Es darf wieder spioniert werden
Zitherklänge zu Verfolgungsjagden in den Wiener Kloaken – viele werden ihn noch kennen, den Spionage-Thriller „Der dritte Mann“ von Carol Reed mit Orson Welles in der Hauptrolle aus dem Jahre 1949. Seither hat die österreichische Bundeshauptstadt den Ruf als Dreh- und Angelpunkt der Ost-West-Spionage. Vor allem zu Zeiten des Kalten Krieges waren nicht nur unzählige hochrangige Vertreter des CIAs oder KGBs in den Strassen-schluchten zu finden, auch andere wie der israelische Mossad, der britische SIS oder französische Securité Militaire (heute DPSD), aber zudem die Stasi der DDR. Mit der Auflösung des russischen KGBs auf-grund des Endes der Sowjetunion und der folgenden Öffnung zum Westen dachte man, dies beendet zu haben und als Kapitel der Geschichte zuschlagen zu können! Weit gefehlt! Die illegalen Aufbauten auf der russischen Botschaft zum Zwecke der Abhörung in der Reisner Strasse im 3. Wiener Bezirk beurkunden dies – sozusagen als sichtbares Zeichen der Fortsetzung des Dritten Mannes! Allerdings unter anderen Vorzeichen: Der KGB wurde in der zivilen Auslandsaufklärung durch die Federalnaja Sluschba Ochrany Rossijskoi Federazii (FSO) und in der militärischen durch den Militärgeheimdienst GRU ersetzt; hochrangige Politker und Verwaltungsbeamte werden angeworben (machte damals vornehmlich die Stasi); Nutzung der Digitalisierung; dem Aufrüsten des Agententums auch durch andere Zielstaaten wie China oder Nordkorea, …! Doch eines blieb offenbar gleich: Der chiffrierte Kurzwellenfunk als Transportmittel!
Ein durchaus spannendes Thema, in das ich mich nicht zu tief einarbeiten möchte, damit schlafende Hunde nicht geweckt werden. Deshalb beschränke ich mich in dieser Ausgabe des Blogs auf durch die Medien bereits veröffentlichte Informationen mit aufgedeckten russischen Fällen vornehmlich in Deutschland, nicht in Wien. Kämen jene etwa aus China hinzu, würde dies wohl den Umfang dieses heutigen Blogs sprengen. Ich werde dies in einem anderen Text nachholen!
Seit der Krim-Annexion 2014, v.a. aber mit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine investiert Wladimir Putin viel Geld und Arbeit in seine „Wunderkinder“: Beamte, Wissenschaftler und Studenten, die hierzulande ein unauffälliges Dasein fristen, aber durchaus wertvolle Informationen aus Politik, Wirt- und Wissenschaft, aber auch der Stimmung des Westens fleissig in Richtung Moskau absetzen. Manche kamen schon vor Jahren nach Deutschland und Österreich, andere sind Natives, also dort Geborene und Aufgewachsene. Werden sie aufgedeckt, drohen sehr lange Haftstrafen, die Abschiebung und/oder die Ächtung in ihrem Heimat- bzw. Wohnland
„Ja, wir gehen davon aus, dass es auch in Deutschland weitere Illegale gibt!“
(Thomas Haldenwang, Präsident des deutschen Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV))
Hier nun einige Fälle.
Im Jahr 2011 flog in Deutschland das Paar Heidrun und Andreas Anschlag auf. Angeblich in Südamerika aufgewachsene Österreicher, deren Arbeit-geber über Jahre hinweg im Moskauer Kreml zu finden war. Nach deren Aufdeckung wurden sie zu langen Haftstrafen verurteilt und später nach Russland abgeschoben. Ihr Verbindungsmann war ein niederländischer Diplomat, der Zugang zu wichtigen und geheimen NATO-Akten hatte.
Carsen L. war ein mehr als wertvoller Geheimnisübermittler: Gehalts-empfänger beim Bundesnachrichtendienst und der deutschen Bundes-wehr. Er kommt aus Weilheim, einer Kreisstadt in Oberbayern, nicht weit entfernt von Garmisch-Partenkirchen. Dort befindet sich der Ausbil-dungs- und Erholungsstandort der US-Heeresgarnison Bayern sowie das deutsch-amerikanische George C. Marschall Europäisches Zentrum für Sicherheitsstudien. Im benachbarten Mittenwald ist zudem das Gebirgs-jägerbataillon 233 in der Edelweiss-Kaserne stationiert. Die Infor-mationen soll der Geschäftsmann Arthur E. in Richtung Osten abgesetzt haben. Beiden drohen lange Haftstrafen wegen Landesverrates in besonders schweren Fällen.
