Altersarmut – Eine katastrophale Situation

Kaum eine Nachrichtensendung in TV und Rundfunk kommt seit Wochen an der derzeitigen Situation der Tafeln in Deutschland und Österreich vorbei. Die Nachfrage auf Waren des täglichen Bedarfs und v.a. Lebens-mitteln ist grösser als das Angebot. Viele können sich die stark angestiegenen Preise im Handel schlichtweg nicht mehr leisten. Für sie ist das normale Leben zu teuer geworden. Daran zeichnet nicht nur der Ukraine-Krieg, sondern oftmals die Gier der grossen Konzerne nach mehr Gewinn verantwortlich. Und – es sind nicht nur Flüchtlinge, sondern immer mehr auch Senioren, die sich in den endlosen Schlangen anstellen. Die Rente/Pension reicht nicht mehr aus – und dies, obwohl die meisten Betroffenen sparen, wo sie nur können. Jene Menschen also, die den Wohlstand aufgebaut und nun selbst nichts davon haben.

Im September hat das Statistische Bundesamt Deutschland Zahlen zur Altersarmut vorgelegt – jetzt erfolgte der Nachschlag. Es sind wahrhaft erschreckende Daten.

In medias res: Die Zahl der Altersrentenbezieher stieg von 16,6 Mio im Jahr 2011 auf 17,6 Mio im Jahr 2021. 12,9 % der 65- bis 75-jährigen sind noch erwerbstätig. 2011 waren es 7 %! Viele, weil sie es wollen (40,8 % – etwa Personen mit Hochschulabschluss), doch die Zahl derer, die es müssen steigt stark an. Im Dezember 2021 erhielten 589.000 ältere Menschen Grundsicherung (2,6 % Deutsche, 17,5 % Ausländer). 2022 mussten gar 12 % mehr um Grundsicherung ansuchen – der tatsächliche Bedarf wäre wesentlich höher, doch beschreiten viele diesen Weg aus Stolz oder Scham nicht. Zahlen? Alleine zwischen Juni und September 2022 waren dies nach Angaben des Redaktionsnetzwerks Deutschland unter Bezugnahme auf das Statistische Bundesamt 18.945 Anträge mehr.

27,8 % der Rentner, das sind rund 4,9 Mio Männer und vor allem Frauen, hatten 2021 ein monatliches Netto-Einkommen von weniger als 1.000,- €. Nach Geschlecht geteilt: 38,2 % der Rentnerinnen und 14,7 % der Rentner. Im Vergleich dazu die Zahlen zur Gesamtbevölkerung: 2011 lebten zwischen Nord- und Ostsee bis zu den Alpen 80,3 Mio Menschen, zehn Jahre später waren es bereits 83,4. Der Anteil der 65+-Bevölkerung stieg von 20,7 auf 22,1 %. All diese Zahlen stammen aus einem Bericht des deutschen Statistischen Bundesamtes vom 29. September 2022. Durch die Preistreiberei und Inflation hat sich jedoch in den letzten Monaten die Lage zugespitzt.

„Die Altersarmut jagt von Rekord zu Rekord. Zwölf Prozent mehr seit der Bundestagswahl – die Inflation kommt im Sozialamt an.“

(Dietmar Bartsch, Fraktionschef der Linkspartei)

Bartsch fordert deshalb verschärfte Preisbremsen und eine konsequente staatliche Preis-Kontrolle bei Lebensmitteln und Energie.

Diese demographische Entwicklung stellt die Politik, aber auch die Wirtschaft vor schwierige Aufgaben. Dargestellt wird dies mit dem sog. „Altenquotienten“. Die Experten verstehen darunter den Anteil der potentiellen Rentenbezieher 65+ auf 100 Menschen im erwerbsfähigen Alter von 20 bis 65 Jahren. Dieser Altenquotient lagt 1991 bei 24, 30 Jahre später bei 37 und im Jahr 2031 (nach der Pensionierungswelle der Baby-Boomer) bei 48, bis er 2060 mit rund 54 bereits über die Mitte gesprungen sein wird. Nicht zuletzt deshalb hat die Politik einen schrittweisen Anstieg des Renteneintrittsalters von 65 auf 67 Jahre beschlossen. Unternehmen müssen mehr Arbeitsplätze für ältere Arbeit-nehmer einrichten – den Jugendboom werden viele nicht mehr überleben. Er ist zu einem grossen Teil für die derzeitige Situation verantwortlich. Schon jetzt ist der Schrei der Firmeninhaber nach Fachkräften nicht mehr zu überhören, bilden jedoch keine aus und schicken die Älteren vorzeitig in die Pension.

Auch Österreich präsentiert ähnliche Zahlen – die Alpenrepublik liegt bei der Altersarmut gar unter dem OECD-Duchschnitt. Im Jahr 2021 hatten rund 75.000 Männer (11 % – ein Plus von 6,5 %) und gar 157.000 Frauen (18 % – ein Plus von 7,6 %) mit der Altersarmut zu kämpfen. Das sind 15 % der 65+-Gruppe, die akut betroffen sind. Insgesamt waren 2021 1.546.000 Menschen im Alpenstaat 65 Jahre alt und älter. 17,80 % davon müssen jeden Cent zweifach umdrehen, bevor sie ihn ausgeben. Viele sind gar „materiell depriviert“, haben also Zahlungsrückstände bei Krediten, den Betriebskosten oder beispielsweise der Miete. Die Pension-sversicherungsanstalt errechnete für das Jahr 2020 die Durchschnitts-pensionen von 1.622,- € bei den Männern und 1.016,- € bei den Frauen. Die grössten Unterschiede zwischen Mann und Frau („Pension Pay Gap“) gibt es mit 46,4 % in Vorarlberg. Die Armutsgefährdungsschwelle liegt bei 1.371,- € bei einem Einpersonenhaushalt. Auch mit den Anpassungen der Pensionen blieben die Frauen mit 1.294,- € unter dieser Schwelle. Liegt die monatliche Pension unter 1.030,49 € in einem Einpersonen-haushalt, so greift das Sozialsystem mit einer Ausgleichszulage ein.

