Der Amazonas ist ihm scheissegal!!!
„Amazonien ist unser Erbe, unterliegt unserer Souveränität, aber wir können es mit der Welt teilen. … Es ist ein Schatz, den wir alle gemeinsam hüten müssen.“
(Kolumbiens Präsident Iván Duque)
Die Bilder sind verheerend und rühren auch die Hartgesottensten unter uns zu Tränen! Die grüne Lunge unseres Planeten, der Amazonas-Regenwald, steht in Flammen. Milliarden Tonnen CO2 werden dadurch freigesetzt – das Land, das durch die Rodungen und anschliessenden Brandrodungen freigemacht wird, kann für maximal zwei Jahre verwendet werden, dann ist der Boden ausgelaugt und liegt brach! Der Schaden wird also nicht mehr gutzumachen sein. Was dies für die ohnedies schon angeschlagene Mutter Erde bringen wird, zeigt uns wohl in aller Härte die Zukunft.
Regierungschefs aus sechs südamerikanischen Ländern haben sich vergangene Woche getroffen, um den für uns alle so wichtigen Regenwald künftighin zu schützen. Nur einer fehlte – er war allerdings zumindest mittels Videoleitung zugeschaltet: Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro. Offiziell aufgrund der Vorbereitungen für eine Operation eines Narbenbruches, bei jener Verletzung, die ihm ein Fanatiker mittels Messer während des Präsidentschaftswahlkampfes zugefügt hatte.
Ihm schien jedoch der Urwald schon vor seiner Wahl im Weg zu stehen – Brasilien soll mit Soja und Rindfleisch nach seinen Plänen zur Spitze der führenden Wirtschaftsmächte aufschliessen und das Naturschutzgebiet Estação Ecológica Tamoios südlich von Rio de Janeiro ein Urlauber-paradies werden. Am dortigen Strand wurde er 2012 beim illegalen Angeln erwischt, was er auch heute noch abstreitet, obwohl Fotos vorliegen. Die Strafe hat er selbstverständlich nicht bezahlt – der Beamte der Umweltbehörde, der ihn damals fotografierte und anzeigte, wurde gekündigt. Wer nun ist dieser Mann, dem das Wohl seines Landes offenbar so gar nicht am Herzen liegt?
Bolsonaros Familie besitzt italienische Wurzeln – seine Vorfahren sind im auslaufenden 19. Jahrhundert nach Brasilien ausgewandert. Durch seine derzeitige dritte Frau, die im Übrigen um 27 Jahre jünger ist als er (muss auch er sich künftig vor den beiden jungen Präsidenten Macron und Trudeau in Acht nehmen?), kam der römisch-katholische Politiker in Kontakt mit den Baptisten und den evangelikalen Freikirchen, die ihn auch entscheidend unterstützen. Von den vier Söhnen haben drei ebenfalls den politischen Berufsweg eingeschlagen. Seine Tochter aus der derzeitigen Ehe durfte wohl nicht, wie es bei den Rechtspopulisten üblich scheint.
Die politische Laufbahn begann im Jahr 1988, als sich Bolsonaro für die Christdemokraten (PDC) in den Stadtrat von Rio de Janeiro wählen liess. Zwei Jahre später zog er in die Abgeordnetenkammer des Parlamentes ein. Seither wechselte er die Parteien wie andere ihre Autos – bislang acht mal. 2018 kandidierte er für die in’s rechts-konservative Lager abdriftenden Sozial-Liberalen (PSL) für die Präsidentschaftswahlen. Dabei erhielt er auch die Unterstützung der Rechtsextremen. Sein Programm gleicht dem aller rechts von der Mitte stehenden Volksvertretern: Kampf gegen die Kriminalität, die Korruption und die Wirtschaftskrise und das Recht auf Waffenbesitz, sowie eine Minimierung des Einflusses der Gerichte und damit des Rechtsstaates. Starker Tobak sind seine rassistischen, frauenfeindlichen und homophoben Aussagen.
„Sie verdient es nicht, weil sie sehr hässlich ist. Sie ist nicht mein Typ. Ich würde sie nie vergewaltigen.“
(Bolsonaro über die Abgeordnete Maria do Rosario)
Bei der Stichwahl am 28. Oktober des vergangenen Jahres schliesslich erhielt er 55,1 % der Stimmen.
Seit seinem Amtsantritt eifert er seinem grossen Vorbild in den USA nach: Mehr Macht für das Militär, Ausschaltung kritischer Medien, weg mit dem Umwelt- und Klimaschutz, … Diese Woche veröffentlichte Geheimdoku-mente zeigen alsdann, dass er gar ein Anden-Amazonas-Schutzgebiet verhindern wollte. Dieses hatte der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos vor der Weltklimakonferenz 2015 in Paris auf’s Tapet gebracht, blitzte damit aber bei Brasilien und Venezuela ab.
Als der Wald zu brennen begann, leugnete der Präsident dies. Nachdem die Feuer immer mehr wurden und sich nicht mehr verheimlichen liessen, schob Bolsonaro die Schuld der Sonne, den Winden und v.a. den Umweltschützern zu, die ihn dadurch angeblich verunglimpfen wollten. Totaler Humbug – es wird gar gemunkelt, dass die Brandstifter durch den Präsidenten motiviert waren. Bevor nun wieder die ersten Rufe nach Verschwörungstheorie laut werden – hier der Hergang: Die B-163 soll vom Süden des Amazonas bis in den Norden an die Grenze von Surinam führen. Dazu muss eine grosse Brücke über den Strom gebaut werden und zudem ein Wasserkraftwerk entstehen. Zufälligerweise brachen entlang dieser Route der B-163 die meisten Brände aus, die zuvor auf einer Webseite mit dem Vermerk „gestützt auf die Worte des Präsidenten“ angekündigt waren. Als „Feuertag“ wurde von den Farmern der 10. August festgelegt. Die Regierung in Brasilia reagierte gar nicht darauf, obgleich sie von der Umweltbehörde informiert wurde.
