Die Gefahr lauert im Gras
Samstag, Juni 29th, 2024Kleine Biester, die jedoch sehr grossen Schaden anrichten können. Wer schon mal von einer Zecke gestochen wurde, kann ein Lied davon singen. Auch mich hat ein solches Ungetier mal erwischt. Den Stich selbst habe ich nicht bemerkt – allerdings tagelang danach Schmerzen – doch gottlob war sie nicht infiziert, ich immunisiert oder hatte einfach nur Glück!
Zecken sind meist im Unterholz, Gebüsch, Gras oder Laub zu finden – dass sie von den Bäumen fallen, entspricht nicht der Realität. Die Blutsauger gibt’s in unseren Breiten nahezu das ganze Jahr über – sie sind ab 7 Grad aktiv. Der Wortteil „Frühsommer“ in Frühsommer-Meningo-Enzephalitis lässt sich auf die russische Taiga-Zecke zurück-führen, die dort vornehmlich zu dieser Jahreszeit ständig neue Menschen kennenlernt.
Zumeist ist es der Gemeine Holzbock (Ixodes ricinus), der die Borreliose und die Frühsommer-Meningo-Enzephalitis (FSME – englisch: „tick-borne encephalitis“ TBE) überträgt, eine spezielle Entzündung der Hirnhäute und des Gehirns. Allerdings bereitet die durch Zugvögel aus den Tropen eingeschleppte Art (Invasor) Hyalomma immer mehr Sorgenfalten. Sie kann zudem das Zecken-Fleck- oder das Krim-Kongo-Fieber übertragen. Zweiteres führt (je nach Virusstamm) bei 2-50 % zum Tode durch Multiorganversagen. Zudem besteht die Gefahr nicht in einer zufälligen Ansteckung (zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort – dem Gemeinen Holzbock ist der Wirt gleichgültig), sondern in einer Zielsuche: Diese spezielle Zecke erkennt einen geeigneten Wirt durch die Augen auf rund 10 Metern Entfernung und verfolgt ihn – wenn es sein muss auch über einige hundert Meter. Sie ist deutlich grösser als die heimischen Arten und saugt bis zu acht Milliliter Blut.
Obwohl derartige Erkrankungen eher selten sind, sollte dennoch mittels einer Impfung mit ständigen Auffrischungen einer möglichen Erkrankung vorgebeugt werden. Risikogebiete in Deutschland sind Baden-Württem-berg, Bayern, Südhessen, Teile Sachsens und Brandenburgs sowie das südöstliche Thüringen. Oberhalb von 2000 Metern Seehöhe (Klimaer-wärmung – bis vor wenigen Jahren waren es noch 1.000 m!) wurden noch keine infizierten Insekten gesichtet. Insgesamt sind 180 Landkreise in Deutschland als Risiko-Gebiete vermerkt (vor zwei Jahren waren es noch 175) – inzwischen vereinzelt auch in Mittelhessen, dem Saarland, Rhein-land-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen (Robert Koch-Institut – Epidemiologisches Bulletin 9/2023). Als Risiko-Gebiet gilt ein Kreis dann, wenn über den Zeitraum von fünf Jahren eine Person von 100.000 Einwohnern (Risiko > 1:500.000) an FSME erkrankt ist (Nachweis einer intrathekalen Antikörpersynthese). Diesen Status behält der Kreis über 20 Jahre hinweg – auch wenn es zu keinerlei Neuerkrankungen mehr im Anschluss kam.
