Ist Georgien ein Teil Russlands?
Ähnlich wie derzeit in Deutschland und Österreich wird auch in Georgien nahezu täglich demonstriert! Allerdings unter anderen Vorzeichen. Wäh-rend die Menschen in Deutschland und Österreich gegen den steigenden Einfluss von rechts in der Politik auf die Strasse gehen, machen dies die Georgier gegen eine bereits bestehende Regierung. Sie wurde zwar gewählt – allerdings bescheingten ausländische Wahlbeobachter eine starke Einflussnahme Russlands bei diesem Urnengang. Doch hierzu mehr etwas später.
Die Geschichte Georgiens geht bis in die Steinzeit zurück. Im Ort Dmanissi wurde 1992 durch die deutsche Archäologin Antje Justus aus Mainz ein Schädel gefunden, der die Geschichte des Homo erectus auf dem europäischen Kontinent offenbar zu seinem Ursprung führt. Möglicherweise wurde Europa vor 1,85 Mio Jahren von den aus Afrika stammenden Menschen über Georgien bevölkert. König David schuf die erste staatliche Einheit, bis zur Regentschaft von Königin Tamar im 13. Jahrhundert erlebte Georgien mit dem sog. „Goldenen Jahrhundert“ seine Blütezeit. Danach zerfiel es in viele Kleinstaaten. Es folgte später eine abwechselnde Regentschaft der Osmanen und Perser. Zar Alexander I. schickte 1722 Truppen und eroberte den Nordkaukasus. 1786 begann der russisch-türkische Krieg, 1801wurde Georgien in das Zarenreich eingegliedert.
Nach dem Ende des 1. Weltkrieges erklärte sich Georgien für unabhängig. Dies wurde auch von den kommunistischen Machthabern in Moskau vor-erst anerkannt – allerdings nur für drei Jahre. Während der Bolsche-wistischen Oktoberrevolution wurde das Land in die Sowjetunion einge-gliedert. Zwischen 1930 und 1950 erfolgten die stalinistischen Säuberungsaktionen – rund 30.000 Georgier fielen diesen zum Opfer oder verschwanden in Gulags.
Im Jahr 1990 schliesslich erfolgte die nächste Unabhängigkeitserklärung. Der Regierung unter Swuad Gamsachurdia gelang es jedoch nicht, eine staatliche Einheit zu bilden. Sein Nachfolger Eduard Schewardnadse schuf eine Autokratie. Er wurde 2004 durch den von vielen hochgelobten Hoffnungsträger Micheil Saakaschwili abgelöst. Schewardnadse erhielt zum Abschied Rosen – daher auch die Bezeichnung der „Rosen-revolution“. Doch auch Saakaschwili schuf eine Autokratie. 2008 schliess-lich revoltierten die Provinzen Abchasien und Südostessetien – es kam zu einem militärischen Konflikt, der nach wie vor andauert. Das öster-reichische Aussenministerium gibt für diese Regionen ein „Hohes Sicher-heitsrisiko“ (Sicherheitsstufe 3) aus und warnt vor Reisen. In diesem Zusammenhang griff Russland Georgien aus der Luft, am Boden und über das Schwarze Meer aus an – ein klarer Verstoss gegen das Völkerrecht. Der Kreml erkannte zudem die abtrünnigen Provinzen als unabhängige Staaten an. Dies führte zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Tiflis und Moskau. Zwischen 2012 (mit dem Ende der zweiten Amtszeit von Saakaschwili) und 2024 folgten insgesamt drei Minister-präsidenten (Bidsina Iwanischwili, Georgi Margwelaschwili und zwei Perioden lang Irakli Gharibaschwili). Letzterer trat am 29. Januar 2024 zurück – sein Nachfolger wurde Irakli Kobachidse.
Im März 2022 stellte Georgien angesichts des russischen Einmarsches in die Ukraine den Antrag auf einen Beitritt zur EU! Seit der Unabhängig-keitserklärung 1990 näherte sich zudem das Land der NATO an und wurde in den Europarat aufgenommen.
