Brasilien wählt – der Klimaschutz hält den Atem an
Nach den vorgezogenen Parlamentswahlen von Italien am vergangenen Wochenende steht an diesem eine erneute, folgenschwere Wahl an: Die Wahl des Präsidenten im grössten Land des lateinamerikanischen Konti-nents: Brasilien!
Insgesamt sind 156,7 Mio. Einwohner zur Wahl aufgerufen. Was dieser Urnengang bewirken kann, hat die letzte Wahl im Jahre 2018 aufgezeigt. Der Rechtspopulist Jair Messias Bolsonaro machte seiner politischen Einstellung alle Ehre. Sehr zum Ärger der Klimaschützer und Geber-staaten. Bolsonaro steckte zwar die fleissig bezahlten Gelder zum Erhalt des Amazonas-Regenwaldes ein, liess diesen aber unter dubiosesten Umständen trotzdem grossflächig niederbrennen oder roden. Das verschaffte ihm den Spitznamen „politischer Pyromane im Präsidenten-palast“. Ob Naturschutzgebiet oder Schutzzone indigener Völker – voll-kommen gleichgültig. Sein Ziel und damit auch Lebenswerk hat Vorrang vor allem anderen: Die Durchmesser-Autobahn B-163 vom Süden des Amazonas bis zur Grenze Surinams. Zuerst leugnete der die Brände. Als Satellitenbilder des staatlichen Instituts für Weltraumforschung INPE klare Beweise lieferten, setzte er die Verantwortlichen dieser Bundesbehörde auf die Strasse. Nun schob er die Schuld auf die Sonne und den Wind, später dann auf Europäer und Umweltschützer, die den Amazonas-Regenwald angeblich in Brand gesteckt haben sollen um ihn zu verun-glimpfen. Dabei wäre die „grüne Lunge unseres Planeten“ gerade in diesem Jahr so wichtig, da selten zuvor weltweit dermassen viele Wald-brände wüteten, die zu einem Rekordausstoss von CO2 führten.
Daneben hat sich Bolsonaro, wie kein anderer brasilianische Präsident vor ihm, selbst abgesondert – in Art und Weise seines grossen Vorbildes Donald Trump. Nurmehr wenige wollten mit Brasilien zusammenarbeiten. So boykottierten etwa der französische Präsident Macron, aber auch sein Kollege Higgins von der irischen Insel das geplante Freihandels-abkommen zwischen der EU und Südamerika. „Mercorsur“ sollte schon 2019 auch mit der EU in Kraft getreten sein, wurde alsdann durch das brasilianische Parlament bereits abgesegnet, doch entschieden sich immer mehr EU-Nationalparlamente dagegen, so auch Österreich. Wichtigste Massnahme wäre der Schutz des Regenwaldes, der nicht zuletzt für die Ziele des Handelsabkommen (Export von Rindfleisch und Soja) niedergebrannt wurde und noch immer wird. So deckte die Umwelt-schutzorganisation Greenpeace auf, dass illegale Abholzungen im Feuchtgebiet Pantanal mit dem deutschen Fleischhandel in Verbindung stehen. Einen entsprechenden Passus im Vertrag lehnt Bolsonaro kategorisch ab. Angelegt hat er sich mit nahezu jedem Regierungschef dieser Welt.
Alles andere entspricht der rechtspopulistischen Grundlagen-Politik: Mehr Macht dem Militär (damit es nicht zu einem Militärputsch kommt) und Ausschalten der kritischen Medien. Eine kurze Geschichte, damit Sie ein besseres Bild von ihm erhalten: Im Jahre 2012 wurde er beim illegalen Angeln im Naturschutzgebiet Estação Ecológica Tamoios südlich von Rio de Janeiro erwischt und erhielt eine saftige Strafe, die er jedoch nie bezahlte. Der Beamte der Umweltbehörde, der dies fotografierte und zur Anzeige brachte, wurde entlassen. Somit war Bolsonaro also alles andere als der erwartete „Messias“ des Landes. Ob seine Söhne, die ebenfalls in der Politik aktiv wurden (zumindest drei von vier), ihn beerben werden, wird sich wohl nach dieser Wahl herausstellen.