Österreich gilt als das Quellgebiet der Zecken – hier leben die meisten entlang der Flüsse und Ströme: Donau (Oberösterreich, Niederösterreich und Wien) oder dem Inn (Tirol), aber auch dem Burgenland, der Steier-mark und Kärnten. Jährlich mehr Erkrankungsfälle meldet auch der Bezirk Feldkirch in Vorarlberg. Nachdem im Alpenland jedoch die Durch-impfungsrate bei rund 90 % liegt, gibt es hier nurmehr wenige Erkrankungen. Und so ganz nebenbei: Sollte Ihnen gegenüber ein Österreicher den Spruch „Du bist lästiger als an Zeck’!“ äussern, so ist das nicht unbedingt liebevoll gemeint! In der Schweiz sind inzwischen alle Kantone betroffen, die über üppige Laubwälder verfügen – von den 26 Kantonen somit nicht weniger als 24 – nur Genf und das Tessin sind noch ausgenommen!!! Stiche wurden allerdings auch schon in China, Japan und Russland gemeldet. In Risikogebieten übrigens liegt der Anteil an infi-zierten Zecken bei 0,1 bis fünf Prozent, in Hochendemiegebieten jedoch auch schon mal bei bis zu 20 %.
Eine Übertragung ist zudem über nicht pasteurisierte Kuh-, Ziegen- oder Schafsmilch bzw. -käse möglich (biphasisches Milchfieber). In früheren Zeiten gar wesentlich häufiger als durch einen Zeckenstich. Infiziert sich ein Tier, so verläuft eine Erkrankung vornehmlich „subklinisch“. Dies bedeutet, das Tier wird sehr rasch anhaltend immun. Allerdings werden während dieser sog. „akut virämischen Phase“ bis zur Immunität Viren mit der Milch ausgeschieden. Wird diese nicht-pasteurisiert getrunken oder beispielsweise in Form eines Rohmilchproduktes verzehrt, so infiziert sich die Person mit dem FSME-Virus. In den baltischen Ländern Lettland, Litauen und Estland wird häufiger rohe Ziegen- oder Schafsmilch getrunken – hier sind auch wesentlich mehr Antikörper im Blut der Menschen zu finden.
Zwischen 70 bis 95 % der Infizierten bleiben beschwerdefrei. Die anderen machen zumeist zwei Krankheitsphasen durch: Die erste beginnt drei bis 30 Tage nach dem Stich mit einer rund 5 cm-grossen Wanderröte um die Stichstelle, zeigt sich dann ein bis zwei Wochen nach dem Stich durch Fieber, Kopf- und Gelenkschmerzen sowie Schwindel, Übelkeit und Erbrechen. Danach folgen 1-3 fieberlose Wochen. Schliesslich beginnt die zweite Phase: Fieber, Übelkeit, Erbrechen und Ausfälle des Nerven-systems. Das wird durch die Entzündung der Hirnhaut verursacht. Lähmungen, Koma sowie die Entzündung des Rückenmarks können folgen. Einer von 100 Infizierten stirbt an den Folgen der Entzündung, drei bis 11 Prozent leiden an bleibenden Schäden, wie Konzentrations-störungen, chronische Kopfschmerzen, Müdigkeit, selten auch Lähmungen. In den nicht so heftig verlaufenden Fällen können Kopf-schmerzen und Lähmungen noch Monate nach dem Abklingen der Krankheit bleiben, dann jedoch verschwinden. Bei Kindern heilt die Erkrankung meist schneller und besser aus – bei älteren Menschen kann sie zu dererlei bleibenden Schäden führen. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch ist nicht möglich. Erkrankungen müssen im deutsch-sprachigen Raum vom behandelnden Arzt gemeldet werden.
Das FSME-Virus ist ein behülltes Einzelstrang-RNA-Virus aus der Familie der Flaviviridae und der Gattung Flavivirus. Derzeit sind drei Subtypen bekannt! In Mitteleuropa ist es vornehmlich der Western-Subtyp. Die Übertragung erfolgt beim Einstich durch die Speicheldrüse der Zecke.
