zudem viele in der Luft des Waschraumes.

Sofern Sie bereits den Weihnachtsurlaub in südlicheren Gefilden gebucht haben: Verwenden Sie niemals Eiswürfel und trinken Sie grundsätzlich nur aus geschlossenen Gefässen (wie Flaschen). Sollten dennoch Vergif-tungserscheinungen nach einem Restaurantbesuch auftreten, so müssen sie sofort durch eine ärztliche Untersuchung Sicherheit einholen. Da-neben ist es für etwaige Schadensersatzansprüche wichtig, möglichst viele Zeugen oder Selbst-Betroffene zu suchen. Denn hier gilt die Nach-weispflicht. So hat beispielsweise das Landgericht Leipzig (Aktenzeichen 5 O 1659/10) eine Schadensersatzklage zurückgewiesen, wonach der 15-jährige Sohn der Klägerin während eines Türkei-Aufenthaltes mit Salmonellen infiziert wurde und daran erkrankte. Die Frau jedoch konnte nicht die Schuld des Hotels nachweisen, da keine zehn Prozent der Hotelgäste erkrankt sind.  

Sollte tatsächlich eine Virenerkrankung vorliegen, so muss diese aus-kuriert werden, da sie ansonsten verschleppt wird. Das körpereigene Abwehrsystem befördert durch Husten und Niessen die Atemwegs-Viren hinaus bzw. durch Erbrechen und Durchfall auch die Magen-Darm-Erreger. Hinzukommendes Fieber bringt die Abwehr auf Hochtouren. Begleitende Medikamentierung lässt die Krankheitssymptome bald abklingen. Diese aber sollte von einem Arzt verschrieben werden. Inzwischen gilt es, penibelste Hygiene einzuhalten und keinen körper-lichen Kontakt zu anderen Menschen zu pflegen. Auch das Kuscheln mit ihrer Hauskatze kann diese zum Überträger machen.

Durch die Ärzte-Serien im Fernsehen wissen wir, dass sich Ärzte beim Berühren von Patienten Einweg-Handschuhe überstreifen oder vor Operationen minutenlang die Hände waschen („5 Momente der Hände-hygiene“). Dies geht auf den Assistenzarzt Ignaz Semmelweis zurück. Er begann seine medizinische Karriere 1846 als Assistenzarzt an der 1. Gebärklinik des AKH Wien. Nicht weniger als 15 % der Frauen starben dort nach der Geburt ihres Kindes an Kindbettfieber. An der 2. Gebär-klinik war diese Sterblichkeitsrate wesentlich geringer. Semmelweis untersuchte dies und kam zu folgendem Ergebnis: In seiner Klinikab-teilung führten Ärzte die Geburten durch, in der 2. hingegen Hebammen. Die Hebammen hatten sich jeweils vor der Geburt die Hände gewaschen, die Ärzte nicht. Sie kamen teilweise direkt vom Sezieren in den Kreissaal. Dort infizierten sie die Frauen mit Leichengift. Doch kam die Erkenntnis bei Semmelweis erst nach dem Tod eines Freundes, dem Pathologen und Gerichtsmediziner Jakob Kolletschka, der beim Sezieren durch einen Student an der Hand verletzt wurde und an Blutvergiftung starb. Er zeigte dieselben Symptome wie die verstorbenen Mütter. Es folgten Tier-versuche mit Kaninchen und schliesslich die Desinfizierung der Hände und Geräte mit Chlorkalk. So konnte die Sterblichkeitsrate auf 1,3 % minimiert werden. Semmelweis wurde von vielen seiner Kollegen ange-feindet, vor allem aufgrund der Tatsache, dass sie nicht für den Tod der Frauen verantwortlich sein wollten. Am meisten übrigens durch den bekannten Pathologen Rudolf Virchow. Der Hygiene-Vorreiter wurde dadurch gebrochen, er ging nach Ungarn, wo er an der Universität Pest als Hebammenausbildner und Professor für theoretische und praktische Geburtshilfe lehrte. Unter nach wie vor nicht geklärten Umständen verstarb er an einer Krankheit in der Landesirrenanstalt Wien-Döbling. Erst nach seinem Tod führte 1867 der Chirurg Joseph Lister die Desin-fektion mit Karbol vor den Operationen ein.   

Ein Grossteil der Erreger wird über unsere Hände übertragen. Auf den Handflächen eines Menschen tummeln sich über 200 unterschiedliche Keimarten (Viren, Bakterien, Pilze aber auch Würmer oder Parasiten). Durch das richtige Händewaschen können bis zu 99 % dieser Erreger einfach weggespült oder zerstört werden, da Seifen unter anderem Ten-side beinhalten, die die Schützhülle des Virus zerstören. Durch die Ver-wendung antibakterieller Seifen allerdings können Sie Erreger resistent machen oder Allergien auslösen. Diese enthalten beispielsweise den Bakterienhemmer Triclosan, der vom Bundesinstitut für Risikobewertung als gefährlich eingestuft wird. 

„Lassen Sie besser die Finger davon!“ 

(Dr. Thomas Holzmann vom Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene der Universität Regensburg)

Auch Desinfektionsmittel sollten Sie – im Gegensatz zu medizinischem Personal – nur dann zuhause verwenden, wenn ein Erkrankungsfall in Ihrer Familie festgestellt wurde. Zudem werden durch diese normal erhältlichen Mittel nicht alle Erreger abgetötet (Bakteriensporen etwa)! Und schliesslich enthalten die Profi-Desinfektionsmittel rückfettende Substanzen, die durch die Einreibemethode gemeinsam mit den Haut-fetten aus der Hornschicht wieder in die Haut gerieben werden. 

In manchen Religionen gehört das „Lavabo“, das rituelle Händewaschen des Priesters, zur Messe dazu. Wir müssen es ja nicht übertreiben, doch dient Körperhygiene dem eigenen und dem Schutz der Gesellschaft – vor allem in Zeiten von Corona und der Grippe. So könnten jährlich rund 1 Mio Menschen gerettet werden, die an Durchfallerkrankungen oder deren Folgewirkungen sterben bzw. die Atemwegserkrankungen (als eine der Hauptursache für die hohe Kindersterblichkeit in den Entwicklungs-ländern) stark eingedämmt werden. Dies zeigt alsdann eine Studie aus Ländern der Dritten Welt auf: Nach der Einschulung zum richtigen Händewaschen mit Wasser und Seife konnten bei Kindern unter fünf Jahren Lungenentzündungen um 50 und Durchfallerkrankungen bei Kindern unter 15 Jahren gar um 53 % reduziert werden. Doch auch in Kanada, den USA und Australien wurden durch das richtige Hände-waschen in Kinderbetreuungsstätten grosse Erfolge erzielt: So gingen grippale Infekte und Atemwegserkrankungen um 32 % zurück. Selbstver-ständlich auch bei Erwachsenen: Im Rahmen einer Untersuchung der US-Navy mussten Soldaten fünfmal täglich gründlich die Hände waschen. Die Zahl der Atemwegserkrankungen ging um satte 45 % zurück. Das sollte uns die kurze Zeit am Waschbecken und die vergleichbar günstige Seife durchaus wert sein, denn: Spätestens seit Beginn der Corona-Pandemie wissen wir, dass richtiges Händewaschen Leben retten kann. Dabei ist es nicht relevant, ob das Wasser warm oder kalt ist (bezugnehmend auf die derzeitige Energie-Diskussion) – entscheidend ist die Dauer und somit die Gründlichkeit des Reinigens. Nur heisses Wasser kann noch mehr bewirken – das aber verbrüht die Hände und schädigt den natürlichen Säure-Fettmantel der Haut. Wenn keine Seife vorhanden ist: Durch Wasser lassen sich viele Magen-Darm-Bazillen wegspülen, wirklich sauber jedoch werden die Hände dadurch nicht. In einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) verwendeten 87 % die Seife, allerdings nutzten nur 36 % die empfohlenen 20 Sekunden. Dabei sollte jedoch auch nicht vergessen werden, dass zu häufiges Händewaschen die Haut austrocknet, wobei Keime wesentlich besser durch die schützende Schicht in den Körper eindringen können. 

Zuletzt noch drei Tipps: Reinigen Sie öfters das Lenkrad Ihres Fahr-†zeuges, das Display des Handies oder die PC-Tastatur mit einem Mikro-fasertuch und/oder einem entsprechenden Desinfektionsspray – beides sind richtiggehende Keimschleudern!

Übrigens: Der 5. Mai ist Welthändehygienetag, der 15. Oktober Welt-händewaschtag!

Anreize für Kinder:

– „Happy birthday to you“ zweimal singen 

– „Hände waschen, Hände waschen muss ein jedes Kind“ – fünfmal singen

– Schaumwettbewerb mit Stoppuhr – wer macht mehr Schaum innerhalb von 20 bzw. 30 Sekunden

– Malseife macht die Hände während des Waschens farbig

– Schwabbelige Wabbelseife verwenden

– Glitzerseife 

– Knisterbad dazugeben

Links:

– www.infektionsschutz.de

– www.gesundheit.gv.at

– www.bmgf.gv.at

– www.unicef.de

– www.meduniwien.ac.at

– www.who.int

– www.rki.de

– www.ages.at

– www.arbeitsinspektion.gv.at

– www.oeghmp.at

Lesetipps:

.) Hände-Hygiene im Gesundheitswesen; Günter Kampf; Springer 2013

.) Wie wirksam ist händewaschen gegen Influenzaviren?; Maren Eggers / Elena Terletskaia-Ladwig / Martin Enders; Hygiene & Medizin 2009

.) Haben wir seine Botschaft verstanden? Ein Abriss zur Geschichte der Händehygiene anlässlich des 200. Geburtstages von Ignaz Philipp Semmelweis; N.O. Hübner / I. Schwebke; Epid Bull 2018

.) Infektionsschutz durch Hygiene. Einstellungen, Wissen und Verhalten der Allgemeinbevölkerung; A. Rückle / L. Seefeld / U. Müller et al., BZgA-Forschungsbericht 2018

.) Kurzlehrbuch Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie; Uwe Groß; Georg Thieme Verlag 2013

.) An internet-delivered handwashing intervention to modify influenza-like illness and respiratory infection transmission (PRIMIT): a primary care randomised trial; P. Little / B. Stuart / FD. Hobbs / M. Moore / J. Barnett / D. Popoola et al.; Lancet 2015

.) Handwashing and respiratory illness among young adults in military training; MA. Ryan / RS. Christian / J. Wohlrabe; Am J Prev Med 2001

No Comments »

Mauerfall – gut oder schlecht???

Als in den frühen Morgenstunden des 13. August 1961 die Baumaschinen auffuhren und hunderte Menschen mit dem Bau einer Mauer rund um die drei Westsektoren Berlins begannen, konnte wohl noch niemand die weitreichenden Folgen des Ganzen absehen. Die Berliner Mauer wurde zum Symbol für die Abgrenzung des Ostens zum Westen! 

Der Bau des „Faschistischen Schutzwalls“ wurde nur wenige Tage zuvor zwischen dem Generalsekretär der KPdSU, Nikita Chrustschow und dem Vorsitzenden des Staatsrats der DDR, Walter Ulbricht, bei einem Treffen der Staaten des Warschauer Paktes in Moskau beschlossen. Sie war der Abschluss der Teilung Deutschlands, da in den Jahren zuvor bereits die 1.378 Kilometer lange Grenze zwischen Ost- und Westdeutschland regelrecht „befestigt“ wurde. Offiziell sollte dieses nahezu unüber-windbare 3,60 Meter hohe und 400 Millionen Ostmark teure Bauwerk die Einwohner der DDR vor dem Kapitalismus des Westens schützen. Inoffiziell jedoch mussten dadurch jene DDR-Bürger zurückgehalten werden, die ihre Zukunft lieber im Westen als im Osten sahen. Alleine im Juni 1961 sind über 30.000 Menschen in den Westteil der Stadt geflüchtet, danach über 3.000 – täglich! Der neugegründete Staat drohte auszudünnen. An der restlichen Grenze galt schon seit 1960 der Schiess-befehl für die Grenzsoldaten, er sollte schliesslich auch auf Berlin ausge-dehnt werden. Bis zu 245 Menschen wurden beim Versuch, die Berliner Mauer zu überwinden, getötet – offizielle Zahlen gibt es allerdings nicht.

Als Michail Gorbatschow Staats- und Parteichef in der Sowjetunion wurde, musste er grossflächig reformieren, da die UdSSR wirtschaftlich am Boden lag. Dies aber konnte er nur mit der Bevölkerung, nicht gegen sie umsetzen. Also gewährte er Meinungs- und Pressefreiheit, öffnete das Land für Investoren und versprach Reisefreiheit. Es begann eine Zeit der Entspannung zwischen den Blocks aus West und Ost. Im August 1989 nutzten tausende DDR-Bürger ihren Urlaub in der Tschechoslowakei für eine Flucht in die bundesdeutsche Botschaft in Prag. Auch über die ungarisch-österreichische Grenze flüchteten tausende Menschen. Das Regime in Ost-Berlin musste reagieren, da diese Menschen dem sozialistischen Arbeitsmarkt und seinem Fünf-Jahres-Plan fehlten – betroffen davon waren alle Schichten: Vom Kraftfahrer, über die Kranken-schwester bis hin zum Hochschulprofessor. Nach dem offiziellen Teil einer Pressekonferenz meinte Günter Schabowski am 09. November 1989, dass für alle Bürger der DDR künftig die Reisefreiheit gelte. Damit wollte die SED die Massenflucht in der Annahme verhindern, dass zwar viele in den Westen rüber wollen, danach aber wieder zurückkommen würden. Als ein Reporter den treuen Kader-Soldaten Schabowski fragte, ab wann diese Reisefreiheit gelte, kramte dieser in seinen Unterlagen, da er bei der Abstimmung des Zentralkomitees nicht selbst anwesend war und den Entwurf dieses Gesetzes erst kurz vor der Pressekonferenz durch Egon Krenz in die Hand gedrückt bekam. Er meinte: 

„Das tritt nach meiner Kenntnis… Ist das sofort, unverzüglich.“

So hatten sich dies die Genossen im ZK jedoch nicht vorgestellt!!! Der Satz wurde um 19.04 Uhr durch die DDR-Nachrichtenagentur ADN verbreitet und um 19.30 Uhr in der Sendung „Aktuelle Kamera“ verlesen – eine halbe Stunde später titelte damit auch die Tagesschau in der ARD. Danach machten sich zigtausende Menschen auf den Weg um sich das direkt an der Grenze anzuschauen. Um 21.30 Uhr erhielt der Chef der Passkontrolleure an der Bornholmer Strasse, Oberstleutnant Harald Jäger, den Befehl, den Schlagbaum „ein bisschen zu öffnen“, da sich dort bereits 20.000 Menschen angesammelt hatten, die die Öffnung der Grenze forderten. Den lautesten unter ihnen sollte die Ausreise ermöglicht werden, damit sich die Lage entspannen könne. Sie erhielten einen Stempel in den Pass, damit sie nicht mehr einreisen konnten. Doch kamen immer mehr Menschen an den Grenzposten. Um 23.29 Uhr schließlich gab Jäger den Befehl, den Schlagbaum zu öffnen. Der Fall der Mauer hat begonnen!

Der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl weilte an diesem Tag in Warschau. Um 19.30 Uhr wurde die deutsch-polnische Sitzung unter-brochen, da sich offenbar etwas in Berlin ereignete. Auch der regierende Oberbürgermeister von Berlin, Walter Momper, durch die Meldung überrascht, eilte sofort zur Grenze und wurde dort förmlich überrannt. Ein Museum fragte bei ihm an, ob er seinen roten Schal, den er in dieser Nacht trug, als ein Zeichen für den Mauerfall abgebe, was Momper jedoch bisher standhaft verweigerte. In den Regierungsgebäuden der DDR herrschte Panik. Es war also ein Versprecher, der den Mauerfall einleitete!

Doch was hat sich „drüben“ seither getan? Ehrlich? Nicht wirklich viel! Ein Aufbauprogramm nach dem anderen verpuffte – die Wirtschaft in den „neuen“ Bundesländern kam nicht in’s Laufen! Davon kann auch Elon Musk ein Lied singen: Seine Gigafactory in Grünheide sollte schon längst auf Hochtouren laufen, damit der europäische Markt auch mit europäischen Modellen beliefert wird. Doch gab es enorme Start-schwierigkeiten. Anfang Oktober verliessen 2.000 Autos pro Woche das Fliessband (vorgesehen waren 5.000). Mit chinesischen Batteriezellen – bislang (Stand: Anfang Oktober) wurde noch keine einzige aus eigener Produktion in Brandenburg verbaut.  

Tatsächlich haben sich seit dem Mauerfall nur wenige in Richtung Osten erweitert. 1990 belief sich die Wirtschaftskraft in den ostdeutschen Bundesländern nur auf etwa 43 % der westdeutschen. Erst 2018 konnte sie auf 75 % gesteigert werden, die Löhne erreichten im selben Jahr rund 85 % des Westniveaus – 29 Jahre nach dem Mauerfall! Handelsriesen wie Amazon sind nicht dafür verantwortlich, da sie ihren Mitarbeitern tarif-fremde Gehälter anbieten und somit nur das niedrige Lohnniveau nutzen. 

1990 – kurz nach dem Mauerfall wanderten rund 400.000 Ostdeutsche in Richtung Westen ab. Verantwortlich zeichneten damals oft die Schliessungen jener Betriebe bzw. Staatsbetriebe, die vom Mauerfall überrascht wurden. Die Arbeitslosigkeit stieg in besorgniserregende Höhen – die Angst vor der Zukunft zog ihre Kreise. Rund um den Jahr-tausendwechsel anno 2000 wanderten weitere nahezu 200.000 Menschen ab – junge, Frauen und gut ausgebildete Bürger, die sich in den westlichen Bundesländern ein wesentlich besseres Leben erwarteten – vornehmliches Ziel: Baden Württemberg und Bayern. Dies hatte weitreichende Folgen, an welchen auch heute noch einige Regionen schwer zu beissen haben: Steuerentgang, Niedergang der sozialen Infra-struktur, wie etwa im Bildungsbereich, der medizinischen Versorgung, Freizeit, … Erst 2017 kippte die Abwanderung – es zogen mehr Menschen in den Osten als in den Westen! Auch jene, die geblieben sind, haben die Zukunftsplanung genauer angegangen: Die Angst vor dem Verlust der Arbeit liess zeitweise die Geburtenrate auf nahezu 50 % sinken. Ergo: Familienplanung auf Eis gelegt! Das wiederum lässt das Durchschnittsalter ansteigen – schlechter Boden für die Wirtschaft. Derartige Regionen sind nach Aussage vieler Politikwissenschafter ein perfekter Nährboden für die AfD.

1991 wurde der sog. „Soldaritätszuschlag“ für ein Jahr befristet einge-führt. Er sollte u.a. die Kosten für die deutsche Einheit finanzieren. 30 Jahre später gibt es ihn noch immer. 2019 legte der damalige Bundes-finanzminister und heutige Bundeskanzler Olaf Scholz einen Gesetzes-entwurf zur Abschaffung des Solis vor (er sollte ohnedies in dem Jahr auslaufen), der auch am 14. November 2019 durch den Bundestag beschlossen wurde. So müssen seit 2021 nurmehr die Besserverdiener den Zuschlag bezahlen. Die vollständige Abschaffung wird durch  den Bundesrechnungshof für 2023 empfohlen. Der Haken: Es ist ein gewaltiger Batzen Geld, der nicht zweckgebunden ist und somit für weitaus mehr als den wirtschaftlichen Ausgleich zwischen Ost und West verwendet wird. Im vergangenen Jahr beliefen sich die Gesamteinnahmen durch den Soli auf rund 11 Milliarden Euro!!

Erlauben Sie mir zum Schluss einen eigenen Gedanken – vornehmlich zum Soli: Wäre in den vergangenen 30 Jahren das Geld zweckgebunden eingesetzt worden, bestünde heute kein Bedarf mehr dafür. Da dies jedoch ganz offensichtlich nicht der Fall zu sein scheint, muss ich mich wirklich fragen: Was wurde aus der deutschen Wiedervereinigung? Auch der Bund selbst wagte sich nur sehr zögerlich in die neuen Bundesländer. Ist es somit das Aschenputtel, das die BRD übernommen hat? Wäre es vielleicht gar besser gewesen, die DDR hätte noch über zehn weitere Jahre bestanden und mit Hilfe der BRD eine Grundbasis für die Wieder-vereinigung schaffen können? 

Sei’s drum – einem Mann ist dies vornehmlich zu verdanken, dass 1989 kein Blut geflossen ist – wie Jahre zuvor in Ungarn oder der Tschecho-slowakei: Dem verstorbenen Michail Gorbatschow! Er musste aus wirtschaftlichen Gründen so handeln – er handelte jedoch auf eine Art und Weise, wie es viele vor und nach ihm nicht taten oder tun werden: Als Mensch!

Filmtipps:

.) Bornholmer Strasse; Fernsehfilm; Deutschland 2014

.) Geheimsache Mauer; Fernsehfilm; Deutschland 2010

.) Geheimakte Mauerbau; Fernsehfilm; Deutschland 2011

.) Es geschah im August. Der Bau der Berliner Mauer; Fernsehfilm, Deutschland 2001

.) Die Mauer – Berlin ’61; Fernsehfilm; Deutschland 2006

Lesetipps:

.) Die Berliner Mauer. Geschichte eines politischen Bauwerks; Thomas Flemming/Hagen Koch; be.bra 2001

.) Die Mauer. 13. August 1961 bis 9. November 1989; Frederick Taylor; Siedler 2009

.) Die Berliner Mauer 1984 von Westen aus gesehen; Philipp J. Bösel/Burkhard Maus; Berlag Kettler / White-Press 2014

.) Halt! Grenzgebiet! Leben im Schatten der Mauer; Thomas Scholze/Falk Blask; Basis-Druck 1997

.) Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt; Frederick Kempe; Siedler 2011

.) Die Nacht, in der die Mauer fiel – Schriftsteller erzählen vom 9. November 1989; Hrsg.: Renatus Deckert; Suhrkamp 2009;

.) Die längste Nacht, der größte Tag – Deutschland am 9. November 1989; Jrsg.: Kai Diekmann/Ralf Georg Reuth; Piper 2009

.) Der Mann, der die Mauer öffnete. Warum Oberstleutnant Harald Jäger den Befehl verweigerte und damit Weltgeschichte schrieb; Gerhard Haase-Hindenberg; Heyne 2007

Links:

– www.bpb.de

– www.bundesstiftung-aufarbeitung.de

– www.berlin.de/mauer

– www.bstu.de

– www.mauerkarte.de

– deutsche-einheit-1990.de

– berliner-mauer.de

– www.chronik-der-mauer.de

No Comments »

Ist bald Schluss?

