Jugendkriminalität – eine harte Nuss!
Diebstahl und Raub, sexueller Missbrauch und Gewalt, Körperverletzung – ja sogar auch Mord! Ein Auszug aus der Kriminalstatistik? Durchaus – lauter Straftaten, für die ein Erwachsener abgeurteilt und damit bestraft wird. Auch Jugendliche im Alter von 14 bis 18 Jahren sind „strafmündig“. Für sie gilt in Deutschland das „Jugendstrafrecht“ bzw. in Österreich das „Jugendgerichtsgesetz“, in der Schweiz das „Bundesgesetz über das Jugendstrafrecht“. In beiden Tätergruppen durchaus berechtigt, da ein Zusammenleben in der Gesellschaft ansonsten nicht möglich wäre.
„Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des anderen beginnt.“
(Immanuel Kant)
Doch, wie sieht’s mit den Kleinen aus, jenen Kindern, die jünger als 14 Jahre sind? Sie sind „deliktsunfähig“! Soll heissen, dass sie weder ange-zeigt noch gerichtlich verurteilt werden dürfen – sie gehen also straffrei aus. Völlig gleichgültig, wie schwer das Vergehen war. Allerdings müssen die Eltern für den entstandenen Schaden aufkommen!
Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass nicht auch wir uns als Kinder auf dem Pausenhof gestritten und gebalgt haben. Doch wäre es uns niemals in den Sinn gekommen, etwa Kleinere oder Hilflosere und die sog. „Nerds“ zu erpressen oder zu schlagen, plündernd und/oder zer-störend durch den Ort zu ziehen bzw. ein Messer in die Schule mitzu-nehmen.
Als ich einst mit dem Bus zur Mittagszeit nach Hause fuhr, beobachtete ich, wie der Sohn einer Freundin von mir auf einen jüngeren losgegangen ist. Ich mischte mich ein und sorgte für Ruhe. Nach diesem Vorfall befragt ich ihn, weshalb er das gemacht habe. Er meinte nur lapidar, dass die Älteren ihn dazu beauftragt hätten. Von jenen aber hatte auch er schon Prügel bezogen.
Dass wir es hinter uns haben – die erschreckenden Zahlen aus den je-weiligen Innenministerien (Kriminalstatistiken). In Deutschland gab es 2023 insgesamt mehr als 5,94 Millionen durch die Polizei erfasste Straftaten – eine Steigerung von 5,5 %. Bei tatverdächtigten Kindern bis 13 Jahre kam es zu einem Anstieg von nicht weniger als 12,0 % (auf 104.233), bei Jugendlichen (zwischen 14-17 Jahren) um 9,5 % auf 207.149! In Österreich hat sich die Zahl der Straftaten durch Kinder und unmündige Jugendliche in den letzten zehn Jahren verdoppelt! Und diese Zahlen sind nur offiziell, also angezeigte Fallzahlen („Hellfeld“) – nach Schülerbefragungen muss davon ausgegangen werden, dass Delikte durch Kinder und Jugenliche allgegenwärtig sind („ubiquitär“ – auch im „Dunkelfeld“, also nicht angezeigt). Alsdann berichten Lehrer von der Zunahme der Gewalt. So schrecken die Zahlen einer Befragung der 9. Jahrgangsstufe aus dem Jahr 2019 auf: 22,9 % der Schüler und 12,5 % der Schülerinnen gaben an, Straf-Delikte begangen zu haben – dabei ist das Fahren mit den Öffis ohne Fahrschein bzw. der illegale Dateien-Download noch gar nicht eingerechnet.
Als für den Anstieg verantwortliche Risikofaktoren wird in Österreich vor allem die Folge der Corona-Massnahmen ins Kalkül gefasst: „Mangel an sozialen Kontakten“, „Belastungen in der Familie“ und „beengte räumliche Verhältnisse“. Die psychischen Belastungen würden noch nachwirken. Ah ja – dies lassen wir ganz einfach so stehen (auch Erwachsene hatten unter diesen Massnahmen zu leiden)!
Wie nun kann gegen Kinder- und Jugendkriminelle vorgegangen werden? Schliesslich verbaut ein Richter mit einem harten Urteilsspruch ein komplettes Leben.
