Die Volksvertreter – Gleiche unter Gleichen

†Das Wort „Politiker“ entstammt eigentlich dem Griechischen „politikós“, wurde aber auch von den Römern unter „politicus“ verwendet und bedeutet nach den Ausführungen des Dudens „Staatsmann“. Bei Wiki-pedia wird ein „Politiker“ definiert als „…eine Person bezeichnet, die ein politisches Amt oder Mandat innehat oder in sonstiger Weise politisch wirkt.“ Das jedoch ist sehr allgemein gehalten. Eine wesentlich detaillierte Definition listet das „Politiklexikon“ (Klaus Schubert/Martina Klein, Dietz 2020) auf. Demgemäss ist ein Politiker

  • eine Person, die sich der Staatskunst widmet, also jenem Bereich, der „das Öffentliche bzw. das, was alle Bürgerinnen und Bürger betrifft und verpflichtet“
  • eine Person, die in jenem Bereich tätig ist, der „die aktive Teilnahme an der Gestaltung und Regelung menschlicher Gemeinwesen“ zuzuordnen ist
  • eine Person, die im modernen Staatswesen ein aktives Handeln ausübt, „das a) auf die Beeinflussung staatlicher b) den Erwerb von Führungs-positionen und c) die Ausübung von Regierungsverantwortung zielt“

Nicht bezeichnet wird hierbei der Politiker als „gewählter Volksvertreter“, weshalb auch solche Menschen Politiker sein können, die durch etwa einen Putsch an die Macht gekommen sind. Politiker als gewählte Volks-vertreter haben vielmehr mit der Staatsform der Demokratie zu tun. Diese Menschen sind dem Souverän, also dem Volk, verpflichtet und handeln nach einer Verfassung.

Im heutigen Blog möchte ich deshalb auf drei Prachtexemplare zu sprechen kommen, die durch eine vermeintliche Wahl an die Macht gekommen sind, sich jedoch nicht ihrem Volk verantwortlich fühlen und die Verfassung nach ihren Vorstellungen auslegen bzw. verändern. Drei Autokraten also, die Ihresgleichen suchen.

CHINA – Xi Jinping

Am 15. Juni 1953 in Peking geboren, ist Xi seit 2012 Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas, Vorsitzender der Zentralen Militär-kommission (ZMK) und seit 2013 Staatspräsident der Volksrepublik China. Dort war die Amtszeit bislang auf zwei Amtsperioden beschränkt. Bereits 2018 liess er jedoch die Amtszeitbeschränkung aufheben. Am 10. März 2023 entschied der Nationale Volkskongress Chinas, dass er auch eine dritte Amtsperiode absolvieren darf – eine logische Entscheidung, die jeder erwartet hatte und nur eine Legitimation darstellte. Er könnte also theoretisch bis zu seinem Ableben diese Position bekleiden. Ob die Entscheidung des Volkskongresses nun tatsächlich aus freien Stücken oder unter Druck stattfand, möchte ich heute wie auch in den anderen beiden Fällen offenlassen. Xi gilt in dem Milliarden-Staat als „Über-ragender Führer“ – ausgestattet mit einer Machtfülle, die möglicherweise zuletzt Mao Zedong inne hatte. Der Diktator gründete 1921 die Kommunistische Partei Chinas und führte das Land in den Bürgerkrieg und die Kulturrevolution. Seine Mittel – wie in jeder Diktatur: Gewalt, Rechtlosigkeit und Terror. Dass dies auch nach Mao in China zum Machtapparat der Kommunsitischen Partei gehört, zeigte das Tian’amen-Massaker am 3. und 4. Juni 1989 auf, bei dem eine Protestbewegung auf dem gleichnamigen Platz („Platz des Himmlischen Friedens“) durch das Militär blutig niedergeschlagen wurde. 2.600 Menschen kamen dabei ums Leben, 7.000 weitere wurden verletzt. Die Reformen („Reformen und Öffnung“), die Deng Xiaoping 1986 eingeleitet hatte, wurden fallen-gelassen. Vor diesem Hintergrund agiert die chinesische Opposition nurmehr sehr zurückhaltend, Regime- und Systemkritiker werden immer wieder weggesperrt oder verschwinden sang- und klanglos. Prominentester unter diesen ist Ai Weiwei.