„Zeige mir einen Wissenschaftler, der behauptet, es gebe kein Bevölkerungsproblem, und ich zeige dir einen Idioten.“

(Paul Ehrlich)

Ist das 6. globale Massensterben bereits unaufhaltsam in vollem Gange? Dieser Frage möchte ich heute nachgehen – Anlass hierzu liefert ein Inter-view des renommierten emeritierten Stanford-Professors Paul Ehrlich, das er bereits 2018 der britischen Zeitung „The Guardian“ gab. Dann kam Corona und nahezu nichts hat sich geändert – ja, vieles ist sogar noch schlimmer geworden! 

All jene unter ihnen, die ihn kennen, werden nun sicherlich meinen: Na ja – der Schmetterlingsforscher hat für die 70er- und 80er-Jahre ähnliches vorausgesagt, das dann nicht so eingetroffen ist. Doch dieses Mal geht Ehrlich (auch Experte für das Thema „Überbevölkerung“) seine Über-legungen von einer anderen Perspektive aus an: Der Chemiekeule! Dazu mehr etwas später. Dass aber derartige Theorien durchaus ernst zu nehmen sind und zumindest etwas geändert werden sollte, dürfte klar sein. Denn: Das berühmte „5 vor 12“ ist schon längst überschritten – es geht in Siebenmeilen-Stiefeln direkt auf die 12 zu. Das werde ich im Folgenden aufzeigen.  

Der letzte Kollaps liegt rund 750 Millionen Jahre zurück. Der Grund dafür war die Teilung des riesigen Kontinents Rodinia. Zugleich erreichte die Konzentration an Kohlendioxid seinen historischen Tiefststand. Es fand also der gegenteilige Effekt des Treibhauses statt: Die Vereisung, da die auf den Planeten auftreffende Strahlung nahezu ungehindert wieder in’s Weltall reflektiert wurde. Gletscher bedeckten einen Grossteil des Planeten. Verantwortlich dafür war das Basaltgestein, das durch dieses tektonische Auseinanderbrechen der riesigen Landmassen freigesetzt wurde. Es verwitterte und entzog dadurch der Atmosphäre das CO2. Zuvor herrschte ein extrem trockenes Klima auf diesem Superkontinent. Nach der Trennung ergossen sich allerdings die Fluten über den Planeten. Nach Berechnungen des „Centre national de la recherche scientifique“ reichten damals durchschnittlich knapp mehr als 8 Grad Celsius weniger, um diese eiszeitliche Katastrophe auszulösen. Jetzt bekommen Sie auch einen Anhaltspunkt, was die immer wieder erwähnten „2 Grad mehr“ für die Zukunft bedeuten werden. 

„Während einige in der Gesellschaft darauf hinweisen, dass wir auf einen Kollaps zusteuern und grundlegende Veränderungen ein-fordern, um das Schlimmste zu verhindern, sind es die Eliten, die genau diese Veränderungen verhindern.“

(Studie der NASA)

Querverweis zum Energieverbrauch in diesem Krisenjahr: Die 10 % der Reichsten der Weltbevölkerung verbrauchen 20 mal so viel Energie wie die ärmsten zehn Prozent (Studie der University of Leeds)! 

Der Biologe Paul Ehrlich nun hat gemeinsam mit seiner Frau Anne vor 50 Jahren den Bestseller „Die Bevölkerungsbombe“ auf den Büchermarkt gebracht. Dort prognostizierte er für die 70er und 80er-Jahre des vorher-gehenden Jahrhunderts gewaltige Hungerkatastrophen mit hunderten Millionen Todesopfern. Auslöser dafür sollte vornehmlich die Überbe-völkerung des Planeten, aber auch der grenzenlose Konsum sein. Ehrlich könnte Recht gehabt haben, doch bezog er einige Parameter in seine Theorie nicht ein. Die „grüne Revolution“ beispielsweise. Dieser Fach-begriff beschreibt den Anstieg der Nahrungsmittelproduktion durch den Einsatz von Agrarchemikalien, wie dem synthetischen Kunstdünger, und der Entwicklung ertragreicher Getreidesorten. Dennoch: In den Jahren zwischen 1968 und 2010 verhungerten 300 Millionen Menschen! 

Diese daraus hervorgegangene Intensivlandwirtschaft jedoch hat auch seine Nachteile, die der heute 90-jährige in diesem Interview offenbarte. Die eingesetzten Chemikalien haben unseren Planeten vergiftet!  

„Es gibt Anzeichen dafür, dass die Gifte die Intelligenz von Kindern verringern!“

(Paul Ehrlich, emeritierter Professor an der Stanford University)

Auch damit hat Ehrlich nicht so ganz unrecht. Betrachtet man sich das in vielen Nahrungsmitteln inzwischen nachgewiesene Glyphosat und die angebliche interne Mail des Monsanto-Konzerns (jetzt Bayer AG) damals, wonach das Mittel entgegen vorher veröffentlichter Untersuchungs-ergebnisse doch die Entstehung von Krebs begünstige, so ist es nurmehr eine Frage der Zeit, wann sich die Menschheit selbst ausgerottet hat. Durch die Hungerkatastrophen und die Klimaänderung oder auch Kriege wird dies noch beschleunigt. Allerdings, so Ehrlich, werden die meisten dumm sterben. Viele der eingesetzten Chemikalien beeinflussen die menschliche Intelligenz. Negativ! So verwies der emeritierte Professor auf den republikanischen Präsidentschaftswahlkampf 2016 und die anschliessende „Kakistokratie“ – die Herrschaft der Schlechtesten! 

Die beiden Neurowissenschafter Philippe Grandjean (Universität von Süd-dänemark in Odense) und Philip Landrigan (Harvard University) haben nachgewiesen, dass mindestens elf Chemikalien bei bereits früher Belastung zu Entwicklungsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern führen können. Darunter sind mehrere Pestizide und Lösungs-mittel, aber auch Produkte, die Blei, Mangan, Quecksilber und Fluor- bzw. Chlorverbindungen beinhalten. Grandjean und Landrigan betonen, dass bereits jedes zehnte Kind von Geburt an eine Entwicklungs- oder Verhal-tensstörung wie Autismus, Hyperaktivität, geistige Defizite aufweist und zudem später beispielsweise eine wesentlich höhere Aggressionsstufe hinzukommen kann. Dabei sind aber nur 30 bis max. 40 % durch genetische Defekte verursacht. Bei den restlichen müssten viele bereits im Mutterleib mit solcherlei Neurotoxinen in Kontakt gekommen sein. Das sich entwickelnde Gehirn ist gerade beim ungeborenen Kind besonders empfindlich. Durch die Versorgung mit mütterlichem Blut werden derartige Gifte direkt übertragen. So konnten im Jahr 2021 bei einer Studie von Aolin Wang et.al. von der University of California in San Francisco nicht weniger als 109 Industriechemikalien durch eine spezielle Massenspektrometrie des Nabelschnurblutes festgestellt werden: 40 stammen aus Weichmachern, 28 aus Kosmetika, 29 von Arzneimitteln und 25 aus Haushaltsmitteln, wie der Vergleich mit einer Referenzdatenbank ergab. Doch das war noch lange nicht alles: Gefunden wurden zudem 23 Pestizde, drei Flammschutzmittel und sieben polyfluorierte Alkyl-verbindungen. 55 Verbindungen wurden bis zu diesem Zeitpunkt noch nie im Blut nachgewiesen.

„Es ist alarmierend, dass wir immer wieder Chemikalien finden, die von schwangeren Frauen an ihre Kinder weitergegeben werden.“

(Tracey Woodruff, University of California)

Im Rahmen einer früheren Überblicksstudie wurden mehr als 200 Chemikalien aus dem Nabelschnurblut herausgefiltert. Darunter das vorhin bereits angesprochene Blei und Quecksilber, aber auch Arsen, polychlorierte Biphenyle sowie das Lösungsmittel Toluol. Sind auch solche Vergiftungen nicht unmittelbar feststellbar, so führen sie zu grossen Problemen im Sozialverhalten, motorischen Störungen, eine geringere geistige Leistungsfähigkeit und möglicherweise zu einem kleineren Hirnvolumen. Andere Studien aus Kanada und Bangladesch zeigten unmittelbare Auswirkungen von Mangan auf die mathematischen Fähigkeiten und einer Hyperaktivität der Kinder auf, in Frankreich und den USA Tetrachlorethylen auf aggressives Verhalten, Hyperaktivität und psychische Erkrankungen. Bei drei weiteren Untersuchungen wurden Auswirkungen von Organophosphat-Pestiziden auf den Kopfumfang und Defizite in der geistigen und sozialen Entwicklung bestätigt. Sicherlich stehen auch schlechtere schulische Leistungen, Konzentrations-schwierigkeiten und eine verlangsamte Entwicklung in Korrelation mit Chemikalien – das jedoch ist derzeit noch nicht wissenschaftlich unter-mauert. Schäden, die das Kind durch eines oder mehrere dieser derzeit 214 Neurotoxine, die zumeist in grossen Mengen ausgebracht werden, aufweist, bleiben ein Leben lang bestehen. Volkswirtschaftler schätzen etwa die IQ-Einbussen in der EU nur aufgrund der Quecksilberbelastung auf jährlich 600.000 IQ-Punkte – ein ökonomischer Schaden von zirka zehn Milliarden Euro – ebenfalls pro Jahr! Und dieses Problem besteht nicht erst seit den letzten Jahren, da in den 70er Jahren mit dem Verbot des Pestizids DDT, das im Verdacht stand, bei Säugetieren Krebs zu erregen, beispielsweise fieberhaft nach neuen Mitteln gesucht wurde. Und die Babies dieser damaligen Zeit sind die Erwachsenen von heute!

Neben solchen neurotoxischen Pestiziden werden auch Herbizide, Fungi-zide, Düngemittel, Wachstumsregulatoren, Vorratsschutzmittel etc. in grossen Mengen auf die Felder und Äcker gesprüht. Wir atmen somit – v.a. im Umkreis von Ackerflächen – mit jedem Atemzug auch Giftstoffe ein, die der Körper (wenn überhaupt) nur sehr schwer abbauen und ausscheiden kann. Das Augenmerk gilt dabei vornehmlich den Insekti-ziden, die zwar auf ihren unmittelbaren Schaden bei Säugetieren, nicht jedoch auf pränatale oder schleichende Negativwirkungen hin überprüft sind. Ergo: Professor Ehrlich hat durchaus recht mit seiner Annahme, dass wir zuerst dumm werden und dann sterben.  

„Wir müssen weg von der irrigen Annahme, nach der neue Chemikalien und Technologien solange als ungefährlich gelten, bis das Gegenteil nachgewiesen wird.“

(Grandjean/Landrigan)

Zudem nehmen wir Giftstoffe auch über die Nahrung auf. So wurde beispielsweise Glyphosat bereits im Trinkwasser so mancher Region entdeckt. In einer Untersuchung des eidgenössischen Bundesamtes für Gesundheit aus dem Jahr 2013 wird darauf verwiesen, dass 92 % aller Giftstoffe über Nahrungsmittel tierischen Ursprungs aufgenommen werden (Milchprodukte beispielsweise 54%). Diese Gifte („persistente Umweltschadstoffe“) werden auch noch eine ganze zeitlang in der Nahrungskette bleiben. Schliesslich sind sie weiterhin im Boden oder Tierkörper, auch wenn eine spontane Absetzung erfolgt ist. Dennoch sollten alle Anstrengungen unternommen werden, langfristig auf derartige Chemikalien zu verzichten. 

Wer nun denken sollte: „Na ja – dann bekommen die Kleinen eben Fisch!“, macht genau einen Schritt in die falsche Richtung. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Universität Granada/Spanien. Die Studienleiter haben einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem vermehrten Konsum von Meeresfischen und der geistigen Leistungsfähigkeit bei Vorschulkindern im Alter von vier Jahren festgestellt. In den Haaren der Kinder wurden teils unwahrscheinlich hohe Quecksilberkonzentrationen nachgewiesen. Das wirkte sich v.a. bei den Gedächtnisleistungen und dem sprachlichen Ausdrucksvermögen aus. Diese Untersuchungen wurden durch die Kollegen von der Universität Barcelona untermauert. Kinder mit viermaligem Fischkonsum pro Woche enthielten wesentlich höhere Quecksilberkonzentrationen in den Haaren. Das gilt übrigens auch für Neugeborene, deren Mütter während der Schwangerschaft viel Fisch aßen. Die deutsche Meeresstiftung veröffentlichte vor geraumer Zeit eine Untersuchung, wonach in den Meeren rund um Europa nicht weniger als 114.000 Tonnen atomarer Müll in teilweise bereits verrosteten Fässern lagern. Oder auch darunter: So wurden im vergangenen Jahr in der Nähe des schwedischen Atomkraftwerks Forsmark 60 m unter dem Meeres-grund der Baltischen See bereits rostende Fässer mit nicht weniger als 2.800 to radioaktiven Materials aus den 70er- bzw. 80er-Jahren gefunden. Es dürfte sich um schwach- bis mittelradioaktiven Abfall aus der medizinischen bzw. militärischen Industrie handeln. Dieses muss nun kostenaufwendig für eine sichere Lagerung saniert werden. Dennoch: Die Meere müssen immer mehr als Müllkippe herhalten. Durch die Fische gelangen schliesslich diese Schadstoffe auch wieder auf den Mittagstisch. 

„Kurz gefasst, bisher wurde noch nichts wirklich Relevantes unternommen, um das Schlimmste zu verhindern!“

(Arne Mooers, Professor für Biodiversität Simon Fraser Universität/ Kanada)

Was bleibt also zu tun? Sofortiges Verbot von Agrarchemikalien, Rückkehr zur nachhaltigen Nahrungsmittelproduktion und Kontrolle des Bevölkerungswachstums. Durch das Verbot von Fluorchlorkohlenwasser-stoffen (FCKW) als Kühlmittel beispielsweise ging das Loch in der vor gefährlichen Strahlung schützenden Ozonschicht auf das Niveau von 1988 zurück. 

Lobend erwähnt werden muss auch das Verbot von drei Insektiziden durch die EU (spät aber doch noch). Sie beinhalten Neonicotinoide, die v.a. für das grosse Bienensterben verantwortlich sind. Der Rechtsstreit zwischen dem Konzern Bayer und der EU dauerte acht Jahre und endete im vergangenen Jahr mit einer Bestätigung des Verbots durch den Europäischen Gerichtshof.

Es gibt viele Alternativen zu Agrarchemikalien, die jeder im Garten verwenden kann: Kaffee etwa ist ein Supermittel. In Blumenbeeten ausge-brachter, gebrauchter Kaffeesatz hält Schnecken fern. In Buchsbäumen gestreut, ist er auch ein probates Mittel gegen den Buchsbaumzünsler. Und schliesslich ist Kaffee ein perfekter Dünger. Alleine durch etwas, das ansonsten weggeworfen wird, können drei unterschiedliche Chemikalien ersetzt werden!!!

Die Erde ist eigentlich auf zwei Milliarden Menschen ausgelegt. Derzeit sind es bereits 7,96 Milliarden (Stand: Juli 2022)! Und jährlich kommen mehr als 66 Millionen hinzu (täglich 180.000). 2050 werden somit 9,7 Milliarden Menschen auf dem Globus leben, 2100 gar 10,9 (Zahlen: Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen). Ehrlich spricht in diesem Zusammenhang von „andauerndem Wachstum als Merkmal von Krebszellen“! Er verfolgt auch hier einen sehr interessanten Ansatz: Bildung und Gleichberechtigung der Frauen weltweit – sie sind keine „Geburtsmaschinen“, die durch möglichst viel Nachwuchs die Zukunft der Familie sichern sollen. Zugang zu modernen Verhütungsmitteln in den Entwicklungsländern sowie eine grossflächige Umverteilung des Reichtums. Durch den exzessiven Konsum der Industriestaaten werden die Dritte Welt und die Schwellenländer immer mehr ausgebeutet. 

„Der Mensch ist gemacht aus Wasser, Erde und Luft. Wenn er aufhört, die Elemente zu achten, vergiftet und tötet er schließlich sich selbst.“

(Indianische Weisheit)

Dieses 6. Globale Massensterben ist somit durch den Menschen gemacht. Jene zuvor war die natürliche Kontrolle der Erde durch Vulkanausbruch, Eiszeit oder auch einen Meteoriteneinschlag vor 65 Millionen Jahren. Das Sterben hat schon vor einigen Jahren bei den Insekten begonnen. Ganze Pflanzenpopulationen verschwinden nach und nach. Die Klimaerwärmung vernichtet zudem komplette Ernten. Auch mit dem Ziel von +2 Grad Celsius sind alsdann ganze Regionen ernährungstechnisch bedroht: Afrika und Südamerika werden von Dürrekatastrophen heimgesucht, Asien droht in den Fluten der Taifune unterzugehen. Hitzephasen wie zuletzt werden auch Europa in die Knie zwingen. 

Ehrlich bezeichnet den Weltwirtschaftsgipfel in Davos als „Treffen der Weltzerstörer“! In seinen Ansichten wird der Professor von nicht weniger als 15.364 Wissenschaftlern/-innen aus 184 Ländern unterstützt, die vor einigen Jahren einen Brandbrief unterschrieben („Warnung an die Menschheit“). Ein erster Versuch im Jahr 1992 mit 1.700 unter-zeichnenden Wissenschaftler (darunter viele Nobelpreisträger) blieb nahezu ungehört! 

„Schon bald wird es zu spät sein, den falschen Kurs zu korrigieren.“

(Brandbrief der Wissenschaft unter Federführung von William Ripple, Professor für Ökologie an der Oregon State University)

Demnach steht die Erde unmittelbar vor einer ökologischen Katastrophe. Die Weltbevölkerung ist innerhalb von nur 25 Jahren um 2 Milliarden Menschen angestiegen. Der Ressourcenverbrauch ist immens. Es muss dringendst etwas gegen die Klimaveränderungen, die Entwaldung, das Artensterben und die Todeszonen in den Ozeanen unternommen und der Zugang zu Süsswasser für alle gesichert werden. Während beispielsweise das Süsswasser in den letzten 25 Jahren um 26 % abgenommen hat (Schmelzen des polaren und Gletschereises), nahmen die Todeszonen in den Meeren, die für jedwedes Leben zu heiss, sauerstoffarm oder zu giftig sind, um 75 % zu. Die meisten Wasserquellen haben ihren Ursprung im Wald – 121 Millionen Hektar wurden im vergangenen Viertel Jahrhundert abgeholzt (pro Jahr etwa 13 Millionen Hektar)! Insekten, Tiere, Amphibien, Vögel, Fische – sie sterben zu Millionen. Das „ökologische Armageddon“ stehe unmittelbar bevor; der verstorbene Stephen Hawking meinte, die Menschheit müsse innerhalb der nächsten 600 Jahre den Planeten verlassen, wenn sie überleben möchte!

2019 erschien eine Studie der IPBES, der „Intergovernmental Science-Policy-Platform in Biodiversity and Ecosystem Services“. Über drei Jahre hinweg haben 150 Wissenschaftler aus 50 Ländern mit weiteren 310 Experten nahezu 15.000 Studien und Berichte ausgewertet. Das Ergebnis: Innerhalb der nächsten Jahrzehnte werden bis zu eine Million Tier- und Pflanzenarten nahezu oder komplett ausgerottet werden. Die Ursachen: Luftverschmutzung, keine bestäubenden Insekten, mangelndes Trink-wasser, Überfischung. Auch der Küstenschutz vor dem Ansteigen des Meeresspiegels spielt eine enorm wichtige Rolle. Dieses Sterben hat schon längst begonnen.  

Im Mai wurde der 6. Sachstandsbericht des Weltklimarates IPCC veröffentlicht (https://www.ipcc.ch/report/sixth-assessment-report-working-group-3/). Demnach ist eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad bis 2100 (Pariser Klimaabkommen) noch möglich – aber nur mit rigorosen Massnahmen, da wertvolle Zeit schlichtweg verschlafen wurde. Entscheidende Schritte müssten in allen Weltregionen und Sektoren gesetzt werden – beginnend bei der Land- und Forstwirtschaft, über Verkehr und Industrie bis hin zu den Energiesystemen. Zudem müssten nach Meinung der IPCC-Experten auch Technologien wie CCS (Carbon Capture and Storage, also Abscheidung und Speicherung von CO2) bzw. CDR (Carbon Dioxide Removal – das dauerhafte Entfernen von CO2 aus der Atmosphäre) grossflächig und kostenaufwendig betrieben werden. Kritiker jedoch sind der Ansicht, dass hierdurch keine Minderung des CO2-Ausstosses erreicht werden würde. 

Im Klima-Update der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vom 09. Mai 2022 wird die Wahrscheinlichkeit mit 50 % angegeben, dass diese 1,5 Grad-Steigerung bereits innerhalb der nächsten fünf Jahre überschritten sein wird. Zwar nahmen die THG-Emissionen seit 2010 mit rund 1,3 % pro Jahr etwas langsamer zu, sind aber nach wie vor die höchsten in der Geschichte. 

Die nächste UN-Klimakonferenz (COP 27) findet vom 07. bis 18. November im ägyptischen Scharm asch-Schaich statt. Das Motto hierzu lautet „Gemeinsam für eine gerechte, ambitionierte Umsetzung JETZT“! Betrachtet man sich den CO2-Fussabdruck dieses Spektakels, das ohnedies wieder keine greifbaren Ergebnisse liefern wird, wäre es wohl besser, die Veranstaltung abzusagen oder als Video-Konferenz durchzuführen. Die Russen unter Putin werden alles blockieren, die befreundeten Staaten sich dem anschliessen, die rechtspopulistisch regierten Länder interessieren sich nicht für Klimaschutz,… In der ganzen Tragik um die menschengemachte Vernichtung dieses Planeten und die derzeitige Energienot aufgrund des Ausbleibens fossiler Brennstoffe, muss ernsthaft die wohl wichtigste Frage gestellt werden: Was wurde die ganzen Jahre hindurch nach der lautstark verkündeten Energiewende eigentlich unternommen? Wo bleiben die Taten zu den bei Klimatreffen gemachten Versprechungen?