Nun zu den Demonstrationen: In der Nacht vom 22. auf den 23. November 2003 gingen rund 100.000 Menschen auf die Strasse, um gegen einen Wahlbetrug von Eduard Schewardnadse zu demonstrieren. Dies zeigte Wirkung – Schewardnadse wurde ab-, Surab Schwania von der Parlamentspräsidentin Burdschanadse als interimistischer Regierungschef eingesetzt. Die folgenden Wahlen gewann Saakaschwili. Auch gegen ihn begannen die Proteste anno 2007. Zu Beginn des Jahres 2023 schliesslich starteten die Demonstrationen gegen die Regierungspartei „Georgischer Traum“ aufgrund der geplanten Einführung eines Registers für „ausländische Agenten“ (als Vorbild diente dabei das russische Gesetz über ausländische Agenten. Am 11. Mai demonstrierten erneut Zehn-tausende in Tiflis gegen das Gesetz, das aber trotzdem drei Tage später durch das Parlament beschlossen wurde. Staatspräsidentin Salome Surabischwili kündigte an, dieses nicht unterzeichnen zu wollen und setzte einen Hilferuf gen Westen ab. Trotzdem trat das Gesetz im Juni desselben Jahres in Kraft – eine Mehrheit im Parlament wies das Veto der Staatspräsidentin zurück. Am 26. Oktober 2024 ging Kobachidse als eindeutiger Sieger hervor. Ihm wird jedoch Wahlbetrug und eine massive Einflussnahme Russlands in die Wahl vorgeworfen. Russlands Kriegs-treiber Putin hatte vor den Wahlen ganz offen damit gedroht, erneut gegen Georgien vorgehen zu wollen, wenn nicht der prorussische Kandidat gewählt würde. Seither gehen nahezu jeden Tag tausende Menschen auf die Strasse. Als die Regierung im November des letzten Jahres ankündigte, die Beitrittsverhandlungen zur EU bis 2028 aussetzen zu wollen, wurden es von Tag zu Tag mehr. Nach Umfragen befürworten bis zu 80 % der Georgier diesen Beitritt. Die Regierung geht seither mit schwer bewaffneten Polizisten, Wasserwerfern und illegalen Schläger-trupps brutal gegen die Protestierenden vor.
Den Demonstranten fehlen die Stimmen! Anführer, die Strukturen in die Demonstrationen bringen. Sobald sich allerdings jemand zu laut zu Wort meldet, wird er verhaftet. Eine dieser lauter werdenden Stimmen war die Gründerin der unabhängigen Zeitung „Batumelebi“ und des Online-Portals Netgazeti, Msia Amaghlobeli. Als sie am 11. Januar des Jahres ein Plakat aufhängen wollte, wurde sie festgenommen, wenig später jedoch wieder auf freien Fuße gesetzt. Als sie während einer Protestaktion erneut verhaftet wurde, ohrfeigte sie in der Polizeiwache den Polizeichef von Batumi, Irakli Dgebuadze. Ihr blüht nun eine Haftstrafe von vier bis sieben Jahren. 14 europäische Staaten haben bereits über ihre Bot-schaften ihre Freilassung gefordert.
Inzwischen gehen die Säuberungen in der staatlichen Verwaltung weiter. Tiflis bezeichnet sie offiziell als „Reorganisation“ – allerdings werden interessanterweise nur jene entlassen, die sich kritisch äussern oder eine Petition gegen die Aussetzung des EU-Beitritts unterzeichnet haben.
Es liegt also sehr viel im Argen in Georgien!
Lesetipps:
.) Georgien zwischen Eigenstaatlichkeit und russischer Okkupation. Die Wurzeln des Konflikts vom 18. Jahrhundert bis 1924; Philipp Ammon; Klostermann 2019
.) Georgien: Nationale Opposition und kommunistische Herrschaft seit 1956; Jürgen Gerber; Nomos 1997
.) A History of Georgia; Nodar Lomouri; Sarangi Publishers 1993
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