Wo aber nun liegen die Ursachen für die Altersarmut?

Es sind sowohl in Deutschland als auch Österreich dieselben Gründe: Frauen arbeiten oftmals aus Rücksicht auf die Familie nur Teilzeit oder gar geringfügig. Zudem pflegen sie oftmals unentgeltlich Familien-mitglieder. Nach Angaben der österreichischen Arbeiterkammer sind rund 64 % der weiblichen Arbeit nicht bezahlt. Beide Geschlechter arbeiten zu Gehältern, die zwar während der Erwerbszeit geradeso ausreichen, für die Altersvorsorge oder gar der Anhäufung eines Vermögens oder schluss-endlich die Rente jedoch zu gering sind. Daneben werden bei der lebenslangen Durchrechnung (Österreich) bzw. dem Äquivalenzsystem in Deutschland (wer mehr in der Erwerbszeit einzahlt, bekommt alsdann eine grössere Rente) auch schlechte Erwerbsphasen oder gar Arbeits-losigkeit einbezogen. Um dies auszugleichen, bedürfte es also mehrerer gut bezahlter Jobs, was oftmals nicht der Fall ist. Zudem gehen viele zu früh in Pension. So waren etwa in Deutschland 2021 66 % der Männer zwischen 60-64 Jahren erwerbstätig, bei den Frauen gar nur 57 %. In Österreich etwa tritt nur jede zweite Frau aus einer Beschäftigung in die Pension über. Dadurch werden die notwendigen Versicherungsjahre nicht erreicht, nicht selten muss deshalb mit erheblichen Abzügen gerechnet werden. Zudem sind die meisten Frauen vor dem Pensionsantritt arbeitslos – im Schnitt sieben Jahre lang. Bei harter körperlicher Arbeit (etwa Metallbauer bzw. Pflegeberufe – Schwerarbeiter) oder den Körper anderweitig beanspruchender Arbeit (Berufskraftfahrer beispielsweise) ist ein niedrigeres Pensionsantrittsalter durchaus verständlich. Für jemanden allerdings, der sein Leben lang im ergonomischen Arbeitsstuhl am Schreibtisch verbracht hat, komplett unverständlich.

Um eine Altersarmut eingrenzen zu können, liegen viele Vorschläge von Interessensvertretungen auf den Tischen – alleine: Es fehlt die Motivation der Politik.

.) Kinderbetreuungszeiten sollten besser angerechnet werden (in Öster-reich beispielsweise wird ein Jahr Kinderbetreuung mit gerade mal 28 € in der monatlichen Pension berücksichtigt)

.) Finanzielle Berücksichtigung der Elternteilzeit wie etwa bei der Pflege-teilzeit

.) Flexiblere Arbeitszeitmodelle für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie

.) Grundsätzlich eine bessere Entlohnung von Frauen

.) Höhere Berücksichtigung der Arbeitslosigkeit

.) Anrechnung von Ausbildungszeiten (Praktika – die Unsitte der Betriebe, für die Arbeitskräfte nur wenig bezahlen zu müssen) werden beispiels-weise gar nicht in der Pension eingerechnet

.) Mehr Möglichkeiten zur Altersteilzeit

Speziell für Österreich:

.) Partnerunabhängige Ausgleichszulage (nach wie vor wird die Pension des Partners in die Berechnungen einbezogen, sodass besonders viele Frauen um die Ausgleichszulage umfallen (Österreich)

.) Dieser Ausgleichszulagenrichtsatz in Österreich sollte erhöht werden

.) Die lebenslange Durchrechnung muss geändert werden – sie führt etwa dazu, wenn zuletzt ein durchaus gut bezahlter Job erfüllt wurde, die Pension möglicherweise weit unter dem letzten Verdienst liegt. Ein Faktor, der zu erheblichen finanziellen Schwierigkeiten führen kann.

Papst Franziskus hat anlässlich des „Welttags der Armut“ am 19. November 2017 in seiner Botschaft folgenden Satz geäussert:

„Wir sind also gerufen, den Armen die Hand zu reichen, ihnen zu begegnen, ihnen in ihre Augen zu schauen, sie zu umarmen, sie die Wärme der Liebe spüren zu lassen, die den Teufelskreis der Einsamkeit zerbricht. Die Hand, die sie ihrerseits uns entgegen strecken, ist eine Einladung, aus unserer Sicherheit und Bequemlichkeit auszubrechen!“

Franziskus weiss durchaus, wovon er spricht. Schliesslich war er auch noch als Kardinal sehr oft in den Armenvierteln von Buenos Aires unter-wegs. Dennoch ist es gerade die Kirche (nicht nur die römisch-katholische Kirche), die ohne die ehrenamtliche und somit unbezahlte Arbeit vor allem der Frauen nicht funktionieren würde. Deshalb sollten Betroffene von den Angeboten der Caritas und Diakonie auf jeden Fall Gebrauch machen.

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