„Die Sorge, die ich habe, ist, dass die guten Menschen nicht wirksam genug kooperieren werden. Man muss existierende Parteien und Bürokratien mit an Bord holen, sonst bleibt das alles hier ein Debattierclub.“

(Sonja Puntscher-Riekmann, Professorin für Politische Theorie und Europäische Politik an der Universität Salzburg)

Sollten auch die Ehrlichs erneut nicht recht haben, so müssen dringend Überlegungen angestellt werden, wie den globalen Problemen entgegen zu kommen ist. Viele werden nun sagen: „Nun – an mir liegt’s ja nicht!“ Doch! Weil sich das alle denken. Wenn jeder Wasser oder Energie einspart, ist schon viel getan. Den Industriebossen ist es egal, ob die Lebensmittel aufgebraucht oder weggeworfen werden. Hauptsache die Kasse stimmt! Machen Sie sie zu dem, was sie wirklich sind und wie sie heissen: Lebensmittel! Es sind keine Wegwerfmittel! Wer braucht um 18.00 Uhr noch ofenfrisches Brot in den Supermärkten? Kaufen Sie nur so viel ein, wie Sie auch tatsächlich aufbrauchen. Wird weniger konsumiert, geht auch die Produktion zurück – das Gesetz des Marktes! 

„In den USA leben sie, als hätten wir fünf Planeten. In Europa leben wir, als hätten wir drei Planeten.“

(Graham Maxton, briticher Ökonom und ehemaliger Generalsekretär des Club of Rome)

Und gerade Tieren können Sie unsägliches Leid ersparen. Apropos: Für die „Produktion“ eines Kilogramms Rindfleisch sind rund 15.500 l Wasser erforderlich, für die Herstellung einer Jeans 6.000 l! Senken Sie den Fleischkonsum pro Woche, leben Sie nicht nur gesünder, sondern reduzieren auch den Süsswasser-Verbrauch v.a. in Staaten, die auf sauberes Trinkwasser angewiesen sind. Wechseln Sie Ihre Garderobe nicht jedes Jahr, tun Sie auch hier der Umwelt Gutes und ersparen sehr vielen Billigstlöhnern in Fernost ein Leben mit 12-16 Stunden Arbeit pro Tag! Wenn nicht jeder seinen Konsum ändert, wird es keinerlei Veränderungen geben. Forscher appellieren seit geraumer Zeit, eine Konsum-Kehrtwende in der Grössenordnung von 2/3 in der westlichen Welt durchzuziehen. 

Schon 2025 wird die 50 %-Zerstörungsmarke der kleineren Ökosysteme erreicht sein. Mit Ihnen werden auch die grossen kollabieren, warnt der Biologe Anthony Barnosky, emeritierter Professor der Universität von Kalifornien! Nach diesem „Point of no return“ bedarf es nahezu unmög-licher Massnahmen, noch etwas ausrichten zu können. Der im vergangenen Juli verstorbene James Ephraim Lovelock, Mediziner, Biophysiker, Mathematiker und Chemiker an der Oxford University sowie Bestseller-Autor, setzt den Untergangspunkt noch vor das Jahr 2100 – 80 % der Menschheit werden dies nicht überleben. Nicht schleichend – es wird sehr plötzlich kommen. Es sei keine Zeit mehr für Windkraftwerke – die Menschheit solle anfangen, Archen zu bauen, so Lovelock! Sind es schon unsere Töchter und Söhne? Vielleicht unsere Enkel, die durch unser bisheriges, ruinöses Schaffen sterben werden! Während wir noch stolz waren auf die Errungenschaften unserer Eltern und Grosseltern nach dem 2. Weltkrieg, werden uns unsere Nachfahren verfluchen!

Wir haben’s wahrlich weit gebracht!!!

Lesetipps:

.) Die Bevölkerungsbombe; Paul Ehrlich/Anne Ehrlich; Hanser, Carl GmbH + Co. 1982

.) Wir sind dran; Ernst Ulrich von Weizsäcker/Anders Wijkman; Gütersloher Verlagshaus 2017

.) Was verträgt unsere Erde noch?: Wege in die Nachhaltigkeit; Hrsg.: Klaus Wiegandt; FISCHER 2007

.) Grenzen des Wachstums – Das 30-Jahre-Update; Donella H. Meadows/Jørgen Randers/Dennis Meadows; Hirzel 2015 

.) Ein Prozent ist genug – Mit wenig Wachstum soziale Ungleichheit, Arbeitslosigkeit und Klimawandel bekämpfen; Jørgen Randers/Graeme Maxton; Oekom 2016

.) Was wird aus unserer Umwelt? – Die Zukunft des Menschen zwischen Glaube und Natur; Hans Dietrich Engelhardt; Tectum Verlag 2017

.) BiodiversiTOT – Die globale Artenvielfalt jetzt entdecken, erforschen und erhalten; Vreni Häussermann/Michael Schrödl; Books on Demand 2017

.) Katastrophen der Erdgeschichte – Globales Artensterben; József Pálfy; Schweizerbart’sche 2004

.) Die Weltbevölkerung: Dynamik und Gefahren; Herwig Birg; C.H.Beck 2004

.) Weltbevölkerung: Zu viele, zu wenige, schlecht verteilt?; Hrsg.: Karl Husa; Promedia 2011 

.) Wie schnell wächst die Zahl der Menschen?: Weltbevölkerung und weltweite Migration; Hrsg.: Klaus Wiegandt; FISCHER 2007

.) Der Klimawandel im Zeitalter technischer Reproduzierbarkeit; Hannes Fernow; Springer VS 2014

Links:

– www.ipcc.ch

– mahb.stanford.edu

– www.dsw.org

– www.dge.de

– www.cnrs.fr

– www.bag.admin.ch

– www.cleanenergy-project.de/

– virtuelles-wasser.de

– academic.oup.com/bioscience

– www.sciencedirect.com

– www.thelancet.com

– www.ncbi.nlm.nih.gov

– www.pitt.edu

– www.vulkane.net

No Comments »

Vogelgrippe – es war noch lang nicht alles!

Eigentlich sollte man meinen, nach zwei Jahren Corona-Pandemie müsste es zumindest für diese Generation genug sein! Doch ist dem offenbar ganz und gar nicht so. Die europäische Gesundheitsbehörde ECDC warnt nach der Auswertung der Daten des jüngsten Seuchenzugs vor einer der wohl schwersten Epidemien, die jemals in Europa aufgetreten sind: Die Vogelgrippe (Geflügelpest)!

In der Saison 2021/22 wurden nahezu 2.500 Ausbrüche in Geflügel-haltungen erfasst. Insgesamt mussten 48 Mio Tiere in diesen Haltungen gekeult werden. Noch mehr Ausbrüche (mehr als 3.500) wurden bei Wildvögeln festgestellt. Schwer davon betroffen sind Nord- und Ostsee – allerdings zieht sich der Seuchenzug bis nach Portugal in Richtung Südwesten und in östlicher Richtung bis in die Ukraine. Betroffen sind 37 Länder. Auch in Nordamerika konnte heuer ein derartiges Seuchen-geschehen beobachtet werden. Bislang orientierte sich die Ausbreitung vornehmlich am saisonalen Zug der Vögel – inzwischen aber tritt sie ganzjährig auf. Das ist umso tragischer, als es den Brutbeginn der Vögel in grossen Kolonien überdauert. Dadurch kann es ohne Hindernisse wüten. In Zoos und Wildparks wurde das Virus in 190 Fällen nachge-wiesen – nicht nur bei Geflügel, sondern auch bei Säugetieren. Und hier besteht die grösste Gefahr: Das Vogelgrippe-Virus kann den Menschen befallen und zu schweren Erkrankungen wie beispielsweise einer Lungenentzündung führen. Bislang gab es in der EU noch keine nachge-wiesenen Infektionen. Dennoch ist Vorsicht geboten: Füchse, Marder, Otter und sogar ein Schwarzbär sind bereits an den Folgen dieser Infektion verstorben. Die meisten an einer Meningoenzephalitis. Aller-dings wurden noch keine Infektionsketten festgestellt. 

„Was uns warnen sollte, sind doch eine Reihe von Fällen bei Säugetieren mit genau diesem Virus!“

(Prof. Dr. Timm Harder PhD, Nationales Referenzlabor für Aviäre Influenza (AI) / Geflügelpest)

Gefahr besteht etwa für Menschen mit Atemwegserkrankungen, die Kontakt mit Geflügel haben. Sie werden zu Tests aufgerufen, damit eine mögliche Erkrankung vorzeitig bemerkt werden kann. In vielen Staaten wurden inzwischen Krisenpläne für den Fall einer massiven Ausbreitung der Vogelgrippe erarbeitet, die wohl nach und nach aus den Schubladen geholt werden. Sie sehen u.a. eine Impfung innerhalb von 16 Wochen und eine Folgeimpfung vor. Bei der Impfmoral der mitteleuropäischen Bevölkerung – ein Tropfen auf den heissen Stein.

Viren, die sowohl Tier als auch Mensch infizieren können, werden als „Zoonosen“ bezeichnet. Ebola, die Schweinegrippe, Tollwut, SARS und CoVid19 – aber auch die Vogelgrippe werden durch derartige Zoonosen ausgelöst. Das Virus wechselt den Wirt – seit 1997 auch bei der Vogelgrippe nachgewiesen. Das menschliche Abwehrsystem steht dem Angriff zumeist machtlos gegenüber, da es bis zu diesem Zeitpunkt nicht mit einer solchen Infektion zu tun hatte. Somit bestehen keine Abwehr-mechanismen wie v.a. Antikörper. Deshalb sind derartige Infektionen umso gefürchteter. 

„Wenn wir es schaffen, den Prozess des Wirtswechsels zu verstehen, verbessert sich unser grundsätzliches Verständnis zur Entstehung neuartiger Epidemien!“

(Prof. Dr. Christian Drosten, Institut für Virologie am Universitätsklinikum Bonn)

Auch der Humangrippe-Erreger bzw. andere menschliche Viren wurden in umgekehrter Richtung schon bei Schweinen nachgewiesen – daraus entwickelte sich beispielsweise der Typ H1N2. Diese Virusvarianten werden mit einem „v“ gekennzeichnet – etwa A(H1N1)v. Wissenschaftliche Studien des US-amerikanischen Virologen Jeffery Taubenberger et.al. kamen zu dem Ergebnis, dass die verheerende Pandemie der Spanischen Grippe in den Jahren 1918/19 durch einen mutierten Vogelgrippe-Virus ausgelöst wurde. Diese Erkenntnis ergab die Untersuchung von in Formalin eingelegtem Autopsie-Materials eines Opfers, aber auch unter-suchtem Lungengewebes eines im Permafrost begrabenen weiteren Opfers.

Deshalb warnen die Vereinten Nationen vor derartigen Pandemien, die im Worst Case bis zu 150 Mio Menschen das Leben kosten können. Das soll jedoch nicht dazu animieren, die normale Grippe „Influenza“ auf die leichte Schulter zu nehmen. Grosse Grippe-Epidemien gab es beispiels-weise in den Jahren 1957 und 1968, aber auch 2005. Alleine in Deutschland mussten bei letzterer bis zu 32.000 Personen in Kranken-häuser eingewiesen werden – 15-20.000 verstarben daran. 2 Millionen Menschen wurden krankgeschrieben. Die Influenza ist und bleibt eine schwere Infektionskrankheit, die durchaus tödlich enden kann. Erste Befürchtungen, wonach in diesem Jahr die Grippe mit CoVID-19 zusammenfallen könnte (wie im abgelaufenen Winter auf der Südhalb-kugel) weisen schon mal auf erhöhte Alarmbereitschaft bei den Gesund-heitsbehörden hin. Wenn nun auch die Vogelgrippe mitmischt, könnte es durchaus zu einem Schreckensszenario kommen. Es macht also Sinn, die FFP2-Schutzmaske alsdann gegen die Influenza wieder zu verwenden – auch wenn es keine Tragepflicht geben sollte. Die normale Grippe-impfung übrigens wirkt ebenso wenig gegen die Vogelgrippe wie eine präventive Einnahme von etwa Tamiflu®! Davon ist übrigens unbedingt abzuraten, da die Erreger gegen die Arzneimittel resistent werden können. Soll heissen: Das Arzneimittel hilft bei einer Erkrankung nicht mehr.

Die Influenza wird durch die sog. „Orthomyxoviren“ der Typen A, B und C übertragen. Die Humangrippe durch Erreger der Typen A sowie der Subtypen H1 bis H3. H5 und H7 lösen vornehmlich bei Hausgeflügel die Vogelgrippe aus. A(H7N9) trat erstmals im Frühjahr 2013 in China auf – es spielt hierzulande noch keine Rolle – ist aber auch für den Menschen sehr gefährlich! Nicht weniger als 1.500 Erkrankungen wurden bislang gemeldet – einige hundert Personen verstarben daran. Ebenso beim Menschen nachgewiesen wurden: A(H10N8), A(H9N2) und A(H5N6) vornehmlich bei Patienten in China. Tödlich verliefen in einigen Fällen die A(H5N6)-Erkrankungen – während die A(H9N2)-Verläufe recht mild ausfielen.

Die Symptome einer A(H5N1)-Erkrankung treten 2-5 Tage nach der Infektion auf, in Einzelfällen auch bis zu 14 Tage danach. Sie gleichen den Symptomen der Humangrippe: Hohes Fieber, Halsschmerzen, Atem-not und Husten. Hinzu kommt bei rund der Hälfte der Erkrankungen Durchfall und seltener auch Bauchschmerzen und Erbrechen. Der weitere Verlauf ist gekennzeichnet durch eine Lungenentzündung, die zu einem Lungenversagen und dem Tod führen kann. Im Frühstadium der Erkrankung werden sog. „antivirale Neuraminidase-Hemmer“ wie Oseltamivir (Tamiflu®) bzw. Zanamivir (Relenza®) eingesetzt. 

Wildvögel können alle 18 H-Typen übertragen. „H“ steht dabei für Hämagglutinin-Proteine. Zusätzlich werden neun verschiedene N-Subtypen unterschieden – „N“ steht dabei für Neuraminidase-Proteine. Einige dieser Influenza-Viren treten nur bei speziellen Arten auf: Schweine, Wale, Pferde, Wild- und Hauskatzen, Seehunde und eben der Mensch. Die Human-Grippe wird vornehmlich durch den Typus A(H3N2) oder A(H1N1) mittels Tröpfcheninfektion übertragen. Der Virentyp B bildet keine Subtypen aus – hier unterscheidet man nach Linien (etwa der Yamagata- und der Victoria-Linie). Er trat bislang nur bei Menschen auf! Der Vogelgrippe-Virus hingegen ist ein hochinfektiöser Typ A(H5N1). Er wird zumeist mit dem Kot der Tiere ausgeschieden und bleibt etwa im Wasser oder feuchtem Schlamm für längere Zeit infektiös. Hierbei ergibt sich für den Menschen der Übertragungsweg durch virenbelastete Tröpfchen oder Staub. In Deutschland kursiert der Subtyp A(H5N8). Auch wenn hier noch keine Infektion nachgewiesen werden konnte, heisst dies nicht automatisch, dass eine solche nicht möglich ist. 

Taubenberger konnte eine Korrelation der Virolenz (Aggressivität) des Viruses mit seiner Erbsubstanz nachweisen. Werden Sequenzen davon durch Sequenzen normaler Grippe-Viren ersetzt, ist das Virus weitaus weniger ansteckend. Eine Forschergruppe rund um Elodie Ghedin vom Institute for Genomic Research wies zudem nach, dass sich die Viren in jeder Saison ändern (mutieren) und neue Stämme hervorbringen. So könnte sich auch der Vogelgrippe-Virus „menschentauglich“ mutiert haben. 

Seit Mitte der 90er-Jahre sucht der Subtyp A(H5N1) jährlich Südostasien heim. Mehr als 100 Mio Tiere sind bislang daran verendet oder mussten gekeult werden, 60 Menschen sind an den Folgen einer H5N1-Vogelgrippe-Infektion verstorben. Sie hatten sich an Tieren angesteckt – eine Übertragung von Mensch zu Mensch ist bislang nicht nicht bekannt – kann sich jedoch rasch durch eine Mutation ändern. Die grössten Befürchtungen der Verantwortlichen! Beispielsweise wenn zwei unter-schiedliche Virentypen (etwa H5N1 und H3N2) in einem Wirt aufeinander-treffen, wodurch sich das Erbgut vermischen könnte. 

Versuche ergaben, dass sich Stockenten zwar anstecken und das Virus weitergeben können, jedoch selbst nicht daran erkranken. Eine Impfung von Hausgeflügel ist zwar möglich, jedoch unheimlich aufwendig. Wie kann geimpftes Geflügel von nicht-geimpftem unterschieden werden? Die Antikörper sind nahezu dieselben. Ergo: Es muss ein Marker-Impf-stoff verwendet werden. Dies kann zudem nur in der Küken-Phase erfolgen. Doch da werden die Tiere bereits mit allen möglichen pharma-zeutischen Produkten vollgepumpt. Und auch hier ist Vorsicht geboten: Impfstoffe gelangen dadurch in die Nahrungskette. Ähnlich wie bei Hormonen oder Antibiotika bei Säugetieren kann das zu erheblichen Auswirkungen beim Konsumenten und der Humanmedizin führen.

Bei Verhaltensauffälligkeiten von Haustieren, die eine Ansteckung und Erkrankung vermuten lassen, sollte dringenst der Tierarzt aufgesucht werden. Auf Rügen und in Österreich hatten sich nachweislich Katzen infiziert.  Bei Geflügelhöfen wird eine Sperrzone mit einem Radius von 3 km eingerichtet. Zudem eine Beobachtungszone von daran anschliessend 10 km und eine Kontrollzone von 13 km.

In diesem Winter kann wahrhaftig einiges auf uns zukommen. Deshalb hier einige Tipps:

– Regelmässiges Händewaschen

– Greifen Sie niemals totes Geflügel an

– Melden Sie grössere Tod-Funde (Gänse, Enten, Greifvögel, …) der Polizei oder dem Veterinäramt, die auch die Beseitigung übernehmen

– Leinen Sie Hunde vornehmlich im Uferbereich stets an und halten Sie Katzen davon fern

– Braten oder kochen Sie Geflügelfleisch und auch Eier ordentlich durch (mindestens fünf Minuten über 70 Grad)

– Vorsicht auch im Umgang mit Schweinen, die als Zwischenwirte dienen können

– Bei Fernreisen vorher über die aktuelle Situation vorort informieren (Zusatzversicherung für einen möglichen Rücktransport)

Hier noch weitere Hinweise:

.) Tierhalter

– Österreich: https://www.kammern-liesingtal.at/wp-content/uploads

/2017/01/Merkblatt_Tierhalter_GP_Risikogebiet.pdf

– Deutschland: https://vv.potsdam.de/vv/Merkblatt-fuer-Gefluegel-halter-††zur-Gefluegelpest.pdf

.) Reisen in betroffene Gebiete

– Österreich: https://www.bmeia.gv.at/ministerium/presse/aktuelles/

2005/†information-des-aussenministeriums-zur-vogelgrippe/

– Deutschland: https://www.bmel.de/DE/themen/tiere/tiergesundheit/

tierseuchen/†gefluegelpest-hinweise-reisende.html

.) Influenza -Pandemiepläne

– Österreich https://eportal.mountsinai.ca/Microbiology//avian/Plans/

Austria.pdf

– Deutschland https://www.gmkonline.de/documents/

pandemieplan_teil-i_1510042222_1585228735.pdf

und

https://edoc.rki.de/bitstream/handle/176904/174/29x3vlR5Miwxa6.pdf?sequence=1&isAllowed=y

– Schweiz https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/das-bag

/publikationen/†broschueren/publikationen-uebertragbare-krankheiten/pandemieplan-2018.html

Lesetipps:

.) Vogelgrippe. Zur gesellschaftlichen Produktion von Epidemien; Mike Davis; Assoziation A 2005

.) The Fatal Strain: On the Trail of Avian Flu and the Coming Pandemic; Alan Sipress; Viking 2009††

.) Bird Flu. A Virus of Our Own Hatching; Michael Greger; Lantern Books 2006†

Links:

– www.zoonosen.net

– www.who.int

– www.ecdc.europa.eu

– www.fli.de

– www.bundesregierung.de

– www.bmel.de

– www.gesundheitsforschung-bmbf.de

– www.sozialministerium.at

– www.bfr.bund.de

– www.llv.li

– www.rki.de

– www.ukbonn.de/virologie/

– www.mpg.de

– www.ages.at

– www.lungenaerzte-im-netz.de

– www.lbv.de

– www.afip.org

– www.cdc.gov

– www.jcvi.org

– www.askjpc.org

No Comments »

Brasilien wählt – der Klimaschutz hält den Atem an

Nach den vorgezogenen Parlamentswahlen von Italien am vergangenen Wochenende steht an diesem eine erneute, folgenschwere Wahl an: Die Wahl des Präsidenten im grössten Land des lateinamerikanischen Konti-nents: Brasilien! 

Insgesamt sind 156,7 Mio. Einwohner zur Wahl aufgerufen. Was dieser Urnengang bewirken kann, hat die letzte Wahl im Jahre 2018 aufgezeigt. Der Rechtspopulist Jair Messias Bolsonaro machte seiner politischen Einstellung alle Ehre. Sehr zum Ärger der Klimaschützer und Geber-staaten. Bolsonaro steckte zwar die fleissig bezahlten Gelder zum Erhalt des Amazonas-Regenwaldes ein, liess diesen aber unter dubiosesten Umständen trotzdem grossflächig niederbrennen oder roden. Das verschaffte ihm den Spitznamen „politischer Pyromane im Präsidenten-palast“. Ob Naturschutzgebiet oder Schutzzone indigener Völker – voll-kommen gleichgültig. Sein Ziel und damit auch Lebenswerk hat Vorrang vor allem anderen: Die Durchmesser-Autobahn B-163 vom Süden des Amazonas bis zur Grenze Surinams. Zuerst leugnete der die Brände. Als Satellitenbilder des staatlichen Instituts für Weltraumforschung INPE klare Beweise lieferten, setzte er die Verantwortlichen dieser Bundesbehörde auf die Strasse. Nun schob er die Schuld auf die Sonne und den Wind, später dann auf Europäer und Umweltschützer, die den Amazonas-Regenwald angeblich in Brand gesteckt haben sollen um ihn zu verun-glimpfen. Dabei wäre die „grüne Lunge unseres Planeten“ gerade in diesem Jahr so wichtig, da selten zuvor weltweit dermassen viele Wald-brände wüteten, die zu einem Rekordausstoss von CO2 führten. 