Eine FSME-Infektion kann übrigens nicht mit Hilfe der Medizin geheilt werden. Sie behandelt lediglich die Beschwerden. Wer sich schon mal infiziert hat, ist in der Regel immun gegen das Virus – im Blut finden sich IgM und IgG-Antikörper, die bei einer neuerlichen Infektion die Arbeit aufnehmen. Allerdings sollte sicherheitshalber alle drei bis fünf Jahre eine Auffrischungsimpfung absolviert werden. Die Ärzte empfehlen eine solche Impfung, sofern Sie in Risikogebieten leben und häufig in der Natur zu tun haben. Oder dort den Urlaub verbringen. Der Impfschutz selbst besteht erst nach drei Impfungen. Danach reicht alle 5 Jahre eine Auffrischungsimpfung – ab dem 50. Lebensjahr sollte diese alle drei Jahre erfolgen. Sollte zu lange ausgesetzt worden sein, so muss die Prozedur nicht wieder von vorne begonnen werden. Auch hier reicht normalerweise eine Auffrischungsimpfung.
Einige Schutzmassnahmen können schon im Vorfeld durch jeden selbst vorgenommen werden:
– helle Bekleidung, damit eine Zecke schneller entdeckt wird
– geschlossenen Schuhe
– lange Hosen
– die Socken am besten über die Hose ziehen
– langärmelige Hemden
– keine Tiere wie etwa Igel berühren (die Zecken lieben sie als Wirt)
– nach jeder Wanderung absuchen des Körpers (v.a. der Kniekehlen, Leisten, Achseln, am Ohr- sowie am Haaransatz)
– Zeckenschutzmittel (Vorsicht: Hält nur für 2 bis 3 Stunden!)
Ich dusche mich nach jeder Wanderung oder Gartenarbeit inkl. dem festen Abreiben mit dem Handtuch!
Sollte eines der Biester tatsächlich gestochen haben, entfernen Sie die Zecke am besten mit einer Zeckenzange oder einer Pinzette möglichst nah an der Haut. Ziehen Sie sie gerade und vorsichtig heraus. Zuletzt noch die Stichstelle desinfizieren und möglicherweise markieren. Wenn das Insekt mit Öl oder Klebstoff übergossen wird, bekommt es Todes-angst und entleert den kompletten Mageninhalt – auch den Virus, sollte dieser noch nicht bis zu diesem Zeitpunkt übertragen worden sein.
Wesentlich häufiger als eine FSME-Erkrankung ist allerdings die Borreliose. In Deutschland erkranken in den Meldegebieten unter 100.000 Einwohner zwischen 20 bis 90 pro Jahr (in einigen wenigen Regionen bis zu 150) an dieser bakteriologischen Krankheit, die von den Borrelien übertragen wird. Hiervor gibt es keine schützende Impfung – im Infektionsfall müssen Antibiotika verabreicht werden. Wer also gegen FSME geimpft ist, kann trotzdem an Borreliose erkranken.
Der FSME-Impfstoff wurde 1976 erstmals durch den österreichischen Pharma-Konzern Immuno auf den Markt gebracht. Als Zielgruppe galten v.a. die Forstarbeiter. Als das Unternehmen Ende der 1990er-Jahre durch den US-amerikanischen Konzern Baxter geschluckt wurde, verschwand das österreichische Präparat nahezu aus dem Apothekenregal, da diese ihr eigenes Serum verkaufen wollten. Erst als viele Menschen sich aufgrund der Nebenwirkungen weigerten, eine Impfung über sich ergehen zu lassen, wurde der Impfstoff verbessert. Aus diesem Grund ist die FSME-Impfung nicht ganz unumstritten, da einige Nebenwirkungen auch weiterhin bestehen. Gespritzt werden inaktive, abgetötete Viren und Aluminiumhydroxid in den Oberarm. Die Grundimmunisierung besteht aus zwei Impfungen (ein bis drei Monate voneinander getrennt) und einer dritten fünf bis neun Monate nach der zweiten. Danach sollte – je nach Risiko bzw. Alter des Patienten – alle drei bis fünf Jahre aufgefrischt werden. In der Schweiz empfiehlt das Bundesamt für Gesundheit eine solche Auffrischungsimpfung erst nach zehn Jahren. Eine Passiv-Impfung (Impfung mit Antikörpern nach einem Stich) wird nicht mehr durch-geführt. An der Impfstelle kann es vermehrt zu Reaktionen wie etwa Schmerzen, Rötungen und Anschwellungen kommen, leichtes Fieber ist ebenfalls möglich wie Sehstörungen, Kopfschmerzen, Übelkeit, Müdigkeit und Schüttelfrost. Vergleichbar etwa mit den Reaktionen bei einer Tetanus-Impfung. Kleinkinder können mit Fieberschüben reagieren. Menschen mit allergischer Reaktion auf Hühnereier sollten sich nicht impfen lassen, da die Herstellung des Serums auf embryonierten Hühnereiern (CEC – chick embryo cells) erfolgt.