Xi hat das Land in seiner Entwicklung wieder um Jahrzehnte zurück-versetzt. Die Reformen und Öffnungsversuche seiner Vorgänger wurden gestoppt und rückgängig gemacht. Mit seinem „Plan zur patriotischen Erziehung“ wird bereits die Jugend auf die von ihm angestrebte nationalistisch/sozialistische Schiene gebracht. Unter dem Deckmantel der „Antikorruptionskampagne“ wurden in den Jahren 2012 bis 2016 mehr als 1 Mio Mitglieder der Kommunistischen Partei Chinas durch-leuchtet. 187.000 wurden vorübergehend festgenommen, in 91.900 Fällen ein Strafverfahren eröffnet. Nach wie vor sind sich viele Experten einig: Es wurden dadurch auch Kritiker Xis aus der Welt geschafft, etwa die innerparteilichen Widersacher Zhou Yongkang und Sun Zhengcai. Loyale Mitarbeiter Xis wurden übrigens nicht gescannt.

Xis Lebensprojekt ist die Neue Seidenstrasse – die wirtschaftliche Komplettabhängigkeit Europas von China. Man musste kein Hellseher sein um vorauszusehen, dass Xi auf seinem Posten verharren wird, bis er diesen Plan auch tatsächlich umgesetzt hat. Doch kam dann Corona! Der Westen musste erkennen, dass er bereits besorgniserregend von China abhängig ist und viele Wirtschaftsbereiche in Europa schon durch chinesische Unternehmen oder chinesische Übernahmen heimischer Unternehmen dirigiert werden. Problematisch ist dies vor allem bei der Infrastruktur (Wasser, Energie, Transport, Medizin), aber auch in der Forschung und Wissenschaft. In China etwa ist eine Beteiligung aus-ländischer Unternehmen in diesen Themenkreisen inzwischen verboten. Auch wenn sich Xi bislang aus dem russischen Angriffskrieg heraus-gehalten hat, wäre es durchaus denkbar, dass er die Gunst der Stunde nutzt um das „Taiwan-Problem“.zu lösen.

Xi studierte übrigens Chemieingenieurswesen, marxistische Philosophie und ideologische Bildungsarbeit. Seine Doktorarbeit widmete er der „revolutionären Geschichte“. Wäre es vielleicht besser gewesen, wenn er bei der Chemie geblieben wäre?

RUSSLAND – Wladimir Wladimirowitsch Putin

Geboren am 07. Oktober 1952 in Leningrad führt Putin ganz offiziell seit dem 31. Dezember 1999 die Amtsgeschäfte Russlands. Nach zwei Amtsperioden wechselte er 2008 auf den Posten des Ministerpräsidenten. Bis 2012 wurde er als Staatspräsident durch den ehemaligen Aufsichts-ratsvorsitzenden von Gazprom, Dmitri Medwedew, vertreten. Ganz offen-sichtlich handelte es sich dabei um einen Statthalter, da dieser bei wichtigen Entscheidungen stets die Meinung seines Mentors einholen musste. Der erste Staatschef Russlands, Boris Jelzin, ernannte am 9. August 1999 seinen Wunschkandidaten Putin zum Ministerpräsidenten. Jelzin legte am 31. Dezember 1999 sein Amt nieder, Putin übernahm dessen Amtsgeschäfte verfassungsmässig und leistete am 07. Mai 2000 den Amtseid als Staatspräsident. In seiner späteren Zeit als Minister-präsident wurde die Legislaturperiode des Staatspräsidenten von vier auf sechs Jahre verlängert. 2021 liess sich Putin faktisch zum Präsidenten auf Lebzeiten bestellen. Dadurch wurde das Verfassungsgesetz, das die Amtszeit des Staatspräsidenten beschränkte, ausgesetzt. Schliesslich hätte seine vierte Amtszeit 2024 geendet – durch dieses Ende März 2021 durch die Duma abgesegnete Gesetz kann er sich jedoch auch weiterhin der Wahl stellen, wodurch ihm diese Position bis 2036 erhalten bleibt. Und daran lässt er auch keinerlei Zweifel, wie die letzten Jahre bewiesen haben.

