Prigoschin – Putins Kamphund

Einige knüpften große Hoffnungen an ein Ende des russischen Invasions-krieges mit der Ukraine, viele andere aber beobachteten den Marsch der Wagnersöldner nach Moskau mit grosser Besorgnis. Nach eigenen Angaben plante Wagner-Chef Prigoschin keinen Sturz Putins oder einen Militärputsch. Er wollte vielmehr damit gegen das chaotische Vorgehen der Militärführung im Kreml demonstrieren. Ausländische Experten sprechen indes sehr wohl von einem Aufstand, nicht zuletzt aufgrund der Verhaftung von nicht weniger als 15 russischen Generälen und den unzähligen Hausdurchsuchungen des Inlandsgeheimdienstes FSB seit dem Marsch. Einige der Wagner- Söldner bezahlten diesen mit ihrem Leben durch das sog. „Friendly Fire“ – russischen Beschuss. Übrigens bestätigte auch der US-Thinktank „Institute for the Study of War“ (ISW) unter Bezugnahme auf die Kritik des inzwischen abgesetzten russischen Generals Iwan Popow, dass es schwerwiegende Probleme in den russischen Kommandostrukturen gäbe. Popow befehligte die 58. Armee in der besetzten ukrainischen Region Saporischschja.

Inzwischen ist es rund um den Unternehmer und selbsternannten Feld†herren aus Moskaus Gnaden sehr ruhig geworden ist. Die einen Gerüchte meinen, er ist schon in russischer Haft oder gar tot, die anderen gehen davon aus, dass er sich wie seine Kämpfer in Belarus versteckt hält. Der pensionierte US-General Robert Abrams betonte in einem Interview, dass Prigoschin wohl nie mehr wieder in der Öffentlichkeit zu sehen sein wird. Und dann taucht da plötzlich ein Foto im Internet auf, das ihn in Unterwäsche auf einer Pritsche im Zelt angeblich auf dem belarussischen Militärstützpunkt Tsel zeigt. Was ist mit Prigoschin???

„ Was Prigoschin betrifft, so ist er in Sankt Petersburg. Er ist nicht in Belarus.“

(Alexander Lukaschenko)

Jewgeni Wiktorowitsch Prigoschin wurde am 1. Juni 1961 in Leningrad geboren. Bereits in seiner Jugend wurde er auffällig: Diebstahl, Raub-überfall und andere Delikte bescherten ihm 13 Jahre Haft – neun davon hat er auch tatsächlich abgesessen. Danach führte er mehrere Restau-rants in St. Petersburg. Nach eigenen Angaben bewirtete er im Jahr 2001 in einem seiner Restaurants den französischen Ministerpräsidenten Jacques Chirac und WladimirPutin, daher auch das Naheverhältnis zum Ex-KGB-Agenten. Andere Stimmen meinen, die beiden hätten sich schon zuvor getroffen, als es in St. Petersburg um die Vergabe der Glücksspiel-Lizenzen ging. Prigoschin baute seine Firma Concord auf – einer seiner Tätigkeitsfelder waren Fast-Food-Restaurants, mit denen er jedoch scheiterte. Durch die vielen öffentlichen Aufträge jedoch konnte er sich recht gut über Wasser halten. So belieferte er Schulen, Kindergärten, die russischen Streitkräfte und Staatsbankette. Daher stammt sein Spitz-name: „Putins Koch!“ Er selbst streitete dies stets ab:

„Ich bin nicht Putins Koch, ich kann überhaupt nicht kochen!“

Schliesslich engagierte er sich selbst in der russischen Propaganda-maschinerie. Concord wurde zusehends mehr zur Agentenschmiede. So schleuste Prigoschin bei der investigativen Nicht-Regierungs-Zeitung Nowaja Gaseta eine Spionin als Praktikantin ein, die jedoch enttarnt und mit Falschinformationen beliefert wurde. Die „aktiven Operationen“ begannen mit einen Diskreditierungsversuch des regierungskritischen Schriftstellers und Moderators Dmitri Bykow sowie der Überwachung der ebenfalls Putin nicht wohlgesonnenen Journalistin Julija Latynina. Das „Internet-Forschungsinstitut“ (IRA) gelangte als „Putins Troll-Fabrik“ durch Cyberangriffen und Fake-Propaganda vor allem bei Donald Trumps Wahlkampf und dessen anschliessender Wahl zum US-Präsidenten zu unrühmlicher Bekanntheit. Nach der Veröffentlichung des Berichtes des US-Sonderermittlers Robert Mueller setzte das FBI am 16. Februar 2018 aufgrund der Anklage Prigoschins durch eine Grand-Jury wegen „Verschwörung zur Störung demokratischer Prozesse in den Vereinigten Staaten“ für die Ergreifung desselben eine Kopf-Prämie in Höhe von 250.000 US-Dollar aus. 2023 bestätigte Prigoschin die Existenz seiner Troll-Armee:

„Wir haben uns eingemischt, wir tun es und wir werden es weiter tun.“

Auch während des „Euromaidans 2013“ (der „Revolution der Würde“ in der Ukraine) mischte die IRA fleissig mit.

