Vanille kann tödlich sein

Weihnachten steht vor der Tür, viele Kekse oder Plätzchen sind bereits gebacken, einige werden noch folgen. Für die meisten gehören die Vanillekipferln zum Fest wie der Weihnachtsbaum. In Österreich beispielsweise rangieren diese noch vor den Linzer-Augen auf Platz 1 des süssen Weihnachtsbäckerei-Rankings. Doch schauen viele in diesem Jahr durch die Finger, da es zwar gottlob wieder genügend der heiss-begehrten Schoten am Markt gibt, die jedoch Unmengen von Geld kosten und damit das Backen dieser Köstlichkeit mit der originalen Vanille nahezu unerschwinglich macht. So kostet eine Schote Bourbon-Vanille aus Madagaskar zwischen 2,50 bis 3,00 €, eine Tahiti-Schote aus Tahiti oder Deutschland zwischen 9-10 €. Vanille ist nach Safran das zweit-teuerste Gewürz. Die richtige Vanille wird inzwischen höher als Silber gehandelt. Wie aber kann das sein? Ein nachwachsendes Gewürz, das wir als Kinder am Liebsten in Kombination mit Eis kannten. 

Die Vanille ist eigentlich eine Orchideen-Gattung mit nicht weniger als 110 Unterarten. Die für das Kochen verwendete wird aus fermentierten Schoten („Kapselfrüchte“) der Gewürzvanille (Vanilia planifolia) gewonnen. Diese Pflanze kommt ursprünglich aus Mittelamerika und hier hauptsächlich aus Mexiko. Die heutigen Hauptanbaugebiete allerdings sind Madagaskar, Reunion und einige andere Inseln im Indischen Ozean. Reunion übrigens hiess früher Île Bourbon – von hier aus startete die Erfolgsreise der Bourbonvanille, die im Regal (wenn noch nicht ausverkauft!) neben der Gewürzvanille steht. Wesentlich weniger verwendet wird die Tahiti-Vanille (Vanilla tahitensis) und die Guadeloupe-Vanille (Vanilla pompona). Alle vier Arten unterscheiden sich im Aroma: Die Bourbonvanille besitzt einen süssen, rumhaltigen Geschmack, die Tahiti-Vanille einen blumigen, die mexikanische einen hölzern-würzigen und die indonesische Vanille einen geräucherten Geschmack. Die Schoten aus Tahiti und Guadeloupe werden bevorzugt für die Herstellung von Duftessenzen wie Parfüms verwendet. 

Schon die alten Azteken wussten den Geschmack der Vanille („tlilxochitl“ = schwarze Blume) zu schätzen – Veracruz am Golf von Mexiko war deren Hauptumschlagplatz, besonders spezialisiert auf den Handel die Tachiwin, andere Ureinwohner Mexikos. Auch für die später eingetroffenen europäischen Seefahrer und Kolonialisten. Die Sage erzählt, dass Häuptling Montezuma II. dem Eroberer Hernán Cortés ein Getränk aus Kakao und dem „Geschenk Gottes“ angeboten haben soll. Der Häuptling selbst soll angeblich bis zu 50 Tassen täglich davon getrunken haben. Die Vanille entwickelte sich in Europa zu einem heiss begehrten Geschmacksverfeinerer. Und der illegale Handel dieser Pflanzen war schon damals sehr gefährlich – in Spanien stand hierauf die Todesstrafe. Erst nachdem Mexiko anno 1810 unabhängig wurde, war der Weg frei – die Niederländer und Franzosen liessen sie in deren Kolonien anbauen. Vorerst erfolglos, da die Bestäuber aus Mexiko fehlten: Der Kolibri bzw. die Melipona-Biene. Also müssen auch heute noch die Pflanzen von Hand bestäubt werden, nach Art des 12-jährigen Plantagensklaven Edmond Albius auf Réunion im Jahr 1841. Anfänglich gefeiert wie ein Held, streute der Chefbotaniker der Inselhauptstadt neidisch das Gerücht, dass der Junge aus Wut über seinen Herren die Blüten zerstören wollte und dabei zufällig bestäubte. Albius wurde erst frei, als Frankreich die Sklaverei abschaffte. Er verstarb völlig verarmt und wurde in einem Massengrab beigesetzt. In der Gemeinde Sainte Suzanne auf Reunion wurde eine Statue mit seinem Antlitz aufgestellt und jährlich das „Fest der Vanille“ an seinem Todestag ausgerichtet.

