AfD – Eine Partei auf dem Weg nach ganz rechts
„Wir bestimmen selbst, wer Extremist ist!“(Björn Höcke auf dem AfD-Bundesparteitag Juni 2022)
Na klar – schliesslich sind sie ja das Volk! Die grossformatige Boulevard-zeitung Bild aus Hamburg titelte am Montag nach dem Parteitag in Riesa:
„AfD jetzt Höcke-Partei!“
Nun – die Palastrevolution hat der Fraktionsvorsitzende der Thüringer Landespartei ja schon des öfteren angekündigt. So etwa auch im Juli 2019, kurz vor den Landtagswahlen in Thüringen. Damals drohte er der kompletten Bundesparteispitze. Doch auch dieses Mal wurde nichts daraus – zumindest offiziell. Björn Höcke gründete im Jahre 2015 mit der „Erfurter Resolution“ die rechtsextreme Strömung „Der Flügel“ und sorgt seither in regelmässigen Abständen für Probleme bei der ehemaligen „Alternative für Deutschland“. Das Bundesamt für Verfassungsschutz bezeichnet den beamteten Gymnasiallehrer aus Hessen unverhohlen als „rechtsextrem“, nach einem Gerichtsurteil (Verwaltungsgericht Meiningen vom 26. September 2019 – „…die Auseinandersetzung in der Sache, und nicht – auch bei polemischer und überspitzter Kritik – die Diffamierung der Person im Vordergrund!“) darf er in einem speziellen Zusammenhang ganz offiziell als „Faschist“ bezeichnet werden. Die Meinungsfreiheit sei in diesem Falle nicht durch Persönlichkeitsrechte eingeschränkt. Das Landgericht Hamburg relativierte dies im März 2020 insofern, dass Herr Höcke „über die Zulässigkeit einer konkreten Meinungsäußerung in einem konkreten Kontext“ als ein solcher bezeichnet werden darf. Es muss also mit einer Klage gerechnet werden, wie es auch der Berliner FDP-Fraktionsvorsitzende Sebastian Czaja am eigenen Leib zu spüren bekam. Bleiben wir deshalb bei der verfassungsgerichtlichen Einstufung.
Die ehemalige Parteisprecherin der AfD, Frauke Petry, beantragte kurz vor ihrem Parteiaustritt im September 2017 Höckes Ausschluss aus der Partei, nachdem dieser in seiner Dresdner Brandrede vor der Jungen AfD von einer „dämlichen Bewältigungspolitik“ und einer „erinnerungs-politischen Wende um 180 Grad“ sprach. Das Thüringer Landesschieds-gericht wies diesen Antrag als „unbegründet“ zurück, was zu erwarten war. Höcke ist nach wie vor in den neuen Bundesländern beliebt, in den westlichen allerdings gehasst. Hier befürchtet man durch die extremen Aussagen des Kollegen aus dem Osten den Wegfall der Stimmen aus dem bürgerlichen Lager. Der dortigen Parteibasis, die nicht dermassen rechts einzuordnen ist, wie in den ostdeutschen Bundesländern.
Björn Höcke war es im übrigen, der mit seiner Resolution zur Europa-ausrichtung der Partei („Europa neu denken“) für den Abbruch des Partei-tages sorgte. Darin enthalten die Forderung der „einvernehmlichen Auf-lösung der Europäischen Union“ („fehlgeleitetes und dysfunktionales politisches Gebilde“), der „Ausgleich mit Russland“ (vom „Ukraine-Konflikt“ war die Rede, nicht vom Krieg – Delegierte befürchteten die Übernahmen der russischen Propaganda) und die „Hinwendung zu eurasischen Ländern“ anstatt zur USA. Auch darin enthalten die Aussage, dass die EU „unsere geschlechtliche Identität, unsere kulturelle Identität, unser Menschsein“ nehme und „Angriffe auf unseren Wesenskern als Deutsche und Europäer“ vollziehe. Das ist in der Tat starker Tobak! Angeblich soll Ehrenvorsitzender Gauland an der Resolution mitge-schrieben haben. Die Parteispitze wollte diese zur weiteren Überarbeitung an den Fachausschuss bzw. den Parteivorstand weiterleiten, was abge-lehnt wurde. Nachdem die Stimmung immer mehr kippte, beantragte Bundestagsabgeordneter Kay Gottschalk das Ende des Parteitages, was ebenfalls abgelehnt wurde. Also wurde er abgebrochen bzw. wie es Chrupalla bezeichnete, nach einem Votum der Delegierten mit 56 zu 44 % beendet. Tino Chrupalla und Alice Weidel, die nach dem Abgang von Jörg Meuthen bereits die Partei leiteten, wurden jedoch am Tag zuvor als Parteisprecher im Amt bestätigt. Weidel mit 67,3, Chrupalla mit 53,45 %. In den Vorstand gewählt wurde allerdings die Verschwörungsideologin Christina Baum, eine enge Vertraute Höckes, mit der Alice Weidel wiederum nicht gut kann. Experten sprechen deshalb vom „Strippen-zieher“, „Schattenführer“ und einer Parteispitze „von Höckes Gnaden“.
