Schokolade – Die lebensgefährliche Versuchung?
So sicher wie das Amen im Gebet erschallt jedes Jahr zweimal ein lauter Aufschrei in den Reihen der Verbraucher-/Konsumentenschützer: Zu Ostern und zu Weihnachten! Die Ursache sind nachgewiesene Verun–reinigungen der Schokolade-Osterhasen und -Nikoläuse durch Mineralöl-verbindungen. Ja – es gibt sie und Ja – diese sind gesundheitsschädlich! Doch, was viele nicht wissen: Diese Kontaminationen tauchen inzwischen auch in vielen anderen Nahrungsmitteln auf.
Im Jahre 2010 wurden erstmals Lebensmittel mit einer durch das Kantonale Labor Zürich entwickelten Analysemethode auf Verunreinigung von verpackten Lebensmitteln mit sog. „Mineral Oil Saturated Hydro-carbons“ (MOSH – gesättigte Mineralölkohlenwasserstoffe, rund 75-85 % der Belastungen) und „Mineral Oil Aromatic Hydrocarbons“ (MOAH – aromatische Mineralölkohlenwasserstoffe, zirka 15-25 %) hin untersucht. Unter MOSH und MOAH versteht der Experte Kohlenstoffketten mit meist weniger als 25 Kohlenstoffatomen und niedriger bis mittlerer Viskosität. MOAH besteht zudem aus einem bis vier Ringsystemen, die bis zu 97 % alkyliert sind. Das Analysesystem war bislang deshalb nicht möglich, da es sich um ein einkomplexes Gemisch handelt, das eine Quantifizierung als Summe aller Komponenten verlangt. Die ansonsten verwendete Gas-chromatographie liefert hierfür zu breite Signale („Unresolved Complex Mixture“ UCM bzw. „Chromatographischer Hügel“). Neben dieser Problemstellung kam noch ein ganz entscheidendes, weiteres hinzu: Der Übergang sog. „Polyolefin Oligomeric Saturated Hydrocarbons“ (POSH) aus Polyethylen- bzw. Polypropylen-Folien. Auch dies ist von den MOSHs und MOAHs nur sehr schwer zu trennen. Für eine Analyse muss deshalb eine online-gekoppelte Flüssigchromatographie-Gaschromatographie-Flammenionisationsdetektion („LG-GC-FID“) durchgeführt werden, auf die ich in diesem Text nicht im Detail eingehen möchte.
Das Ergebnis 2010 war mehr als ernüchternd: Diese beiden Verbindungen wurden damals vornehmlich in langlebigen und trockenen Lebensmitteln wie Mehl, Griess, Semmelbröseln, Reis, Cerealien und Nudeln, später auch in Olivenöl und v.a. Schokolade nachgewiesen, die irgendwann während der Produktion oder auf dem Weg zum Konsumenten in Recycling-Material oder Naturfaser-Säcken verpackt waren. Also Kartonver-packungen, Lager- und Transportkartons und -säcken, … Die eidge-nössischen Forscher gingen der Sache auf den Grund und konnten einen Zusammenhang zwischen Verpackung und Kontamination herstellen: Verantwortlich dafür scheinen bei den Kartonagen die Zeitungs-druckfarben des Altpapiers in der Recyclingkette bzw. die Klebstoffe. Beide sind zumeist mineralölhaltig. Zu diesem Ergebnis kam auch eine sofort durch das deutsche Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) in Auftrag gegebene Studie: Ein Übergang von Stoffgemischen aus kurz-, mittel- bis langkettigen und akkumulierten aromatischen Kohlenwasserstoffen (MOSH/MOAH) kann durch die unterschiedlichsten Einflussfaktoren – meist jedoch durch Verdampfung – nicht ausgeschlossen werden!