Daneben hat sich Bolsonaro, wie kein anderer brasilianische Präsident vor ihm, selbst abgesondert – in Art und Weise seines grossen Vorbildes Donald Trump. Nurmehr wenige wollten mit Brasilien zusammenarbeiten. So boykottierten etwa der französische Präsident Macron, aber auch sein Kollege Higgins von der irischen Insel das geplante Freihandels-abkommen zwischen der EU und Südamerika. „Mercorsur“ sollte schon 2019 auch mit der EU in Kraft getreten sein, wurde alsdann durch das brasilianische Parlament bereits abgesegnet, doch entschieden sich immer mehr EU-Nationalparlamente dagegen, so auch Österreich. Wichtigste Massnahme wäre der Schutz des Regenwaldes, der nicht zuletzt für die Ziele des Handelsabkommen (Export von Rindfleisch und Soja) niedergebrannt wurde und noch immer wird. So deckte die Umwelt-schutzorganisation Greenpeace auf, dass illegale Abholzungen im Feuchtgebiet Pantanal mit dem deutschen Fleischhandel in Verbindung stehen. Einen entsprechenden Passus im Vertrag lehnt Bolsonaro kategorisch ab. Angelegt hat er sich mit nahezu jedem Regierungschef dieser Welt. 

Alles andere entspricht der rechtspopulistischen Grundlagen-Politik: Mehr Macht dem Militär (damit es nicht zu einem Militärputsch kommt) und Ausschalten der kritischen Medien. Eine kurze Geschichte, damit Sie ein besseres Bild von ihm erhalten: Im Jahre 2012 wurde er beim illegalen Angeln im Naturschutzgebiet Estação Ecológica Tamoios südlich von Rio de Janeiro erwischt und erhielt eine saftige Strafe, die er jedoch nie bezahlte. Der Beamte der Umweltbehörde, der dies fotografierte und zur Anzeige brachte, wurde entlassen. Somit war Bolsonaro also alles andere als der erwartete „Messias“ des Landes. Ob seine Söhne, die ebenfalls in der Politik aktiv wurden (zumindest drei von vier), ihn beerben werden, wird sich wohl nach dieser Wahl herausstellen.

Brasilien ist ein Schwellenland, das sich eigentlich auf einem an sich recht guten Weg befand. Doch forderten Korruption und Misswirtschaft enorme Opfer – die wirtschaftliche Situation des Landes war nach der Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele 2016 und der Fussball-WM 2014 mehr als prekär. Wurden davor noch kräftige Gewinne eingefahren, sank das BIP 2015 um 3,8 %, ein Jahr später um erneut 3,4 %. Verantwortlich dafür zeichneten die gerne als „Brasilien-Kosten“ bezeichneten Zusatzaus-gaben für Korruption, miserabler logistischer Infrastruktur und hohe Steuern sowie Finanzierungskosten. All das setzte sich auch unter Bolsonaro fort. Das BIP (nominal) sank von  1.917 Mrd. US-Dollar 2018 auf 1.609 Mrd. im Jahr 2021 (Angaben: Weltbank). Es muss also dringendst ein Marshallplan gefunden werden, damit die Situation in Brasilien, die geprägt ist von Arbeitslosigkeit, Hunger und ständigen Demonstrationen, verbessert werden kann. Bolsonaro hatte vier Jahre Zeit hier anzugreifen – doch verschlimmerte sich vieles. Gegenwärtig leiden rund 33 Mio Menschen unter Hunger.

Der kommende Sonntag ist – wie alle vier Jahre – ein Super-Wahlsonntag. Neben dem Präsidenten (Staatsoberhaupt und Regierungschef) werden auch die Senatoren und Abgeordneten des Nationalkongresses gewählt, die Gouverneure und Vize-Gouverneure der Bundesstaaten und die Abgeordneten der Legislativversammlungen. 12 Personen stellen sich der Präsidentenwahl. Nur zweien davon werden auch Chancen eingeräumt, die kommenden vier Jahre regieren zu können: Jair Messias Bolsonaro von der Liberalen Partei (rechts) und Luiz Inácio Lula da Silva von der Arbeiterpartei (links). Wie bei Rechtspopulisten anscheinend üblich, bekundete Bolsonaro Zweifel an der Sicherheit des Wahlsystems – dubios, schliesslich hätte er diese in den abgelaufenen vier Jahren herstellen können. Die elektronische Wahlurne ist seit 1996 im Einsatz – die unterschiedlichsten Untersuchungen (auch der UNO) haben nach-gewiesen, dass das System in Ordnung sei. Seither gab es 13 Regional- und Präsidentschaftswahlen – bislang ist noch kein Hinweis oder Beleg für einen Betrug aufgetaucht, betont das Oberste Wahlgericht. Kein Argument für Bolsonaro – das ging gar soweit, dass er meinte, er werde das Wahlergebnis nicht akzeptieren, sollte er nicht gewinnen – das wäre dem Wahlbetrug zuzuordnen. Inzwischen hat er diese Aussage zurück-gezogen. Beide Spitzenkandidaten allerdings könnten unterschiedlicher nicht sein.

.) Jair Messias Bolsonaro

Seine italienischen Vorfahren sind im auslaufenden 19. Jahrhundert ausgewandert. Durch seine um 27 Jahre jüngere dritte Ehefrau kam der römisch-katholische Politiker in Kontakt mit den Baptisten und evangelikalen Freikirchen. Sie sollten ihn auch entscheidend unterstützen. Die politische Laufbahn Bolsonaros begann im Jahre 1988, als er sich für die Christdemokraten (PDC) in den Stadtrat von Rio de Janeiro wählen liess. Zwei Jahre später zog er in die Abgeordneten-kammer des Parlamentes ein. Seither wechselte er die Parteien wie andere ihre Autos – bislang acht mal. 2018 kandidierte Bolsonaro für die in’s rechts-konservative Lager abdriftenden Sozial-Liberalen (PSL) für die Präsidentschaftswahlen. Dabei erhielt er die Unterstützung der Rechts-extremen. Sein Programm gleicht dem aller rechts von der Mitte stehenden Volksvertretern: Kampf gegen die Kriminalität, die Korruption und die Wirtschaftskrise und das Recht auf Waffenbesitz, sowie eine Minimierung des Einflusses der Gerichte und damit des Rechtsstaates. Starker Tobak sind seine rassistischen, frauenfeindlichen und homo-phoben Aussagen. 

„Sie verdient es nicht, weil sie sehr hässlich ist. Sie ist nicht mein Typ. Ich würde sie nie vergewaltigen.“

(Bolsonaro über die Abgeordnete Maria do Rosario)

Bei der Stichwahl gegen Fernando Haddad von der Arbeiterpartei („Partido dos Trabalhadores“) am 28. Oktober 2018 schliesslich erhielt er 55,1 % der Stimmen.

.) Luiz Inácio Lula da Silva

„Lula“, so sein Spitzname, kommt aus ärmlichen Verhältnissen und ist Gründungsmitglied der Arbeiterpartei Brasiliens („Partido dos Tralhadores“). Er hatte in den Jahren zwischen 2003 und 2011 bereits die Führung des Landes inne. Den Regierungsstil bezeichnen Experten als „assistenzialistische Sozial- und entwicklungsorientierte Wirtschafts-politik“. Seine Sozialpolitik setzte durch Programme wie Bolsa Família, Fome Zero und dem „Eine-Million-Häuser-Programm“ innenpolitisch wesentliche Akzente bei der Bekämpfung der Armut und des Hungers. Bei der Bekämpfung des milliardenschweren Korruptionsskandals in der „Operation Lava Jato“ („Operation Waschstraße“) wurde Lula 2017 wegen Korruption und passiver Geldwäsche angeklagt, zu zwölf Jahren Haft verurteilt und vorerst für 1,5 Jahre weggesperrt. Investigative Journalisten (etwa von The Intercept) meinen: Zu Unrecht! Es soll sich dabei um Absprachen zwischen Bolsonaro, Staatsanwälten, den politischen Gegnern Lulas und dem damaligen Bundesrichter Sergio Moro gehandelt haben, der im Übrigen später von Bolsonaro zum Justizminister ernannt worden ist. Da Silva sollte durch die Haft an der Teilnahme der Wahl gehindert werden. Das oberste Gericht hob das Urteil Anfang 2021 aus formellen Gründen auf – Sergio Moro soll parteilich befangen gewesen sein. 

Sollte am 02. Oktober keiner der Kandidaten im ersten Wahlgang über die absolute Mehrheit verfügen, wird es wieder eine Stichwahl geben – wie auch 2018. Übrigens herrscht in Brasilien Wahlpflicht. Fehlt ein Wahlberechtigter unentschuldigt, erhält er eine Strafe von umgerechnet rund neun Euro. Bei Wiederholung kann er gar sein Wahlrecht verlieren.  

Bolsonaros Partei, die „Partido Liberal“ hat sich für diese Wahl mit der „Partido Progressistas“ (Progressiven) und den Republikanern („Republi-canos“) zum Bündnis „Pelo Bem do Brasil“ („Zum Wohle Brasiliens“) zusammengeschlossen. Da Silva hingegen kandidiert für das Bündnis „Vamos Juntos Pelo Brasil“ („Wir gehen zusammen für Brasilien“) – einer Vereinigung der unterschiedlichsten Strömungen und Parteien. Nachdem sich Lula gegen die Entwaldung des Amazonas-Gebietes und die dort herrschende Gewalt v.a. gegen indigene Völker ausgesprochen hat, versprach auch Bolsonaro ein Ende des Ganzen. Damit ist der Regenwald zum schwergewichtiges Wahlkampfthema avanciert. Daneben ging es um die Ernährungssicherheit und der Entlastung der Bevölkerung. Da Silva hatte dies während seiner Regentschaft umgesetzt, Bolsonaro sträflichst vernachlässigt. Er schuf zwar mehr Arbeitsplätze, doch sanken die Löhne und Lebensbedingungen.

„Ich arbeite bis zu 13 Stunden am Tag für 200 Euro im Monat. So kann man nicht überleben.“ 

(Alexandre Magalhães, Wachmann auf dem Parkplatz eines Supermarktes und Rapper „MC Macarrão“)

Daneben ist die Arbeitslosigkeit nach wie vor allerorts spürbar

Bolsonaro baute seinen Wahlkampf auf Emotionen auf: „Kampf des Guten gegen das Böse“! Das „Böse“ habe 14 Jahre lang im Land gewütet und dabei Brasilien fast zerstört. Lula beschuldigt Bolsonaro aufgrund seines Krisenmanagements während der Corona-Pandemie als „Völkermörder“. Zuletzt gingen auch die Anhänger der beiden Kontrahenten gewalttätig aufeinander los. Dabei wurde beispielsweise Anfang September ein Anhänger Lulas von einem Anhänger Bolsonaros mit der Axt erschlagen, ein anderer erschossen. 

Das Oberste Wahlgericht hat bereits genaueste Kontrollen vorausgesagt und die Sicherheit der Wähler und ihrer Stimmen garantiert. Das Zünglein an der Waage jedoch könnte das Militär werden. wie wird es sich verhalten, sollte Bolsonaro nicht die Mehrheit erringen? Nachdem da Silva zuletzt in den Umfragen führte, versuchte Bolsonaro die letzten Kräfte zu mobilisieren – auch im Militär. Bereits 2018 war dieses dem ehemaligen Major wohlgesonnen. Vielen Armeeangehörigen hat er zudem Posten in der Regierung vermittelt. Der engste Vertraute des amtierenden Präsi-denten ist dessen Verteidigungsminister, General Walter Braga Netto, der bei einem Erfolg Bolsonaros gar Vizepräsident werden soll. Deshalb schlug der „Chef“ auch vor, eine parallele Stimmauszählung durch das Militär vornehmen zu lassen. Das lässt durchaus Erinnerungen an die Militärdiktatur von 1964 bis 1985 aufkommen. Dennoch hat die Armee angekündigt, Stichproben zu nehmen. Mit dem Argument, eine Zuver-lässigkeit der Stimmen auf 95 % zu gewährleisten. Zum Missfallen des Obersten Wahlgerichtes: Das betont, dass über 100 internationale Wahl-beobachter aus den unterschiedlichsten Organisationen eingeladen wurden.      

„Es ist nicht klar, wie groß der Teil der Militärangehörigen ist, die Bolsonaro wirklich unterstützen.“

(Carolina Botelho, Politikwissenshaftlerin an der föderalen Universität Rio de janeiro)

Einen Militärputsch schliessen Experten inzwischen jedoch aus. Einerseits ist der Rückhalt Bolsonaros hier nicht entsprechend gross, andererseits gäbe es hierfür auch kein Verständnis in der Bevölkerung.

Seine Anhänger allerdings glüht Bolsonaro bereits vor. Es ist somit durchaus möglich, dass sich auch in Brasilia derart schändliche Szenen wie in Washington ereignen werden. Dabei werden wohl auch Waffen eine entscheidende Rolle spielen, schliesslich lockerte der Präsident die Waffengesetze, sodass sich in den letzten fünf Jahren die Waffenbesitzer verzehnfacht haben. Sein Sohn, der Abgeordnete Edorado Bolsonaro, hat inzwischen alle Waffenbesitzer dazu aufgefordert, sich zu einem „Freiwilligen Bolsonaros“ zu machen. Die Universität Rio veröffentlichte zuletzt eine Untersuchung, wonach die politische Gewalt in Brasilien in den letzten drei Jahren um 335 % angestiegen ist. Eine aktuelle Umfrage des Institutes Datafolha zeigte auf, dass 67,5 % der Befragten Angst vor Repressalien durch politische Gewalt haben. 

„Gewalt findet systematisch statt und wird eingesetzt, um bestimmte Ziele zu erreichen. Es ist super wichtig, dass mehrere Organisationen und Institute versuchen, diese Gewalt abzubilden. Aber wir wissen, dass die Straflosigkeit noch immer sehr hoch ist, und das ermutigt auch die Täter“.

(Gisele Barbieri, Justiça Global)

Gewalttaten an Unterstützern der Arbeiterpartei sind inzwischen an der Tagesordnung – oftmals begangen durch rechte bewaffnete Milizen. 

In den letzten Umfragen führte stets Lula mit teils grossem Vorsprung (auch bei einer möglichen Stichwahl)!

PS: 

Der Objektivität halber sollte auch die ehemalige Website von Jair Bolsonaro unten angeführt werden. Wie jedoch darauf zu lesen ist, wurde die Seite nicht mehr gepflegt und bezahlt. Also erwarb der Geschäfts-mann Gabriel Baggio Thomaz die Domain und gestaltete im August den Inhalt gegen die Bolsonaro-Regierung um. 

Links:

– partidoliberal.org.br

– lula.com.br

– pt.org.br

– www.brazil.gov.br

– www.gov.br

– www.tse.jus.br

– www.camara.leg.br

– www.senado.gov.br

– kas.de

– www.greenpeace.de

No Comments »

Kriegsmilliardäre – das unmoralische Angebot

„Exxon made more money than God this year!“

(US-Präsident Joe Biden)

Es hat sehr lange gedauert, bis sich auch auf nationaler Ebene etwas tut. Nachdem aber EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen nun ange-kündigt hat, Übergewinne der Energiekonzerne abschöpfen und auf die Mitgliedsstaaten verteilen zu wollen, sowie eine befristete Erlös-Obergrenze für „inframarginale“ Strom-Produzenten (nicht auf Gas und Erdöl basierend) einführen zu wollen, herrscht nun auch in Berlin und Wien reges Pläneschmieden. Am 30. September werden die ent-sprechenden EU-Minister über den Gesetzvorschlag der Kommission abstimmen. Für viele jedoch kommen diese Massnahmen zu spät.

Selten zuvor hat sich die Preisspirale vor allem in Deutschland und Österreich schneller gedreht als in den vergangenen 7 Monaten. Kopf-schüttelnd stehen die meisten Konsumenten vor den Regalen der Super-märkte. Viele würden zwar gerne, doch können sie nicht: Sie können nicht mehr zugreifen, da es zu teuer für sie ist. Die Preise sind der-massen in die Höhe geschnellt, dass einem schwindelig dabei wird. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine kosten viele Produkte das Doppelte. Konnte man davor noch sparen, indem nicht unbedingt auf Markenartikel sondern vielmehr auf Diskont-Ware zurück-gegriffen wurde, so ist dies inzwischen nicht mehr möglich, da auch diese zugelegt hat, sodass viele nicht wissen, wie sie diesen Winter über die Runden kommen sollen. Die Lebenshaltungskosten steigen unauf-hörlich – jetzt mit dem Beginn der Heizperiode, wird vieles noch wesent-lich schlimmer werden. 

Die Gründe, die dahinterstecken sind vielfältig – sie alle klären zu wollen, würde den Rahmen des Blogs sprengen. Doch auf den wohl schwerge-wichtigsten, sei heute im Detail eingegangen: Die Energiepreise. Wären die Sprit- und Gaspreise möglicherweise noch erklärbar, so grenzen die hohen Strompreise an Wucher. Nie zuvor gab es mehr Photovoltaik und Strom aus Windkraft als in diesen Tagen. Und Petrus meint es gar noch gut mit uns: Es war der sonnenreichste Sommer seit Jahrzehnten: 99,4 Terrawattstunden Solarstrom wurden zwischen Mai und August 2022 in der EU produziert (12 % der Stromproduktion) – umgerechnet auf den derzeitigen Gaspreis hätte dies einem Gasimport von 29 Milliarden € entsprochen. In Deutschland wurden 19 % des erzeugten Stroms durch die Sonne abgedeckt, in Spanien 17 und in den Niederlanden gar 23 %. Zudem zogen Fronten auf, aber auch durch die lokalen Sturmereignisse drehten sich die Riesenpropeller der Windparks um einiges schneller und länger. Energie, die in den letzten 7 Monaten keinerlei Mehrkosten wegen Rohstoffbedarfs oder Transports verursachte und trotzdem war die Kilo-wattstunde nie teurer als derzeit. Was ist da geschehen? 

Der nächste Satz schmerzt – hätte auch niemals gedacht, dies einmal öffentlich sagen zu müssen: Donald Trump hatte mit Nordstream recht! Allerdings hatte er es mehr als schlecht verpackt, schliesslich dachte wohl jeder, dass er das US-amerikanische Fracking-Gas und -Öl ver-kaufen wollte. Anders formuliert, hätte er sicherlich wesentlich mehr Befürworter dafür gefunden: Die allzu starke Bindung an nur einen Anbieter kann zu Problemen führen. China etwa ist ein energiefressender Moloch. Das Land verbraucht fast das Doppelte an Energie als die USA. Auf Platz 3 folgt Indien. Gerade die historisch gewachsenen Beziehungen zwischen Moskau und Peking hätten auch ohne den Einmarsch der Russen in die Ukraine ausgereicht, Alternativen im Einkauf zu suchen. Auch wenn es moralisch durchaus kritisierbar ist, menschenrechts-verachtende Emirate im Nahen Osten oder Regime (wie Venezuela) zu beauftragen, hätte sich eine wesentlich breitere Anbieterschaft und dadurch bessere Aufstellung in der Energiewirtschaft ergeben. Wenn nun – wie geschehen – Putin den Hahnen zudreht oder die Sanktionen keinen weiteren Import von russischem Erdöl zulassen, hätten andere Anbieter den Ausgleich liefern können. Dies wurde jedoch unterlassen. Anstatt dessen belief sich im Jahr 2020 der Anteil der russischen Ölimporte in Deutschland auf 30 % – beim Gas sogar auf 65 %. In Österreich waren es 2021 ganze 38,1 % beim Öl und sage und schreibe 80 % beim Gas. Wie sich dieses Preisspirale dreht – hier ein kleines Beispiel: Die Stadtwerke Konstanz werden zum 01. Oktober die Gaspreise um 200 % steigern. Das Gas wird durch den Fernleitungsbetreiber Terranet BW, einer Tochter der EnBW, zugeliefert. 2017 wurde die Verbundnetz Gas AG (VNG) in Ostdeutschland übernommen. Die VNG versorgt(e), wie auch Uniper, Stadtwerke mit Billiggas aus Russland – jetzt ist sie in argen Schwierig-keiten, da sie das Gas wesentlich teurer über etwa Norwegen oder die Niederlanden einkaufen muss. Die VNG hat deshalb um Hilfe aus der Gasumlage angesucht. Diese ist dafür gedacht, bestehende Verträge erfüllen zu können, ohne dabei Millionenverluste zu machen. Soll heissen, dass das Gas zum bislang geltenden Preis weitergegeben wird. Wenn dies tatsächlich der Fall ist: Wieso erhöhen die Stadtwerke Konstanz dann den Gaspreis derart eklatant (Gasumlage bereits einge-rechnet)? VNG kann keine Gewinne machen, da ansonsten die Hilfe aus der Gasumlage nicht gewährt wird!

Daneben wurde zwar viel versprochen, doch nur wenig gehalten – von der Loslösung von fossilen Brennstoffen. Wurde die Kohleverbrennung eingeschränkt, so vervielfachte sich dafür die Gasnutzung. Weshalb auch etwas ändern, wenn diese Energieart in Hülle und Fülle vorhanden und entsprechend günstig ist. Nun fällt dieses Kartenhaus zusammen. Industrie und Handwerk sind in viel zu grossem Ausmass vom Gas abhängig. So betonte etwa der CEO der Grossbäckerei Lieken, Christian Hörger, im Podcast „Die Stunde Null“, dass das Brot aus zweierlei Gründen teurer werden muss: Die Preise für Mehl sind ordentlich angestiegen (dieses Thema habe ich an dieser Stelle bereits abgearbeitet – Deutschland produziert mehr Getreide, als es verbraucht – sind somit vornehmlich Gierflation-Interessen) und nahezu alle Öfen der Bäcker laufen noch mit Gas! Brot ist das wichtigste Grundnahrungsmittel Deutschlands: Herr Müller und Frau Schmidt verbrauchen pro Jahr 20 kg – pro Kopf!

Und nun zurück zum Strom: Auch bei den Kraftwerksbetreibern gab es in den letzten Jahren eine grossflächige Umstellung: Von Kohle auf Gas! V.a. die Klimasünderin Braunkohle, deren Abbau nach wie vor in Deutschland erfolgt (nun für den Export), aber auch die Steinkohle, die aus Polen und v.a. Russland importiert wurde, sind nahezu gänzlichst vom Markt verschwunden. Kohlekraftwerke wurden abgeschaltet, Gaskraftwerke aufgestellt. Der Bedarf ist nach wie vor da und auch vonnöten. Beispiel? Das deutsche Flächenland Baden-Württemberg ist seit einigen Jahren in der Lage, den Strombedarf am Sonntag-Nachmittag nur aus Photovoltaik zu beliefern. Ziehen jedoch Wolken auf, die Sonne verschwindet, wird von einer Minute auf die andere immens viel Strom weniger geliefert. Damit das Netz nicht zusammenbricht, werden hierfür Gaskraftwerke hoch-gefahren. Das Problem stellte sich beispielsweise auch bei der Sonnen-finsternis 1999. Erschwerend hinzu kommt die Energie- und Kernkraft-wende. AKWs werden reihenweise abgeschaltet ohne gleichwertige Alter-nativen liefern zu können. Die Zeit dafür wäre da gewesen, doch warteten die Entscheider bis zuletzt! So ist die Stromtrasse, die den deutschen Süden mit Windstrom aus Windparks in der Ost- und Nordsee versorgen sollte, nur auf dem Papier vorhanden. Die drei, derzeit noch laufenden Kernkraftwerke liefern nach wie vor enorm viel Strom:

– Isar 2 (Betreiber: Preussen Elektra und Stadtwerke München) 1.485 Megawatt

– Emsland (Betreiber: RWE, Preussen Elektra) 1.406 Megawatt

– Neckarwestheim (Betreiber: EnBW) 1.400 Megawatt

Alle drei sollten in den kommenden Monaten vom Netz gehen – teilweise werden sie bereits runtergefahren. Atomstrom ist der günstigste Strom, rechnet man die Kosten für die Endlagerung nicht hinzu, die jedoch eigentlich durch Stiftungen, bestückt aus dem laufenden Betrieb, abge-deckt sein sollte. Hier gab man sich blauäugig und verliess sich im Notfall auf Frankreich, das nach wie eine unheimlich hohe AKW-Dichte aufweist. Was hier nicht einberechnet wurde: Die französischen Atom-meiler sind grossteils Schrottmeiler und werden nach und nach wegen Sicherheitsbedenken runtergefahren. Woher kommt nun Ersatz für die drei deutschen AKWs?