„Dieser Mann trägt die Demokratie nicht in seinem Herzen.“

(Bill Clinton über Wladimir Putin zu Boris Jelzin)†

Politikwissenschafter sehen die Entwicklung Russlands als eine „frei-heitsfeindliche“ und „pseudodemokratische“. Dabei fallen bei vielen auch die Worte „autoritär“, „despotisch“ und „diktatorisch“ bzw. seit dem Einmarsch in die Ukraine zudem „faschistisch“ (etwa im Gastkommentar von Wladislaw Inosemzew am 10. März 2022 in der NZZ). Direkt nach seiner ersten Wahl begann Putin die förderale Gliederung Russlands immer mehr zu zentralisieren. Gegen separatistische Bestrebungen (wie etwa in Tschetschenien) wurde mit Waffengewalt vorgegangen. Bei den mächtigen Finanz- und Wirtschaftsbossen im Land, den Oligarchen, begann er einen Kahlschlag (etwa Wladimir Gussinski und Michail Chodorkowski), und besetzte ihre Posten mit ihm loyalen Mitstreitern. Putin war u.a. vom 25. Juli 1998 bis zum August 1999 Direktor des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB. Vermutet wird, dass er durch diesen alsdann viele seiner politischen Gegner ausser Kraft setzen liess. Dabei wurde auch vor Ermordungen und Attentaten nicht zurück-geschreckt. So titelte bereits am 16. April 2008 die staatliche Nach-richtenagentur RIA Novosti: „Plant Putin grosse Säuberungsaktion in Kreml-Partei?“

Beobachter konnten bei der 2. Wahl Putins zwar keine Unregel-mässigkeiten feststellen, kritisierten jedoch die massive Wahlwerbung und einseitige Berichterstattung in den grossteils staatlich kontrollierten Medien – auch dem übernommenen Medienimperium Gussinskis. Daran änderte sich bis heute nichts – unabhängige Medien wurden inzwischen mundtod gemacht oder geschlossen. Im Vorfeld anderer Wahlen kam es immer wieder zu Verhaftungen von politischen Gegnern, vielfach wurden Parteien nicht zugelassen oder Schein-Parteien aufgestellt, deren Führungspositionen durch Putingetreue besetzt wurden (etwa Xenjia Sobtschak).

Der letzte Präsident der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, kritisierte im März 2009, dass Putins Partei „Einiges Russland“ aus „Bürokraten und der schlimmsten Version der KpdSU“ bestehe. Zudem meinte er 2011:

„Zwei Amtszeiten als Präsident, eine Amtszeit als Regierungschef – das sind im Grunde drei Amtszeiten, das reicht nun wirklich!“

So klar bezog der Friedensnobelpreisträger danach nie mehr wieder Stellung. Seine weiteren Kommentare waren stark abgeschwächt!

Die Wahlen in der Duma zu Putins 3. Amtszeit als Staatspräsident (nach Vorschlag seines Statthalters Medwedew) werden von Kritikern als „mut-masslich gefälscht“ bezeichnet. Es kam zu vielen Massenprotesten auf den Strassen, was Putin veranlasste, das Regime noch strenger zu führen. Auch im Vorfeld der nächsten Wahlen 2018 gab es viele Proteste. Putin versprach das Blaue vom Himmel, Beobachter stellten in rund 3.000 Fällen Wahlmanipulationen fest.

Aussenpolitisch liess er oftmals russische Truppen in ehemalige, jetzt autonome Sowjetrepubliken einmarschieren. Offizielle Begründung: Friedensstiftung! Doch war Moskau nicht selten im Vorfeld an den Unruhen beteiligt. Nach der NATO-Osterweiterung präsentierte sich der Russe mit dem deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder und lobte die guten Beziehungen seines Landes zur NATO. Daneben gab es inzwischen nachgewiesene Geldflüsse aus Moskau an zahlreiche rechtspopulistische Parteien in Europa. Hier gehen die Meinungen auseinander: Sollten sie an die Regierung kommen oder nur für Unruhe sorgen, wie es auch der Historiker Timothy Snyder schon 2015 betont hat?!

