Wo bleibt denn die Buchstabenfee???
Fiel im 20. Jahrhundert das Wort “Pisa”, so dachten wohl die meisten unter uns an den Schiefen Turm, Sonne, italienisches Flair und vielleicht so manch einer auch an Pizza und Pasta! Das allerdings hat sich in den Jahren seit der Jahrtausendwende schlagartig geändert, denn der Schiefe Turm ist zwischenzeitlich umgefallen – zumindest bildungstechnisch!!!
Unter “PISA” versteht der Eingeweihte bzw. Interessierte inzwischen eine Erkenntnis, die alle drei Jahre eintritt, wenn eine spezielle Studie veröffentlicht wird: Die Erkenntnis, dass es mit der Bildung in den zivi-lisierten Staaten offenbar bergab geht! Doch wäre es verfrüht, vom Unter-gang Roms zu sprechen, denn noch kann der Karren aus dem Schlamm gezogen werden – mit gemeinsamen Bemühungen! Im dreijährigen Zyklus veröffentlicht die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) das “Programme for International Student Assessment”; Schuluntersuchungen, die messen sollen, was unsere 15- bzw. 16-jährigen Kinder eigentlich alles draufhaben, wenn es um die alltags- und berufsrelevanten Kenntnisse geht! Offiziell heisst dies: „das Wissen, die Fähigkeiten, die Kompetenzen, … die relevant sind für persönliches, soziales und ökonomisches Wohlergehen“ (OECD 1999). Dabei soll das Wissen bereichsspezifisch eingesetzt werden um authentische Probleme zu lösen. Soll heissen, die Aufgaben werden in “Persönliche oder kulturelle Kontexte eingebettet!”. Die Aufgaben werden teilweise in Multiple Choice oder als offene Fragen gestellt. In jedem teilnehmenden Staat werden zumindest 5.000 Stichproben gezogen, die Studien selbst im Auftrag der Regierungen durchgeführt und sind beliebig erweiterbar – etwa durch Bundesländervergleiche (PISA-E) oder ein nochmaliges Testen derselben Klasse ein Jahr später (PISA-International Plus) bzw. auch durch die Hinzunahme der Eltern (PISA-Elternstudie). Dabei werden insgesamt drei Bereiche abgefragt: Lesekompetenz, Mathematik und Naturwissen-schaften! Mittels Schwerpunktsetzung sollen diese auch alle drei Jahre betont werden: Lesen, Mathematik, Naturwissenschaften und schliesslich wieder Lesen! Damit sind wir in der Gegenwart gelandet: Beim letzten Test 2022 war das Lesen an der Reihe, 2025 sind es die Naturwissen-schaften! Die erst kürzlich veröffentlichte Studie behandelt (nicht nur, aber vorzugsweise) das geschriebene Wort! Und da erlebte dieser Tage so mancher Bildungs-Verantwortliche sein blaues Wunder!
Kurz zu den Lese-Schwerpunkt-Ergebnissen, die anderen seien hier nur gestreift: 81 Staaten (im Jahr 2000 waren es noch 32 Staaten), darunter 37 der 38 OECD-Länder und 25 von 27 Mitgliedsstaaten der EU, mehr als 690.000 Schüler/-innen beteiligten sich heuer daran. In Deutschland waren es 6.116 aus 257 Schulen, in Österreich 6.151 per Zufalls-Code ausgesuchte Probanden von 302 Schulen. Österreich erzielte mit 480 Punkten einen Schnitt, der über dem OECD-Schnitt (476) und jenem der EU (472) liegt. In Mathe waren es 487 Punkte (OECD 472, EU 474), in den Naturwissenschaften 491 (OECD 485, EU 483). Im Lesen schnitten die Mädchen, in den beiden anderen Bereichen naturgemäss die Burschen besser ab. In Deutschland liegen alle drei Werte im Vergleich zu 2018 darunter: Lesen 480 Punkte, Mathe 475 und Naturwissenschhaften 492.
Jubel also im Alpenstaat? Weit gefehlt – es gilt, noch viel anzupacken. Schliesslich nahmen hier zwei der drei Werte im Vergleich zu 2018 ab: -4 im Lesen, gar -15 in der Mathematik und +1 in den Naturwissenschaften. In Deutschland ist grosses Trübsalblasen angesagt: -18 im Lesen, -25 in Mathe und -11 in den Naturwissenschaften! Padauz – die schlechtesten Werte seit lang, langer Zeit! Die Gründe dafür sieht Berlin in den pandemiebedingten Einschränkungen und der heterogenen Herkunft der Schülerschaft – etwa aus Familien mit sozialen Risikolagen.