https://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/weltspiegel/videos/vanille-aus-madagaskar-das-schwarze-gold-100.html

Um Ihnen einen Eindruck der Arbeit zu vermitteln: Ein geübter Vanille-Bauer kann bis zu 1000 Blüten pro Tag bestäuben – das bringt gerade mal 2 kg Schoten. Damit es auch für das normale Volk erschwinglich wurde, entwickelten anno 1874 die deutschen Chemiker Haarmann und Tiemann aus Coniferin einen synthetischen Vanilleersatz: Das Vanillin! Allerdings enthält die natürliche Vanille zusätzlich 50 unterschiedliche Aromastoffe, die in dieser Labor-Vanille nicht produziert werden können. In Österreich wurde beispielsweise der Knoblauch als „Vanille des armen Mannes“ bezeichnet. In alten alpenländischen Rezepten steht deshalb sehr häufig Vanille, gemeint ist jedoch Knoblauch („Vanille-Braten“).

Die heutigen Hauptanbaugebiete sind Madagaskar (rund 60 % des Vanilleaufkommens) und Indonesien, in Uganda boomt der Anbau eben-falls – dort will man am teuren Kuchen teilhaben. Vanille wird in Plantagen angebaut. Die Pflanze selbst wächst als Kletterpflanze bis zu neun Meter an Bäumen nach oben. Deshalb gilt Vanille auch als die Retterin des Regenwaldes, da ein solcher unbedingt vonnöten ist. An ihren Rispen bildet sie einmal im Jahr hellgelbe Blüten, von welchen jeweils nur eine für wenige Stunden am Vormittag blüht. Die Schoten beinhalten die Beeren und erreichen eine Länge von bis zu 30 cm. Sie werden noch gelbgrün, kurz vor der Reife geerntet. Erfolgt die Ernte zu früh, so hat dies enorm negative Auswirkungen auf den Geschmack. Zudem beginnt die Schote zu schimmeln, was ansonsten durch das Vanillin verhindert wird. Dann erfolgt die sog. „Schwarzbräunung“. Beginnend mit dem Blanchieren unter heissem Wasser oder Dampf werden sie anschliessend in Jutetüchern zum Trocknen in die Sonne gelegt oder in luftdichten Behältnissen bis zur Auskristallisierung feiner Glukosenadeln fermentiert. Dadurch schrumpfen die Schoten zu kleinen Vanillestangen, es entsteht der eigentliche Geschmacksstoff, das Vanillin in einer Konzentration von 2-3 %. Schliesslich werden die Stangen gebündelt, in Pergamentpapier eingerollt und in Zinnbehälter gegeben. So gelangen sie nach Europa. Das traditionelle Schwarzbräunen dauert bis zu sechs Monate. In Trocknungsöfen geht es wesentlich rascher, allerdings auf Kosten der Geschmacksunterschiede der Anbaugebiete – sie schmecken danach alle gleich. Aus sechs Kilo grüner Schoten wird ein Kilo echte Vanille. Sie sehen also: Es ist ein sehr aufwendiger Prozess, der durchaus seinen Preis rechtfertigt. 