„Wir sind natürlich am Anfang des Aufbaus einer demokratischen Gesellschaft und einer Marktwirtschaft. Auf diesem Wege haben wir viele Hürden und Hindernisse zu überwinden. Aber abgesehen von den objektiven Problemen und trotz mancher – ganz aufrichtig und ehrlich gesagt – Ungeschicktheit schlägt unter allem das starke und lebendige Herz Russlands, welches für eine vollwertige Zusammenarbeit und Partnerschaft geöffnet ist.“

(Wortprotokoll der Rede Putins im Dt. Bundestag)

Putin studierte Rechtswissenschaften an der Universität Leningrad. Zwischen 1975 und 1982 war er für den KGB in der Auslandsspionage tätig. 1984/85 absolvierte er die KGB-Hochschule in Moskau. Ab 1985 war er u.a. für die Personalgewinnung in der DDR zuständig und musste am 5. Dezember 1989 zusehen, als Demonstranten die MfS-Bezirks-verwaltung (STASI) in Dresden stürmten.

Durch den Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) vom 17. März wegen des Verdachts auf Kriegsverbrechen gilt die Immunität Putins bei den 123 Unterzeichnerstaaten des IStGH-Statuts als aufge-hoben – sie wären zu einer Festnahme verpflichtet.

TÜRKEI – Recep Tayyip Erdoğan

Der am 26. Februar 1954 in Istanbul geborene Recep Tayyip Erdoğan steht der Türkei als Staatspräsident seit dem 18. August 2014 vor und ist der insgesamt 12. Präsident jener Republik, die am 29. Oktober 1923 durch Mustafa Kemal Atatürk gegründet wurde und im März darauf zur Gänze das osmanische Kalifat ersetzte. Dieser Bezug zum Gründer der Türkei ist immens wichtig für die Betrachtung der Regierung Erdoğans. Seine Biografie liest sich sehr abwechslungereich. So war er von 1994-1998 Oberbürgermeister Istanbuls. Im Jahr 1999 verbüsste er vier Monate in Haft („Aufstachelung der Bevölkerung zu Hass und Feindschaft unter Hinweis auf Unterschiede der Religion und Rasse). 2001 übernahm er den Vorsitz der „Adalet ve Kalkinma“-Partei, der AKP, den er bis 2014 inne hatte und seit 2017 wieder inne hat, obgleich dies bis zu diesem Zeitpunkt als Staatspräsident verfassungsmässig nicht vereinbar war – erst durch die Verfassungsänderung wieder ermöglicht wurde. In den Jahren von 2003 bis 2014 wirkte er als Ministerpräsident der Türkei, danach als Staatspräsident. 2017 erfolgte ein Verfassungsreferendum und im Juli 2018 die Einführung des Präsidialsystems, in welchem ein Präsident Staatschef, Regierungschef und Oberbefehlshaber des Militärs in einer Person ist. Die Amtsperiode des Präsidenten ist im Art. 101 der Verfassung der Türkei nierdergeschrieben. In der ursprünglichen Version von 1961 stand zu lesen:

„Niemand darf zweimal zum Präsidenten der Republik gewählt werden.“

Dieser Artikel jedoch wurde insofern zweimal geändert:

.) 31. Mai 2007 – „Die Amtszeit des Präsidenten der Republik beträgt fünf Jahre. Eine Person darf nicht mehr als zwei Mal zum Präsidenten der Republik gewählt werden.“

.) 16. April 2017 – „Die Amtszeit des Präsidenten der Republik beträgt fünf Jahre. Eine Person darf höchstens zwei Mal zum Präsidenten der Republik gewählt werden.“

