Hydrotherme Karbonisierung – die Zukunft aus dem 20. Jahrhundert?

Der bayerische Kabarettist Gerhard Polt hat einst sinngemäss gemeint, dass man vieles verändern könne – nur will es niemand!

Leider symptomatisch für unsere Gesellschaft – in allen Belangen. Im heutigen Blog möchte ich ein Beispiel aus der Energiewirtschaft erläutern, das viele der heutigen Krisen im Vorhinein angewendet hätte verhindern können – doch wollte es niemand!

Der deutsche Chemiker Friedrich Carl Rudolf Bergius forschte bereits in jungen Jahren an der Herstellung von Benzin und Diesel aus Kohle und Wasserstoff. Dafür setzte er die Grundlage für das chemische Hochdruckverfahren, für das er 1931 den Nobelpreis für Chemie erhielt (neben Carl Bosch) – „… für ihre Verdienste um die Entdeckung und Entwicklung der chemischen Hochdruckverfahren“. Bei der Entgegen-nahme des Preises meinte Bergius, er habe sich „… das Ziel gesetzt, Erkenntnisse zu suchen, die der Menschheit nutzen sollten“! Dies könnte nun – mehr als hundert Jahre später – durchaus der Fall sein und eine mögliche Lösung für die derzeitige panische Suche nach neuen Energie-trägern darstellen!

Bergius arbeitete an der Herstellung von Braunkohle im Labor! Das, wofür die Natur Jahrtausende braucht („geomorphologische Wirkung“), soll innerhalb kurzer Zeit industriell geschaffen werden: Biomasse wird unter Ausschluss von Sauerstoff auf hohe Temperaturen erhitzt. Das Resultat: Biokohlenstoff! Bergius‘ Mitarbeiter Hugo Specht führte den Versuch weiter: Er erhitzte das Inkohlungsprodukt des Torfs auf 450 Grad Celsius bei einem Wasserstoffdruck von 150 atm – heraus kam eine benzolartige organische Flüssigkeit. Diese Hydrierung von Kohle wurde 1913 als Patent angemeldet. Hierauf baute dann das Bergius-Pier-Verfahren auf: Durch hohen Druck und direkte Hydrierung werden die Makromoleküle der Kohle in kleinere Molküle abgebaut. Die Produkte, die entstehen, sind gasförmige und flüssige Kohlenwasserstoffe, die als Kraftstoff oder Schmiermittel verwendet werden können.

Bergius übernahm 1914 das wissenschaftliche Labor der Theodor Gold-schmidt AG in Essen. Der 1. Weltkrieg und die anschliessende Inflation führten zu erheblichen finanziellen Problemen. 1925 verkaufte deshalb Bergius seine Patente an den BASF-Konzern, bei dem er eigentlich für weitere zehn Jahre als Berater agieren sollte. Davon wurde aber nie Gebrauch gemacht, weshalb sich Bergius aus der weiteren Verfahrens-entwicklung ausklinkte. Diese wurde durch Matthias Pier fortgeführt.

Wie aber könnte dies nun förderlich für die Gegenwart und Zukunft sein? Die Abhängigkeit der industrialisierten Welt von den Erdöl und Erdgas fördernden Ländern ist frappierend! Können vorort in industriellen Groß-anlagen synthetische Kraftstoffe hergestellt werden, so ist dies ein grossen Schritt raus aus dieser Abhängigkeit von den OPEC-Ländern!

Und nun wird’s interessant: Heutzutage wird der „Torf“ als Ausgangs-produkt selbst hergestellt! Aus biogenen Reststoffen und Abfall-biomassen wie Klärschlamm, Grünschnitt, Destillationsrückständen usw. So etwa arbeitet in Relzow/Mecklenburg-Vorpommern seit 2017 eine Anlage zur Herstellung von Bio-Kohle aus Abfällen – damals weltweit die erste! Eine weitere steht im chinesischen Jining, wo Klärschlamm zu Biokohle verarbeitet wird – nach eigenen Angaben 14.000 Tonnen jährlich. Die Kohle wird im lokalen Kraftwerk verbrannt. Diese Bio-Kohle kann als Brennstoff, als Dünger oder als Erdöl-Ersatz verwendet werden. Dazu bedarf es keiner Jahrhunderte oder Jahrtausende mehr, sondern nurmehr weniger Stunden (rund 12 h!). Zudem wird weniger als 5 % CO2 freigesetzt. Koppelt man dies mit der Biogas-Produktion oder dem Einsatz von Gärresten als Einsatzstoff, so spricht der Experte von „Kaskadennutzung“.