Auch ein Reserveoffizier aus NRW, Ralph G., wurde 2022 durch das Oberlandesgericht Düsseldorf verurteilt. Er soll sich regelmässig in der russischen Botschaft in Berlin u.a. auch mit Mitarbeitern des GRU getroffen haben. Seine Strafe allerdings wurde zur Bewährung ausgesetzt.
Daniil B. war Handelattaché der russischen Botschaft in Berlin. Er vernetzte sich ausgezeichnet mit jungen Politikern und brachte die AfD auf ihren derzeitigen russlandfreundlichen Kurs. Zugleich gründete er in Mecklenburg-Vorpommern das „Ostinstitut“. Hier zu finden war lange Zeit eine grosse Anzahl von russischen Lobbyisten. Ob dort auch der russische Autor und Aktivist Wladimir Wladimirowitsch Sergijenko angeworben wurde, oder ob dieser bereits vorher als Kontaktmann ein-geschleust worden ist, ist derzeit nicht ganz geklärt. Sergijenko arbeitete für den Russlanddeutschen AfD-Bundestagsabgeordneten Egon Schmidt. Nach Recherchen des Magazins „Der Spiegel“ soll sich Sergijenko mehrfach mit dem Oberst des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB, Ilja Wetschtomow, getroffen haben. Das Ziel dieser Zusammenarbeit: Eine Verfassungsklage gegen die deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine. Schmidt ist in Kasachstan geboren und u.a Beauftragter für Russlands-deutsche. In einem Interview mit der NZZ betonte er, dass Sergijenko infolge der Medienberichterstattung seine Tätigkeit für Schmidt einstellte. Eine weitere Zusammenarbeit mache „die gegen Sergijenko gerichtete Medienkampagne“ unmöglich. Zudem leitete er rechtliche Schritte gegen das grossformatige Boulevardmagazin ein, das mit „Russen-Spion enttarnt“ titelte. Sergijenko trat auch als Redner auf einem vom rechts-radikalen Magazin „Compact“ veranstalteten Treffen auf. Er soll neben der deutschen Staatsangehörigkeit auch eine ukrainische und russische besitzen.
Nach wie vor ist der Fall rund um den AfD-EU-Parlamentsabgeordneten Maximilian Krah nicht geklärt. Während der Einreisekontrolle in die USA wurde Krah im Dezember 2023 durch das FBI einvernommen. Dabei wurden rund 3.000,- € Bargeld vorgefunden. Wie nach Recherche des WDR, NDR und der Süddeutschen Zeitung bekannt, wollte er damit Hotel und Essen bezahlen sowie seinem Bekannten David Bendels eine von ihm ausgelegte Summe für einen Sitzplatz bei der Veranstaltung der Young Republicans in New York zurückerstatten. Bendels ist Chefredakteur des rechts-populistischen Deutschland-Kurier. Das FBI hatte Krah offenbar verdächtigt, das Bargeld von einem prorussischen Aktivisten erhalten zu haben.
In die Niederlanden: Dort flog ein angeblicher Brasilianer auf, der in den USA und Irland studierte und im Land der Deiche und Grachten offiziell ein Praktikum am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag absol-vierte. Es war ein Russe, der mit einer brasilianischen Identität ausge-stattet worden war.
An der norwegischen Universität von Tromsø beschäftigte sich ein brasilianischer Wissenschaftler mit der geopolitischen Bedeutung der Arktis. Besonders interessant, da Norwegen gar nicht Mitgliedsland der EU ist.
2022 griffen in Ljubljana die slowenischen Sicherheitsbehörden bei einem Paar zu, das offenbar die Gehälter in Europa verteilt hatte. Sie kamen bei ihren vielen Reisen nach Deutschland in den Fokus des Verfassungs-schutzes. Bei der Hausdurchsuchung stiessen sie auf immens hohe Bar-geldbeträge. Der Namibier war im IT-Sektor tätig, seine Frau aus Argentinien als Galeristin in der Kunst.