Dies alles sind grundsätzliche Probleme, die bereits für ein Ansteigen des Energiepreises ausreichen. Nun aber kommen die Finanzhaie in’s Spiel. Jene Investoren, die früher beispielsweise in Hedgefonds investierten, jetzt andere Betätigungsfelder suchen: Agrar und Energie! Die Rendite muss stimmen – alles andere ist gleichgültig. Moral? Nein – die gibt es in diesem Bereich nicht. Im Agrarsektor schon seit Jahren ein riesiges Problem. Werden doch bereits vor der Ernte riesige Mengen an Getreide, Mais und Raps aufgekauft, damit nach der Ernte die Preise in die Höhe schnellen (geringes Angebot am Markt) und unvorstellbare Gewinne damit gemacht werden. Das gilt nun auch für den Energiesektor. Riesige Mengen an Gas und Öl werden aufgekauft, die Strompreise an den entsprechenden Börsen wie „European Energy Exchange“ (EEX) in Leipzig oder „Energy Exchange Austria“ (EXAA), vor allem aber der EPEX (dem Zusammenschluss der deutschen EEX mit der französischen Powernext in Paris) für den Markt der Central Western Europe (CWE) künstlich nach oben getrieben. Dort ist bekannt, dass vor allem im Winter weniger Strom zur Verfügung stehen wird (wenn die Heizlüfter allerorts ihre Arbeit versehen), der dann mit wesentlich grösserer Gewinnmarge verkauft werden kann. Ein Fehler, den die EU im Jahre 1996 mit der Liberalisierung (EU Richtlinie 96/92/EC) anschob, die einen freien Verkauf auch über die Grenzen hinweg ermöglichte. Davor war dies national organisiert. Somit tritt etwa der Irrsinn auf, dass österreichische Bundesländer wie Tirol und v.a. Vorarlberg durch Wasserkraft so viel Strom produzieren, den sie gar nicht selbst aufbrauchen, ihn als Spitzenstrom zu den Preisen der Börsen in’s Ausland verkaufen, die Kilowattstunde bei den heimischen Abnehmern hingegen ebenfalls ordentlich anheben, mit dem Verweis auf die internationale Preisentwicklung. Österreich hat kein Atomkraftwerk und damit eigentlich nicht direkt Zugriff auf den billigen Atomstrom (der jedoch v.a. aus der Slowakei und Tschechien, sowie Ungarn einfliesst). Dennoch wurde im Rahmen der Liberalisierung der sog. „ARENH-Preis“ (Accès régulé à l’électricité nucléaire historique) als Bezugspreis für Stromlieferanten festgelegt, die keinen Zugang zu Atomstrom haben. Die Börsenpreise in Frankreich liegen jedoch oftmals über diesem Preis. Pervers, wird dadurch doch der eigentlich günstigere Atomstrom teurer als beispielsweise Strom aus Wasserkraft verkauft. Österreich teilt sich mit Deutschland den Markt und ist somit an die deutschen Preise gebunden.  

Eine sehr ausführliche Erklärung, die jedoch erforderlich war um das nachfolgende verstehen zu können: Die Übergewinn-Abschöpfung. So sank etwa der Gaspreis innerhalb kürzester Zeit, als bekannt wurde, dass er möglicherweise gedeckelt werden soll. Dies hätte wenn vielleicht auch keine Verluste, so doch eine enorme Einschränkung der Gewinne der Spekulanten bedeutet.  

„Eine reine Umverteilung von Erlösen greift aber zu kurz und wird unweigerlich zu neuen Problemen führen. Wir hätten einen Zugang vorgezogen, der das Thema an der Wurzel packt.“

(Michael Strugl, Präsident von Österreichs Energie und Verbund-Chef)

Neben all den folgenden Informationen sollte eines niemals vergessen werden: Wir müssen uns im Energieverbrauch einschränken! Der World Overshoot Day war dieses Jahr am 28. Juli – ab diesem Zeitpunkt leben wir von den Geo-Ressourcen des kommenden Jahres. Und dieser Tag rückt immer mehr nach vorne! Die EU-Kommission fordert deshalb nicht umsonst die Einschränkung zu Spitzenstromphasen um mindestens 5 % – das würde eine Verringerung des Gasverbrauchs um 1,2 Milliarden Kubikmeter über den Winter hinweg bedeuten. Eine Gesamtersparnis bis 31. März 2023 um 10 % sollte alsdann in’s Auge gefasst werden. 

Nach Vorstellungen von der Leyens soll es europaweit eine „befristete Erlösobergrenze für Stromerzeuger mit geringen Kosten und einen Solidaritätsbeitrag auf der Grundlage von Überschussgewinnen“ geben (greift ab 20 ct/kWh). Derartige Überschussgewinne fallen derzeit im Erdöl-, Erdgas-, Kohle- und Raffineriebereich an. Die darüber erzielten Gewinne sollen an Haushalte und Unternehmen umverteilt werden. 

„Wir stehen Putins Einsatz von Erdgas als Waffe weiter geschlossen gegenüber und werden die Auswirkungen der hohen Gaspreise auf unsere Stromkosten in diesen außergewöhnlichen Zeiten möglichst gering halten.“

(Ursula von der Leyen, EU-Kommissions-Präsidentin)

Nun – das mit der Solidarität ist so eine Sache. Es gibt Unternehmen (wie etwa Unipern, Gazprom Germania (jetzt Sefe) oder die EnBW-Tochter VNG), die sich nahezu ausschliesslich auf günstigstes Gas, Öl oder Kohle aus Russland verliessen und nun durch dessen Ausbleiben wirtschaftlich schwerst erschüttert sind. Uniper wirbt jetzt auf seiner Webseite mit „…grüner Energie für eine nachhaltige Zukunft“. Zuvor mischten sie den Markt mit günstigen Preisen auf. Daneben stehen andere Unternehmen (wie Shell, BP, Total oder Exxon), die auch andere Anbieter einfliessen liessen, dadurch kein Billig-Gas oder -Öl anbieten konnten und nun ihren ehemaligen Billig-Konkurrenten einen Solidarbeitrag leisten sollen. Nichtsdestotrotz – zweitere freuen sich derzeit über den Energie-Höhen-rausch. Sie fahren Gewinne ein, die noch vor zwei Jahren undenkbar erschienen.     

Diese sog. Steuer auf „Residualgewinne“ (Krisengewinnsteuer oder Windfall Tax) wurde bereits in einigen Ländern der EU eingeführt – in Italien werden diese „Zufallsgewinne“ beispielsweise mit 25 % rückwirkend auf den Zuwachs an Wertschöpfung, in Grossbritannien mit 25 % auf Gewinne (bei Investitionen im UK gibt’s Steuererleichterungen), in Spanien und Griechenland mit bis zu 90 % auf Gewinne besteuert. Sie bringt bringt folgendes in Euro:

Italien – 10-11 Mrd

Spanien – 3,5 Mrd

Ungarn – 2 Mrd

Griechenland – 400 Mio

Rumänien – keine Angaben

(Grossbritannien – 5,9 Mrd €)

Geplant ist sie zudem jetzt im Herbst in Belgien und Tschechien!

Der italienische Ministerpräsident Mario Draghi allerdings sieht sich mit einem grossen Problem konfrontiert: Viele Unternehmen weigern sich, diese Gewinnsteuer bzw. Teile davon zu bezahlen. Seine Regierung hat ein Massnahmenpaket beschlossen, um Haushalte und Unternehmen ab Januar entlasten zu können. Nun fehlen für dieses Paket in der Höhe von 33 Mrd. € ganze neun Milliarden! Deshalb geht’s nun an’s Eingemachte: Strafgebühren und Zinsen.  

Welche Konzerne sind nun tatsächlich jene, die mit dem Krieg den grössten Reibach machen?! Waren es in der Corona-Pandemie vornehmlich die Pharmakonzerne, so sind es nun vornehmlich die Öl- und Gasmultis – ihre Gewinne im 2. Quartal des laufenden Jahres in US-Dollar (die Gewinnzahlen des 2. Quartals 2021 in Klammer):

Exxon – 17,9 Mrd. (4,7 Mrd)

Chevron – 11,6 Mrd (3,1 Mrd)

Shell – 11,5 Mrd (5,5 Mrd)

bp – 9,3 Mrd (3,1 Mrd)

Total – 5,7 Mrd (3,5 Mrd)

Diese Konzerne verdienen sich derzeit tatsächlich einen goldenen Zapf-hahnen. Doch sind sie dabei nicht alleine: Der ganze Rohstoffmarkt boomt derzeit wie noch nie zuvor. Glencore in Baar/Schweiz etwa ist die weltweit grösste Unternehmensgruppe im Rohstoffhandel und Berg-werksbetrieb. Das Unternehmen machte im ersten Halbjahr 2022 einen Gewinn von 12,1 Mrd. Dollar – vornehmlich aufgrund der Rekordpreise für Kohle und Energieprodukte. 

Die Gewinnüberflieger in Deutschland:

.) Encavis (Betreiber von Solarparks und Windkraftanlagen aus Hamburg) 643 % – geschätzter Gewinn nach Steuern 72 Mio € (mehr als 700 %)

Mit gerade mal 144 Mitarbeitern ein Krisengewinner aufgrund des hohen Strompreises – das ist eindeutig Übergewinn!!!

.) Bayer (Chemie- und Pharmariese aus Leverkusen) 361 % – geschätzter Netto-Gewinn 4,6 Mrd. € (mehr als 450 %)

Die Gewinne resultieren vornehmlich aus der Saatgut-, Dünge- und Pflanzenschutzmittel-Produktion – das ist eindeutig Übergewinn!!!

.) Commerzbank (Finanzinstitut aus Frankfurt) 261 % – geschätzter Gewinn nach Steuern 1,1 Mrd € (mehr als 300 %)

Die Bank schrieb in den letzten Jahren nur rote Zahlen, musste sogar durch den Bund gestützt werden – er hält nach wie vor 15,6 % – Zinserhöhungen in den USA und Europa sowie ein rigoroses Sparprogramm sind hierfür verantwortlich; Kredite aus Russland und der Ukraine müssen abgeschrieben werden

.) Verbio (Biokraftstoffhersteller aus Zörbig) 248 % – geschätzter Netto-Gewinn 322 Mio €

Der ostdeutsche Konzern hat bislang nie die 100 Mio €-Gewinngrenze erreicht – das ist eindeutig Übergewinn!!! 

.) RWE (Stromproduzent aus Essen) 185 % – geschätzter Gewinn nach Steuern 2,1 Mrd € (fast +300 %)

Der Umsatz aus Gas- und Wasserstrom steigert sich in diesem Jahr um 18 % auf 29 Mrd € – das ist eindeutig Übergewinn!!!

.) Traton (ausgegliederte VW-Nutzfahrzeugsparte aus München) 184 % – geschätzter Netto-Gewinn 1,3 Mrd € (fast +300 %)

Durch Corona brach viel Gewinn weg – 2019 lag dieser bei 1,5 Mrd – heuer aufgrund der Übernahme des US-Herstellers Navistar

.) Medios (Pharmakonzern aus Berlin) 175 % – geschätzter Gewinn nach Steuern 21 Mio

Der Gewinn resultiert vornehmlich aus dem Ankauf eines kleineren Unternehmens – spezialisiert auf seltene Krankheiten

.) Hochtief (Baukonzern aus Essen) 146 % – geschätzter Netto-Gewinn 511 Mio  € (+246 %)

†Der Umsatz ist geringer als 2019 – v.a. in der Asien-Pazifik-Region laufen die Geschäfte dennoch ausgezeichnet

.) Aareal Bank (Immobilienfinanzierer aus Wiesbaden) 125 % – geschätzter Gewinn nach Steuern 120 Mio € (+50 %)

Diese Zahlen wurden jedoch bereits vor der Corona-Krise geschrieben

.) Brenntag (Chemikalienhändler mit Sitz in Essen) 112 % – geschätzter Nettogewinn 2022 950 Mio € (mehr als +50 % im Vergleich zu 2021)

Gewinnsteigerung durch höhere Preise und ein Sparprogramm

Somit werden durch die Einführung einer Krisengewinnsteuer weitaus weniger deutsche Unternehmen als bislang gedacht zur Kasse gebeten. Doch es geht auch anders: Der Energiehändler E.ON wird seinen Gewinn heuer von 4,6 auf geschätzte 1,8 Mrd verringern, Windkraftbetreiber PNE baut ein Gewinn-Minus von 85 %, SME Solar wird gar in die roten Zahlen abdriften. Der Gas-Grosshändler Uniper musste gestützt und verstaat-licht werden, da sich die wirtschaftliche Situation extremst zuspitzte. Das Unternehmen bezog 50 % seines Gases aus Russland – insgesamt werden 40 % der Gas-Nutzer in Deutschland damit beliefert. Ein Konkurs von Uniper hätte unglaubliche Auswirkungen gehabt. Gleiches gilt auch für die Gazprom-Tochter Gazprom Germania (jetzt Sefe). Russland hatte sie abgestossen, die Verwaltung wurde bereits durch den Bund treu-händerisch übernommen – jetzt soll auch sie (nach einem 10 Milliarden-Kredit durch die KfW) verstaatlicht werden. Auch Unternehmen aus anderen Bereichen, wie die Deutsche Bank oder die Deutsche Börse gleichen die letzten Minus-Jahre aus, die DWS-Gruppe und die Deutsche Pfandbriefbank liegen bei Normalgewinnen. Trotzdem rechnet etwa die Rosa-Luxemburg-Stiftung (politisch links einzuordnen) mit Mehrein-nahmen durch die Krisengewinnsteuer in der Höhe von bis zu 102 Mrd – bei einer Versteuerung von 90 % wie in Spanien oder Griechenland. 

Ein ähnliches Bild ergibt sich in Österreich – auch hier wird es schwierig werden, die Krisengewinne von den Normalgewinnen zu unterscheiden. Dabei sollen jedoch die Energieanbieter aus erneuerbaren Energien ausgeklammert werden. Somit bleiben die Übergewinne aus Gas und Öl bzw. Atomstrom über, da die Kosten der Stromproduzenten aus Kohle-, Gas- oder Öl-Kraftwerken nicht gestiegen sind. Auch im Alpenstaat wird man deshalb auf einer Preisdeckelung bei Gas und Strom setzen. Zu den Gewinnern zählt eindeutig die OMV, die den operativen Gewinn im 2. Quartal 2022 um 1,6 Mrd auf 2,9 Mrd Euro steigern konnte – im Ver-gleich zum 2. Quartal 2021. Die Manager klopfen sich auf die Schultern – sie kassieren zusätzliche Boni in der Höhe von 6,2 Mio € ab (Quelle: kontrast.at). Hier würde sich eine Übergewinnsteuer durchaus lohnen. Doch ist der Bund über die ÖBAG zu 31,5 % an der OMV beteiligt – er würde sich also in den eigenen Schwanz beissen. Gleiches gilt für die Strom- und Gasanbieter in den Bundesländern, die zumeist das jeweilige Land als einen der Gesellschafter vorzuweisen haben. Trotzdem brächte eine solche Steuer dem Alpenstaat zwischen vier bis sechs Milliarden.  

Selbstverständlich sorgt eine solche Übergewinnsteuer für Unruhe am Markt. In Spanien knickten die Kurse der Energieriesen und Banken ein, auch in Österreich legte vor allem der Verbund einen Tiefflug hin, als Bundeskanzler Karl Nehammer dies im Mai des Jahres in’s Auge fasste. Doch handelt es sich hierbei ja um Kurse, die zuvor künstlich nach oben gedrückt wurden. Ökonomen warnen erneut: Durch eine derartige Steuer würde das Vertrauen der Investoren und jenes in den Standort riskiert. In der Schweiz wird gar der Wohlstand des Landes als Argument in’s Spiel gebracht. Dem sei entgegengestellt, dass die Investoren auch bei nor-malem Gewinnverlauf durchaus gute Rendite machen, ansonsten hätten Sie ja keine Beteiligung vor dem Steigflug der Preise angestrebt. Bei einem Residualgewinn von 0 werden nämlich die Ansprüche der Kapital-geber bereits vollständig erfüllt. Und wenn Stadtwerke bzw. Unternehmen mit Länder- oder Bundesbeteiligung plötzlich mit der Auslagerung beginnen, so muss ernsthaft über eine derartige Beteiligung der öffent-lichen Hand diskutiert werden, da ja dann alsdann die Steuerpflicht in’s Ausland verlagert wird, was in keinem Falle dem Interesse der Volks-vertreter entsprechen sollte, da es auch der einfache Bürger als Aufruf zur Steuerflucht verstehen könnte.

Links:

– www.eex.com/de

– www.exaa.at

– www.epexspot.com

– www.preussenelektra.de

– www.rwe.com

– www.enbw.com

– www.stadtwerke-konstanz.de/de/

– www.uniper.energy/de

– vng.de

– www.sefe-group.com

– www.omv.at/de-at

– kontrast.at

– www.oegb.at

No Comments »

Elizabeth II. – Die grösste Monarchin aller Zeiten

Am 6. September des Jahres ernannte sie noch die neue britische Premierministerin, lächelte in die Kameras der Journalisten, zwei Tage später schockierte die Meldung über ihren Tod die Welt: Queen Elizabeth II. verstarb im 96. Lebensjahr auf ihrer geliebten Sommerresidenz, Balmoral Castle in Schottland. Sie soll nach Angaben der Familie der Royals im Kreise ihrer engsten Familie friedlich eingeschlafen sein. 

Ich wurde geboren – die Frau war da, ich zitterte bei der Matura (dem Abitur) – die Frau war da, ich stotterte mich durch meine erste Radio-sendung – die Frau war da. Für die meisten unter uns, war die Queen stets da – für viele gar länger als der eigene Ehepartner. Klar – 96 Jahre sind ein hohes Alter, zudem zehrte der Verlust ihres Mannes sehr an ihr. Ihr Tod musste somit durchaus erwartet werden – dennoch kam es sehr überraschend. Queen Elizabeth II. war die am längsten regierende Königin der Geschichte (70 Jahre und 214 Tage) – nur Ludwig XIV. („Der Sonnenkönig“ aus Frankreich) und Sobhuza II. (Oberhaupt von Swasiland) regierten länger, wobei beide als kleine Kinder bereits auf den Thron kamen und die Mütter vorerst die Staatsgeschäfte führten. Die Queen ernannte während ihrer 70-jährigen Amtszeit drei Frauen und 12 Männer zu Premierministern. Ihr ganzes Lebens stellte sie in den Dienst an ihren  Untertanen, ihres Landes und des Commonwealth, wie sie es anlässlich ihres 21. Geburtstages in einer Rundfunkansprache versprochen hatte. Eine grossartige Frau, die jeden Respekt und Ehrerbietung verdient hat. Ihr möchte ich deshalb diesen Blog widmen.

Elizabeth II. wurde am 21. April 1926 als Elizabeth Alexandra Mary in Mayfair/London geboren. Zu diesem Zeitpunkt stand sie auf Platz drei der Thronfolge, nach ihrem amtierenden Onkel Eduard VIII. und ihrem Vater dem Herzog von York, Prinz Albert später König Georg VI. Im Jahr 1936 dankte Eduard vorzeitig ab – Grund dafür waren, nach zahlreichen Affären mit zumeist verheirateten Frauen, die Hochzeitspläne mit der zweifach geschiedenen US-Amerikanerin Wallis Simpson, die er als Oberhaupt der anglikanischen Kirche von Gesetzes wegen nicht ehelichen durfte. Er war übrigens Zeit seines Lebens nicht gekrönt. Sein Bruder Albert bestieg 1936 als Georg VI. den Thron. Kronprinzessin Elizabeth musste ihn jedoch ab 1949 immer öfter bei öffentlichen Anlässen vertreten, da Georg an Lungenkrebs und Arteriosklerose litt. Er verstarb in der Nacht vom 5. auf den 6. Februar 1952 an einer arteriellen Throm-bose. Prinzessin Elizabeth folgte auf den Thron, die Krönungs-Zeremonie fand am 2. Juni 1953 in Westminster Abbey statt. Erstmals wurde die Krönung eines Staatsoberhauptes im Fernsehen übertragen – 300 Mio Menschen sollen dies weltweit mitverfolgt haben.

Queen Victoria (gestorben im Jahre 1901) entstammte dem Hause Hannover. Mit ihr endete auch dieses Stammhaus, da der letzte Herzog Ernst II. 1893 ohne leibliche Erben verstarb. Damit erlosch aber auch die deutsche Linie des Hauses. Mit Victorias jüngstem Sohn, Eduard VII. ging das Königshaus an die Linie Saxe-Coburg and Gotha (Sachsen-Coburg und Gotha). Während des Ersten Weltkriegs wurde das Haus am 17. Juli 1917 in „Windsor“ umbenannt. Windsor ist eine kleine Gemeinde in der Grafschaft Berkshire, in dem Windsor Castle steht. Das Schloss diente seit Wilhelm dem Eroberer als Residenz der königlichen Familie. Auch heute noch stehen deutsche Nachkommen der Häuser Hannover und Sachsen-Coburg zwar in der Thronfolge, jedoch praktisch ohne Chancen auf den Thron. So trägt etwa Ernst August von Hannover (jener Hochadeliger, der sich an einem Pavillon der Weltausstellung erleichterte) die offizielle Bezeichnung: Ernst August Prinz von Hannover Herzog zu Braunschweig und Lüneburg Königlicher Prinz von Großbritannien und Irland. Elizabeth wollte mit der Thronbesteigung eigentlich den Namen ihres Mannes „Mountbatten“ übernehmen (somit wäre auch das Königshaus umbenannt worden), doch wussten ihre Grossmutter (Königin Mary) und Premier-minister Winston Churchill dies zu verhindern. Prinz Philip meinte einst, dass er der einzige Mann im UK wäre, der seinen Kindern nicht seinen Namen mitgeben könne. Nach dem Ableben Elizabeths steht nun King Charles III. dem Hause Windsor vor. 

