Telegram – rechts, rechtens oder nicht, das ist hier die Frage

„Wir unterstützen die Meinungsfreiheit und den friedlichen Protest, aber Terrorismus und Gewaltpropaganda haben bei Telegram keinen Platz!“
(Ein Repräsentant von Telegram 2019)

Viele von uns – so auch ich – konnten bis vor einigen Monaten nicht wirklich viel mit „Telegram“ anfangen. Social Medias und wie in diesem Falle auch Messengerdienste gibt es derer viele – man kann sie gar nicht mehr alle kennen, geschweige denn nutzen. Erst aufgrund der Demo-kratiebewegungen in Belarus und dem Iran, aber auch als die vielen Verschwörungstheoretiker und Rechtsradikalen auf den gängigen Platt-formen gesperrt oder gelöscht wurden, kam Telegram ins Spiel. Was steckt nun wirklich dahinter?
Telegram wurde durch die beiden Brüder Nikolai und Pawel Durov in Russland gegründet. Bereits zuvor versuchten sie, mit VK.com ein Gegenstück zu Facebook auf die Beine zu stellen. Pawel Durov befindet sich mitsamt seines Kernteams inzwischen in Dubai/Vereinigte Arabische Emirate (VAE). Auf Telegram konnten bislang zumeist ungestört bzw. unkommentiert Nachrichten versandt werden, die in manchen Fällen zur Gänze gegen bestehendes Recht in Deutschland und auch Österreich verstossen: Aufrufe zur Gewalt, zum Verstoss gegen Gesetze, Beleidigungen, Hassrede, Volksverhetzung und gar Morddrohungen! Während andere Plattformen wie Facebook, Twitter, WhatsApp etc. an regionale Gesetze gebunden sind und derartige Posts löschen müssen (Netzwerkdurchsetzungsgesetzes NetzDG in Deutschland bzw. Kommunikationsplattformen-Gesetz KoPl-G in Österreich), unterliess dies Telegram trotz mehrfacher Aufforderung und auch Geldstrafen! Viele der User veröffentlichten ihre Nachrichten vornehmlich in Einzel- und Gruppenchats, einige gar auch in den öffentlich einsehbaren Kanälen. Die meisten unter ihrem realen Namen mit Bild – nicht mal mit einem Nick-name.
Obwohl Europol bereits 2019 mit Telegram zusammenarbeitete (Löschung dschihadistischer Propaganda) dauerte dies in Deutschland wesentlich länger. Nach einem ersten Gespräch Anfang Februar 2022 kam es am 10. desselben Monats zu einem zweiten Arbeits-Austausch der deutschen Bundesregierung und dem Unternehmen via Video-Konferenz, an dem Pawel Durov auch persönlich teilnahm. Erstmals hat schliesslich das Unternehmen auf Ersuchen des deutschen Bundes-kriminalamtes 64 Kanäle gesperrt, darunter sieben des seit Februar 2021 mit Haftbefehl gesuchten Ex-Vegan-Kochs Attila Hildmann, der sich in der Türkei versteckt halten soll. Er nutzte Telegram vornehmlich zur Verbreitung seiner wirren Verschwörungstheorien an rund 100.000 Abonnenten. Auch einige antisemitische Hetzer sollen sich hinter den geschlossenen Accounts befunden haben.

„Telegram darf nicht länger ein Brandbeschleuniger für Rechts-extreme, Verschwörungsideologen und andere Hetzer sein. Mord-drohungen und andere gefährliche Hassposts müssen gelöscht werden und deutliche strafrechtliche Konsequenzen haben.“
(Bundesinnenministerin Nancy Faeser)