Die Verpackungsindustrie jedenfalls reagierte recht schnell. Die Karto-nagenproduktion wurde verbessert, der Anteil der Frischfaser-Kartonagen stieg ständig. Am 01. Juli 2013 startete zudem der Bundes-verband der Deutschen Süsswarenindustrie (BDSI) eine über drei Jahre andauernde Langzeit-Studie mit dem Ziel der Reduzierung der Kontamination. Im selben Jahr belegte eine Studie der TU Dresden eine deutliche Verbesserung der Kontaminationen durch Kartonverpackungen, zwei Jahre später bestätigten dies zudem die Lebensmittelüberwachung und die Untersuchungen verschiedener Markttester, wie auch Foodwatch. Belastungen waren in der Verpackung kaum mehr wahrnehmbar, da in der Endverpackung der Ware nahezu ausschliesslich Frischfaser-Karton verwendet wurde. Interessante Daten lieferten Untersuchungen, wonach die Ware vor dem Abtransport nahezu unbelastet war, nach dem Transport jedoch Belastungswerte aufwies. Es muss also noch andere Ubertragungswege geben. Eine Möglichkeit besteht in die Verwendung von imprägnierten Jute- und Sisalsäcken. Eine andere in den Transport-kartonagen, die zumeist für den Einmal-Gebrauch nach wie vor aus dem Recyclingkreislauf gewonnen werden.
Nachdem im Gesetzesentwurf zur Mineralölverordnung Grenzwerte definiert wurden, hält sich die Verpackungsindustrie an das sog. „ALARA-Prinzip“ – die Minimierung am technisch Machbaren. Das wären 2 mg/kg MOSH und 0,5 mg/kg MOAH. Hintergrundinfo: Deutsche Zeitungs- und Zeitschriftenverlagshäuser verwenden jährlich rund 70.000 to Mineralöl für den Druck ihrer Medienprodukte. Dies könnte recht einfach durch Pflanzenöle ersetzt werden, betont die Verpackungsindustrie. Das Problem jedoch besteht in der sog. „Wegschlaggeschwindigkeit der Druckfarben“, die zu einer Farbverunreinigung der Druckwalzen führt. Diese müssten mehrmals als bisher gereinigt werden, was gerade bei Grossauflagen mehr als ärgerlich ist. Auch können bestimmte Qualitäts-standards nicht mehr eingehalten werden.
Inzwischen aber wurde alsdann eine zweite Möglichkeit in Erwägung gezogen: Auch Schmierstoffe in der Primärproduktion können zu der-artigen Verunreinigungen führen. So kann bereits während der Ernte oder der Produktion das Produkt in Kontakt mit Schmier-, Hydraulik- oder Schneidöl bzw. Trägerstoffen für Pestizide gekommen sein. Auch Verbrennungsabgase (Benzinmotor, Industrieanlagen, …) oder Reifen- bzw. Bremsabrieb (Feinstaub) kann dafür verantwortlich zeichnen. Ferner müssen Waldbrände etwa beim Soja aus Brasilien oder Palmöl aus Indonesien bzw. den Philippinen mit einberechnet werden.
Zwar gehören diese Kontaminationen nicht in die Lebensmittel, doch gibt das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) bzw. auch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) Entwarnung: Werden die entsprechenden Produkte nicht massenweise verzehrt, so sollten sich diese Stoffe nicht wirklich gesundheitsschädigend auswirken. Das übliche Problem in Deutschland und Österreich: MOAH und MOSH wurden noch nicht ausreichend toxikologisch bewertet und somit eine mögliche krebserzeugende Wirkung nicht ausreichend nachgewiesen. Deshalb gelten die damit belasteten Lebensmittel als unbedenklich und für den Verkauf freigegeben. Beide Komponenten werden nicht ausge-schieden, sondern reichern sich im Körperfett des Menschen an. Ablagerungen der Stoffe können in der Leber, den Herzklappen und den Lymphknoten zu Fehlfunktionen führen. Damit verlieren Grenzwerte eigentlich ihre Bedeutung: Wird viel und regelmässig von solch konta-minierten Lebensmitteln bzw. unterschiedlichen Produkten verzehrt, die gleichermassen belastet sind, wird auch mehr abgelagert. Da mag der Grenzwert auf 100 g als eher sinnlos erscheinen.
Na? Hätten Sie das erwartet, was da so alles in unseren Lebensmitteln schlummert? Und das ist noch lange nicht alles: Neben den bereits erwähnten Verunreinigungen können auch weitere Mineralöl-raffinationsprodukte („Mineral Oil Refined Products“ MORE) und Poly-alphaolefine (PAO) enthalten sein. Und dies sind nur die chemischen Kontaminationen. Von den biologischen ganz zu schweigen – aber das ist wieder ein ganz anderes Thema!
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