Krieg in Europa

„Von wem in Gottes Namen glaubt Putin das Recht erhalten zu haben, neue Staaten auszurufen auf Gebieten, die seinem Nachbarn gehören!“
(Joe Biden, US-Präsident)

Es ist geschehen! Der russische Staatspräsident Wladimir Putin hat mit der Invasion in der Ukraine begonnen. Seine Rechtfertigung: Selbst-verteidigung, Schutz der russisch-stämmigen Menschen in der Ost-ukraine, Friedensschaffung in den Gebieten Donezk und Luhansk und die Entnazifizierung der ukrainischen Regierung in Kiew.
Noch vor wenigen Tagen war aus dem Kreml zu vernehmen, kein militärisches Eingreifen in der Ukraine zu planen. Wie auch damals bei der Halbinsel Krim und der Ostukraine hat sich jedoch erneut heraus-gestellt, dass diese Zusagen das Billig-Papier nicht wert waren, auf dem diese Aussagen gedruckt wurden. Putin hat wie schon so oft, sein Wort gebrochen. Möglicherweise da er einen Gesichtsverlust in Russland selbst befürchtet. Die Medien dort sind allesamt staatlich geführt, die wenigen unabhängigen haben keine Bedeutung. Damit erfährt die russische Bevölkerung auch nur eine Version der Situation, kann sich nicht über mehrere Kanäle informieren und selbst eine Meinung bilden. Umso erstaunlicher und lobenswerter, ja heroischer sind die Demonstranten, die dennoch in Russland auf die Strassen gehen um gegen den Krieg zu protestieren – auch wenn sie dafür festgenommen und für unbestimmte Zeit in einem der vielen Gefängnisse verschwinden werden. Zuletzt waren es in 44 Städten tausende Menschen – 1700 wurden festgenommen.
Putin will als starker Mann verstanden werden, der Russland von seinen Feinden befreit und die einstige Sowjetunion wiedervereint (er bezeichnet die Auflösung der Sowjetunion nach wie vor als „„größte geopolitische Katastrophe“ des Jahrhunderts“). Will er damit möglicherweise der immer stärker werdenden Opposition den Wind aus den Segeln nehmen? Der inhaftierte Regime-Gegner Alexei Anatoljewitsch Nawalny liess verlauten, dass er sich gegen diesen Krieg ausspricht! Nachdem sich die Duma für die Anerkennung der beiden sogenannten „Ostukrainischen Volks-republiken“ und den militärischen Einsatz im Nachbarstaat aussprach und dies mit Applaus verabschiedete, könnte Nawalny die einzige wichtige und beachtete Gegenstimme sein – das wird ihn sicherlich nicht zu einer vorzeitigen Begnadigung verhelfen.
Putin wurde durch seine Entscheidung zum Aggressor, zum Despot, zum Kriegsverbrecher, der sich nicht davor scheut, seine Interessen mit Waffengewalt auch in anderen Staaten durchzusetzen.

„…, da der russische Präsident sich für Krieg entschieden hat.“
(Emmanuel Macron, franz. Staatspräsident)