Weshalb aber nun dieser in ungeahnte Höhen steigt, ist einerseits das Ergebnis von Naturgewalten, andererseits auch der Gewinnsucht der Zwischenhändler. Um 12.30 Uhr Ortszeit erreichte am 7. März 2017 der Zyklon „Enawo“ Madagaskar. Hierzulande mit wenig Interesse verfolgt, war es v.a. für die Vanille-Anbauregion Sava eine Riesenkatastrophe. Der Wirbelsturm fegte mit 205 Stundenkilometern über die Insel, 81 Menschen starben. Zudem wurden rund 30 % der Vanille-Ernte zerstört. Von dem, was zuvor eine lange Dürrezeit überdauert hatte. 1000 Tonnen (ansonsten sind es rund 1.500) blieben übrig. Nun kommt die Gewinnsucht hinzu: Zwischenhändler kaufen grosse Mengen der Schoten auf. Doch anstatt sie auf den Markt zu werfen, werden diese gelagert, der Preis beobachtet und mit Maximalgewinn dann abgestossen. Belief sich der Preis zu Beginn des Jahrtausends noch auf 140 US-Dollar für das Kilo, so sind es 17 Jahre später schon mal bis zu 600 US-Dollar und heute über 600 US-Dollar. Der Preis brach 2020 aufgrund der Corona-Pandemie und der schlechteren Qualität (zu frühe Ernte und Trocknungs-öfen) etwas ein, stieg dann jedoch erneut an. Hauptabnehmer aber auch Hauptmanipulateure des hohen Preises sind Konzerne wie Nestlè, Unilever, Coca Cola und Mondelez. So kritisiert die Regierung Madagaskars beispielsweise die Methoden der Firma Symrise, die angeblich einerseits die Bauern zur Frühernte nötigt, andererseits zum Diebstahl und sogar Mord animieren soll, indem sie gestohlene Ware aufkauft. Siehe hierzu den Bericht des Premierministers Olivier Mahafaly Solonandrasana vom Mai 2017. Nestlé betont immer wieder, sich über die Anbaubedingungen vorort kundig zu machen, mit einem Drei-Punkte-Programm die Bauern beim nachhaltigen Anbau unterstützen zu wollen und nur die beste Vanille aufzukaufen. Der Endverbraucher zahlt allerdings nicht nach Gewicht, sondern nach Schote. Umgerechnet würde ihn alsdann ein Kilogramm zirka 1.330,- € kosten – rund der doppelte Silberpreis!

Diese Preisentwicklung führt zu einem bizarren Anstieg der Kriminalität auf Madagaskar, kann sich doch so manch einer einen kleinen Reichtum damit aufbauen. Die Bauern übernachten sogar auf den Plantagen, damit die Diebe die Schoten nicht direkt von den Bäumen klauen können. Einer der Kleinbauern berichtet, dass er vor allem in der Nacht dabei sein Leben riskiert. Hier setzt auch die Studie des dänischen Instituts für investigativen Journalismus, DanWatch, an. Demnach kämpft jeder Bauer auf der Insel gegen Diebstahl und Nötigung. Kredithaie bieten den Bauern Darlehen an, die sie später zwingen, die Ernte weit unter Wert zu verkaufen. Können sie dennoch nicht zurückzahlen, müssen die Kinder Zwangsarbeit in den Plantagen verrichten. All das wird einem niemals bewusst, wenn in der Küche die Schote mit dem Messer aufgeschnitten und ausgekratzt wird, damit die Aromastoffe des Vanillins im Öl und dem Mark an so manchem Gaumen kitzeln können. Verfeinert werden damit zumeist Kakao und Schokolade, aber auch Süssspeisen wie Puddings und Crèmes. Die englische Königin Elisabeth I. soll ganz wild auf derartige Nachspeisen gewesen sein. Aber auch zu weissem Fleisch, Fisch oder Hummer sagt kein Gourmet nein, zur Vanille. 

Die echte Vanille kann zumeist an den kleinen schwarzen Samen in der Speise erkannt werden – die gelbliche Farbe kommt vornehmlich von den vielen verwendeten Eiern. Doch auch hier zeigt sich die Lebensmittel-industrie als sehr ideenreich: Wird Vanillin aus Holz gewonnen, so kann es rechtlich gesehen durchaus als „natürlich“ bei den Inhaltsstoffen angeführt werden. Die schwarzen Samen werden nur beigegeben, um den Eindruck echter Vanille aufkommen zu lassen – sie haben zumeist kein Aroma mehr. 

In Europa ist es hauptsächlich die Bourbon-Vanille aus Afrika, in den USA und Kanada die mexikanische Vanille, die so manchen Sternekoch begeistert. Coca Cola wollte in den 80er Jahren die teure Vanille durch das synthetische Vanilin ersetzen. Diese Entscheidung trugen aber die Kunden nicht mit, sodass der Versuch abgebrochen werden musste. Heutzutage benötigt das Unternehmen – ähnlich wie Konkurrent Pepsi Cola – rund 40 Tonnen des edlen Gewürzes pro Jahr. Im Vergleich dazu: Die Niederösterreich-Milch (NÖM) braucht neun Tonnen pro Jahr!