Erst als der Präsident aus den eigenen Reihen (durch die starke Landwirtschaftslobby) kritisiert wurde und die Menschen lautstark mit Kochtöpfen und Löffeln auf die Strassen gingen, riskierte er eine Kehrtwende und stellte den Schutz des Waldes voran. Angeblich sollten 44.000 Soldaten im Kampf gegen die Brände helfen – eine Woche nach der Bekanntgabe dieser Entscheidung waren es gerade mal einige hundert. Auch ist bislang nur sehr wenig bekannt über die Verfolgung und Bestrafung der Feuerleger, obgleich die Generalstaatsanwältin Raquel Dodge nach dem OK aus Brasilia vom „Verdacht auf eine orchestrierten Aktion“ sprach.
„Vater, der Fluss ist kein Fluss mehr. Der Wald ist kein Wald mehr. Wo es keine Bienen mehr gibt, gibt es auch kein Wachs und keinen Honig!“
(Der ecuadorianische Präsident Moreno stimmte dieses Lied „Pare“ des katalanischen Liedermachers Joan Manuel Serrat während des Amazonas-Treffens in Kolumbien an)
International wollen nurmehr wenige mit Bolsonaro zusammenarbeiten. Vor allem der französische Ministerpräsident Macron boykottiert gemeinsam mit Irland das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Brasilien. Es wäre eine schlimme wirtschaftliche Ohrfeige in das rechtspopulistische Gesicht, da das Land dann auf den beiden wichtigsten Exportgütern Rindfleisch und Soja sitzen bleiben würde (der Gesinnungs-bruder in Nordamerika produziert selbst genug davon, wie der Fessel-vertrag mit der EU zur Abnahme von Rindfleisch beweist). Doch ausgerechnet dafür wurde ja der Regenwald angezündet: Für mehr Weideflächen und mehr Soja-Äcker.
Manche bezeichnen Bolsonaro bereits als „politischen Pyromanen im Präsidentenpalast“. Schliesslich hat er seit seinem Amtsantritt daran gearbeitet, die Voraussetzungen für das aktuelle Geschehen im Amazonas-Gebiet zu schaffen: Leugnung der Satellitenbilder der nationalen Weltraumbehörde und damit Leugnung der grossflächigen Abholzungen (den Leiter des brasilianischen Instituts für Weltraum-forschung INPE, Ricardo Magnus Osório Galvão, warf Bolsonaro raus, als dieser meinte, dass sich die Zahl der Rodungen des Regenwaldes seit dem Amtsantritt des Staatspräsidenten mehr als verdoppelt haben), militärische Härte gegen die Beschützer des Regenwaldes und der indigenen Völker, keinerlei Strafverfahren gegen die Täter, Hörigkeit gegenüber der Landwirtschaftslobby, … Viele Länder zahlten bislang Millionenbeträge in den Amazonas-Fonds ein – ein Schelm, der genaues weiss, wofür diese Gelder verwendet wurden. Erst als die Zahlungen versiegten, fühlte sich der Präsident in seiner Ehre gekränkt und zog sich schmollend und laut schreiend in seinen Palast zurück. Gegenüber der deutschen Kanzlerin Merkel etwa betonte er, sie solle mit dem Geld ihr eigenes Land aufforsten.
Und dennoch steht das Volk hinter seinem Präsidenten. Schliesslich behauptet er, dass vornehmlich die Europäer aber auch die Nordamerikaner (sicherlich meinte er die Zeit vor Trump) dem brasilianischen Volk das Eigentum vorenthalten wollen. Im Rahmen dieser „globalistischen Kampagne“ würden auch die Umweltorganisationen und Geheimdienste missbraucht, um dieses Ziel zu erreichen. Immer wieder versucht Bolsonaro seine Leute mit Sprüchen wie „Angriff auf die Freiheit und Unabhängigkeit des Landes“ bei der Stange zu halten. Seinen Widersachern gab er unmissverständlich zu verstehen, dass er sich aus dem Ausland keine Einmischung wünsche. Brasilien gehöre den Brasilianern – er ist der oberste Brasilianer!
Nun hat sich auch Papst Franziskus aus Argentinien als Vermittler eingeschaltet. Auf seine Initiative hin wird im Oktober im Vatikan eine päpstliche Amazonas-Synode stattfinden. Nicht wirklich nach Bolsonaros Geschmack. Der G7-Gipfel sagte den Amazonas-Anrainerstaaten eine Sofort-Brandhilfe in der Höhe von 20 Mio US-Dollar zu! Bolsonaro hingegen stellte Bedingungen für die Annahme. Durchaus als sicheres Zeichen zu bewerten, dass es ihm schon längst nicht mehr um das Volk, sondern nurmehr um seinen Machtanspruch geht.
Links:
– www.bolsonaro.com.br
– www.brazil.gov.br
– www.gov.br/pt-br
– www.camara.leg.br
– www.senado.gov.br
– kas.de