ADHS – keine Zeit zum Lesen
Ein spezieller Bereich interessierte mich während meines Studiums am meisten: Die Persönlichkeits- und Differentielle Psychologie! Die „Erklärung der zumeist zeitstabilen, individuellen Besonderheiten des Erlebens und Verhaltens der Menschen“ – ihre Persönlichkeit! Ich machte es mir damals zum Hobby, alle Menschen aus meinem Umfeld zu ana-lysieren und diagnostizieren. Bei manchen gar mit einer ganzen Test-batterie, sofern sie einwilligten. Als ich zu dem Ergebnis kam, dass nahezu jeder eine psychische Störung vorzuweisen hat, liess ich davon wieder ab, wollte ich meine Zeit doch auch noch für das Studium verwenden. Dennoch macht es mir auch heutzutage noch ab und an Spass, Menschen, mit denen ich täglich zu tun habe, somit auch viel Zeit verbringe, psychologisch zu durchleuchten. Dabei ist mir bei einigen aufgefallen, dass ADHS allen Anscheins nicht nur im Kindesalter vor-kommt. Rund 15 % der Erwachsenen weisen Symptome auf, die auf ADHS zurückgeführt werden könnten. Ist es etwa ein Zeichen unserer schnell-lebigen Zeit oder ist da gar eine Störung im Vormarsch, die zwar nicht unmittelbar lebensgefährlich werden kann, dennoch aber ihre Spuren hinterlassen wird?
Ist Ihnen bei ihrem letzten Gespräch auch aufgefallen, dass sie häufig unterbrochen werden, mit Argumenten, die Sie bereits zuvor in die Diskussion einbrachten? Das kann mehrere Ursachen haben, etwa dass Sie sich missverständlich äusserten oder beispielsweise dass Ihr Gegen-über einfach nicht aufgepasst hat! Weshalb hat er Ihnen nicht zugehört? Schlechte Umgangsformen wie Unhöflichkeit bzw. mangelnde Wert-schätzung oder haben Sie etwa dessen Aufmerksamkeitsspanne über-schätzt? Kann er sich schlichtweg nicht konzentrieren?
Hyperaktivität, Impulsivität oder auch Unaufmerksamkeit – ja: Es könnte ADHS dahinterstecken. Auch im Erwachsenenalter, obgleich sich die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung bei den meisten jungen Menschen auf ihrem Weg in das Erwachsen-Sein bessert. In der Kindheit allerdings ist ADHS sicherlich eine der wohl häufigsten psychischen Störungen. Dabei kann sie schon mal nicht nur der davon betroffenen Person, sondern all ihrem Umfeld das Leben zur Hölle machen. Übrigens leiden mehr Burschen als Mädchen in ihrer Kindheit unter ADHS.
Nicht immer jedoch treten das Aufmerksamkeitsdefizit und die Hyper-aktivität gemeinsam auf. In diesem Falle spricht man nur von ADS (Auf-merksamkeitsdefizitsyndrom).
Wie nun äussert sich ADHS im Einzelnen, was sind Anzeichen für diese Störung?
a.) Die Unaufmerksamkeit
Die betroffene Person ist leicht abzulenken, macht Flüchtigkeitsfehler und hört vor allem nicht richtig zu. Ganz allgemein ist zu bemerken, dass die Fähigkeit des „Sich-Konzentrierens“ sehr schwer fällt. Begonnene Tätig-keiten werden vorzeitig abgebrochen, in den Vordergrund treten anstatt dessen vergessen und verlieren.
b.) Die Ungeduld
ADHS-Patienten können sich in keiner Reihe einordnen. Sie können es nicht erwarten, endlich Gehör zu finden, unterbrechen ihren Gegenüber und beantworten eine Frage, bevor diese überhaupt gestellt wurde.
c.) Die Hyperaktivität
Ruhig sein und sitzen bleiben – ganz und gar nicht das Ding der Betroffenen. Von einer endlos scheinenden Unruhe und Rastlosigkeit überwältigt, laufen sie gerne orientierungslos durch den Raum, zappeln auf dem Stuhl, klettern auf Gegenständen herum. Zudem verhalten sich ADHS-Patienten wesentlich lauter als andere Menschen. Umso mehr Reize auf die Betroffenen einströmen, umso lauter werden sie zumeist.
d.) Sozialverhalten
Die vorhergehenden drei Punkte lassen selbstverständlich darauf schliessen, dass darunter auch das Sozialverhalten der Menschen leidet. Dies äussert sich zumeist durch Depressionen, aber auch durch Ängste.