Am 20. November 1947 heiratete die damalige Thronfolgerin Prinz Philip von Griechenland und Dänemark. Angeblich war die 13-jährige Elizabeth bereits in den fünf Jahre älteren Cousin dritten Grades verliebt, nachdem sie sich im Royal Naval College in Dartmouth getroffen hatten. Queen Victoria war ihre gemeinsame Ururgrossmutter. Am 14. November 1948 kam deren erstes Kind Charles Philip Arthur George zur Welt, ihm folgten später Anne, Andrew und Edward. Philip war zu Beginn sehr umstritten. Er hatte im Boulevard den Titel „Prinz ohne Heimat und Königreich“, Elizabeths Mutter soll ihn gar als „Hunnen“ bezeichnet haben, ein Schimpfwort für Deutsche, das auf der „Hunnenrede“ Kaiser Wilhelms II. bei der Verabschiedung des ostasiatischen Expeditionskorps anno 1900 beruhte. Vor der Hochzeit konvertierte er vom griechisch-orthodoxen Glauben zum Anglikanismus und verzichtete auf seine Ansprüche in Griechenland und Dänemark. Zudem nahm er den anglisierten Namen seiner Mutter an (aus „Battenberg“ wurde „Mountbatten“) und kurz vor der Hochzeit wurde er zum Duke of Edinburgh. Damit stand einer Aufnahme in die königlichen Familie nichts mehr im Wege, er musste offiziell als „His Royal Highness“ angesprochen werden. Philip wurde mit der Zeit zu einem der beliebtesten Royals, nicht zuletzt aufgrund seines Humors, den auch Elizabeth teilte. Er verstarb am 9. April 2021 – ein grosser Schicksalsschlag für die Queen. Das Bild der Trauerfeierlichkeiten rührte Millionen von Menschen auf der ganzen Welt zu Tränen: Aufgrund der CoVID-19-Bestimmungen sassen die Mitglieder des Königshauses getrennt voneinander – die Queen komplett abgeschottet gänzlichst alleine.  

Vom Tode ihres Vaters erfuhr Elizabeth während einer Reise im Jahre 1952, die in Kenia begann und weiter nach Australien und Neuseeland führen sollte. Doch bereits nach der ersten Nacht in Kenia erhielt sie die Todesnachricht. Nachdem sich Georgs Gesundheitszustand seit 1951 kontinuierlich verschlechtert hatte, trug Martin Charteris, Elizabeths Privatsekretär, stets den Entwurf der Thronbesteigungserklärung bei sich. Die Reise wurde abgebrochen, Elizabeth kehrte mit ihrem Gemahl sofort nach London zurück.     

Die Queen hatte eine sehr enge Beziehung zu Schottland. Das war vornehmlich familiär bedingt. Ihre Mutter „Queen-Mum“ war die jüngste Tochter des schottischen Grafen Claude Bowes-Lyon, 14. Earl of Strathmore and Kinghorne. Deshalb hätte sie wohl eine Loslösung Schottlands aus dem United Kingdom schwer getroffen. Zudem hatte sie auch mit Marion Crawford eine schottische Gouvernante. Balmoral Castle gehört jedoch nicht zum königlichen Besitz, sondern vielmehr zum Privatbesitz Elizabeths. Das ehemalige Jagdschloss Roberts II. wurde durch James Duff, dem 2. Earl Fife an Königin Victoria vermietet und später von Albert käuflich erworben. Wie ihre Ururgrossmutter war auch Elizabeth von der schottischen Landschaft stark beeindruckt.  

Wie bereits vorher erwähnt, versprach Queen Elizabeth II., ihr Leben in den Dienst ihres Landes und ihrer Untertanen zu stellen. Dieses wichtige Kapitel möchte ich deshalb keineswegs in diesen heutigen Ausführungen aussparen. 

Im Zweiten Weltkrieg wollte Lord-Kanzler Hailsham die Königsgemahlin und ihre Kinder nach Kanada in Sicherheit bringen. Dies jedoch lehnte diese ab: Sie verlasse niemals ohne ihren Mann das Land und die Kinder nicht ohne sie. 1942 absolvierte die Thronfolgerin mit ihrem Besuch bei den Grenadier Guards ihren ersten öffentlichen Auftritt. Im Frühjahr 1945 trat sie in den Auxiliary Territorial Service (ATS) ein, wo sie eine Ausbildung zur Lastwagenfahrerin und Mechanikerin erhielt. Ein Jahr nach ihrer Thronbesteigung besuchte sie im Rahmen einer Weltreise mit ihrem Gatten alle Länder des Commonwealth. Erstmals als Oberhaupt auch Australien und Neuseeland. Später kamen jede Menge hinzu. Insgesamt absolvierte sie 100 Staatsbesuche und 180 Reisen in die Länder des Commonwealth – sie ist somit das weitestgereiste Staats-oberhaupt der Welt. Trotz veröffentlichten Attentatsplänen (etwa 1961 in Ghana oder 1964 in Quebec) hielt die Queen an ihren Reiseplänen fest. Ja – sie setzte gar noch eins drauf: So führte sie die sog. „Royal Walkabouts“ ein – Spaziergänge und Händeschütteln beim normalen Volk.

In ihrer Amtszeit fehlte sie nur dreimal bei der Eröffnung der Sitzungs-periode des britischen Parlaments: 1959 und 1963 war sie schwanger (Andrew und Edward), 2022 liess es ihr Gesundheitszustand nicht mehr zu. Obgleich es ist nicht die Aufgabe der Queen bzw. Kings ist, sich in einer konstitutionellen, parlamentarischen Monarchie in das politische Tagesgeschäft einzumischen, nahm sie 2012 als erste Monarchin seit Georg III. im Jahre 1781 an einer Kabinettssitzung in Friedenszeiten teil. Nach Angaben der Zeitung „The Guardian“ liess die Queen während ihrer Amtszeit nicht weniger als 1062 Gesetze überprüfen („Queens Consent“). Zu ihrer politischen Einstellung hingegen äusserte sie sich niemals in der Öffentlichkeit. Margaret Thatcher meinte einst, sie würde wohl die Labour Party wählen. Bei der Einmischung Grossbritanniens in der Suezkrise, dem Falklandkrieg gegen Argentinien, dem Brexit hielt sie sich zurück – obwohl es ihr enorm schwer fiel. Als es im damaligen Rhodesien Probleme mit der Proklamation der Unabhängigkeit gab, entliess sie den dortigen Gouverneur Ian Smith, der ihr kurz zuvor noch seine Loyalität und Ergebenheit zum Ausdruck brachte, sich jedoch gegen die Unab-hängigkeitspläne stemmte. Auch bei dem vorzeitigen Ende der süd-afrikanischen Apartheidspolitik soll Elizabeth im Hintergrund vermittelt haben. Die Staatsbesuche des rumänischen Diktators Nicolae Ceausescue 1978 und des US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump 2019 absolvierte sie nur widerwillig. Ansonsten zeigten sich alle Staatsober-häupter stets von der Queen beeindruckt. Übrigens auch Michael Fagan, der sich am 09. Juli 1982 in das königliche Schlafzimmer eingeschlichen hatte. Die Queen verwickelte ihn für mehrere Minuten in ein Gespräch, bis die Polizei ihn festnehmen konnte. 1992 klagte die Königin das Boulevard-Blatt The Sun auf Verletzung der Urheberrechte, da diese die königliche Weihnachtsansprache zumindest teilweise im Vorhinein abdruckte. Die Zeitung musste die Anwaltskosten der Königin über-nehmen und 200.000 Pfund an wohltätige Zwecke und Einrichtungen überweisen. 

Immer wieder allerdings scheute sie nicht davor zurück, als Mahnerin zu agieren. Die Queen genoss während ihrer gesamten Amtszeit sehr hohe Beliebtheitswerte in der Bevölkerung – auch unter Gegnern der Monarchie als solche. Einzig die Abschottung des Königshauses nach dem Tod von Lady Di bis einen Tag vor ihrer Beerdigung sorgte für Unmut in den Strassen. Die öffentlichen Thronjubiläen, aber auch das alljährliche Geburtstagsspektakel „Trooping the coulor“ machten bis zuletzt die meisten Briten stolz auf ihr Königshaus. Auch völlig unerwartet der Humor der Queen: Wie beim Kurzfilm mit Daniel Craig alias James Bond anlässlich der olympischen Sommerspiele in London 2012 („unvergess-lichstes Bond-Girl aller Zeiten“) oder zuletzt das Video mit dem sehr beliebten TV-Teddy Paddington zu ihrem 70. Thronjubiläum. Elizabeth stand als Schirmherrin über 600 wohltätigen und ehrenamtlichen Organisationen vor. Als Oberhaupt der anglikanischen Kirche traf sie sich mit drei Päpsten und unterstützte den interreligiösen Dialog. 

„Mehr als 50 Jahre hat Elizabeth Windsor ihre Würde, ihr Pflichtgefühl und ihre Frisur behalten. Ich bewundere sie für Ihren Mut, und ihr Durch-haltevermögen. Ohne sie würde ich jetzt nicht hier stehen!“

(Helen Mirren, Oscar beste weibliche Hauptrolle 2007 in „Die Queen“)

Auf Charles III. lastet nun grosse Verantwortung. Schliesslich wusste seine Mutter wie keine andere, mit Streitschlichtung umzugehen. Sie schickte Charles und Diana nach Australien, das sich vom Commonwealth abzuspalten drohte. Dank Di’s Zutun geschah dies nicht. Beim ersten Besuch einer britischen Monarchin in der Republik Irland trat Elizabeth im Mai 2011 in einem grünen Kostüm auf (Nationalfarbe Irlands) und begann ihre Ansprache auf Gälisch. Beides vergassen ihr die Verant-wortlichen nie, obwohl die Briten dort nach wie vor als Kolonialverbrecher gelten. Auch ging das Königshaus auf nordirische Politiker mit IRA-Wurzeln zu obgleich Lord Mountbatten, ein enger Vertrauter der Queen, durch die IRA umgebracht wurde.  

Bei der Fahrt über rund 300 km von Balmoral nach Edinburgh gaben zehntausende Menschen der Queen die letzte Ehre. Viele mit Tränen in den Augen, manche applaudierten, andere salutierten. Von Schottlands Hauptstadt ging es mit dem Flugzeug weiter nach London. Das Staats-begräbnis findet am 19. September im Beisein vieler internationaler, hochrangiger Würdenträger aus Politik und Königshäusern sowie mehreren hunderttausend Menschen in London statt!

Filmtipps:

.) Tod einer Jahrhundertzeugin: Queen Elizabeth II. – ARTE-Doku

.) Elizabeth II., ganz privat – ARTE-Doku

.) Die Queen; Regie: Stephen Frears 2006)

Lesetipps:

.) Die Queen. Elizabeth II – Porträt einer Königin; Paola Calvetti; Piper Verlag 2021

.) Elizabeth II.; Thomas Kielinger, C.H. Beck 2022 

.) Queen Elizabeth II. und die königlicher Familie, Susan Kennedy; DK 2021

.) Her majesty; Christopher Warwick; Raschen 2021

.) The Queen: Elizabeth II and the Monarchy; Ben Pimlott; HarperPress 2012

.) Queen Elizabeth II: Her Life in Our Times, Sarah Bradford; Penguin 2012

.) The Servant Queen and the King She Serves, William Shawcross; Bible Society 2016

Links:

– www.royal.uk

– www.stasi-unterlagen-archiv.de

No Comments »

Transhumanz – Der Zug der Schafe

Das Ötztal ist eines der wohl schönsten und besten Beispiele dafür, wes-halb das österreichische Bundesland Tirol jedes Jahr von Touristen aus nah und fern förmlich überrannt wird. Im Winter aufgrund der Möglich-keiten in den Wintersportregionen Sölden-Hochsölden, Obergurgl-Hoch-gurgl und Oetz, im Sommer aufgrund der unglaublichen Wander- und Bergsteigerimpressionen in jener Region der Ostalpen mit den meisten 3000ern. Beispielsweise auf dem Weltwanderweg Via Alpina, der in insgesamt neun Etappen geteilt ist. Vom Inntal aus geht es über 65 Kilo-meter direkt hinein in das Zentrum der Alpen. Es ist das längste Quertal der Ostalpen, das die Stubaier Alpen im Osten von den Ötztaler Alpen im Westen trennt. Bei Zwieselstein teilt sich dieses Haupttal in das Venter- und das Gurglertal. Verkehrstechnisch endet das Gurglertal mit dem Timmelsjoch, einem der höchstgelegensten Grenzübergänge der Alpen (2.474 m über dem Meeresspiegel). Die Timmelsjoch-Hochalpenstrasse ist einer der schönsten Autostraßen Europas und war eine Heraus-forderung für den Strassenbau der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts. Auf Südtiroler Seite liess Benito Mussolini ab 1933 eine Militärstrasse im Passeier errichten, die bis zwei Kilometer vor das Joch reichte, um dadurch die Möglichkeit für eine Offensive gegen Österreich zu bieten. Am 15. September 1968 wurde die Verbindung für den Verkehr freige-geben. 

Das Jahr 2018 war sehr schneereich, während die Räumung 2022 ein-facher und rascher vonstatten ging.

Wer allerdings denken sollte, dass das Ötztal eine erst recht neue Verbindung von Nord nach Süd darstellt, geht fehl. Am 19. September 1991 fand das Bergwanderpaar Erika und Helmut Simon aus Nürnberg am Tilsenjoch (im Similaungletscher) die Leiche eines Mannes. Bei den Untersuchungen an der Universität Innsbruck wurde sehr rasch klar, dass es sich hierbei um einen Menschen handelt, der wohl seit rund 5.300 Jahren im ewigen Eis konserviert die Wirren der Menschheitsgeschichte überstand: Der „Ötzi“ (engl. „Iceman“ oder mein Lieblingsausdruck: „Frozen Fritz“)! Eine Wunde zeigte zudem auf, dass er von einem Pfeil getroffen wurde, dessen Schaft auch wieder herausgezogen wurde. Er war also nicht allein. Dieser Umstand beweist, dass auch unsere Urahnen diese Verbindung über die Alpen durch das ewige Eis der Gletscher („Ferner“) nutzten. Zu Fuss! Der Grund dafür sind die Berge selbst. So schirmt der Tschirgant das Tal vor eisigen Nordwinden ab, die Winde aus dem Süden werden beim Aufsteigen sehr stark erwärmt – das beschert dem Tal ein aussergewöhnlich mildes Klima, das sich zudem auch beim Pflanzenwachstum nachvollziehen lässt. Das Schiefergestein bildet als-dann einen ausgezeichneten Boden dafür. Heute geht die Geschichts-forschung deshalb davon aus, dass diese Hochgebirgsregion schon zu Ötzis Zeiten als Hochweidegebiet genutzt wurde.

In den Chroniken ist nachzulesen, dass schon im 13. und 14. Jahrhundert neben den Herren von Schwangau, von Starkenberg sowie den Klöstern und Stiften von Frauenchiemsee und Stams auch die Herren von Montalban bei Meran zu den Grossgrundbesitzern gehörten. Ein durchaus starker Einfluss also auch von Südtiroler Seite beim nördlichen Bruder. Der erste Saumweg über das Timmelsjoch wurde im Jahr 1320 angelegt. 

Fernab von alledem erfolgt seit Jahrhunderten zweimal im Jahr ein Spek-takel, das eindruckvoller nicht sein könnte: Der Schafstrieb über die Jöcher. Tatsächlich soll diese Tradition rund 6.000 Jahre alt sein – urkundlich erwähnt wurden die Weiderechte der Schnalser Bauern auf dem Rofenberg erstmals anno 1357, im Niedertal anno 1415 (zu besichtigen im Tiroler Landesarchiv in Innsbruck). Vor 1977 querten auf diese Weise rund 7.000 Tiere die Alpen – bis zirka 1900 waren auch Rinder und Pferde dabei.

Mitte Juni werden über 3.000 Schafe in kleineren Gruppen vom Schnalstal in Südtirol bis ins Venttal zur Martin Busch-Hütte und dem Hochjoch-Hospiz aufgetrieben, Anfang bzw. Mitte September erfolgt dann in zwei grossen Gruppen der Abtrieb, wo sie in Vernagt im Rahmen eines grossen Volksfestes („Schôfschoad“) wieder in Empfang genommen werden. Dabei geht es via teils sehr schmale Pfade über Bergwiesen, steile Felsabhänge, durch Gebirgsbäche aber auch durch Schnee und Eis des Similaunferners. Bei Sonnenschein, Regen- oder Schneefall, dichtestem Nebel oder auch von allem etwas, da das Wetter in den Bergen sehr rasch umschlägt. Insbesondere der Aufstieg ist sehr mühsam und gefährlich. Nicht selten müssen Männer mit Schaufeln vor der Herde die Wege freimachen und vortrampeln. Jeder Fehltritt kann das eigene Leben kosten oder viele Tiere in den Tod treiben. Beginnt für die ersten bereits um 03.00 Uhr der eigentliche Aufstieg in Vernagt, kommen etwa die Vinschgauer Gruppen einen Tag zuvor aus Laas über das Taschenjöchl. Ein Zwölfstunden-Marsch, der bereits Mensch und Tier alles abverlangt. Die Überquerung des Alpenhauptkammes erfolgt entweder am Niederjoch (3.019 m) oder dem etwas niedrigeren Hochjoch (2.770 m – dieser Zug endet bei der Rofenbergalm). Ein dritter Zug übrigens mit Tieren aus dem Passeier geht über das Timmelsjoch nach Obergurgl. Bis zum Jahr 1962 wurde noch ein weiterer Auftrieb geführt: Über den Gurgler Ferner mit der Alpenhaupt-kamm-Überquerung am Gurgler Eisjoch (3.154 m)! Diese gefährlichste Tour (Gletscherspalten, Eisfelder, …) aber wurde eingestellt. 

Wir bleiben etwas beim beschwerlichsten, beim ersten Zug. Nach einer kurzen Pause bei der Similaunhütte beginnt der Abstieg in’s Ötztal. Die ersten Schafe werden beim Martin-Busch-Haus zurückgelassen, die zweite Gruppe folgt bei der alten, die restlichen dann bei der neuen Schäferhütte. Nicht allen Schafrassen kann diese Tortur zugemutet werden. Ausgesucht für die Almkräuter und Höhenluft werden vornehm-lich das Tiroler Berg- bzw. Steinschaf und das Schwarznasenschaf. Immer wieder müssen Lämmer über die steilsten Wegstrecken hinweg von den Hirten und Treibern getragen werden. 

Nach elfstündigem Marsch und über 1.800 überwundenen Höhenmetern ist die Karawane auf der Alm angelangt. Im Vergleich dazu die noch beeindruckenderen Zahlen für die Herden aus Laas im Vinschgau: 44 km, 3200 Höhenmeter im Aufstieg und 1800 Meter im Abstieg – wohlgemerkt für den Alm-Auftrieb! Waren am Aufstieg noch bis zu 80 Menschen als Schaufler oder Treiber beteiligt, so reicht für die kommenden drei Monate ein Schäfer mit Hunden, um die Herden zu beaufsichtigen. Einer dieser Schäfer und Leiter des Schafsübertriebs ist Elmar Horrer mit seinem Hirtenhund Aiko. Ein braungebrannter, kerniger Mann, den nahezu nichts mehr erschüttern kann. Er verbringt die meiste Zeit unter freiem Himmel, hat selbst nur die alte oder neue Schäferhütte als Unterstand und ist das Leben allein auf der Alm gewöhnt: Ohne Handy, ohne Internet oder Fernsehen. In der 800 Jahre alten Schäfer-Hütte gibt es nach wie vor keinen Strom oder fliessendes Wasser. Nur selten erhält er Besuch vom zuständigen Jäger oder dem Pächter der Similaunhütte, der ihn auch mit dem Lebensnotwendigsten versorgt. Ansonsten muss er selbst bis nach Sölden absteigen, um sich Vorräte zu holen. Tagwache ist um halb sechs. Als erstes wird mittels des Fernglases der Tierbestand kontrolliert. Kurz danach geht es auch schon in’s Gelände. Schafe müssen gesucht, gebrochene Läufe gegipst und verunfallte oder verendete Schafe geborgen, sowie die Salzbehälter aufgefüllt werden. Ein bis zwei Prozent der Schafe bleiben übrigens verschwunden. Die Hirten sprechen davon, dass sie „vom Berg gefressen“ werden. So spult der Hirte Tag für Tag Kilometer um Kilometer ab. Insgesamt sind es 2.900 Hektar, die zwar nicht abgegangen, allerdings beobachtet werden müssen. 

Neben all den guten Jahren, in welchen nichts geschehen ist, sitzt den Bauern das Jahr 1979 nach wie vor als Katastrophe in den Rippen. Bei einem Schneesturm erstickten unterhalb der Similaunhütte rund 70 Tiere. Das Leben in den Bergen sollte niemals verharmlost werden.

Kein Job für Warmduscher!

Auch das Ötztal profitiert von diesem Zug der Schafe. Dominierte doch dort in Urzeiten der Flachsanbau und später die Rinderzucht die Land-wirtschaft. Erst in letzter Zeit wurden wieder die Vorzüge der Schaf-haltung erkannt. Die Tiere sorgen dafür, dass auch an unzugänglichen Stellen einerseits das Gras auf der Hochalm nicht zu hoch wächst, was zu Hangrutschungen und im Winter Lawinenabgängen führt, und anderer-seits werden unerwünschte Pflanzen wie junge Bäume oder Unkräuter von ihnen samt der Wurzel entfernt. Dadurch verwaldet das Gebiet nicht vollends.   

Die ersten zweibeinigen Sommerfrischler übrigens brachte gegen 1866 Clemens Franz Xaver Reichsgraf von Westphalen nach Oetz. Inzwischen wird das Ötztal alljährlich in den Wintermonaten von Millionen Urlaubs-gästen geradezu überflutet (alleine in Sölden rund 2 Millionen Über-nachtungen). Noch mehr erwarteten sich die Touristiker im hinteren Ötztal durch die Seilbahnverbindung mit dem Pitztal – diese Verbindung allerdings wurde fallen gelassen. In einem Bürgerentscheid sprachen sich im Juli 2022 von 1.200 Einwohnern in St. Leonhard im Pitztal 50,4 % gegen das Projekt aus. Insgesamt kamen 59 % zu den Urnen. 