Ich gehe gar noch einen Schritt weiter: Putin rechtfertigt damit die durch die USA unterstützte, jedoch misslungene Invasion Kubas in der Schweinebucht am 17. April 1961, als Exilkubaner mit Hilfe der CIA versuchten, die Insel zu übernehmen. Die USA befürchteten damals durch die Aufrüstung Fidel Castros mit massiver sowjetischer Hilfe ebenfalls einen Angriff auf ihr Land.
Der Angriff Russlands konzentriert sich nicht auf die beiden Problem-regionen sondern betrifft militärische Stützpunkte im ganzen Land. Damit ist das Argument der Friedensstiftung und des Schutzes der russisch-stämmigen Bevölkerung hanebüchen – an den Haaren herbeigezogen. Dieser Krieg wird viele, auch zivile Menschenleben kosten, ein mög-licherweise derart aufgebauter Frieden ein blutiges Fundament haben.
Das Argument der Selbstverteidigung hat sich ebenfalls erledigt, schliesslich verstärkt die NATO ihre Truppen in Polen und den baltischen Staaten massivst. Nun kann er sozusagen den Atem der Nordatlantik-paktes direkt im Genick spüren.
Die Ukraine ist dem „falschverstandenen Friedensstifter“ ohnedies ein Dorn im Auge. Bereits die Land-Gaspipeline durch die Ukraine nach Europa sorgte für zahlreiche Konflikte. Daneben zeigte sich Putin schon mehrfach als Anhänger Zar Alexanders III. So weihte er 2017 auf der drei Jahre zuvor annektierten ukrainischen Halbinsel Krim eine grosse Statue seines Vorbildes ein. Dabei sprach er von „einer Epoche nationaler Wiedergeburt“ als der von 1881 bis 1894 regierende Zar die Schwarz-meerflotte aufbaute und deren Stützpunkt auf der Krim festlegte. Alexander III. war es auch, der den Ausnahmezustand in der Ukraine ausrief, dort mit autokratischer Härte durchgriff und eine ukrainische Sprache, Geschichte und Staatlichkeit verboten hatte. Schon 2008 betonte Putin gegenüber George W. Bush, dass die Ukraine kein eigener Staat wäre. Er scheute sich auch in den Staatsmedien nicht davor, dies bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu wiederholen, sodass es Boris und auch Olga vom Lande nicht anders kennen. Dem jedoch widersprechen viele Experten und vor allem die Geschichte. So betont beispielsweise der Osteuropahistoriker Andreas Kappeler in seinem Buch „Kleine Geschichte der Ukraine“, dass sich die Ukraine jahrhundertelang eigenständig entwickelt habe. Der emeritierte Professor mit Lehrauftrag in Köln und Wien weist aufgrund der Sprache, Literatur und Staatlichkeit eine unter-schiedliche geschichtliche Entwicklung zwischen Russland und der Ukraine nach. Das Kiewer Reich wurde durch skandinavische Wikinger gegründet und bestand aus einem Verband von Fürstentümern, dem neben Kiew auch Minsk, Nowgorod und Smolensk angehörten. Kappeler zählt deshalb die Ukraine als ein Teil zu Polen-Litauen, während Moskau ursprünglich Teil des Mongolenreichs war. Deshalb entwickelte sich die Ukraine in der Geschichte zusehends in Richtung Westen, das Herr-schaftsideal in Richtung der französischen Revolution: Liberté, Egalité, Fraternité (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit). Moskau hingegen schottete sich ab, Russland wurde stets zentralistisch und autokratisch regiert. Putins Ansprache zur Annexion der Krim analysiert Kappeler in einem eigenen Kapitel seines Buches. Sein Resumee: „Falsche Behauptungen und Verdrehungen“! Historisch alleiniger Anspruch auf die Krim hätten alsdann die muslimischen Krimtataren!
Boris Jelzin, der Vorgänger Putins, war diesbezüglich wesentlich auf-geschlossener und moderner. Er hatte eine Kommission eingesetzt, die sich der tatsächlichen „nationalen Idee“ widmen sollte. Unter Putin hingegen wurde vieles der durch Michail Gorbatschow eingeleiteten Perestroika zugunsten des zaristischen, autokratischen Führungsstiles eingefroren.
Die Maidan-Revolution in der Ukraine brachte das Fass des Ex-KGB-Offiziers zum Überlaufen. Russland geht – ebenso wie die Sowjetunion damals – wirtschaftlich den Bach runter. Es droht der Abstieg von der Weltmacht zur Lächerlichkeit. Armut in grossen Teilen der Bevölkerung – der Kampf ums Brot gilt grundsätzlich als Auslöser der meisten Revolutionen. Maidan in Moskau – ein Schreckensbild, das der Autokrat mit allen Mitteln seit seinem Machtantritt zu verhindern versucht. Putins Ideale finden sich in einer zaristischen Grossmacht, die auf diesem Globus das letzte Wort zu sagen hat.

„Das, was wir uns in 1.000 Jahren erarbeitet haben, war zu einem bedeutenden Teil verloren!“
(Wladimir Putin zum 30. Jahrestag des Zusammenbruchs der UdSSR)

Obgleich der Diktator nach wie vor den Mitgliedsausweis der KPdSU besitzt, sind es wohl mehr die Ideale der Zarenzeit, die ihn faszinieren als jene des Kommunismus. Schliesslich müsste er ansonsten die ihm wohlgesonnenen, urkapitalistisch agierenden Oligarchen und seinen Palast am Schwarzen Meer (Kap Idokopas), seine Konten im Ausland etc. rechtfertigen.
Putin rief zuletzt die ukrainische Armee dazu auf, ihre eigene Regierung zu stürzen. Mit seiner Entscheidung zur Invasion in der Ukraine, hat sich Putin in die Liste der Kriegsverbrecher Im 20./21. Jahrhundert in Europa eingeordnet. Ob die Gesellschaft neben Hitler und Milošević erstrebens-wert ist, sei dahingestellt.
Mehr möchte ich heute gar nicht in die Materie einsteigen – die Lage ändert sich nicht nur von Tag zu Tag, sondern von Stunde auf Stunde. Nur möchte ich mit einer Überlegung schliessen, die wohl alles auf den Punkt bringt:
Michail Gorbatschow stand das Wasser bis zum Halse. Er machte das einzig richtige: Er zog die Reissleine. Aus dem erwarteten Chaos durch die Auflösung des Vielvölkerstaates Sowjetunion und des Ostblocks entstand eine Vielzahl an Nationalstaaten, die sich selbst entwickeln konnten – viele davon im Frieden, einige im Krieg. Doch Gorbatschow rettete Russland! Putin hingegen versucht, die Uhr mit aller Gewalt imperialistisch zurück zu drehen. Weit entfernt von Glasnost! Sei es beim Krieg in Georgien 2008 oder bei der Intervention in Tschetschenien 1999 bzw. jetzt in der Ukraine. Aber auch im Ausland: Syrien, Libyen, …! Nahezu überall wo Putin draufsteht, ist auch Putin drin: Waffengewalt und Krieg! Friedensstifter?
Wie lange hält ein Frieden, der mit Waffen erwirkt wurde?!

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