Während Experten bei Erwachsenen mit ADHS beobachteten, dass die Hyperaktivität zurückgeht, sinkt bei den meisten davon auch die Auf-merksamkeit, die Konzentration und die Organisation. Was hingegen bleibt, ist die Impulsivität, der Rededrang und das ständige Unterbrechen der anderen. Gefährlich insofern kann die Störung deshalb sein, da sie weitere begünstigen kann: Adipositas, Süchte (Spielsucht, Internetsucht, Sexsucht), Depressionen, Tics aber auch die Abhängigkeit von Drogen und Alkohol. Kinder bzw. Jugendliche mit ADHS hingegen sind meist aggressiv, trotzig und auflehnend gegenüber Regeln und Gesetzen. Dies führt oftmals zu Problemen mit Gleichaltrigen und in der Schule. Auch besteht vor allem im Jugendalter vermehrt Suchtgefahr (Drogen, Alkohol, Nikotin). Entwickelt sich die Störung nicht zurück, übernehmen rund 50 % diese Verhaltensweisen auch in das Erwachsenen-Leben, was zu Konflikten mit dem Partner oder am Arbeitsplatz führen kann. Dabei sind Wutausbrüche und Gereiztheit nicht selten, oftmals einhergehend mit mangelndem Respekt vor anderen und einer Ich-bezogenen Sicht der Wahrheit. Faktoren, die besonders im Strassenverkehr sehr gefährlich werden können.
Nach den Erscheinungsformen und Anzeichen dieser psychischen Erkrankung, begeben wir uns nun bei der Suche nach der Ursache in die Spekulation, da sich die Forscher hierbei nach wie vor nicht einig sind. Wissenschaftlich erwiesen sind inzwischen die Vererbung und der Transport des Neurotransmitters Dopamin in den Hirnzellen und dabei vornehmlich im Hippocampus, dem Zentrum des Lernens und des Gedächtnisses. Der Botenstoff wirkt überwiegend erregend im Zentralen Nervensystem. Doch dann gehen die Meinungen auseinander:
– Brain Network Dysfunction
Diese Theorie sieht eine Ursache in Problemen in den Verbindungs-netzwerken des ZNS (Zentralen Nervensystem)
– Social Change
Weniger wissenschaftlich fundiert ist die Theorie, wonach gesellschaftliche Veränderungen ADHS zumindest teilweise mitwirken können. Dies wären beispielsweise Leistungsorientierung, Reizüber-flutung, Bewegungsmangel,…).
Nachdem die Ursachen nicht ausreichend geklärt sind, sind auch Risikofaktoren nur Vermutungen: Ernährung, Probleme bei der Geburt oder auch Alkohol- bzw. Drogenkonsum während der Schwangerschaft.
Für die eindeutige ADHS-Diagnose bei Kindern und Jugendlichen müssen viele Faktoren in die Krankengeschichte (Anamnese) einbezogen werden: Familiäre Probleme, Unterforderung, Unruhe oder mögliche Trauma-tisierung des Kindes etc. Daneben könnte auch eine körperliche (bei-spielsweise Schilddrüsenüberfunktion, Hör- oder Sehschwierigkeit) oder psychische bzw. neurologische Erkrankung, aber auch eine einfache Schlafstörung ursächlich sein. Klar abzugrenzen ist das altersgerechte und somit normale Verhalten des Kindes. Deshalb sollte eine Diagnose-stellung nicht vor dem dritten bzw. vierten Lebensjahr des Betroffenen erfolgen. Grundsätzlich jedoch müssen mehrere Kriterien für eine ADHS-Diagnose bei Kindern erfüllt sein:
– Mindestens sechs Anzeichen der Unaufmerksamkeit
– Mindestens drei Anzeichen der Hyperaktivität
– Mindestens ein Anzeichen von Impulsivität
– Bereits vor dem Erreichen des siebten Lebensjahres
Derartige Verhaltensauffälligkeiten müssen über zumindest sechs Monate und in unterschiedlichen Umgebungen vorliegen. Zudem muss der Alltag dadurch stark beeinträchtigt sein.