Brasilien ist ein Schwellenland, das sich eigentlich auf einem an sich recht guten Weg befand. Doch forderten Korruption und Misswirtschaft enorme Opfer – die wirtschaftliche Situation des Landes war nach der Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele 2016 und der Fussball-WM 2014 mehr als prekär. Wurden davor noch kräftige Gewinne eingefahren, sank das BIP 2015 um 3,8 %, ein Jahr später um erneut 3,4 %. Verantwortlich dafür zeichneten die gerne als „Brasilien-Kosten“ bezeichneten Zusatzaus-gaben für Korruption, miserabler logistischer Infrastruktur und hohe Steuern sowie Finanzierungskosten. All das setzte sich auch unter Bolsonaro fort. Das BIP (nominal) sank von 1.917 Mrd. US-Dollar 2018 auf 1.609 Mrd. im Jahr 2021 (Angaben: Weltbank). Es muss also dringendst ein Marshallplan gefunden werden, damit die Situation in Brasilien, die geprägt ist von Arbeitslosigkeit, Hunger und ständigen Demonstrationen, verbessert werden kann. Bolsonaro hatte vier Jahre Zeit hier anzugreifen – doch verschlimmerte sich vieles. Gegenwärtig leiden rund 33 Mio Menschen unter Hunger.
Der kommende Sonntag ist – wie alle vier Jahre – ein Super-Wahlsonntag. Neben dem Präsidenten (Staatsoberhaupt und Regierungschef) werden auch die Senatoren und Abgeordneten des Nationalkongresses gewählt, die Gouverneure und Vize-Gouverneure der Bundesstaaten und die Abgeordneten der Legislativversammlungen. 12 Personen stellen sich der Präsidentenwahl. Nur zweien davon werden auch Chancen eingeräumt, die kommenden vier Jahre regieren zu können: Jair Messias Bolsonaro von der Liberalen Partei (rechts) und Luiz Inácio Lula da Silva von der Arbeiterpartei (links). Wie bei Rechtspopulisten anscheinend üblich, bekundete Bolsonaro Zweifel an der Sicherheit des Wahlsystems – dubios, schliesslich hätte er diese in den abgelaufenen vier Jahren herstellen können. Die elektronische Wahlurne ist seit 1996 im Einsatz – die unterschiedlichsten Untersuchungen (auch der UNO) haben nach-gewiesen, dass das System in Ordnung sei. Seither gab es 13 Regional- und Präsidentschaftswahlen – bislang ist noch kein Hinweis oder Beleg für einen Betrug aufgetaucht, betont das Oberste Wahlgericht. Kein Argument für Bolsonaro – das ging gar soweit, dass er meinte, er werde das Wahlergebnis nicht akzeptieren, sollte er nicht gewinnen – das wäre dem Wahlbetrug zuzuordnen. Inzwischen hat er diese Aussage zurück-gezogen. Beide Spitzenkandidaten allerdings könnten unterschiedlicher nicht sein.
.) Jair Messias Bolsonaro
Seine italienischen Vorfahren sind im auslaufenden 19. Jahrhundert ausgewandert. Durch seine um 27 Jahre jüngere dritte Ehefrau kam der römisch-katholische Politiker in Kontakt mit den Baptisten und evangelikalen Freikirchen. Sie sollten ihn auch entscheidend unterstützen. Die politische Laufbahn Bolsonaros begann im Jahre 1988, als er sich für die Christdemokraten (PDC) in den Stadtrat von Rio de Janeiro wählen liess. Zwei Jahre später zog er in die Abgeordneten-kammer des Parlamentes ein. Seither wechselte er die Parteien wie andere ihre Autos – bislang acht mal. 2018 kandidierte Bolsonaro für die in’s rechts-konservative Lager abdriftenden Sozial-Liberalen (PSL) für die Präsidentschaftswahlen. Dabei erhielt er die Unterstützung der Rechts-extremen. Sein Programm gleicht dem aller rechts von der Mitte stehenden Volksvertretern: Kampf gegen die Kriminalität, die Korruption und die Wirtschaftskrise und das Recht auf Waffenbesitz, sowie eine Minimierung des Einflusses der Gerichte und damit des Rechtsstaates. Starker Tobak sind seine rassistischen, frauenfeindlichen und homo-phoben Aussagen.