Eigentlich ident und eine eindeutige Sache! 2024 finden erneut Präsidentenwahlen statt – der Kandidat der AKP lautet: Recep Tayyip Erdoğan. Wie das? Die Regierung ist der Meinung, dass die vorher-gegangenen Amtszeiten nicht eingerechnet werden dürfen. Es wäre möglicherweise in seiner Funktion als Regierungschef (Ministerpräsident) noch halbwegs verständlich. Das beträfe dann den Zeitraum von 2003 bis 2014 – also 11 Jahre. Doch bleiben die beiden Perioden als Staats-präsident von 2014 bis 2024! Auch wenn 2017 ein Verfassungs-referendum stattfand, so betraf eine Änderung nicht den Inhalt dieses entsprechenden Artikels!

Somit sitzt also Erdoğan seit praktisch 2003 an den Hebeln der Macht, da die beiden Staatspräsidenten Ahmet Necdet Sezer (2000-2007) und v.a. Abdullah Gül (2007-2014) als Stellvertreter Erdoğans nicht wirklich viel zu sagen hatten. Und er wird noch weiterhin die Geschicke des Landes lenken, da auch er v.a. nach dem versuchten Putsch die Zügel straff anzog und aus einer von Atatürk angestrebten Demokratie erneut eine Autokratie formte. Dies bemängeln alsdann viele Kritiker: Zu Beginn agierte er liberalisierend um immer mehr autoritär zu werden. Führte Erdoğan zu Beginn zahlreiche Reformen durch (etwa die Abschaffung der Todesstrafe, die Erweiterung der Meinungsfreiheit und eine Verbesserung der Lage der Kurden in der Türkei, sowie eine „Kontinuität beim Europakurs“), so wurden all diese Massnahmen in den Jahren danach wieder fallengelassen bis hin zum Krieg gegen die Kurden auch im Hoheitsgebiet der Nachbarstaaten Syrien und Irak.

Mit Ausnahme seiner ersten Wahl gewannen Erdoğan und seine AKP die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen nicht mit einer überwältigenden Mehrheit wie seine Amtskollegen in China oder Russland. Sie erreichten jeweils nicht mal 50 %, was jedoch für eine Mehrheit reichte. Auch beim Verfassungsreferendum 2017 wurden offiziell nur 51,41 % erreicht. Allerdings sprach die Opposition von Wahlbetrug, da nicht-offizielle Stimmzettel und Umschläge für gültig erklärt wurden. Bei den letzten Präsidentenwahlen erhielt Erdoğan nur 52,6 % der abgegebenen Stimmen.

Dazwischen aber lag der Putschversuch von Teilen des Militärs am 15. Juli 2016. Über das Land wurde der Ausnahmezustand verhängt, der erst drei Monate nach dem Verfassungsreferendum vom 16. April 2017 endete. Er verlieh dem Staatspräsidenten und der Regierung unter Ministerpräsident Yildirim weitestgehende Vollmachten, die zudem zur Ausschaltung der politischen Gegner genutzt wurden. Währenddessen wurden über 81.000 Menschen aus dem Staatsdienst entlassen, 11 Abgeordnete und 1.400 Funktionäre der Opposition inhaftiert. Nach wie vor sitzen tausende Verdächtige ohne Urteil in den Gefängnissen, darunter auch durchaus hohe politische, juristische und militärische Vertreter. Die vorgezogenen Wahlen am 24. Juni 2018 waren mit dem Bündnispartner, der rechtsextremen und ultranationalistischen „Partei der Nationalistischen Bewegung“ (MHP) abgesprochen.

Atatürk versuchte damals, Staat und Religion zu trennen. Erdoğan lässt sie wieder zusammenfliessen und führt zudem vermehrt nationalistische Bezüge her. Boris Kálnoky titelte am 25. Januar 2010 ein Interview mit Gareth Jenkins in der Zeitung „Die Welt“ mit „Erdogan kehrt zurück zu muslimischen Instinkten“.