Die Hydrothermale Karbonisiering sollte nicht mit der „Pyrolyse“ verwechselt werden. Während inzwischen bei Ersterer Temperaturen von 180-200 Grad Celsius ausreichen, bedarf es bei der Pyrolyse wesentlich höherer Temperaturen, die – je nach eingesetztem Grundstoff – schon mal bis zu 700 Grad erreichen müssen. Das Endprodunkt der Pyrolyse ist zumeist Holzkohle. Dazwischen liegt noch die „Torrefizierung“ bei Temperaturen bis zu 300 Grad. Auch die Vergasung ist ein anderer Vorgang. Das schliesslich fünfte Verfahren heisst „Vapothermale Karbonisierung“, bei dem der Grundstoff mit heissem Wasserdampf behandelt wird.

Nach Angaben des Deutschen Bundesumweltamtes fielen im Jahr 2021 zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen nicht weniger als 16,1 Mio Tonnen Bioabfälle an: Abfälle aus der Biotonne, Grünschnitt aus Garten und Park, Destillationsrückstände und auch Klärschlamm-Kom-post. In Österreich waren es 2019 alleine durch die Sammlung biogener Abfälle aus Haushalten und ähnlichen Einrichtungen knapp 1,059 Mio Tonnen (Statusbericht 2021 zum BAWP). Dies zeigt auf, über welche Mengen, über wieviel Energie hierbei gesprochen werden kann. Doch kann der künstlich erzeugte Humus auch zur Wiederbegrünung erodierter Flächen verwendet werden, was in weiterer Folge zum weiteren Entzug von CO2 aus der Luft durch die Photosynthese sorgt (negative CO2-Bilanz). Übrigens: Der US-Forscher Dominic Woolf hat berechnet, dass in den Boden eingearbeitete Pflanzenkohle nach 100 Jahren noch rund 70 % des Kohlenstoffs im Acker bindet. Geht man davon aus, dass zwei bis drei Kilogramm CO2 in einem Kilogramm Pflanzenkohle gespeichert sind, könnten nach Schätzungen der Wissenschafter im besten Falle jährlich und weltweit bis zu 6,6 Milliarden Tonnen CO2 aus der Atmosphäre entfernt werden – bei einem Gesamt-Ausstoss von beispielsweise 36,4 Milliarden Tonnen 2021 (Angaben: Global Carbon Project).

Natürlich sind nicht nur deutsche Forscher in diesem Bereich tätig. So arbeiten Wissenschafter der Harvard-Universität an der Nutzung des Kohleschlamms entweder durch Verbrennung oder zum Antrieb spezieller Brennstoffzellen bei einem Wirkungsgrad von rund 60 %. Dabei wird das Kohle-Wasser-Gemisch erhitzt – es entsteht das sog. „Synthesegas“ (Gasgemisch aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff).

C 6 H 2 O + 5 H 2 O → 6 C O + 6 H 2

Aus diesem Gas liesse sich in weiterer Folge durch das „Fischer-Tropsch-Verfahren“ (ein grosstechnisches, heterogenkatalytisches Polymeri-sationsverfahren zur Herstellung von Kohlenwasserstoffen) Benzin her-stellen. Sie sehen also: Die Möglichkeiten wären da, die Grundstoffe zweifelsohne in riesigen Massen vorhanden, doch bleiben die meisten Staaten noch bei den fossilen Brennstoffen! Schade eigentlich – für unser Klima!!!

Lesetipps:†

.) Hydrothermale Karbonisierung; Tobias Helmut Freitag; Studienarbeit 2011 .) Einfluss von HTC-Biokohle auf chemische und physikalische Bodeneigenschaften und Pflanzenwachstum; Ana Gajić; Cuvillier Verlag 2012 .) Teerbildung und Teerkonversion bei der Biomassevergasung – Anwendung der nasschemischen Teerbestimmung nach CEN-Standard; Michael Kübel; Cuvillier Verlag 2007

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