„Sie verdient es nicht, weil sie sehr hässlich ist. Sie ist nicht mein Typ. Ich würde sie nie vergewaltigen.“
(Bolsonaro über die Abgeordnete Maria do Rosario)
Bei der Stichwahl gegen Fernando Haddad von der Arbeiterpartei („Partido dos Trabalhadores“) am 28. Oktober 2018 schliesslich erhielt er 55,1 % der Stimmen.
.) Luiz Inácio Lula da Silva
„Lula“, so sein Spitzname, kommt aus ärmlichen Verhältnissen und ist Gründungsmitglied der Arbeiterpartei Brasiliens („Partido dos Tralhadores“). Er hatte in den Jahren zwischen 2003 und 2011 bereits die Führung des Landes inne. Den Regierungsstil bezeichnen Experten als „assistenzialistische Sozial- und entwicklungsorientierte Wirtschafts-politik“. Seine Sozialpolitik setzte durch Programme wie Bolsa Família, Fome Zero und dem „Eine-Million-Häuser-Programm“ innenpolitisch wesentliche Akzente bei der Bekämpfung der Armut und des Hungers. Bei der Bekämpfung des milliardenschweren Korruptionsskandals in der „Operation Lava Jato“ („Operation Waschstraße“) wurde Lula 2017 wegen Korruption und passiver Geldwäsche angeklagt, zu zwölf Jahren Haft verurteilt und vorerst für 1,5 Jahre weggesperrt. Investigative Journalisten (etwa von The Intercept) meinen: Zu Unrecht! Es soll sich dabei um Absprachen zwischen Bolsonaro, Staatsanwälten, den politischen Gegnern Lulas und dem damaligen Bundesrichter Sergio Moro gehandelt haben, der im Übrigen später von Bolsonaro zum Justizminister ernannt worden ist. Da Silva sollte durch die Haft an der Teilnahme der Wahl gehindert werden. Das oberste Gericht hob das Urteil Anfang 2021 aus formellen Gründen auf – Sergio Moro soll parteilich befangen gewesen sein.
Sollte am 02. Oktober keiner der Kandidaten im ersten Wahlgang über die absolute Mehrheit verfügen, wird es wieder eine Stichwahl geben – wie auch 2018. Übrigens herrscht in Brasilien Wahlpflicht. Fehlt ein Wahlberechtigter unentschuldigt, erhält er eine Strafe von umgerechnet rund neun Euro. Bei Wiederholung kann er gar sein Wahlrecht verlieren.
Bolsonaros Partei, die „Partido Liberal“ hat sich für diese Wahl mit der „Partido Progressistas“ (Progressiven) und den Republikanern („Republi-canos“) zum Bündnis „Pelo Bem do Brasil“ („Zum Wohle Brasiliens“) zusammengeschlossen. Da Silva hingegen kandidiert für das Bündnis „Vamos Juntos Pelo Brasil“ („Wir gehen zusammen für Brasilien“) – einer Vereinigung der unterschiedlichsten Strömungen und Parteien. Nachdem sich Lula gegen die Entwaldung des Amazonas-Gebietes und die dort herrschende Gewalt v.a. gegen indigene Völker ausgesprochen hat, versprach auch Bolsonaro ein Ende des Ganzen. Damit ist der Regenwald zum schwergewichtiges Wahlkampfthema avanciert. Daneben ging es um die Ernährungssicherheit und der Entlastung der Bevölkerung. Da Silva hatte dies während seiner Regentschaft umgesetzt, Bolsonaro sträflichst vernachlässigt. Er schuf zwar mehr Arbeitsplätze, doch sanken die Löhne und Lebensbedingungen.
„Ich arbeite bis zu 13 Stunden am Tag für 200 Euro im Monat. So kann man nicht überleben.“
(Alexandre Magalhães, Wachmann auf dem Parkplatz eines Supermarktes und Rapper „MC Macarrão“)
Daneben ist die Arbeitslosigkeit nach wie vor allerorts spürbar
Bolsonaro baute seinen Wahlkampf auf Emotionen auf: „Kampf des Guten gegen das Böse“! Das „Böse“ habe 14 Jahre lang im Land gewütet und dabei Brasilien fast zerstört. Lula beschuldigt Bolsonaro aufgrund seines Krisenmanagements während der Corona-Pandemie als „Völkermörder“. Zuletzt gingen auch die Anhänger der beiden Kontrahenten gewalttätig aufeinander los. Dabei wurde beispielsweise Anfang September ein Anhänger Lulas von einem Anhänger Bolsonaros mit der Axt erschlagen, ein anderer erschossen.