Alice Weidel hatte bei diesem Parteitag ein Kooperationsverbot für Mitglieder des rechts-extremen Vereins „Zentrum Automobil“ beantragt. Dies wurde abgelehnt. Ebenfalls abgelehnt wurde die Unvereinbarkeit der rechten Gewerkschaft „Zentrum“ mit der AfD. Kritiker befürchten, so lange Mitglieder dieser „Vorfeldorganisationen“ auch in der AfD tätig sind, bleibe der Verfassungsschutz bei seiner Einstufung der AfD als Verdachts- und Beobachtungsfall. Hierauf antwortete Höcke mit dem Zitat von oben! Höcke war es zudem, der die meiste Redezeit am Pult bekam bzw. sich nahm.
Selten zuvor war die Partei dermaßen gespalten. Nicht erstaunlich alsdann auch der Ausspruch Chrupallas von „vulgären Zeltpinklern“, schliesslich fürchtet er um die bürgerliche Fassade der Partei, die nach der Ankündigung des Verfassungschutzes nach nachrichtendienstlicher Überwachung massivst an gemässigten Wählern verloren hat. Das zeigt sich nun auch parteiintern: Aus diesem Bereich fehlt der Nachwuchs! Immer mehr eindeutig dem rechten Lager Zugehörende strömen nach. Deshalb gilt die Führungsspitze Chrupalla/Weidel als sehr instabil. Es war wohl eine Vernunftwahl der Delegierten, da sich die Partei immer mehr an den politisch rechten Rand bewegt. Wenn nun beispielsweise am Eingang Magazine mit Titeln wie „Männer der Waffen-SS“ verteilt werden, wird es nurmehr eine Frage der Zeit sein, wann die Partei verboten wird. Weidel zeigte sich angesichts dieser Magazine überrascht und gab an, nichts davon zu wissen.
Spaltungen sind bei der Alternative nichts neues. Die AfD wurde 2013 als neokonservative und wirtschaftsliberale Partei gegründet. Ein Jahr später (mit bereits 20.000 Mitgliedern) trat sie zur ersten Wahl an und errang grosse Erfolge und unzählige Sitze in den hohen Hausern. Im Jahre 2015 kam es zu den ersten Richtungskämpfen. Funktionäre wie Alexander Gauland, Beatrix von Storch und Alice Weidel nutzten den Gegenwind zur Merkelschen Flüchtlingspolitik. Die bisherige Ausrichtung wurde zugunsten einer rechtspopulistischen aufgegeben. Viele Mitglieder, die die neue Partei tatsächlich als Alternative zu den bestehenden Parteien sahen, kündigten ihre Mitgliedschaft und traten aus. Darunter auch Gründungsmitglied Bernd Lucke und der Unterstützer Hans-Olaf Henkel. Viele Splittergrupen spalteten sich ab. Bernd Lucke gründete die „Allianz für Fortschritt und Aufbruch“, die jedoch politisch nicht mehr relevant erscheint.
2016 kam es in Baden-Württemberg zum Eklat. Verantwortlich dafür zeichnete der Fall Gedeon. Der baden-württembergische Landtags-abgeordnete Wolfgang Gedeon hatte sich in seinen Bücher klar antisemitisch geäussert und den Holocaust geleugnet. Der Fraktionschef der Landespartei, Jörg Meuthen, forderte deshalb ein Parteiaus-schlussverfahren. Als die dafür erforderliche Mehrheit ausblieb, kam es zu einer Spaltung der Fraktion. Im Landtag waren plötzlich zwei AfD-Fraktionen vertreten. Zuerst erkannte der AfD-Bundesvorstand die Gruppe von Meuthen als AfD-Fraktion an, wenig später jedoch bekannte sich die neben Meuthen zweite Bundessprecherin Frauke Petry nicht zur Meuthen’schen „Alternative für Baden-Württemberg“ sondern zu den verbliebenen AfD-Abgeordneten unter Heiner Merz. Ein klares Zeichen für den bestehenden Machtkampf zwischen den beiden Bundessprechern. Im September 2016 rauften sich die beiden Fraktionen in einer gemeinsamen Klausur wieder zusammen, nachdem Meuthen inzwischen Gegenwind aus seiner Gruppe verspürte. Wolfgang Gedeon und auch Stefan Räpple wurden übrigens nach mehreren Ordnungsrufen der Land-tagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) von mehreren Sitzungen ausgeschlossen. Polizisten brachten die beiden aus dem Sitzungssaal, nachdem sie sich geweigert hatten, diesen zu verlassen. Das Landes-verfassungsgericht beurteilte diesen Ausschluss ein Jahr später als rechtens. Wolfgang Gedeon blieb zwar Parteimitglied, gehörte aber nicht mehr der AfD-Fraktion an. Er und Räpple wurden schliesslich im März 2020 durch das Bundesschiedsgericht bzw. das Landesschiedsgericht aus der Partei ausgeschlossen.
