Großpleiten – wieso gehen die Fusionen weiter?
Riesenaufregung diese Woche im Blätterwald: FTI ist pleite – zigtausende Menschen davon betroffen! Dem Bund entgehen dadurch rund 500 Mio an nicht zurückbezahlter Corona-Unterstützung. Dabei hat ein US-Inves-tor erst noch vermeintliche 125 Millionen reingesteckt!
Des Deutschen liebstes Steckenpferd ist – selbstverständlich nach seinem Auto – das Verreisen in ferne Länder. Ich bekam dies bitterst zu spüren, als der Flughafen Köln/Bonn im März 2022 durch die Gewerkschaft Verdi bestreikt wurde und viele Flüge (auch in Urlaubsdestinationen) ausfielen. Ich meinte in den Sozialen Medien, dass die finanzielle Not in Deutsch-land doch nicht so gross wie berichtet und auch die Heimat sehr schön sein kann. Daraufhin wurde ich wüstest beschimpft, so ganz nach dem Motto, dass ich hart arbeitenden Menschen den wohlverdienten Urlaub nicht gönnen würde! Und dies ausgerechnet nach dem Corona-Katas-trophenjahr! Gottlob habe ich die Angstzustände inzwischen über-wunden!
Aber mal ganz im Ernst: Unsere Eltern und Grosseltern fuhren zumeist mit dem Auto zu Verwandten und verbrachten dort ihren Urlaub. Das schweisste nicht zuletzt die Familie zusammen. Fliegen? Damals finanziell nicht machbar. Es blieb der Oberklasse vorbehalten. Heute ist ein Flug mit einer Billig-Airline in eine europäische Hauptstadt bereits ab 76,- € möglich, also auch durch die Unterklasse buchbar! Inzwischen ist über unseren Köpfen nahezu mehr los als auf den Eisenbahn-Schienen. Kein Wunder, ist das Verreisen mit dem Zug seit Jahren gar teurer als mit dem Flieger!
Zurück zur FTI-Insolvenz! FTI wurde 1980 durch Dietmar Gunz und Partnern gegründet. Sechs Jahre später wurde mit der Übernahme der CA Ferntouristik GmbH der Einstieg in das Fernreisegeschäft vollzogen. In den nächsten Jahren wuchs das Unternehmen und wurde immer grösser. Im Mai 1998 stieg der damals zweitgrösste Reiseveranstalter Europas, die Airtours plc mit Sitz in Grossbritannien, mit 30 % bei der FTI ein – zwei Jahre später kam es zur Elefantenhochzeit – Airtours übernahm alle Anteile an der FTI, deren Gründer sich zurückzog. Airtours wurde 1972 durch David Crossland gegründet. Er schluckte nach und nach viele kleinere britische Mitbewerber, 1994 auch die Scandinavian Leisure Group und 1996 die Simon Spies Holding in Dänemark. 2002 erfolgte das Rebranding – aus der Airtours Group plc wurde die My Travel Group plc, die später mit Thomas Cook fusioniert wurde. 2003 kam Dietmar Gunz wieder zu FTI zurück, indem er die vorher verkauften Anteile gemeinsam mit einer Investorengruppe wieder zurückerwarb. Er hatte sich inzwischen auf den Verkauf von Billigreisen konzentriert. So richtete er auch FTI neu aus. 2012 schluckte FTI den britischen Reiseveranstalter Youtravel, 2016 auch den Luxusreiseveranstalter Windrose Finest Travel. 2020 steigert im Zeichen der Corona-Krise der ägyptisch-montenegrinische Unternehmer Samih Onsi Sawiris sein Engagement an FTI auf insgesamt 75,1 % der Anteile, nachdem er zuvor bereits zu einem Drittel beteiligt war. Im darauffolgenden Jahr zieht sich Dietmar Gunz erneut zurück. 2024 schliesslich übernimmt – so ist auf der FTI-Website zu erfahren – ein von Vertares geführtes Konsortium 100 % der Geschäftsanteile und verspricht eine Finanzspritze von 125 Mio Euro. 50 Mio davon sollen sozusagen als Anzahlung bereits geflossen sein. Gleichzeitig kaufen die Investoren auch die Schuld der Corona-Unterstützung vom Bund zu einem deutlich niedrigeren Preis. Zum Zeitpunkt der Insolvenz der Dachgesellschaft war FTI nach TUI und DER Toruristik drittgrösster Reiseveranstalter in Europa, beschäftigte weltweit 11.000 Mitarbeiter und machte im Geschäftsjahr 2022/23 einen Umsatz von 4,1 Mrd. Euro (+10 %). Fragt sich, wo dieses Geld gelandet ist, da viele Hotelbetreiber Urlauber, die über FTI das Hotel gebucht haben, auf die Strasse setzen, wenn sie die ausstehenden Kosten nicht bar bezahlen. Bei Pauschalreisen kommt die Reiseversicherung (Deutscher Reise-versicherungsfonds) dafür auf. Alle anderen werden es schwer haben – sie müssen sich als Gläubiger beim zuständigen Gericht melden und in das Insolvenzverfahren eintragen lassen. Gilt übrigens auch für Österreicher, da sie in diesem Falle nach Angaben der Arbeiterkammer dem Deutschen Insolvenzrecht unterliegen. Wie viele der Tochter-gesellschaften nun Folgeinsolvenz anmelden müssen, wird sich zeigen. Da es sich um ein laufendes Verfahren handelt, will ich hier nicht zu genau auf die Zusammenhänge eingehen.