“Die Befunde der PISA-Studie sind besorgniserregend!“
(Dr. Jens Brandenburg, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundes-ministerium für Bildung und Forschung)
Nun – auch andere Staaten haben mit diesen Gründen zu kämpfen – so ist der OECD-Schnitt ebenso leicht gesunken. Doch zum Vergleich:
- Singapore (Lesen 543, Mathe 575, Naturwissenschaften 561)
- Japan (Lesen 516, Mathe 536, Naturwissenschaften 547)
- Südkorea (Lesen 515, Mathe 527, Naturwissenschaften 528)
Weiters:
- Estland – bester EU-Staat (Lesen 511, Mathe 510, Naturwissenschaften 526)
- Schweiz (Lesen 483, Mathe 508, Naturwissenschaften 503)
Das sind ganz andere Welten!
DAS Problem ist das sinnergreifende Lesen – das Lesen also, bei welchem man im Nachhinein zusammenfassen kann, was gelesen wurde.
Schon vor Jahren meinte etwa der Bildungsforscher Klaus Klemm von der Universität Duisburg-Essen, dass zwischen 2000 (dem 1. PISA-Test) und 2003 (dem 2. PISA-Test) ein riesiger Sprung nach vorne gemacht werden konnte, danach aber dümple Deutschland nur so vor sich hin. Einzelne gesetzte Massnahmen im Bildungssektor haben gegriffen – andere wiederum nicht. Das kognitive Lesen etwa richtet sich sehr stark nach der Herkunft – dem sozialen Umfeld des Jugendlichen. Dieses lässt sich nicht – wie etwa die Mathematik – innerhalb nur weniger Stunden lernen. Und das Lesen ist der Schlüssel zur Welt, so Klemm. Starten etwa Kinder mit migrantischen Hintergrund in erster Generation in der Grundschule ganz normal, so brechen sie am Ende der 2. Klasse ein – wenn dem Lesen eine tragende Rolle zukommt (zuwanderungs- und sozialbedingte Dispari-täten). Sie liegen mit rund 60 Kompetenzpunkten gegenüber gleichalten Schulkameraden zurück, die zuhause Deutsch sprechen – das sind umge-rechnet etwa 1,5 Schuljahre (vor 20 Jahren waren es noch 3 Jahre). Nach wie vor ist zu beobachten, dass Kinder aus Akademikerfamilien bessere Schulleistungen erbringen. ABER – auch hier sinkt das Verhältnis!
Interessant ist zu vermerken, dass die Verwendung moderner Medien (also etwa des Internets) keinerlei Auswirkungen auf die Testleistungen zeigt. So wird der Computer seit Jahren vermehrt in die moderne Päda-gogik eingebaut! Allerdings kommt auch dem Buch wieder eine wesentlich grössere Bedeutung zu. So sollen Kinder aus sozial schwachen und bildungsfremden Familien möglichst früh an Bücher herangeführt und deren Eltern zum Vorlesen motiviert werden. Mit dem Bildungs-monitoring und dem Vorschlag etwaiger Massnahmen betraut ist das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen. Der erste Schwer-punkt – und da sind sich offenbar alle einig – ist die Stärkung der Basis-kompetenzen. Für Kinder mit Migrationshintergrund etwa bedeutet dies eine gezielte Sprachförderung in der frühen Bildung und zudem eine gezielte Unterstützung von sozial benachteiligten Kindern und Jugend-lichen etwa durch das Start-Chancen-Programm, das jedoch selbst nicht wirklich unumstritten ist.
All diese Probleme gibt es selbstverständlich auch in Österreich! Hier wurde PISA bereits zu einem festen Bestandteil der qualitätssichernden Massnahmen im Bildungsbereich und der damit befassten Bildungspolitik. Direkt dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung unterstellt ist das IQS – das Institut des Bundes für Qualitätssicherung im österreichischen Schulwesen. Hier werden wohl viele Köpfe rauchen, gilt es doch, nach all den bejubelten, allerdings anscheinend eher halb-seidenen Reformen im Schulsystem endlich Lösungen zu finden, die den Alpenstaat wieder auf Spur bringen.