In der anschliessenden Therapie wird alsdann dem Elterncoaching (Psychoedukation) eine Schlüsselrolle zuerkannt. Zusätzlich muss die Schule einbezogen werden. Erst dann sollte eine medikamentöse (etwa mit Methylphenidat) und/oder psycho- bzw. ergotherapeutische Betreuung erörtert werden.
Ähnliches gilt auch bei Erwachsenen. Bei mehreren Untersuchungs-terminen werden andere psychische Erkrankungen, wie etwa eine bipolare Störung oder eine dissoziale bzw. emotional-instabile Persönlichkeits-störung ausgeschlossen. CT, MRT und EEG sollen zudem Aufschluss über eine mögliche neurologische Ursache geben. Die Kriterien für eine ADHS-Diagnose bei Erwachsenen sind:
– Auffälligkeiten seit der Kindheit
– Mindestens sechs Anzeichen für Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität
– Probleme in mehreren, unterschiedlichen Lebensbereichen
– Starke Beeinträchtigung des Alltags
In einem klärenden Gespräch mit dem Arzt wird dieser zudem mögliche Selbsthilfegruppen bzw. eine entsprechende Psycho- und medikamentöse Therapie erläutern.
ADHS ist in der „Internationalen statistischen Klassifikation der Krank-heiten und verwandter Gesundheitsprobleme“ (ICD) in der Gruppe ICD-10 F90.0 oder im „Diagnostic and statistical Manual of Mental Disorders“ (DSM) in der Gruppe DSM IV 314.01 zu finden. Für ADHS bei Erwachsenen werden zumeist die „Wender-Utah-Kriterien“ zur Diagnoseerstellung verwendet.
ACHTUNG:
Dieser Text ist nicht für eine Selbst-Diagnose geeignet. Sollte einiges hierin Erwähnte bei Ihnen zutreffen, ziehen Sie bitte einen Arzt Ihres Vertrauens hinzu!
Lesetipps:
.) ADHS bei Erwachsenen – ein Leben in Extremen; Martin D. Ohlmeier/ Mandy Roy; Kohlhammer Verlag 2012
.) ADHS im Erwachsenenalter: Symptome-Differenzialdiagnose-Therapie; Schattauer 2014
.) ADHS im Erwachsenenalter – Strategien und Hilfen für die Alltags-bewältigung; Wolfgang Retz/Roberto D’Amelio/Michael Rösler; Kohl-hammer 2015
.) Psychotherapie der ADHS im Erwachsenenalter: Ein Arbeitsbuch; Bernd Hesslingeer/Alexandra Philipsen/Harald Richter; Hogrefe Verlag 2004
.) ADHS und komorbide Erkrankungen: Neurobiologische Grundlagen und diagnostisch-therapeutische Praxis bei Kindern und Erwachsenen; Freitag/Retz (Hrsg.); Kohlhammer 2007
.) Handbuch ADHS; Hans-Christoph Steinhausen (Hrsg.); Kohlhammer 2009
.) Neuropsychotherapie der ADHS; Cordula Neuhaus/Götz-Erik Trott; Annette Berger-Eckert; Simone Schwab; Sabine Townson; Verlag W. Kohlhammer 2009
.) Das konzentrationsgestörte und hyperaktive Kind – H.C. Steinhausen (Hrsg.); Kohlhammer 1982
.) Training für Kinder mit Aufmerksamkeitsstörungen; C. Jacobs/F. Petermann, Hogrefe 2013
Links:
– www.adhs-ratgeber.com
– www.adhs.info
– www.zentrales-adhs-netz.de
– adhs-deutschland.de
– www.zi-mannheim.de
– www.kinderaerzte-im-netz.de
– www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org
– www.gesundheit.gv.at
– www.gesundheitsinformation.de