Die Vanille aus der Sicht der Heilkunde, Pharmazie und Medizin betrachtet: Sie wirkt potenzsteigernd, entspannend, stoffwechsel-fördernd, galletreibend, muskelstärkend und vieles mehr. Entsprechend auch ihr Einsatzgebiet: Bei Potenzproblemen, Muskelschwäche, Rheuma, Stimmungsschwankungen und Verdauungsstörungen.

Wenn Sie selbst auf Einkaufstour gehen, dann achten Sie darauf, dass die Schote lederartig elastisch ist. In ausgetrockneten Stangen sind nurmehr wenig Aromastoffe enthalten. Schwarze Schafe versuchen zudem synthetische Vanillinkristalle auf die Schote aufzusprühen. Die natür-lichen sind unregelmässig verteilt – sie gelten als untrübliches Zeichen für eine ausgezeichnete Qualität- die aufgesprühten sind hingegen regelmässig. Lassen Sie sich dadurch nicht hinter’s Licht führen. Oftmals findet auch das Vanillepulver zuhause Anwendung. Dies sind die gemahlenen Samenkörner. Allerdings sind hier nur ganz wenige Aromastoffen enthalten. Bei der „gemahlenen Vanille“ hingegen werden auch die Kapselhülsen mitgemahlen, sodass diese Aromen erhalten bleiben. Auch besteht zwischen dem „Vanillezucker“ und dem „Vanillin-zucker“ ein Unterschied: Ersterer wird mit echter Vanille hergestellt, zweiterer hingegen mit synthetisch hergestelltem Vanillin.

Die Industrie bevorzugt den Vanille-Extrakt. Er besteht aus bis zu 35 % Ethanol und ist nicht selten mit Zuckersirup gestreckt. Der hoch-konzentrierte Extrakt ist unbegrenzt haltbar. Nach Schätzungen enthalten rund 18.000 Produkte ein Vanillearoma. Vom Joghurt (mein Favorit!) über Eis bis hin zu Parfüms und Medikamenten. Allerdings ist dies zumeist im Labor entwickelt worden. Nur rund 1 % dieser aromatischen Produkte kommt tatsächlich aus der Schote. 

Experten warnen bereits davor: Der nächste Vanille-Kollaps wird nicht mehr lange auf sich warten lassen. Spätestens wenn der Konsument nicht mehr dazu bereit ist, den Preis für echte Vanille bezahlen zu wollen, wird die Seifenblase platzen. Dann wird der Preis enorm fallen, da zudem die Ware aus den anderen Anbaugebieten (Indien, China) auf dem Markt angekommen ist.

Lesetipps: 

.) Wilhelm Haarmann auf den Spuren der Vanille; Björn Bernhard Kuhse; Verlag Jörg Mitzkat 2012

.) Vanille, Gewürz der Göttin; Annemarie Wildeisen; AT Verlag 2001

.) Vanilla planifolia – Echte Vanille (Orchidaceae). Jahrbuch des Bochumer Botanischen Vereins. Bd. 5; Veit Martin Dörken/Annette Höggemeier 2014

.) Gewürze – Acht kulturhistorische Kostbarkeiten; Elisabeth Vaupel; Deutsches Museum 2002

.) Vanille – Die schwarze Königin; Katja Chmelik; Geschichte 2007

.) Vanilla: Travels in Search of the Luscious Substance; Tim Ecott; . Penguin Books 2004

.) Encyclopédie Biologique. Band XLVI; Hrsg: Gilbert Bouriquet; Paul Lechevalier 1954

Links:

– mondevanille.com

– www.vanille-reunion.fr

– www.vanillacampaign.com

– lafaza.com

– austhachmann.de

– www.kotanyi.com/at/de/

– www.symrise.com/de/

– beyondgood.com

– heilkraeuter.de

– www.gesundheit.gv.at

– www.lebensbaum.com/de

– tropicos.org/home

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