Krieg auf der Überholspur des Datenhighways
Wenn im russischen Staatsfernsehen plötzlich die ukrainische Flagge gezeigt und die ukrainische Nationalhymne abgespielt wird, so steckt sicherlich in diesen Zeiten kein menschliches Versagen dahinter, sondern pure Absicht. Hätte ein Praktikant versehentlich den falschen Knopf gedrückt, so wäre er nicht nur sofort seinen unbezahlten Job los, sondern stünde höchstwahrscheinlich auch wegen Hochverrates vor einem Militärgericht Putins. Nein – der Urheber einer solchen Szene sitzt irgendwo auf dieser Welt, in einem abgedunkelten Keller, vor mehreren Bildschirmen, einer Tastatur und einer Maus: Ein Hacker der Vereinigung „Anonymous“. Manche übrigens sind kaum älter als der vorhin ange-sprochenen Praktikant. Kriege werden heute vor allem im weltweiten Web ausgetragen und hier sind ja bekanntlicherweise die Möglichkeiten nahezu unbegrenzt. So wurden beispielsweise die US-amerikanischen Drohnen in Afghanistan von Rammstein/Deutschland aus gesteuert. Freilich unter Zuhilfenahme von Militärsatelliten, damit es schneller ging.
Auch die Invasion Russlands in der Ukraine war bereits monatelang zuvor im Internet vorbereitet worden: Durch Putins Troll-Fabrik. Kampagnen mit eindeutiger Desinformation und Furchtszenarien wurden bereits gefahren, als der erste russische Feldschuh noch weit entfernt der russisch-ukrainischen Grenze seinen Dienst versah. Zu diesem Schluss kam der 2020 eingesetzte „Sonderausschuss zur Einflussnahme aus dem Ausland auf alle demokratischen Prozesse in der EU“ des Europa-parlaments. Und – offenbar stehen ausgerechnet hier Tür und Tor sperr-angelweit offen. So konnten Schwachstellen aufgezeigt werden, die perfekt für das Einschleusen von Falschmeldungen geeignet sind und dadurch Unruhe stiften können. Viele sind davon auch dafür genutzt worden. Doch hat nicht nur Brüssel diese Probleme. Gewarnt werden vor allem nationale Stellen. Namentlich erwähnt wird dabei die Finanzierung der AfD in Deutschland. Das Ausschussmitglied Sabine Verheyen (CDU) berichtet u.a von einer Propaganda-Maschinerie mit „extremer Raffinesse und unzähligen Formen“. Aber auch von einer sog. „Landsmannpolitik“, wodurch die vielen russischstämmigen Menschen ausserhalb des Landes (v.a. in den baltischen Staaten und den östlichen EU-Mitgliedsländern) vom Konzept der „russischen Welt“ angesprochen und überzeugt werden sollen. Wie es zuvor der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bereits praktizierte.
Am Tag vor dem Einmarsch der russischen Truppen wurde eine Wiper-Schadsoftware aktiviert. Sie war bereits vorinstalliert – bei Unternehmen, die mit der ukrainischen Regierung zusammenarbeiten. Es handelt sich dabei um eine Software, die grossflächig Löschungen vornimmt. Das betrifft nicht nur einzelne Rechner sondern auch Server und damit ganze Netzwerke.