„Es braucht einen gesamteinheitlichen Ansatz, wenn es darum geht, Jugendkriminalität zu bekämpfen. Es handelt sich dabei um einen sensiblen Bereich in der Strafjustiz aber auch in der Polizei. Daher gilt es, an vielen Schrauben zu drehen und Maßnahmen zu setzen, die es derzeit noch nicht gibt.“
(Österreichs Verfassungsministerin Karoline Edtstadler)
Zu diesem Zweck wurde im Alpenland im März dieses Jahres eine eigene „Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Jugendkriminalität“ eingesetzt. Durch sie soll eine Zwei-Weg-Taktik beschritten werden:
- Verpflichtung, durchsetzbare Konsequenzen sowie Sanktionen
- Verantwortung der Eltern
So sollen Ersttäter in Begleitung ihrer Eltern im Rahmen einer poli-zeilichen Regelbelehrung auf die strafrechtlichen Konsequenzen hinge-wiesen werden. Doch betont der österreichische Innenminister Gerhard Karner, dass nur gutes Zureden meist nicht hilft. Alsdann wird eine Geldstrafe von 1.000, im Wiederholungsfall von bis zu 4.600,- € ver-hängt. Beachtet man, dass wohl die meisten Kinder- und Jugend-kriminellen aus sozial schwachen Schichten kommen, trifft dies die Eltern wirtschaftlich sehr empfindlich. Daneben sollen in sog. „Fallkonferenzen“ Polizei, Jugendschutzbehörden, Jugendbetreuungseinrichtungen und Schulen auf kurzem Wege vernetzt werden. Anlass für diese Lösung war der sexuelle Missbrauch einer Zwölfjährigen im vorigen Jahr durch mehrere zum Teil deliktsunfähige Minderjährige.
In Deutschland hingegen wird neben den Corona-Massnahmen als Grundursache das Jugendalter als „Zeit der höchsten Aktivität, des Erkundens und Austesten von Grenzen“ für die hohen Fallzahlen verant-wortlich gemacht. So versuchen es die 14- bis 16-jährigen vornehmlich mit Ladendiebstahl, die 18- bis 21-jährigen hingegen mit Körperdelikten. Zudem wird der Anstieg der angezeigten Straftatbeständen zwischen den Jahren 2015 und 2019 durch gestiegene Geflüchtetenzahlen erklärt.
Allerdings muss hierbei berücksichtigt werden, dass nicht die Herkunft des Straftäters entscheidend ist. Es sind vornehmlich die Lebenslagen – auch bei Einheimischen: Soziale Schicht, defizitär, Integrationsprobleme und auch kulturelle Wertvorstellungen! Der Migrationshintergrund wird deshalb zumeist nur bei Dunkelfeldstudien berücksichtigt.
Etwas schwierig wird es bei der Definition der „Mehrfach- und Intensiv-Täter“. In den einen Polizei-Projekten gilt ein Täter dann als Mehrfach-täter, wenn er mindestens zweimal im Berichtsjahr mit ingesamt mindestens fünf Straftaten aktenkundig wurde; in anderen Projekten reichten bereits etwa drei bzw. im Gegensatz dazu zehn Straftaten. Somit ist eine Gegenüberstellung der Intensiv-Täter-Zahlen zumeist nicht möglich. Besonders in dieser Tätergruppe verfolgte bislang Justiz und Polizei die Einbahn-Strategie: Sie stehen am Beginn eines kriminellen Lebens, müssen gezielt behandelt und notwendigerweise auch „sicher verwahrt“ werden („Einmal geklaut, immer geklaut!“). Studien hierzu allerdings haben aufgezeigt, dass gerade dieser Weg nicht zur Resozialisierung beiträgt.
Ein Lösungsweg scheint alsdann sehr schwer zu finden. Auch bei der Zunahme der Delikte durch Kinder- und Jugendbanden. Eines allerdings ist unabdingbar: Verantwortlich für die Erziehung eines Kindes sind dessen Eltern, nicht Lehrer, Lehrlingsbetreuer oder im schlimmsten Falle Polizisten. Darf das Kind/der Jugendliche zuhause stets Grenzen überschreiten ohne mit Konsequenzen rechnen zu müssen, so wird er es auch im öffentlichen Leben probieren. Ob dabei die Senkung des Strafmündigkeitsalters sinnvoll ist???
Links:
Lesetipps:
.) Kinder im Unrecht. Junge Menschen als Täter und Opfer; Bernd-Dieter Meier; LIT Verlag 2019
.) Handbuch Jugendkriminalität. Interdisziplinäre Perspektiven; Hrsg.: Bernd Dollinger/Henning Schmidt-Semisch; Springer VS 2017
.) Jugendkriminalität und Mehrfachtäterschaft. Dortmunder Beiträge zur Pädagogik; Oliver Fähnrich; Projektverlag 2011
.) Zur Entwicklung der Gewalt in Deutschland. Schwerpunkte: Jugendliche und Flüchtlinge als Täter und Opfer; Christian Pfeiffer/Dirk Baier/Sören Kliem; Institut für Delinquenz und Kriminalprävention, Zürcher Hoch-schule für Angewandte Wissenschaften 2018.
.) Jugendkriminalität in der Lokalpresse – Berichterstattung zwischen Information und Sensation; Stephanie Saleth; AV Akademikerverlag 2012
.) Jugendkriminalität; Bernd Dollinger/Michael Schabdach; Springer 2013
.) Panel-Datenanalyse der Jugendkriminalität in Deutschland; Stefan Hofherr; GRIN Verlag 2010