2017 verliess auch Frauke Petry, die bis dahin als Bundessprecherin agierte, die Partei. Gemeinsam übrigens mit ihrem Bundestagskollegen Mario Mieruch. Zuvor hatte sie die „Blaue Partei“ gegründet, die jedoch ebenfalls keine politische Rolle mehr spielte. Sie sass jeweils bis zur nächsten Wahl als Fraktionslose im Landtag von Sachsen bzw. dem Deutschen Bundestag.
2018 trat der Bundestagsabgeordnete Uwe Kamann aus Protest gegen die rechtsextremen Tendenzen in der Partei aus. Er sass bis zur nächsten Wahl für die Liberal-Konservativen Reformer (LKR) im Bundestag. Sie geht auf den ehemaligen AfD-Gründer Bernd Lucke zurück.
Im Juli 2019 folgte bei seinen ehemaligen Kollegen in NRW ein Richtungs-streit. Der Landesparteitag musste vorzeitig abgebrochen werden, nachdem der bisherige stellvertretende Vorsitzende Helmut Seifen mit einem Grossteil des Landesvorstandes (neun von 12 Mitgliedern) zurück-getreten war. Dem voraus ging ein erbitterter Machtkampf mit Thomas Röckemann, der als Sympathisant des Flügels gilt. Auf dem vorgezogenen Parteitag in Warburg erreichten mehrere Anträge auf die Abwahl der drei verbliebenen Führungsspitzen keine Mehrheit. Seifen galt als gemässigt. Der Landesverband NRW ist mit 5.300 Mitgliedern der grösste Landes-verband der AfD.
Jörg Meuthen, der als Vertreter des Lucke’schen konservativen Liberalismus gilt, verlor nach und nach den Rückhalt in der Partei. Nicht zuletzt deshalb, da er sich gegen die rechtsextremen Tendenzen zur Wehr setzte. So initiierte er eine Kampfabstimmung für den Partei-ausschluss des Landesvorsitzenden aus Brandenburg, Andreas Kalbitz. Dieser war nicht nur Mitglied des Flügels von Björn Höcke, sondern auch bei einigen rechtsextremistischen und neonazistischen Organisationen, wie beispielsweise der inzwischen verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend. Die Kampfabstimmung endete mit 5:7 Stimmen für den Ausschluss. Dafür stimmte neben Meuthen auch Beatrix von Storch, dagegen Alice Weidel und Kalbitz-Freund Tino Chrupalla, der es nun selbst mit dem Sturm von rechts zu tun bekommt. Im Frühjahr 2022 schliesslich trat auch Jörg Meuthen aus der Partei aus.
Es gilt inzwischen als offenes Geheimnis, dass die neue alte Bundes-Führungsspitze bereits auf dem Parteitag „demontiert“ (Kay Gottschalk) wurde. Ehrenvorsitzender Alexander Gauland mahnt zur Beendigung der Streitereien und der Einigung der Partei. Dabei stärkt er dem neuen Bundesvorstand unter Weidel und Chrupalla den Rücken, obgleich er die Europa-Resolution von Björn Höcke mitverfasst hatte. Am 09. Oktober 2022 finden die nächsten grossen Landtagswahlen statt – in Nieder-sachsen. Inwieweit dieser Bundesparteitag hier Einfluss haben wird, sollte sich zeigen. Der bisherige Landesvorsitzende Jens Kestner, der „zu den rechten Kräften gezählt“ (FAZ) wird, kämpfte verbissen um das Amt, trat jedoch nicht mehr zur Wahl an. Gegen ihn läuft ein Parteiaus-schlussverfahren. Der derzeitige Landesvorsitzende Frank Rinck gehört ebenso wie sein Stellvertreter Ansgar Schledde dem gemässigten Lager an.