Die dortige Sprache (Bairisch vornehmlich beeinflusst durch das Passeier- und das Schnalsertal) gehört zum immateriellen Kulturerbe Österreichs.  

Transhumanz – der Zug der Schafe wurde im Jahr 2011 in die UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Wie lange es diese noch geben wird, ist jedoch fraglich. Immer mehr Weidegebiete fallen der Gewinnsucht der Wintertouristiker zum Opfer, neue Seilbahn- und Pisten-erschliessungen sorgen immer wieder für Kontroversen. Sollten Sie die Gelegenheit haben, den Zug der Schafe vorort mitzuverfolgen, so nutzen sie dies. Die Schnalser Gletscherbahnen ermöglichen es auch für die Nicht-Alpinisten! Selbstverständlich können Sie im nächsten Jahr zudem als freiwilliger Helfer aktiv werden. Dafür sollten Sie durchtrainiert, wetterfest und bergtauglich sein sowie sich mit Schafen auskennen. Die Eindrücke werden Sie Ihr Leben lang nicht vergessen!

Rückkehrtermine 2022:

– Niedertalalm am 10. September nach Vernagt

– Rofenbergalm am 11. September nach Kurzras

Infos:

.) www.merano-suedtirol.it/de/schnalstal/natur-kultur/land-leute/trans-humanz.html#ltseventslist

.) www.suedtirolerland.it/de/suedtirol/schnalstal/vernagt-am-see/

.) www.suedtirolerland.it/de/suedtirol/schnalstal/kurzras/

Filmtipps:

– Mit di Schoof gian; Sebastian Marseiller 

– Schafe und Schneefelder; Rolf Bickel

Lesetipps:

.) Pässe, Übergänge, Hospize; G. Bodini;  Tappeiner Verlag 1999 

.) Wege der Schafe: Die jahrtausendalte Hirtenkultur zwischen Südtirol und dem Ötztal; Hans Haid; Tyrolia-Verlag 2008

.) Schafe und Hirten im Vinschgau & Schnalstal; G. Bodini; Hrsg: Kultur-verein Schnals  2005 

.) Schafe in Tirol; Thomas Stoffaneller/Susanne Schaber; Tyrolia-Verlag 2016

.) Aufbruch in die Einsamkeit – 5000 Jahre überleben in den Alpen; Hans Haid; Ed. Tau 1992

.) Die Grundherrschaften des Tales Schnals in Untervinschgau; Franz Huter; Innsbruck 1926

.) Alpenvereinsführer Ötztaler Alpen; Walter Klier; Bergverlag Rother Ottobrunn 1997

Links:

– www.transhumanz.net

– www.kulturverein-schnals.it

– www.provitaalpina.com

– www.vent.at

– www.merano-suedtirol.it

– www.naturpark-oetztal.at

– www.timmelsjoch.com

– www.unesco.at

– similaun.net

– www.museen-suedtirol.it

– www.oetzi-dorf.at

– www.oetztal.com

– www.kulturnatur.de

– hoehepunkt-tirols.oetztal.com

No Comments »

Na denn: Mahlzeit!!!

Wir alle kennen – spätestens seit dem Amtsantritt Donald Trumps als US-amerikanischer Präsident den Ausdruck „Fake News“ für erfundene Nach-richten. Inzwischen ist „Fake“ salonfähig geworden und dient in sehr vielen Bereichen für etwas, das nicht so ganz der Wahrheit entspricht. In der Werbung werden immer wieder Fake-Geschichten vorgespiegelt, damit der Absatz für die Produkte steigt, wenn etwa der Toilettenreiniger glücklich macht oder eine hübsche Bikini-Frau die Kürbis-Prostata-Zusatzernährung anpreist. Jeder weiss inzwischen, dass durch gute Ausleuchtung und Lebensmittelfarbe beispielsweise Tellergerichte, Fleisch oder Obst wesentlich besser aussehen, als sie es tatsächlich sind. Dass nun jedoch nicht mehr das in der Verpackung ist, was auch drauf steht, das wird offenbar leider immer mehr zur Sitte. Man nennt dies übrigens „Fake-Foods“! Hier wäre es mehr als wichtig, durchzugreifen, da der Konsument auf das Übelste gefoppt wird. 

Eines der begehrtesten Schauplätze hierfür ist der Begriff „Bio“. 

So warnte beispielsweise die sächsische Geflügelwirtschaft bereits im April davor, dass Bio-Eier aufgrund des Ukraine-Krieges knapp werden könnten, da das Futter (Soja, Sonnenblumenkerne und Raps) für die Hühner zwar vornehmlich über den Grosshandel in Polen bezogen, tat-sächlich aber aus der Ukraine stammt. Ohne der Beifügung von konventionellem Futter werde das Bio-Ei vom Markt verschwinden. In Natura kommen nahezu alle zwei Jahre Skandale vom Bio-Eier-Markt an’s Tageslicht. So warnte Öko-Test 2019 vor den Bio-Eiern bei Lidl und Aldi. Zwei Jahre zuvor berichteten Mimikama und der SWR über die Zulieferer-betriebe von Aldi Süd. 2015 stand die Geflügelwirtschaft Niedersachsens im Scheinwerferlicht… 

Greift der Konsument zu einer Ware mit dem Etikett „Bio“, so ist er gerne dazu bereit, rund 15 Cent pro Ei mehr zu bezahlen, da er weiss, dass nicht nur die Qualität des Produktes stimmt, sondern auch die Herstellung bzw. die Tierhaltung! Das nennt sich „bewusste Ernährung“! Leider eine Wunschvorstellung! In vielen Bioställen sieht es gleich wie in der kon-ventionellen Landwirtschaft aus. 2013 ermittelte die Staatsanwaltschaft Oldenburg gegen 200 landwirtschaftliche Betriebe, die beschuldigt wurden, dass auf der Eier-Verpackung etwas anderes stehe, als tatsächlich drinnen war. Nur ein Jahr später musste der Agrarminister Mecklenburg-Vorpommerns, Till Backhaus, eingestehen, dass 12.000 Eier aus vier Betrieben des Bundeslandes mit dem Öko-Siegel gekennzeichnet waren, obwohl sie das gar nicht verdient hätten. Auch hier ermittelte die Staatsanwaldschaft Rostock. Dieser Fall wurde allerdings nach besten Mitteln und Methoden durch die Politik verschleiert, obgleich im §40 des Lebens- und Futtermittelgesetzes klar definiert ist, dass die Öffentlichkeit ein Anrecht auf die Namen jener Betriebe hat, die den Verbraucher getäuscht haben. Klasse Lobby-Arbeit! 

Wann darf aber nun tatsächlich das Ei als Bio-Ei verkauft werden? Hier gibt es klare Richtlinien des deutschen Bio-Siegels in Verbindung mit der EG-Öko-Verordnung als Mindestanforderungen. So muss etwa die Henne zumindest vier Quadratmeter Auslauf (ausserhalb des Stalles) pro Tag haben, im Stall selbst dürfen nicht mehr als sechs Hühner auf einem Quadratmeter gehalten werden (in der Regel sind es nach wie vor 12!) – nicht mehr als 3.000 pro Stallung (wer zählt das nach?). Eine präventive Medikamentierung mit Antibiotika ist verboten – dem Huhn darf nur Biofutter verfüttert werden. Werden diese Kriterien nicht erfüllt, so ist das Ei aus „Bodenhaltung“! Ein natürliches Huhn legt pro Jahr 30 Eier – die meisten Hühner auch aus der Bio-Haltung allerdings 300. Es sind Hybrid-Hühner, gezüchtete Legemaschinen, die nach einem Jahr ihren anstrengenden Job erledigt haben und entsorgt werden. Zudem: Was geschieht mit den männlichen Küken am Bio-Gut? In Deutschland ist das Kükenschreddern seit dem 01. Januar 2022 verboten – davor waren es rund 45 Mio im Jahr. Auch in der Schweiz ist dies seit 2019 verboten – hier werden jedes Jahr etwa 3 Mio männliche Küken vergast – 1/4 davon stammt aus Bio-Produktion. In Österreich ist das „sinnlose“ Töten von männlichen Küken erst mit 2023 verboten. Die Bio-Branche jedoch zieht auch die Hähne in der sog. „Bruderhahn-Mast“ gross.  

Inzwischen hat sich auch im Bio-Bereich die industrielle Produktion etabliert, die übrigens vom Deutschen Tierschutzbund toleriert wird. Somit kann sich wohl jeder selbst ausrechnen, was diese 15 Cent mehr pro Ei bei 10.000 Hühnern mit jeweils 300 Eiern pro Jahr pro Farm ausmachen. Bio-Betriebe werden dreimal im Jahr durch Kontrolleure der jeweiligen Verbände oder in deren Auftrag überprüft – zweimal unan-gekündigt, einmal angekündigt. Hinzu kommen die Lebensmittel-kontrolleure. Deshalb und aufgrund des bürokratischen Aufwandes drehen viele Bauern dem Ökolandbau inzwischen wieder den Rücken zu und  zur konventionellen Landwirtschaft zurück. 

Ähnliches ist auch in Österreich zu sehen: Halbnackt scharren bis zu 10 Hühner pro Quadratmeter nach Futter. Mit den glücklichen, freilaufenden Hühnern aus der Werbung hat auch dies hier wenig zu tun. Auch im Alpenland werden grossteils Hybridhühner verwendet, die sich aufgrund der Züchtung meist gar nicht mehr selbst vermehren können. Auch zwischen Neusiedler- und Bodensee werden in den meisten Bio-Betrieben die männlichen Küken gleich nach dem Schlüpfen vergast oder geschreddert. Das bestätigte anno 2013 auch der Obmann der österreichischen Biobauernvereinigung „Bio Austria“, Rudi Vierbauch. 

Doch leider können oder wollen die Kontrolleure die toten Tiere nicht sehen. Jene, die langsam und schmerzvoll krepiert sind an Eileiter- oder Bauchfellentzündung, Parasitenbefall, Brustbeinverkrümmungen und Brustbeinbrüchen, Kannibalismus, Viren, Bakterien. 

Obgleich Österreich mit 26,4 % der landwirtschaftlichen Fläche (Stand: 2020) als Bio-Fläche europaweit eine Vorreiterrolle eingenommen hatte, landeten bislang gerade mal 6 % Bioprodukte im Supermarkt (in Deutschland waren es 4 %). Dies änderte sich allerdings während der Corona-Pandemie: 2020 wurde in Österreich erstmals ein Marktanteil von 10 % erreicht. In Deutschland nahm der Biomarkt im Vergleich zu 2019 um 22 % auf 6,4 % zu – hier geht es inzwischen um Umsätze in der Höhe von 14,99 Milliarden Euro. Ähnlich auch in der Schweiz – ein Plus von 19,1 % im Vergleich zu 2019 auf 10,8 % – 3,856 Milliarden Schweizer Franken. Es ist also durchaus möglich, auf dem Bio-Markt gutes Geld zu verdienen.  

Wenn Sie sich wirklich bio-bewusst ernähren wollen, dann schauen Sie sich den Hof Ihres Vertrauens genau an! Das empfiehlt auch der österreichische Bio-Vorzeigebauer Werner Lampert, der für die Rewe-Gruppe die „Ja-natürlich!“ und für Hofer die „Zurück zum Ursprung“-Marke gründete: 

„Bio ist kein Paradies!“

Allerdings stellt er auch den Konsumenten die Rute in’s Fenster: Nach wie vor – auch bei Bio – erweisen sich zu kleine Kartoffeln oder krumme Gurken als Ladenhüter. Da kann sich auch der ehrliche Klein-Bio-Bauer den Rücken krumm arbeiten – werden seine Produkte nicht verkauft, wird er nicht mehr von Bio zu begeistern sein. 

2016 wurde durch eine Untersuchung aufgedeckt, dass immenses Schindluder mit dem Begriff „fair“ am Markt getrieben wird. Der Begriff ist bei der Vergabe von Siegeln nicht geschützt – er wird somit stets anders interpretiert. Über 100 Öko- und Bio-Siegel gibt es alleine am bundes-deutschen Markt, von Demeter über Bioland, Naturland oder GÄA e.V. usw. So wurde nach Untersuchungen veröffentlicht, dass etwa im Kara-mell-Eis von Ben & Jerry’s nur 19 % Fair Trade-Produkte enthalten waren – trotzdem ist das Eis mit dem Fairtrade-Siegel versehen. In der Schokolade von Cavalier machte dieser Anteil gerade mal 32 %, in der Nuss-Nougat-Crème von Rewe 53 % aus. Zur Erklärung: Bei der Herstellung von Kakao, Orangensaft, Tee und Zucker muss kein einziges Fairtrade-Produkt enthalten sein – wichtig ist der Mengenausgleich, da hier konventionelle und Fairtrade-Produkte vermischt werden. Entdecken Sie also bei Ihrer Suche nach fairen Produkten die Aufschrift „Mengenausgleich“ auf der Packung, würde ich mir durchaus überlegen, ob ich für dieses Produkt wirklich mehr bezahlen möchte als für ein herkömmliches! Nur Kaffee mit dem Fairtrade-Siegel muss auch tatsächlich zu 100 % fair sein, ansonsten reichen seit 2011 nurmehr 20 % – auf die Gefahr hin, dass sich nun viele die Haare raufen werden, weil sie seit Jahren viel mehr für inhaltlich fast dieselben Waren bezahlen! Im Kakao der Aldi-Waffeln waren gar nur 8 %, im Kakao von Netto 20 % aus fairem Anbau aus kleinbäuerlichen Strukturen enthalten. Trotzdem prangert auf beiden Produkten das UTZ-Siegel. Beim UTZ-Siegel ist keine Mindestmenge an fair gehandelten Bestandteilen festgeschrieben. Das Gepa-Siegel hingegen geht von einem Mindestanteil von 50 % fair gehandelter Bestandteile aus. Meines Erach-tens eine bewusste Aufweichung der ansonsten recht guten und sinn-vollen Kriterien und damit ein Betrug am verantwortungsbewussten Konsumenten. Fairtrade Deutschland hingegen argumentiert, dass das Siegel nur dann vergeben wird, wenn die Zutaten, die fair angebaut und gehandelt wurden, auch auf der Verpackung angeführt sind. Tatsächlich kann nur zwei Bio-Labels getraut werden: dem EU- und dem Deutschen-Bio-Siegel. Hier müssen 95 % der landwirtschaftlich produzierten Zutaten aus ökologischen Anbau stammen. Ansonsten ist die Zertifizierung rasch verloren – regelmässig finden deshalb angekündigt und nicht-angekündigte Kontrollen statt. 

Nicht jedermann’s Geschmack (meiner etwa gar nicht) sind Garnelen. Trotzdem ist ausgerechnet die Surimi-Garnele heiss begehrt! Doch –  was die meisten Anhänger gar nicht wissen: Von Meeresfrucht keine Spur! Surimi ist nämlich ein Meeresfrüchte-Fake, hergestellt aus Fisch, Salz und Hühnereiweiss oder Stärke! Nachdem das meist nach gar nichts schmeckt, sorgen Aromen und Geschmacksverstärker (Krebsaroma) sowie Lebens-mittelfarben für das Prickeln auf der Zunge und das Leuchten in den Augen. Entdeckt wurde das, was der Japaner unter „zermahlenem Fleisch“ versteht, vor rund 900 Jahren, als ausfindig gemacht wurde, dass sich derart zubereiteter Fisch länger hält. Europa entdeckte Surimi in den 1950ern – verwendet werden Fischsorten, die zumeist nicht direkt verkauft werden können, wie beispielsweise Magerfisch oder auch Krill. Es ist zumeist alsdann ein Produkt aus dem Beifang. Überzeugte Surimi-Gustianer sprechen allerdings von Fischfilets von Weissfischen (Seelachs, Kabeljau, Brassen oder auch Seehecht). Sie können es sich somit aussuchen! Wer also so oder so wirklich Garnelen essen möchte, sollte auf Surimi verzichten!!! Apropos: Mit Tintenfischresten vermischt dient Surimi als Tintenfischersatz, kommt aber auch in so manchem Würstchen zum Einsatz! Wurde Surimi verwendet, so sollte dies gut sichtbar auf der Verpackung angeführt sein! Sollte! 1994 führte die Hamburger Bundes-forschungsanstalt für Fischerei eine Überprüfung durch – in sieben von zehn Garnelenfleischproben wurde nicht angeführtes Surimi verarbeitet. 2010 entschied der Verwaltungsgerichtshof von Baden-Württemberg, dass ab einem Surimi-Anteil von zumindest 20 % Deklarationspflicht besteht (Az. 9 S 1130/08). 

Ach ja – weil wir’s gerade so schön von Meer und Früchten hatten: Wissenschafter des Leibnitz-Institutes für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin entdeckten vor einigen Jahren einen riesigen Kaviar-Fake. Von 27 Kaviar-Produkten enthielten nicht weniger als 10 keinen oder nur einen Teil des Original-Kaviars, sondern vielmehr Eier anderer Fischarten oder künstlich hergestellte Imitate. Dies konnte jedoch nur aufgrund von DNA-Abgleichen („DNA-Barcoding“) festgestellt werden. Bei Preisen von 220,- € bis 450,- € pro 100 Gramm der Sorte des Beluga Störs – durchaus rentabel dieser Betrug! Die Kollegen des Forschungsinstitutes Wilhelms-haven entlarvten mittels des Bar-Codings auch Ölfische, die als Makrelen verpackt waren oder statt des echten Heilbutts den Schwarzen Heilbutt usw.!

Bleiben wir doch noch etwas in Japan und beim Sushi. Die Umweltgruppe Oceana entdeckte bei einer Untersuchung von Sushi-Restaurants in Japan anderen Fisch als jener, der tatsächlich verkauft wurde. Erschreckend ist die Quote: 100 %! Oceana schreibt in der Aussendung, dass die Wahr-scheinlichkeit weissen Thunfisch in einem Sushi-Restaurant zu bekommen, gleich ist mit jener, beim Roulette in Vegas eine Null oder Doppel-Null zu erspielen! Vor 2013 übrigens lag die Quote bei rund 84 % weisser Thunfisch.

Wer übrigens Sushi mag, wird wohl auch Wasabi mögen. Wasabi ist ein japanischer Meerrettich, somit also ein Kreuzblütengewächs, dessen Stamm vornehmlich in der japanischen Küche den Speisen eine extreme Schärfe verleihen kann. Da die Pflanze jedoch nur in Japan und auf der russischen Insel Sachalin wächst, ist das Gewürz sehr selten und damit teuer (Kilopreis der Wurzel: Bis zu 400 €). Hierzulande bekommt man den Scharfmacher in Dosen, Gläsern oder auch Tuben als Paste. Apropos Paste: In den meisten in Deutschland angebotenen Produkten ist nur eine Mixtur aus europäischem Meerettich- und Senfpulver in Verbindung mit Stärke und den Farbstoffen E133 und E102 enthalten – ein Produkt aus dem Lebensmittellabor! Echter Wasabi ist nicht froschgrün sondern mint und kitzelt die Geschmackpapillen der Zunge mit einem süsslichen Unterton und die Nase mit dem Geruch ätherischer Öle. Frisch gerieben allerdings hält sich Wasabi nur über rund eine halbe Stunde. Zu diesem Chemie-Mus kommt noch hinzu, dass in den meisten Fällen der Azo-Farbstoff Tartrazin enthalten ist. Dieser war lange Zeit in heimischen Landen verboten, da er heftige Allerigen auslösen kann. Der Kunst-Wasabi ist inzwischen in vielen anderen Lebensmitteln wie Nüssen, Chips oder Knuspererbsen enthalten. Untersuchungen derartiger Wasabi-Produkte aus dem Supermarktregal ergaben jedoch einen Anteil von 0,003 bis gerade mal 2 % des Gesamtproduktes. 2009 musste das Unternehmen Kattus nach einem Urteil des Münchener Landgerichtes II umbenennen, da in den „Wasabierbsen“ kein einziges Gramm Wasabi enthalten war. Und trotzdem produziert dessen Tochtergesellschaft Bamboo Garden die Wasabi-Paste auch weiterhin – mit unglaublichen 3,5 Prozent Wasabi-Gehalt lt. Zutatenliste. 

Ich mag sie ja unheimlich gern – viele andere verabscheuen sie: Die weisse Schokolade! Streng genommen aber ist dies keine Schokolade mehr, da sie kein Kakaopulver oder Kakaomasse sondern nurmehr die Kakaobutter enthält. Ergänzt durch Zucker und Milch liegt der Angriff auf die menschlichen Hüften schön sortiert bei ihren schwarzen bzw. braunen Kollegen im Supermarkt. 

Schwarze Oliven sind für so manch einen etwas ganz exklusives. Doch ist dem nicht wirklich so. Zumeist werden einfach die grünen Kumpels schwarz eingefärbt. Das muss auf der Verpackung nicht mal angeführt sein. Finden Sie allerdings dort die Bezeichnungen E579 (Eisen-II-Gluconat) und/oder E585 (ERisen-II-Lactat), so sollten Sie vielleicht doch besser die Ware im Regal belassen. 

Über die Unsitte der Cornflakes und des angeblich so gesunden Fertig-Müslis habe ich an dieser Stelle ja schon mal geschrieben. Auch Vollkornbrot ist nicht immer unbedingt Vollkorn und damit gesund. Es könnte auch eingefärbtes Weizenbrot dahinterstecken – das nennt sich dann „Vollkorn-Look“. In originalem Vollkornbrot muss mindestens 90 % Vollkornschrot enthalten sein. 

Zu all diesen ganz offiziellen, teilweise nicht ganz legalen Fällen der Verbrauchertäuschung kommen noch die Imitate hinzu: Champagner aus italienischem Spumante, Oregano aus Olivenblättern, Babymilch, die mit dem Kunststoff Melamin gestreckt wird. Anno 2008 starben in China nicht weniger als 6 Kinder daran, 300.000 waren erkrankt. Auch der Grossteil des Apfelsaftes, der in den USA verkauft wird, stammt nach Aussagen des Aufdeckers Larry Olmsted aus chinesischen Konzentraten – inklusive Pestiziden oder anderer Chemikalien!  

Die Ministerien für Ernährung und Landwirtschaft sowie für Verbraucher-schutz, das Bundesamt für Verbraucherschutz, das Bundesinstitut für Risiko-Berwertung aber bereits auch schon die Staatsanwaltschaft, Zoll, Interpol und Europol sprechen von Gewinnraten wie im Drogenhandel. Auch die Mafia ist inzwischen mit von der Partie. Und es wird immer einfacher für die Betrüger: Gab es früher wesentlich mehr Einzelhändler mit einer somit auch grösseren Vielfalt am Markt, so konzentriert sich zusehends alles auf drei bis max. vier Supermarktketten, die bei einem Lieferanten für all ihre Märkte bzw. Tochtergesellschaften einkaufen. 