Die Kampfkraft dieser speziellen Soldaten wurde bereits mehrfach – vor-nehmlich bei Wahlen – unter Beweis gestellt. So sind etwa die Umstände der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten und die Rolle Russlands dabei nach wie vor noch nicht endgültig geklärt. Alsdann hatten die Russen beim Brexit ihre Finger im Spiel. Während der Pandemie stiessen die gefakten Zweifel an der Qualität der westlichen Impfstoffe auf offene Ohren der Impfgegner. Die grüne Europaabgeordnete Viola von Cramon fürchtet vor allem die bewusst geführte Desinformation der Bevölkerung in der westlichen Hemisphäre. Viele übernehmen diese Fakes 1:1 und glauben fest daran, anstatt dies zu hinterfragen und sich über einen anderen Info-Kanal abzusichern. Hierzu zählen u.a. die nachgewiesen gelogenen Aus- bzw. Zusagen Wladimir Putins. Von Cramons bezeichnet dies als „Hybride Kriegsführung“. Auch der MEP der österreichischen Sozialdemokraten, Andreas Schieder, spricht von einem Info-Krieg Putins, der schon „seit vielen Jahren“ laufe. Zudem – ebenfalls im Abschluss-bericht des Ausschusses enthalten – kooptiere Russland Eliten im Westen. Hier erwähnt seien etwa die ehemaligen österreichischen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, Alfred Gusenbauer und Christian Kern, sowie allen voran der deutsche Ex-Kanzler Gerhard Schröder. Sie werden in Vor-stände und Aufsichtsräte deutscher und österreichischer Unternehmen oder russischer Ableger eingeschleust, damit sie vornehmlich ihre Kontakte bzw. vertrauliches Wissen zugunsten Russlands nutzen sollen. Dies sei heute aber nur am Rande erwähnt.
Die breite Öffentlichkeit wird durch die Trolle vornehmlich über die sozialen Medien hysterisiert. Fake-Accounts, -Likes und -Posts, Drohungen, Hassmeldungen gegenüber Politiker, Journalisten, Wissen-schaftler etc. – nicht hinter jedem Post steckt ein der deutschen Sprache nicht kundiger Rechtsextremer. Experten sprechen in diesem Zusammen-hang von der „Erschaffung einer Scheinöffentlichkeit“ mit dem Ziel, Stimmung zu machen. Es soll gar ein künstliches Chaos geschaffen werden, wodurch die Bevölkerung das Vertrauen in ihre politischen Vertreter verliert. Litauen hat bereits hierauf reagiert und mit der Platt-form debunk.eu eine Faktencheck-Website geschaffen, wo so manche Aussage überprüft werden kann. Die Macher nennen sich selbst „Die litauischen Elfen“. Auch die EU hat schon im Jahr 2015 die Gegen-massnahme „East Stratcom Taskforce“ online gestellt, damit Falsch-meldungen durch den Faktencheck gejagt werden können. Sie ist jedoch nahezu unbekannt, während die litauischen Elfen immer mehr Zulauf bekommen.
Cyber-Attacken hingegen finden auf einer weitaus höheren Ebene statt. So beschuldigten die USA schon unter Trump, aber auch unter Biden den militärischen Geheimdienst Russlands GRU der tatkräftigen Beteiligung an diesen Operationen. Inhalt solcher Angriffe sind zumeist Infrastrukturen wie Elektrizitätswerke, Wasserversorger, medizinische Einrichtungen und Medienunternehmen, aber auch Rüstungsbetriebe oder Global Player sowie Banken. Otto Normalbürger steht dem hilflos gegenüber – er bemerkt nur deren Auswirkungen. Um diese Front kümmern sich die Mitglieder von Anonymous. Hacker aus aller Welt haben sich auf Seiten der Ukraine gegen Putins Trolle eingeschaltet. So war am 26. Februar des Jahres auf Twitter zu lesen:
„Ukrainian people we are at your side. Anonymous is against this war. We will all do our best to help the Ukrainian people. We cannot let this attack go unpunished!“