Sowohl für Deutschland als auch für Österreich gilt es allerdings primär ein grosses Problem als erstes anzugehen: Den Lehrermangel! Gab es in früheren Zeiten eine Lehrerschwemme, so gehen die Baby-Boomer nun alle in Pension. Lehramtsstudenten und zurückgeholte Pensionisten müssen aushelfen. In manchen Bundesländern wird mit Prämien, Wohnung, etc. um entsprechendes Personal geworben. Das allerdings fehlt dann wieder am Herkunftsort. Hinzu gesellt sich der Image-Verfall des Berufstandes an sich. Früher hochangesehen, heute für viele Eltern, die offenbar selbst nicht in der Lage sind, ihre Kinder richtig zu erziehen, Fussabstreifer! So unterstrich schon vor mehr als 10 Jahren der Bildungspolitiker Andreas Salcher gegenüber der Tageszeitung „Öster-reich“ den Unterschied zur damaligen europäischen Nummer 1 (der OECD-Nummer 2 nach Korea): In Finnland ist der Beruf des Lehrers hoch angesehen. Nur die besten Studienabsolventen würden angenommen (von zehn im Schnitt nur einer). Damit zählen diese Pädagogen auch zur geistigen Elite des Landes. Daneben müssen sie sich restriktive weiterbilden und werden bei der Ausübung Ihres Berufes von einem Netz von anderen Spezialisten unterstützt: Sozialarbeitern, Medizinern und etwa auch Psychologen! Ausserdem erhält jedes Kind sozusagen einen eigenen Lehrplan – bedingt durch ein leistungsorientiertes und talentdifferenziertes Kurssystem.
Was geschah seither in Österreich?
Die Wissenschafter betonen immer wieder, dass PISA nicht etwa als Leistungsranking anzusehen ist. Vielmehr sollen Stärken und Schwächen der einzelnen Bildungssysteme ausfindig gemacht werden! Alle drei Jahre wird somit eine neue Diskussion über den Bildungssektor eingeläutet. Hierbei treffen die Meinungen von Experten beinhart aufeinander. Dabei sollte allerdings eines nicht vergesen werden: Der Jugendliche selbst! Er steckt mitten in der Sturm und Drang-Phase der Pubertät. Somit sollte dies in die Ursachenforschung mit einbezogen werden: Den Unterricht für diese Altersgruppe interessant zu machen, den Unterricht erlebenswert aufzubauen! Das stupide Stucken, das unsereins noch machen musste um das Abitur/die Matura zu bestehen – das sind Unterrichtsmethoden aus dem Jahr Anno Schnee!!!
PISA 2025 wird webbasiert, also Online, stattfinden. In Österreich ist die Teilnahme am Test verpflichtend, wenn man ausgelost wurde. Wenn Sie sich, liebe Leser, selbst testen wollen, hier geht es zu den freigegebenen Beispielaufgaben:
https://iqs.gv.at/pisa-freigegebene-aufgaben
Nettes Detail am Rande: Die PISA-Studie wurde von einem Deutschen entwickelt, dessen schulische Leistungen in der Grundschule einen Wechsel ins Gymnasium nicht zuliessen!
PS: Tipp- und Rechtschreibfehler sind durchaus beabsichtigt; schliesslich kommt der Autor aus Österreich!!!
Lesetipps:
.) Die Pisa-Studie – Ein kritischer Blick hinter die Ergebnisse; Sandra Schülke; GRIN 2012
.) Die PISA-Studie; Maike Wörsching; GRIN 2013
.) Menschenbild der PISA-Studie für Erwachsene; Anja Franz; VDM 2010
.) Die PISA-Studie und das Bildungskonzept der OECD im Kontext neoliberaler Gouvernementalität; Christoph Schwarz; GRIN 2008
.) Die Pisa-Studie: Fluch oder Segen? Darstellung kontroverser Standpunkte anhand eines Unterrichtsentwurfs; Maurice Gangl; GRIN 2019
.) Die Konsequenzen der PISA-Studie für die deutsche Bildungspolitik; Kerstin Felkel; GRIN 2013
Links:
- iqs.gv.at
- www.iqs.gv.at
- www.bmbf.de
- www.iqb.hu-berlin.de/bt
- www.zib.education/
- www.tum.de/
- deutsches-schulportal.de
- www.oecd.org