Unternehmen, aber auch Überwachungsbehörden begegnen dem Treiben nun mit einem chemischen Fingerabdruck (Nuclear Magnetic Resonance). Mit der Hilfe der Kernmagnetresonanz-Spektroskopie können die magne-tischen Eigenschaften der Wasserstoffmoleküle aufgezeigt und damit echte von nachgemachter Ware unterschieden werden. Nur mit diesem Echtheitsnachweis wird in vielen Fällen Betrug aufgedeckt. Nachdem derartige Laboruntersuchungen zumeist nicht günstig sind und sich so mancher Laborbetreiber entsprechende Daten vergolden lässt, wurde in Deutschland die staatlichen Datenbank „FoodAuthent“ aufgebaut. Darin enthalten sind Daten, auf welche die Behörden jederzeit zugreifen können, wenn Verbraucher geschützt werden müssen. So kann der Ölfisch beispielsweise Krämpfe hervorrufen, künstliche Salze im Käse ebenfalls an die Gesundheit gehen. 

Bisherige Erfolge:

– Chinesischer Honig wurde als US-Qualitätsware verkauft

– Billiges Olivenöl umgefüllt und als hochwertige 1A-Ware verkauft

– Cabernet Sauvignon entpuppte sich als Tempranillo 

– Orangensaft aus Südafrika wurde als spanischer ausgegeben

– Chinesisches Kürbiskernöl kam angeblich aus der Steiermark

– Chardonnay aus einem Verschnitt von Pinot Grigio und Sauvignon zusammengestellt

– Honig, gestreckt mit Zuckersirup

Während der „Operation Opson VI“ wurden 2016/17 von Zoll, Europol, Interpol und den Lebensmittelbehörden in weltweit 61 Ländern, darunter 21 EU-Länder, Waren im Wert von rund 230 Mio € (10.000 Tonnen) beschlagnahmt. Vom gefälschten Mineralwasser, falschen Haselnüssen bis hin zu erneut verpackten, zuvor jedoch abgelaufenen Sardinen – es war alles dabei. ein Jahr später (Operation Opson VII) lag der Schwerpunkt bei manipuliertem Thunfisch, 2018/19 (Opson VIII) bei verfälschtem Kaffee, 2019/20 bei gefälschtem Olivenöl und 2020/21 bei verfälschtem Honig. Beschlagnahmt wurden bei Opson X nicht weniger als 15.451 Tonnen von illegalen oder gefälschten Produkten

Wenn Sie also wirklich nachhaltig, umwelt- und sozialbewusst einkaufen möchten, sollten Sie sich davor kundig machen. Auch ich kam erst nach Strichcode-Recherchen drauf, dass meine Kaffeebohnen eigentlich in Estland geröstet werden. Wie auch ein grosses Produkt, von dem immer wieder behauptet wird, dass es aus Österreich käme! Den Angaben und Herstellern vertrauen – das war gestern!!!

Film-Tipps

– Die Bio-Lüge (ARTE-Doku)

– Biofleisch – Ethik oder Etikettenschwindel (SWR-Doku)

– Am Schauplatz: Das Bio-Dilemma (ORF-Doku)

Lesetipps:

.) Die Wahrheit über Bio-Lebensmittel; Alex A. Avery; TvR Medienverlag 2007

.) Friss oder stirb; Clemens G. Arvay;  Ecowin-Verlag 2013

.) Sushi-Bar: Japanischer Genuss häppchenweise: Sushi, Suppen, Salate und Spießchen; Tanja Dusy; GRÄFE UND UNZER Verlag GmbH 2008

.) Chemie im Essen: Lebensmittel-Zusatzstoffe. Wie sie wirken, warum sie schaden; Hans-Ulrich Grimm/Bernhard Ubbenhorst;  Knaur 2013

.) Bio-Lebensmittel. Worauf Sie wirklich achten müssen: Warum sie wirklich gesünder sind; Andrea Flemmer; humboldt / Schlütersche 2008

.) Die unsichtbare Kraft in Lebensmitteln, BIO und NICHTBIO im Vergleich; A.W. Dänzer; Verlag Bewusstes Dasein 2014

.) Strategische Positionierung im Markt für Bio-Lebensmittel; Hannes Hanke; VDM 2015

.) Extra Vergine: Die erhabene und skandalöse Welt des Olivenöls; Tom Mueller; Redline Verlag 2012

.) Real Food/Fake Food: Why You Don’t Know What You’re Eating and What You Can Do About It by; Larry Olmsted; Algonquin Books 2017

.) Food Forensics: The Hidden Toxins Lurking in Your Food and How You Can Avoid Them for Lifelong Health; Mike Adams; BenBella Books 2016

Links:

– www.biowahrheit.de

– agriculture.ec.europa.eu/farming/organic-farming/organic-logo_de

– www.oekolandbau.de/bio-siegel/

– www.tierschutzbund.de

– www.was-steht-auf-dem-ei.de

– www.alternativ-gesund-leben.de

– www.lebensmittelklarheit.de

– www.bio-austria.at

– www.kinjirushi.co.jp/

– osuseafoodlab.oregonstate.edu

– www.fairtrade-deutschland.de/

– foodrisklabs.bfr.bund.de

– oceana.org

No Comments »

Luftverschmutzung – jährlich 40.000 Tote

Als ich für den vorhergehenden Blog über die Zukunft der Mobilität recherchierte, fiel mir ein Zeitungsartikel aus dem Jahre 2000 auf. Berichtet wird darin über eine Studie zur Auswirkung der Auspuffabgase und Industriegifte. Diese wissenschaftliche Publikation kam zu dem Schluss, dass in Westeuropa jährlich rund 40.000 Menschen an den Folgen der Luftverschmutzung sterben – darunter 5.500 aus Österreich und 3.300 aus der Schweiz. Damals litten in Westeuropa etwa 300.000 Menschen an Bronchitis-Erkrankungen und zirka 500.000 an Asthma-anfällen – jedes Jahr! Dies führt zu jährlich rund 16 Mio Krankenstands-tagen. 35.000 Kinder bekommen alleine in Österreich jedes Jahr lebens-gefährliche Asthma-Attacken, 6.000 Erwachsene erkranken an Bronchitis. 

Harte Tatsachen zum Start des neuen Jahrtausends. Was nun hat sich in den zurückliegenden 22 Jahren getan? Wie haben sich die Klima-Maß-nahmen der Regierungen in den jeweiligen Ländern ausgewirkt? Beein-flusst die Luftverschmutzung etwa auch die Ansteckung mit Erkrankungen der Luftwege und der Lunge? So wurde beispielsweise in einer Studie von Marco Ferrario von der Universität Insubrien in der oberitalienischen Stadt Varese nachgewiesen, dass Einwohner an Strassen mit erhöhter Luft-schadstoffkonzentration häufiger an CoVID-19 erkrankten als Bürger aus anderen Stadtteilen („Occupational and Environmental Medicine“ 2022). Die Erklärung: Feinstaub kann von Viren als Transportmittel verwendet werden.

Zu Beginn erstmal gute Nachrichten: Es hat sich tatsächlich sehr viel bei den Verbrennungsmotoren sprich dem Verkehr getan, allerdings wurde die Situation in diesem Bereich nicht wirklich verbessert. Auch in der Industrie wurden Massnahmen gesetzt, sodass der Teil der Smogopfer durch diesen Bereich in Deutschland etwa auf 13 % gesenkt werden konnte. Eklatant zugenommen haben jedoch die Emissionen aus der Landwirtschaft. So werden die Massentierhaltung und die übermässige Düngung v.a. mit Gülle, aber auch mit Mist für einen erheblichen Teil der Toten durch Luftverschmutzung verantwortlich gemacht. Grosse Mengen von Ammoniak werden freigesetzt, die die Atemwege extrem belasten! 

Im Jahr 2000 führte noch Frankreich mit 31.000 Opfern die Todesliste an – 2021 war es Deutschland mit 34.000. Nach wie vor sterben jährlich rund 7.000 Deutsche (ca. 20 %) an den Folgen der durch den Verkehr verursachten Luftverschmutzung. Nur in China, Indien, den USA und Russland ist der Anteil noch höher, weltweit liegt er bei rund 5 %. Eine unmittelbare Folge der immer dichter werdenden Besiedlung und der Landflucht. Wissenschaftler des Max-Planck-Institutes haben errechnet, dass diese Kurve bis zum Jahr 2050 noch weiter ansteigen wird – neben Europa und den USA vornehmlich in Süd- und Ostasien. Weltweit könnte sich die Zahl der Smogopfer auf 6,6 Mio Menschen nahezu verdoppeln. In London etwa von 2.800 auf 4.200, in Moskau von 8.600 auf 11.700 und in Kalkutta von 13.500 auf gar 54.800, um nur drei Beispiele zu nennen.    

Fairerweise muss jedoch erwähnt werden, dass Deutschland und auch Österreich (die Schweiz weniger) von Nachbarstaaten umgeben sind, die nicht wirklich auf die Reduktion der Klimagase, Stickoxide und des Feinstaubs achten. Trotzdem: Gerade Deutschland zählt zu den Top Ten etwa der CO2-Verursacher. Pro Kopf wurden im Jahr 2019 rund 7,75 to Kohlendioxid ausgeschieden, in den USA sind es 14,44 to. In Österreich lag dieser Ausstoss bei 7,1, in der Schweiz bei 4,16 to pro Kopf und Jahr. Es zeigt auf, dass hier die Hausaufgaben seit der Unterschrift unter das Pariser Klimaschutzabkommen 2015 nicht wirklich gut erledigt wurden. Den Schwarzen Peter den anderen zuzuschieben, ist grundlegend falsch.

„Würde man die gesamte Weltbevölkerung in 50 Gruppen einteilen, von denen jede zwei Prozent der globalen Emissionen verursacht – folgt daraus dann, dass niemand etwas machen muss?“

(Stefan Rahmstorf, Dt. Klimaforscher)

Doch zurück zur Luftverschmutzung. Schon als Kind lernten wir von unseren Eltern, dass wir zum Spielen an die frische Luft gehen sollen. Nun hat eine Studie aus Südkorea aufgezeigt, dass Sport an der „frischen Luft“ ab einem gewissen Grad der Luftverschmutzung gar mehr schaden als nützlich sein kann. Bei 1,5 Mio jungen Erwachsenen wurde im Zeitraum von fünf Jahren nachgewiesen, dass hohe Feinstaubwerte beim Sport im Freien das Herz-Kreislauf-System belasten. Der Feinstaub gelangt über die Lungenbläschen in das Blut. Dadurch schädigt er alle Organe des Körpers. Im Blutkreislauf inklusive des Herzens etwa verursacht dieser Entzündungen, Arteriosklerose, Herzinfarkt und Schlaganfall, sogar im Gehirn brechen Entzündungen aus, da die kleinsten. Partikel die Blut-Hirn-Schranke ohne Probleme überwinden. 

„Die Feinstaub-Grenzwerte der EU liegen ganz nah an dem Bereich, in dem laut der Studie körperliche Aktivität im Freien bereits schädlich für das Herz-Kreislauf-System ist. Regional werden die Grenzwerte in Deutschland sogar überschritten, etwa in Hochindustriegebieten.“

(Univ.-Prof. Dr. med. Thomas Münzel, Direktor der Kardiologie I an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz )

Feinstaub wird in unterschiedlicher Partikel-Grösse zugeordnet: 

– grob 10 µg

– fein 2,5 µg

– ultrafein 0,1 µg

Entsprechend der Studie wurde die Feinstaubbelastung von unter 26,4 µg/m3 als moderat bis niedrig eingeordnet (bei feinen Partikeln), der EU-Grenzwert liegt im Jahresdurchschnitt bei 25 µg/m3, die WHO empfiehlt 10 µg/m3. Zum Vergleich: Der Grenzwert liegt in den USA bei 12 µg/m3. Über das Thema Feinstaub habe ich an dieser Stelle bereits ausführlich berichtet. 

Wissenschaftler des Max-Planck-Institutes für Chemie und der Universi-tätsmedizin Mainz berechneten in einer Studie, dass die Luftver-schmutzung die Lebenserwartung der Menschen weltweit um rund drei Jahre verkürzt. Wesentlich mehr als durch Infektionskrankheiten oder dem Rauchen als Herz-Kreislauf-Risikofaktor. Im Rahmen der Studie wurden Zahlen aus dem Jahr 2015 ausgewertet. Damals starben weltweit vorzeitig rund 8,8 Mio Menschen an den Folgen der Luftverschmutzung – in Europa sind es 800.000. Umgerechnet bedeutet dies eine durchschnittliche Reduktion der Pro-Kopf-Lebenserwartung um 2,9 Jahre (in Europa um knapp mehr als 2,0 Jahre), beim Rauchen sind es 2,2 Jahre. vor allem der bereits erwähnte Feinstaub, aber auch das Ozon setzen dabei dem Körper schwer zu. Global betrachtet ist die vorzeitige Sterblichkeit in Ost- und Südasien mit 35 bzw. 32 % am höchsten. In Europa sind es 9 %. Australien hat die höchsten Luftreinhaltungsgesetze – dort liegt die Rate bei 1,5 %. Der Grossteil der Luftverschmutzung stammt aus der Verwendung fossiler Energieträger wie Erdöl, Kohl und Erdgas. Durch einen Verzicht könnten rund zwei Drittel der jährlich Sterbefälle mit dieser Ursache vermieden werden.  

Auch die Sektion Umweltmedizin des Südtiroler Sanitätsbetriebes führte zu dieser Thematik Untersuchungen anhand der Messwerte der Luft-messstationen Bozen, Meran, Bruneck, Brixen, Sterzing und Latsch von den Jahren 2000 bis 2004 durch. Das Land ist deshalb grossflächig von der Schadstoffbelastung betroffen, da nahezu alle Gewerbegebiete, Hauptverkehrsadern und alle Städte im Tal angesiedelt sind. Hier leben nicht weniger als 172.600 Menschen. Bei Inversionslagen (vornehmlich im Winter) und Windstille findet keine Durchlüftung statt – es kommt zu Smog. Stickoxide, Feinstaub, Kohlenmonoxid, Ozon und Benzol bleiben somit über Tage hinweg im Tal. Benzol beispielsweise gilt als krebser-regend. Aufgenommen wird es durch einatmen, verschlucken und Hautkontakt. Eine akute Vergiftung zeigt sich durch Haut- und Schleim-hautreizungen, es folgen Übelkeit, Erbrechen und Rauschzustände. Die kann weiters zu Herzrhythmusstörungen, Bewusstlosigkeit und epileptischen Anfällen führen. Durch schwefelarme Treibstoffe und Heizung mittels Erdgas konnte zumindest die Schwefeloxid-Belastung gesenkt werden. 

„Lungenärzte sehen in Kliniken Todesfälle durch COPD und Lungenkrebs. Durch Feinstaub und NOx, auch bei sorgfältiger Anamnese, nie.“ 

(Prof. Dr. med. Dieter Köhler, emeritierter Präsident des Arbeitskreises bzw. Verbandes Pneumologischer Kliniken)

Prof. Köhler löste durch seine Veröffentlichungen eine breite Diskussion über die Folgen der Luftverschmutzung aus. Dabei hatten sich mehrere Rechenfehler eingeschlichen. Zudem wurde die Ursache der Erkrankungen ausser Acht gelassen – Feinstaub oder Stickoxide schienen alsdann nie als todesursächlich auf, sondern die Erkrankung als solche. Inzwischen sind die Aussagen des Herrn Professor nicht zuletzt aufgrund auch von Kohortenstudien widerlegt: 

„An Tagen mit höherer Luftverschmutzung sterben mehr Menschen als an Tagen mit niedriger Luftverschmutzung!“

(Ralf Krauter, Wissenschaftsjournalist spektrum.de)

Dem schliesst sich auch das Forum der internationalen Lungengesell-schaften (FIRS) an. Von dort ist zu vernehmen, dass Langzeitexposition zu chronischen Veränderungen wie Herzerkrankungen, Krebs und auch Demenz, Diabetes sowie zu Schädigungen bei Neugeborenen führt. Soll heissen, dass die Lebenserwartung von Menschen aus Stadtteilen mit hoher Verkehrsbelastung geringer ist als von Menschen aus anderen Stadtteilen. Am stärksten davon betroffen sind Menschen, die bereits vorerkrankt sind. Höchst interessant war in diesem Zusammenhang die Studie des Nationalen Herz- und Lungeninstitutes im Jahr 2007 in London. Asthmakranke mussten dabei durch die stark belebte Oxford-Street über einen vorher genau bestimmten Weg mit ebenso klar fixierten Pausen spazieren. Damals durfte die Oxford Street nur von Bussen und Diesel-Taxis befahren werden. Drei Wochen später wurde das Experiment im Hyde-Park wiederholt. Jeweils danach fand eine Überprüfung der Lungenfunktion statt. Den Probanden setzte die Einkaufsstrasse deutlich mehr zu.  

In Österreich erfolgte im Juli 2012 der Startschuss für „LEAD“, die erste österreichische Langzeitstudie zur Lungengesundheit. 10.000 Menschen werden noch bis 2024 am Ludwig-Boltzmann-Institut für COPD und Pneumologische Epidemiologie an der Klinik Penzing (ehemals Otto-Wagner-Spital) in Wien untersucht. Durch die regelmässige Untersuchung der Lunge sollen Veränderungen des Organs erforscht werden, um entsprechende Erkrankungen früher feststellen zu können. Die chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD) ist auch im Alpenland auf stetem Vormarsch. Etwa 10 % der Österreicher sind behandlungsbedürftig – die Patienten werden zudem immer jünger. Wird COPD vorzeitig diagnos-tiziert ist es recht gut behandelbar.

„Stickstoffdioxid ist schädlich und schadet der Gesundheit auf zahlreichen Wegen.“ 

(Barbara Hoffmann, Leiterin der Umweltepidemiologie am Uniklinikum Düsseldorf)

Stickoxide können bei chronischem Lungenleiden schon bei Konzen-trationen, die unterhalb des Grenzwertes liegen, zu Asthmaattacken mit Atemnot und Husten führen. Eine schwedische Studie wies bei Asthmatikern bereits Reaktionen während der halbstündigen Fahrt in einem hoch-frequentierten Strassentunnel nach. NOx-Emissionen tragen gemeinsam mit flüchtigen organischen Verbindungen (VOCs) und dem UV-Licht in einem grossen Ausmass zur Bildung von Feinstaub und Ozon bei. 

Nach Schätzungen der Europäischen Umweltagentur waren im Jahr 2018 20.600 Todesfälle auf Ozon zurückzuführen. Ozon besteht aus drei Sauerstoffatomen, ist alsdann sehr instabil und zerfällt in kürzester Zeit zu dimerem Sauerstoff. Bei normalem Luftdruck und Zimmertemperatur ist es gasförmig. Ozon ist ein starkes Oxidationsmittel. Auf den Körper wirkt es als Reizgas, das zu Augenreizungen (Tränenreiz), Atemwegs-beschwerden (Husten) und Kopfschmerzen führt. Die Lungenfunktion wird stark eingeschränkt, bei besonders hoher Konzentration wird das Organ auch geschädigt. Mediziner gehen davon aus, dass O3 das Erbgut schädigt und zudem krebserregend wirkt. Eine sehr interessante wissenschaftliche Erkenntnis sei hier noch angefügt: In der zu Beginn des Blogs erwähnten Studie aus Varese fiel auf, dass mit steigender Ozon-konzentration in der Luft die Zahl der CoVID-19-Erkrankungen gesunken ist. Die Wissenschaftler erklärten sich dies mit der reduzierten Umwand-lung von NO in O3 bei starkem Strassenverkehr. 

In einem am 29. Juni 2018 in der Zeitschrift „The Lancet Planetary Health“ erschienenen Artikel berechneten die Autoren Jos Lelieveld, Andy Haines und Andrea Pozzer die durch den vorzeitigen Tod aufgrund der Folge-wirkungen von Feinstaub und Ozon verloren gehenden Lebensjahre. Sie gelangten auf 122 Millionen Lebensjahre. Die Wissenschaftler bezifferten auch die im Jahr 2015 an schlechter Luft verstorbenen Kleinkinder: Rund 246.000, wovon 237.000 einer Infektion der unteren Atemwege (wie etwa einer Lungenentzündung) erlagen. Zum Vergleich: Im selben Jahr verstarben 87.000 Kleinkinder an HIV/AIDS. Alles in allem kann die Luftverschmutzung zu folgenden Erkrankungen oder Erscheinungen führen:

– Herzinfarkt

– Herzrhythmusstörungen

– Herzinsuffizienz

– höherer Blutdruck

– tiefe Venenthrombose

– Schlaganfall

– Parkinson

– Alzheimer

– Lungenkrebs

– Lungenentzündung

– geringeres Lungenwachstum bei Kindern und Jugendlichen

– Diabetes I und II

– Fehlgeburten bzw. geringeres Geburtsgewicht

– schlechtere Spermienqualität

– vorzeitige Hautalterung 

Links:

– www.who.int/europe/home?v=welcome

– unece.org

– www.eea.europa.eu/de

– www.umweltbundesamt.at

– www.epa.gov/isa

– www.bafu.admin.ch/bafu/de/home.html

– www.pneumologenverband.de

– www.uniklinik-duesseldorf.de

– www.iass-potsdam.de/de

– www.mpic.de

– www.ufz.de

– www.ogp.at

– www.swisstph.ch/de/

– www.mpg.de

– www.uu.nl/en

Lesetipps:

.) Eine Studie zur Ökobilanzierung bei der Kontrolle der Luftver-schmutzung; Saman Saffarian; Verlag Unser Wissen 2022

.) Epidemiologische Ansätze zur Klärung der Zusammenhänge von Luftverschmutzung und Gesundheit; Ursula Ackermann-Liebrich; Umwelt-medizin in Forschung und Praxis 1999

.) Chemie der Umweltbelastung;  Günter Fellenberg; Verlag B. G. Teubner 1997

.) Die Wirkungen von Luftverunreinigungen auf Waldökosysteme; Ernst-Detlef Schulze/Otto Ludwig Lange; Chemie in unserer Zeit 1990

.) Die Zukunft des Klimas. Neue Erkenntnisse, neue Herausforderungen. Ein Report der Max-Planck-Gesellschaft; Hrsg.: Jochem Marotzke/Martin Stratmann; Beck 2015

.) Air pollution and health; Hrsg.: S.T. Holgate et al; Academic Press 1999

.) Loss of life expectancy from air pollution compared to other risk factors by country; Jos Lelieveld, Andrea Pozzer, Ulrich Pöschl, Mohammed Fnais, Andy Haines, Thomas Münzel; Cardiovascular Research 2020

No Comments »

WP Login