Viele Posten wurden durch Familienmitgliedern oder engen Freunden besetzt. Ab 2018 begann eine Wirtschafts- und Finanzkrise, die heute noch anhält. Die Inflation ist durch Korruption und Missmanagement auf hohem Stand stehen geblieben, obgleich immer wieder wichtige Positionen neu besetzt wurden. Auch die Presse- und Meinungsfreiheit wurde sehr rasch eingeschränkt. So lag die Türkei bereits 2010 auf dem 138. Platz (von 176), und belegt heute den 149. Platz (von 180) in der Rangliste der Pressefreiheit. Auch die Beitrittsverhandlungen zur EU kamen immer mehr ins Stocken, 2020 bezeichnete er die europäischen Staats- und Regierungschefs gar als Faschisten. Die Beziehung zu Russland verschlechterte sich zusehends vornehmlich aufgrund des Syrien-Krieges bis zum Tiefststand, dem Abschuss eines russischen Kampfbombers durch die Türkei. Seither verbessert sich die Achse Ankara-Moskau zusehends.

Erdoğan schloss seine Schulausbildung übrigens mit einem Fachabitur/ -matura für Imame ab. Danach studierte er am „İstanbul İktisadi ve Ticari İlimler Akademisi“, dessen Abschluss mittels Diplom 1981 jedoch seit 2016 in Zweifel gezogen wird.

Einer Wiederwahl Erdoğans sollte also auch 2024 nichts im Wege stehen, obwohl er dabei auf die Stimmen der Auslandstürken angewiesen ist!

Drei Politiker, die durch mehr oder weniger demokratische Wahlen an die Macht kamen um danach die Demokratie systematisch auszuschalten!


Filmtipps:

.) Chinas Staatspräsident zwischen Autokratie und Winnie Puuh – Wer ist Xi Jinping?; ZDF-Doku 2022

.) Die neue Welt des Xi Jinping; Sophie Lepault/Arnaud Xainte; 2021

.) Putins Wahrheit: Die fünf Irrtümer des Westens; ZDF-Doku 2024

.) Ein Palast für Putin; Produktion und Regie: Alexei Nawalny; 2021

.) Putin – Die Rückkehr des russischen Bären; Produktion & Regie: Frédéric Tonolli; 2021

.) Reis; Regie: Hüdaverdi Yavuz; 2016


Lesetipps:

.) Politiklexikon; Klaus Schubert/Martina Klein; Dietz 2020

.) Xi Jinping – der mächtigste Mann der Welt; Stefan Aust/Adrian Geiges; Piper 2021

.) Inside the Mind of Xi Jinping; François Bougon; Hurst & Company 2018

.) The Third Revolution: Xi Jinping and the New Chinese State; Elizabeth C. Economy; Oxford University Press 2018

.) Chinese Politics in the Era of Xi Jinping. Renaissance, Reform, or Retrogression?; Willy Wo-Lap Lam; Routledge 2015

.) Xi Jingpin – Political Career, Governance, and Leadership, 1953–2018; Alfred L. Chan; Oxford University Press 2022

.) Schwarzbuch Putin; Hrsg.: Galia Ackermann/Stéphane Courtois; Piper 2023

.) Der Weg in die Unfreiheit: Russland, Europa, Amerika; Timothy Snyder; Beck 2018

.) In Putins Kopf: Logik und Willkür eines Autokraten; Michel Eltchaninoff; Tropen Sachbuch 2022

.) Das System Putin: gelenkte Demokratie und politische Justiz in Russland; Margareta Mommsen/Angelika Nussberger; Verlag C.H. Beck 2007

.) Putins verdeckter Krieg – Wie Moskau den Westen destabilisiert; Boris Reitschuster; Econ 2016

.) The Rise of Putin and the Age of Fake news; Arkady Ostrovsky; New York 2016

.) Generation Erdogan. Die Türkei – ein zerrissenes Land im 21. Jahrhundert; Çiğdem Akyol; Kremayr & Scheriau 2015

.) The New Sultan: Erdogan and the Crisis of Modern Turkey; Soner Çağaptay; I. B. Tauris 2017

.) Nach dem Putsch: 16 Anmerkungen zur „neuen“ Türkei; Hrsg.: Ilker Ataç, Michael Fanizadeh, Volkan Ağar; Mandelbaum Verlag 2018

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