Das Oberste Wahlgericht hat bereits genaueste Kontrollen vorausgesagt und die Sicherheit der Wähler und ihrer Stimmen garantiert. Das Zünglein an der Waage jedoch könnte das Militär werden. wie wird es sich verhalten, sollte Bolsonaro nicht die Mehrheit erringen? Nachdem da Silva zuletzt in den Umfragen führte, versuchte Bolsonaro die letzten Kräfte zu mobilisieren – auch im Militär. Bereits 2018 war dieses dem ehemaligen Major wohlgesonnen. Vielen Armeeangehörigen hat er zudem Posten in der Regierung vermittelt. Der engste Vertraute des amtierenden Präsi-denten ist dessen Verteidigungsminister, General Walter Braga Netto, der bei einem Erfolg Bolsonaros gar Vizepräsident werden soll. Deshalb schlug der „Chef“ auch vor, eine parallele Stimmauszählung durch das Militär vornehmen zu lassen. Das lässt durchaus Erinnerungen an die Militärdiktatur von 1964 bis 1985 aufkommen. Dennoch hat die Armee angekündigt, Stichproben zu nehmen. Mit dem Argument, eine Zuver-lässigkeit der Stimmen auf 95 % zu gewährleisten. Zum Missfallen des Obersten Wahlgerichtes: Das betont, dass über 100 internationale Wahl-beobachter aus den unterschiedlichsten Organisationen eingeladen wurden.
„Es ist nicht klar, wie groß der Teil der Militärangehörigen ist, die Bolsonaro wirklich unterstützen.“
(Carolina Botelho, Politikwissenshaftlerin an der föderalen Universität Rio de janeiro)
Einen Militärputsch schliessen Experten inzwischen jedoch aus. Einerseits ist der Rückhalt Bolsonaros hier nicht entsprechend gross, andererseits gäbe es hierfür auch kein Verständnis in der Bevölkerung.
Seine Anhänger allerdings glüht Bolsonaro bereits vor. Es ist somit durchaus möglich, dass sich auch in Brasilia derart schändliche Szenen wie in Washington ereignen werden. Dabei werden wohl auch Waffen eine entscheidende Rolle spielen, schliesslich lockerte der Präsident die Waffengesetze, sodass sich in den letzten fünf Jahren die Waffenbesitzer verzehnfacht haben. Sein Sohn, der Abgeordnete Edorado Bolsonaro, hat inzwischen alle Waffenbesitzer dazu aufgefordert, sich zu einem „Freiwilligen Bolsonaros“ zu machen. Die Universität Rio veröffentlichte zuletzt eine Untersuchung, wonach die politische Gewalt in Brasilien in den letzten drei Jahren um 335 % angestiegen ist. Eine aktuelle Umfrage des Institutes Datafolha zeigte auf, dass 67,5 % der Befragten Angst vor Repressalien durch politische Gewalt haben.
„Gewalt findet systematisch statt und wird eingesetzt, um bestimmte Ziele zu erreichen. Es ist super wichtig, dass mehrere Organisationen und Institute versuchen, diese Gewalt abzubilden. Aber wir wissen, dass die Straflosigkeit noch immer sehr hoch ist, und das ermutigt auch die Täter“.
(Gisele Barbieri, Justiça Global)
Gewalttaten an Unterstützern der Arbeiterpartei sind inzwischen an der Tagesordnung – oftmals begangen durch rechte bewaffnete Milizen.
In den letzten Umfragen führte stets Lula mit teils grossem Vorsprung (auch bei einer möglichen Stichwahl)!
PS:
Der Objektivität halber sollte auch die ehemalige Website von Jair Bolsonaro unten angeführt werden. Wie jedoch darauf zu lesen ist, wurde die Seite nicht mehr gepflegt und bezahlt. Also erwarb der Geschäfts-mann Gabriel Baggio Thomaz die Domain und gestaltete im August den Inhalt gegen die Bolsonaro-Regierung um.
Links:
– partidoliberal.org.br
– lula.com.br
– pt.org.br
– www.brazil.gov.br
– www.gov.br
– www.tse.jus.br
– www.camara.leg.br
– www.senado.gov.br
– kas.de
– www.greenpeace.de