FTI ist nicht der einzige Reisekonzern, der durch Übernahmen dermassen gross wurde und bei seiner Insolvenz für derart Probleme am Markt sorgt. Die Thomas Cook Group plc – zuvor schon kurz erwähnt – ging 2019 pleite. In der Nacht vom 22. auf 23. September wurde die Zwangsliquidation beantragt. Diese Geschichte ist noch weitaus bunter als jene der FTI! Das Unternehmen enstand 2007 durch den Zusammen-schluss der Thomas Cook AG mit der My Travel Group. Thomas Cook selbst wurde am 22. November 1808 in Melbourne/Australien geboren. Ab 1845 organisierte er erste Reisen nach Liverpool, 1855 Europa-Rundreisen für britische Touristen, Cook gilt deshalb als Erfinder der Pauschalreisen. 1992 übernahmen die Westdeutsche Landesbank (WestLB) und die LTU International Airways das Unternehmen. 1995 kaufte die WestLB die 10%-Anteile von LTU. 1999 erwarb die WestLB-Tochter Preussag (der Vorläufer von TUI) 24,9 % der Thomas Cook-Aktien und fusionierte mit der britischen Carlson Leisure Group. 2001 wurde Thomas Cook durch den Konkurrenten C&N Touristic übernommen, TUI hatte zuvor seinen Konkurrenten Thomson Travel übernommen. Auch die Arcandor AG (früher Karstadt/Quelle) war bis 2009 Anteilseigner an Thomas Cook. Nach dessen Pleite wurden seine Anteile für Kredite verpfändet. Unter dem Dach von Arcandor waren u.a. Karstadt, Hertie, die Neckermann Textilversand AG etc. vereint. Zusammenschlüsse en masse. Zum Zeitpunkt der Liquidation gehörten touristisch zu Thomas Cook auch die Tochtergesellschaften Neckermann-Reisen, Condor-Flugdienst und etwa die BucherReisen & Öger-Tours GmbH.
Doch ist dieses Prozedere nicht nur in der Reise-Branche der Fall, wie das derzeit ebenso in Schwebe befindliche Insolvenzverfahren der Signa Holding des österreichischen Unternehmers Benko aufzeigt. Neben vielen Immobilien-Tochtergesellschaften gehörten hierzu auch Galeria Karstadt Kaufhof und die KIKA/Leiner-Gruppe. Benko wurde als Arbeitsplatz-Retter gefeiert, nun geht es um fünf Milliarden Euro Schulden. Auch im Lebensmittel-Einzelhandel sind solche Übernahmen Gang und gäbe. Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck hat solche Macht-Monopole im Lebensmittel-Einzelhandel bereits auf das Schärfste kritisiert. Hier eine kleine Auflistung nach Netto-Umsätzen 2022 (Quelle: statista.de):
.) Edeka-Gruppe
1995 wurden etliche Konsum- und HO-Verkaufsstellen übernommen, 1999 zudem die Nanz-Gruppe mit rund 400 Geschäften im süddeutschen Raum. 2005 erfolgte die Integration der Spar Deutschland in den Konzern – mit ihm auch jene der rund 2.100 Spar-Einzelhändler. Zugleich wechselten 25 % der Anteile am Spar-Diskonter NETTO den Besitzer. Zum 1. Januar 2022 durfte mit dem Goodwill des damaligen Bundeswirt-schaftsministers Gabriel, nachdem das Bundeskartellamt eine Fusion untersagt hatte, Kaiser’s Tengelmann in das Unternehmen eingegliedert werden.
.) Schwarz-Gruppe
Zur Neckarsulmer Schwarz-Gruppe gehören Lidl und Kaufland. Von der insolventen Real-Gruppe wurden 92 Standorte übernommen. Ansonsten kam es zu Käufen in der Müllbranche (Tönsmeier, PreZero/Frankreich) und des israelischen IT-Security Unternehmens XM Cyber.
.) Rewe-Gruppe
Die Rewe-Group schluckte u.a. HL, penny, MiniMAL, Stüssgen, Petz und toom-Markt. In Österreich ferner Billa, Merkur und ADEG. 2023 erlaubte das deutsche Bundeskartellamt nur die Übernahme von 15 Real-Stand-orten.
.) Aldi-Gruppe
Zur Aldi-Gruppe zählen Aldi-Nord und Aldi-Süd. Zu zweiterem auch etwa die Hofer-Gruppe in Österreich. Aldi investiert vornehmlich in den internationalen Ausbau, so gibt es etwa auch in China bereits rund 30 Geschäfte.
.) Metro-Gruppe
Die Metro-Gruppe umfasste die Metro C&C, real sowie Media-Saturn. real wurde 2020 an die SCP-Group verkauft und ging ein Jahr später pleite. 1996 erfolgte eine Verschmelzung von „Deutsche SB-Kauf AG“, „Kaufhof Holding AG“ und „Asko Deutsche Kaufhaus AG“ in die Metro AG. 2021 wurden die Gastronomie- und Grossküchen-Einrichtungsexperten, die Günther-Gruppe, übernommen. Ansonsten konzentriert sich auch die Metro-Gruppe auf den internationalen Ausbau etwa in Russland, Japan und China. Metro Österreich übernahm zuletzt die AGM-Grossmärkte (von ADEG) und die C&C-Abholmärkte GmbH.
Bei all diesen Fusionen und Übernahmen fragt man sich als Otto-Normalbürger durchaus berechtigt, weshalb das Kartellamt bzw. -gericht diese zuliessen, kam es doch zu einer durchaus marktbestimmenden Position der Folgeunternehmen. Rutscht nun die Holding eines solchen Konzerns mit den unterschiedlichsten Tochtergesellschaften in die Insol-venz, so werden zumeist auch diese in die Pleite mitgerissen. Tausende Arbeitsplätze gehen verloren, Milliarden Euro ebenso. Ein bunter und vielfältiger Markt – darunter verstehe ich etwas anderes!!!
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