„Wir gehen davon aus, Russland nutzt den vollen Werkzeugkasten aller Spionagewerkzeuge, die vorstellbar sind, bis hin auch zur Tötung von Gegnern!“
(Thomas Haldenwang, Präsident des deutschen Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV))
Allerdings ist es nicht nur die Weitergabe von relevanten Informationen, die die Russen interessieren, sondern offenbar auch das Ausführen von Sabotagenakten an wichtigen Einrichtungen, warnen unisono alle euro-päischen Geheimdienste. So wurden erst vor kurzem zwei Bayern festgenommen, die verdächtig sind, Behörden zu sabotieren, die sich mit der militärischen Unterstützung der Ukraine beschäftigen. Daneben sollen sie auch wichtige Informationen zu den Sanktionen gegen Russland und der deutschen bzw. europäischen Rüstungspolitik weiter-geleitet haben.
Manches Mal jedoch bissen sich die Russen die Zähne aus. So etwa bei dem CDU-Abgeordneten zum Bundestag, Roderich Kiesewetter. Der Oberst a.D. im Generalstabsdienst und derzeitige Vorsitzende des Reservistenverbandes berichtet von Einladungen in die russische Bot-schaft, welchen er jedoch nicht nachkam.
Ich für meine Person musste mich bei meiner zweiten Verpflichtung als Zeitsoldat beim Österreichischen Bundesheer nachrichtendienstlich über-prüfen lassen, da meine Wurzeln in Deutschland liegen und ich zu diesem Zeitpunkt noch viele Verwandte dort hatte. Offenbar galt dies nur unzu-länglich in Form der Sicherheitsüberprüfungen bei der deutschen Bundeswehr und den Geheimdiensten. Das wurde inzwischen nachgeholt: Nach Angaben des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) wurden alleine im Jahr 2022 rund 57.000 Überprüfungen durchgeführt. In 300 Fällen bestand ein Sicherheitsrisiko, in weiteren kanpp 2.000 Fällen wurden Einschränkungen bzw. personenbezogene Sicherheitshinweise ausge-geben. Weitere 68.000 Prüfungen standen bereits zu Silvester 2023 in Arbeit. Geheimnisträger oder Mitarbeiter in Schlüsselfunktionen werden zudem regelmässig alle fünf Jahre gecheckt.
Auch die Politik reagiert sehr empfindlich auf Spionage-Vermutungen. 2022 wurden in nur einer Aktion 40 mit Diplomatenpass ausgestattete Mitarbeiter der russischen Botschaft Unter den Linden in Berlin ausgewiesen. Sie sollen dem russischen Militärgeheimdienst GRU ange-hören. Nach nicht bestätigten Angaben sollten 100 ausgewiesen werden – europaweit waren es 400. Ferner wurde die Zahl der akkreditierten russischen Diplomaten in Berlin und Diplomaten in der deutschen Botschaft in Moskau reduziert. Der russische Botschafter in Deutschland ist bereits mehrfach durch die Aussenministerin Annalena Baerbock in das Auswärtige Amt zitiert worden.
Zuletzt möchte ich noch einige Fragen unbeantwortet im Raum stehen lassen: Wieso wurde der AfD-Chef Tino Chrupalla im Dezember 2020 durch den russischen Aussenminister Sergej Lawrow in Moskau empfangen (dplomatisch mehr als ungewöhnlich)? Wofür planten mehrere AfD-Abgeordnete im September 2022 eine Reise nach Moskau, obwohl der russische Überfall auf die Ukraine bereits im Februar 2022 begonnen hatte? Weshalb besuchten am 9. Mai 2023 Altkanzler Gerhard Schröder (SPD), Tino Chrupalla (AfD) und Alexander Gauland (Ehrenvorsitzender der AfD) sowie Klaus Ernst (Die Linkspartei) anlässlich der Gedenk-veranstaltung zum Sieg der Sowjetunion über Nazi-Deutschland die russische Botschaft in Berlin, obgleich in der Ukraine der russische Angriffskrieg tobt? Im Zweiten Weltkrieg hatte Hitler trotz Nichtangriffs-paktes die Sowjetunion überfallen.