Seine Medienholding schaffte in Russland ein richtiggehendes Moskau-getreues Nachrichtenmonopol, das schlussendlich auch den Ukraine-Feldzug als „Polizeieinsatz“ gegen angebliche Nazis in Kiew verkaufte. Der Oppositionelle und heute in Haft befindliche Alexei Nawalny war es schliesslich, der 2016 einen Bericht vorlegte, der aufzeigte, dass Prigoschin Aufträge des Kremls in der Höhe von zig Milliarden Rubel erhalten haben soll, nicht wenige durch das Verteidigungsministerium. U.a. auch für den Bau von Kasernen. Sein Unternehmen schrieb nach Angaben von unabhängigen Journalisten bis 2022 enorme Gewinne.

Ab 2012 arbeitete Prigoschin gemeinsam mit Dimitri Utkin am Aufbau einer privaten Militär- und Sicherheitseinheit zur Durchsetzung russischer Interessen im In- und Ausland – „Wagner“ war gegründet. Die Urenkelin Richard Wagners, Katharina Wagner, distanzierte sich bei den diesjährigen Wagner-Festspielen in Bayreuth erbost von dem Missbrauch des Werkes und Namens ihres Urgrossvaters:

„Es ist nun gar nicht zu leugnen, vielmehr muss immer wieder herausgearbeitet werden, wie sich im Werk meines Urgroßvaters die übelsten Formen politischen und rassistischen Wahns in das dramatische Geschehen einfügen.“

2014 wurde Prigoschin alleiniger Chef der paramilitärischen Organi-sation, einer Gruppierung von Söldnern, die vornehmlich gegen die Terrormiliz IS in Syrien sowie bei einigen Revolten in Afrika, wie etwa Libyen, und seit 2014 zunächst verdeckt, später offiziell im Ukraine-Feldzug Russlands tätig war. Prigoschin leugnete erst einen Zusammen-hang mit Wagner, erst im Ukraine-Krieg trat er in Uniform als Anführer der Söldner offiziell auf. Nicht selten wurden Rekrutierungen alsdann in rechtsnationalen und -radikalen Lagern auch in Deutschland durch-geführt. Ab 2022 schliesslich, wie im damaligen Film „Ein dreckiges Dutzend“, in russischen Straflagern. Deserteure würden sofort stand-rechtlich erschossen, getreue Kämpfer nach sechs Monaten an der Front durch Putin selbst begnadigt. So wurde etwa der Fall des Russen Jewgeni Nuschin bekannt. Der ehemalige Strafgefangene hatte sich 2022 den ukrainischen Truppen ergeben. Durch Gefangenenaustausch oder einer Entführung kam er wieder zurück. Seine Hinrichtung erfolgte mit einem Vorschlaghammer durch ehemalige Kampfgenossen. Prigoschin hierzu:

„Ein Hund empfängt den Tod eines Hundes.“

Am 23. Juni schliesslich rief Prigoschin nach Streitereien mit dem Verteidigungsministerium zum Marsch auf Moskau auf. So beklagte er sich, dass seine Männer vor allem bei den blutigen Kämpfen in Bachmut durch mangelnden Munitionsnachschub und Luftunterstützung den ukrainischen Truppen zum Fraß vorgeworfen wurden. Verwirrende Aus-sagen aus Moskau: Sprach doch Putin bei einem angeblichen Gespräch mit dem Aufmüpfigen am 29. Juni des Jahres noch von einem Wechsel an der Spitze der Wagner-Truppe (die Söldner sollten im Ukraine-Krieg weiterkämpfen), was Prigoschin abgelehnt haben soll. Nur wenige Tage später meinte er, dass die Gruppierung defacto nicht existiere.

„Ein privates Militärunternehmen Wagner existiert nicht.“

(Wladimir Putin)

Die Auflösung dürfte ihm nicht wirklich leicht gefallen sein, handelte es sich doch um kampferprobte, militärisch gedrillte Söldnern, die oftmals als Speerspitze an Hotspots eingesetzt wurden und gerade im russischen Invasionskrieg in der Ukraine für viele russische Gebietsgewinne verant-wortlich zeichneten.

Überraschend kam der Vermittlungsvorschlag des belarussischen Dik-tators Alexander Lukaschenko, gilt dieser doch als treuer Gefolgsmann Putins. Schliesslich erfolgte ein Teil der Invasion von belarussischem Gebiet aus. Zudem sprach er im Interesse Putins in Peking vor. Der russische Aggressor vertraut ihm dermaßen, sodass er dort Atomwaffen stationierte. Lukaschenko behauptet inzwischen, dass Wagner-Söldner im Militärstützpunkt Tsel belarussische Truppen trainieren sollen. Bleibt die Frage: Zu welchem Zweck? Will sich Lukaschenko nun auch aktiv an dem Krieg beteiligen? Aus dem US-Verteidigungsministerium heisst es, dass sich noch viele Wagner-Söldner in den russisch besetzten Gebieten in der Ostukraine aufhalten sollen; die Kollegen aus Moskau hingegen behaupten, die Waffenübergabe an die Streitkräfte wäre abgeschlossen! Es bleibt also auch weiterhin russisch düster!

Filmtipps:

.) Die Prigoschin-Akten; ARTE-Doku

.) Putins Schattenarmee – die Gruppe Wagner; ZDF-Doku

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