Viele unter Ihnen werden sich nun denken: Dann sperrt diesen Dienst einfach für Deutschland, die Schweiz und auch Österreich! Wie es Herr Erdogan in der Türkei u.a. mit YouTube vorexerziert hat. Nun – ganz so einfach ist das wiederum auch nicht, gehen doch dann die derzeit demonstrierenden und auf ihre Rechte pochenden Menschen erst recht auf die Strasse um die Meinungsfreiheit einzufordern. Jene Freiheit also, die in derartigen Vereinigungen selbst meist schamlos unterdrückt wird. Zudem hat dies Russland auch schon versucht. Telegram verlagerte daraufhin seine Dienste auf Server von Amazon.
Also mussten andere Wege gefunden werden. Doch einfach war dies scheinbar nicht: An wen und welche Adresse sollte ein Bussgeldbescheid gegen das Unternehmen zugestellt werden? Zwei Bussgeldverfahren sind bereits im Mai 2021 als Verbalnote durch die deutsche Botschaft an das VAE-Aussenministerium übergeben worden. Das Rechtshilfeverfahren konnte bislang noch nicht abgeschlossen werden, die beiden Bussgeld-verfahren befinden sich deshalb noch im Stadium der Anhörung. Schliesslich gelang es doch – wenn auch mit der Hilfe des Apple-Konzerns. Und die angedrohten Bussgelder in der Höhe von 55 Mio Euro dürften auch den Brüdern Durov zu hoch gewesen sein.
Der Messengerdienst steht schon seit geraumer Zeit unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. Das Ganze als „Spinnereien“ verharmlosen zu wollen, wäre nicht nur der falsche Weg, sondern auch eine sträfliche Vernachlässigung und Missachtung der Gesetze. So wurde beispielsweise im Dezember dazu aufgerufen, den Ministerpräsidenten Sachsens, Michael Kretschmer (CDU) für seine Politik in Sachen Corona töten zu wollen. Dies beklagt auch das Bundeskriminalamt in Berlin: Der Ton würde immer aggressiver! So werden beispielsweise Politiker, die in den entsprechenden Parlamenten für die Impfpflicht votierten, als „Volks-verräter“ bezeichnet, die „ihre Quittung kriegen“ werden. In Österreich ist auf Telegram von einem „zweijährigen Faschismus“ die Rede, „der Umbau wird im Hintergrund weiter vollzogen“! In einer anderen Nachricht ist das Gesicht des Bundespräsidenten Alexander van der Bellen mit einem Fadenkreuz versehen worden. Auch in der Schweiz werden offiziell Hass-nachrichten gegen Politiker, wie den Gesundheitsminister Alain Berset („Der Massenmörder gehört öffentlich hingerichtet!“) oder Medien-schaffenden („Vielleicht sollte man mal die TV-Studios abfackeln und den Moderatoren die Fresse polieren!“) gepostet.

„Bei Telegram muss der Staat schnell reagieren!“
(Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD))

Klar – wie auch anderswo auf dem Datenhighway ist es im Vergleich eine Minderheit, die das Medium zur Radikalisierung nutzt. Daneben sollten aber auch die Verschwörungstheoretiker berücksichtigt werden, deren Meldungen teilweise wie Auszüge aus den Tagebüchern von Geistes-kranken zu lesen sind. Ach ja – und schliesslich gibt es noch jene, die Tipps und Kontakte suchen: Wie kann die Impfpflicht umgangen werden, wer stellt gefälschte Impfpässe oder Atteste aus etc. Übrigens wird vermehrt ernsthaft dazu geraten, obdachlos zu werden, zumindest für den Staat!
Obgleich all die Möglichkeiten mehr als bedenklich sind, geht es der Exekutive wie etwa dem BKA, um die Verhinderung von Straftaten, von Volksverhetzung und Fehlinformation. So nutzt beispielsweise die Quer-denker-Szene Telegram zur Vernetzung. Auch diese Bewegung steht schon seit Monaten unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. Unter ihnen befinden sich viele gewaltbereite, zumeist rechtsradikale Mit-glieder, die sich über die unterschiedlichsten Chats auch für Übergriffe bei Demonstrationen an der Polizei verabreden. Die Morddrohungen gegen Kretschmer kamen ebenso aus dieser Bewegung wie auch die Fackelaufmärsche vor dem Haus der Ministerpräsidentin Mecklenburg-Vorpommerns, Manuela Schwesig (SPD). Tatsächlich sind es erschreckend viele Personen, die erreicht werden. So soll beispielsweise die Splitter-gruppe „Querdenken 711“ rund 60.000 User erreichen. Im Frühjahr 2020 von Michael Ballweg gegründet, bezeichnet sie sich auf ihrer Website als „friedliche Bewegung, in der Extremismus, Gewalt, Antisemitismus und menschenverachtendes Gedankengut keinen Platz hat“. Ballweg selbst hat den Slogan von QAnon zitiert, ein Naheverhältnis zu Reichsbürgern und Querdenken 341, die wiederum in Verbindung mit Rechtsextremen steht. Er und auch seine Bewegung Querdenken 711 wurden auf Facebook im September 2021 gesperrt.
Wie nun funktioniert Telegram? Jedes Mitglied einer Chatgruppe kann seine Meinung vielfach ungefiltert durch die Moderatoren der Gruppe kundtun. Die durch Facebook und Twitter bekannten Likes werden als Push-Nachrichten auf das Handy des Autors weitergegeben. So manch Einer fühlt sich dadurch bestätigt und vergreift sich bei seiner Sucht nach möglichst vielen dieser Push-Nachrichten auch mal in seinem Ton, der mit der bekannten „Netiquette“ bzw. im Extremfall den Strafgesetzen nicht mehr vereinbar ist.