In Deutschland wurden im Jahr 2023 475 Neuinfektionen gemeldet (2020 waren es noch 704), in der Schweiz 245 (Stand: Ende September 2023) und in Österreich 109 (hospitalisiert). Nachdem sich die Erkrankung bei nur 5 % der Infizierten zu einer Meningoenzephalitis entwickelt, lehnen Gegner die Impfung ab. Auch bei Kindern heilt die Erkrankung zumeist rasch aus, ohne Schäden zu hinterlassen. In der deutschen Fachliteratur ist nur von einem Kind die Rede, das Folgeschäden wie Lähmungen, epileptische Anfälle oder andere Auffälligkeiten aufzeigte. In Deutschland übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Impfkosten, sofern sie in einem Risikogebiet leben. Bei Urlaubsreisen in ein solches innerhalb Deutschlands jedoch steigen viele Kassen aus, bei Auslandsreisen in der Regel alle. In der Schweiz werden die Impfkosten (rund 200 Schweizer Franken) nur dann durch die Krankenkasse übernommen (ausgenommen der Selbstbehalt von 10 %), wenn die Impfung durch einen Arzt in einem Risikogebiet vorgenommen wird. Bei Impfungen in der Apotheke müssen die Kosten selbst getragen werden. In Österreich muss der Patient für die Impfung aufkommen (die Kosten dafür legt der Arzt selbst fest). Die Gesundheitskasse gewährt einen Zuschuss von 4,80 €. Wurde allerdings eine FSME-Erkrankung durchgemacht, so bietet die Immunisierung ein Leben lang Schutz. Ergo: Ein Antikörper-Bluttest vor einer Impfung kann – nicht nur bei FSME – durchaus Aufschluss bringen, was demnächst vom Arzt Ihres Vertrauens verabreicht werden sollte. Und übrigens: Impfungen bei chronisch kranken Menschen zeigten in vielen Fällen auch Besserungen bei diesen Erkrankungen, da das Immunsystem etwas zu tun bekommt.
Lesetipps:
.) Zecken – Was man über FSME und Borreliose wissen muss; Jochen Süss; Irisiana-Hugendubel 2006
.) Epidemiologie und Prophylaxe der Frühsommermeningitis; Roggendorf, M., Girgsdies, O. E.Rosenkranz, G; DIe gelben Hefte 1994
.) Zecken und Zeckenerkrankungen; Ralph Peters; Borreliose und FSME Bund Deutschland e. V. 2006
.) Lyme-Borreliose und Frühsommer-Meningoenzephalitis; Patrick Oschmann/Peter Kraiczy; UNI-MED 1998
Links:
– www.zecken.de
– www.zecken.at
– www.zecken.ch
– zecken-stich.ch
– www.rki.de
– www.pei.de
– www.apotheker.or.at
– www.gbe-bund.de
– www.bag.admin.ch
– www.blv.admin.ch
– survstat.rki.de/
– infektionsnetz.at
– www.infektionsschutz.de
– dgk.de
– www.sanitaetsdienst-bundeswehr.de
– www.impfen.de
– www.eurosurveillance.org
– www.careplus.eu
– www.infektionsschutz.de
– www.virologie.meduniwien.ac.at/
– www.borreliose-bund.de
– reisemed.at