Übrigens ging dem Ganzen ein Hilferuf des stellvertretenden Premier-ministers und Digitalministers der Ukraine, Mykhailo Fedorov, voraus, der über Telegram digitale Talente für eine IT-Armee suchte. Bekannt wurde die Gruppierung vornehmlich aufgrund ihrer Maske: Ein grinsendes, weisses Männergesicht mit Schnurrbart („Guy Fawkes Maske“). Niemand kennt sie. Keiner weiss, wo sie umgehen. Auch untereinander weiss niemand bescheid über die wahre Identität des Anderen. Nur deren Nicknames sind bekannt. Vor allem die Untergruppierung „OpRedScare“ greift via Tastatur und Maus in den Cyberkrieg gegen Russland ein. Sie knacken so manche Firewall ohne Probleme, andere Zugänge dauern etwas länger, sind aber ebenfalls nicht sicher vor einem Zugriff. Auf ihr Konto geht u.a. das vorhin bereits erwähnte russische Staatsfernsehen, aber auch das russische Verteidigungsministerium, der Energiekonzern Gazprom und russische sowie belarussische Infrastruktur. Innerhalb von nur 72 Stunden waren über 1.500 Websites offline sowie das Passwort des russischen Verteidigungsministers geknackt. Nicht jedoch jene von medizinischen oder Bildungseinrichtungen – Anonymous sieht sich auf der Seite der Zivilbevölkerung. Die russischen Trolls versuchen die Anonymous-Hacker mit sog. „Honeypots“ zu ködern. Webseiten, die eigens online geschalten wurden, um an die Urheber derartiger Zugriffe zu gelangen. Nicht zuletzt deshalb müssen Neuankömmlinge bei Anonymous ein schwieriges Aufnahmeprozedere durchstehen, damit sie zum Einen nicht sofort ausfindig gemacht werden können und schliesslich die Gefahr ausgeschlossen wird, sich hier einen Wolf im Schafspelz einzufangen. Anonymous hat sich auf DDoS-Attacken (Distributed Denial of Service) spezialisiert. Hierbei werden Server von unterschiedlichen Rechnern grossflächig mit Anfragen geflutet, bis sie zusammenbrechen. Dies kann durchaus auch über den Laptop im heimischen Wohnzimmer der Familie Schmidt geschehen, da er nach wie vor auf einem Betriebssystem läuft, für das es keine Sicherheitsupdates mehr gibt oder auf dem keine Firewall und Sicherheitssoftware installiert wurde. Nach derartigen Attacken erscheint stets ein Bekennervideo der Gruppierung auf der geknackten Website. Die Russen reagierten erbost und sprechen von Angriffen des Westens. Dabei ist es nicht auszu-schliessen, dass der eine oder andere Angriff von einem Russen oder einem Chinesen durchgeführt wurde. Ein amerikanischer Hacker wurde durch das FBI angeschrieben. Es habe erfahren, dass er an einer Cyberattack gegen Russland beteiligt gewesen sei. „Gute Arbeit!“
So witzig und trivial dies auch klingen mag, sollte dem Cyber-Krieg grösste Aufmerksamkeit zukommen! Beispiel? Die Ukraine betreibt an vier Standorten insgesamt 15 Kernreaktoren. Ein. Atomkraftwerk muss nicht beschossen werden, wie zuletzt Saporischschja. Es genügt ein Hacker, der im besten Fall „nur“ den Reaktor runterfährt. Zwei Drittel des ukrainischen Stroms wird in Kernkraftwerken produziert. Worst Case jedoch ist hierbei das Hinauffahren des Reaktors über seine Kapazitäts-grenzen. Die Folge wäre im Extremfall ein Supergau wie damals bei Tschernobyl, das ebenfalls in der Ukraine steht. Putin hätte damit eine Atomkatastrophe ausgelöst, ohne auf sein A-Waffen-Arsenal zurück-zugreifen. Ganz Europa wäre – wie auch in den 1980er Jahren – davon betroffen. Darunter jedoch weite Teile Russlands! Die Tat eines Wahn-sinnigen! Doch: War der Beschuss des AKW etwas anderes???
Der wirklich grosse Cyberkrieg hat bislang noch nicht stattgefunden. Nachdem für den russischen Staatspräsidenten die Invasion nicht wirklich so läuft wie geplant, ist die Gefahr sehr gross, dass dies noch geschehen könnte.
Wie im realen Leben gilt auch auf dem Datenhighway der Grundsatz:
Im Krieg gibt es nur Verlierer!