„Ich bin sicher, man kann auch sie gesund ficken. Aber zuerst entlausen und lange duschen lassen…!“
(Nachricht über eine Gegendemonstrantin nach einer Anti-Massnahmen-Demo)

Allerdings können derartige Beiträge ganz simpel mittels Knopfdruck geteilt werden, wodurch viele eine geschlossene Gruppe verlassen. Seit dem 01. Februar 2022 müssen die Betreiber von Plattformen rechts-widrige Inhalte aus dem Bereich der „Hasskriminalität“ nicht nur löschen sondern auch an das deutsche Bundeskriminalamt melden (Netzwerk-durchsetzungsgesetz). Die Durov-Brüder betonten bislang stets, dass Telegram keine Plattform, sondern vielmehr ein Messengerdienst wäre – ähnlich wie WhatsApp. Stellt sich jedoch die Frage, weshalb Facebook, Twitter usw. Posts auch aus den Chats melden sollen, wenn sich Telegram nicht daran hält. Facebook und Co. dienen als Plattformen der öffentlichen Kommunikation, Telegram hingegen ist ein Hybrid. In Österreich stuft deshalb die KommAustria, die Regulierungsbehörde für Rundfunk und audiovisuelle Medien, auch Telegram zur Gänze in den Wirkungsbereich des Kommunikationsplattformen-Gesetz (KoPl-G) ein. Auch in Deutschland fordern deshalb die Experten die Gleichbehandlung des Messengerdienstes mit Plattformen. Schliesslich können Kanäle abonniert, Beiträge geteilt, Gruppen-Videocalls eingerichtet und Umfragen gestartet werden. Massnahmen, die weit über die Möglich-keiten eines blossen Messengerdienstes hinausgehen. Die EU diskutiert inzwischen über einen europäisch-einheitlichen „Digital Services Art“ (DSA), der solche Probleme, wie beispielsweise die Sorgfaltspflicht von Plattformen, regeln soll.
Auch wenn das Vermögen der Durovs auf 17,2 Milliarden US-Dollar geschätzt wird, plant Telegram unterdessen die Einbindung von Werbe-schaltungen („Monetarisierung“). Bleibt abzuwarten, welche heimische Unternehmen sich nicht um dieses „G’schmäckle“ scheren, das einige wenige verursachen, dem sich auch bereits eine Task-Force des deutschen Bundeskriminalamtes angenommen hat, mit dem aber einige Millionen User weltweit nichts zu tun haben!

Links:

– www.isdglobal.org
– www.bmj.de
– www.bmi.bund.de
– www.cemas.io
– freiheitsrechte.org
– www.fedpol.admin.ch/fedpol/de/home.html

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