Artensterben – so schafft sich die Menschheit selbst ab

„Der Mensch verursacht gerade das größte globale Artensterben seit dem Verschwinden der Dinosaurier!“

(Eberhard Brandes, WWF-Deutschland)

Während sich die Politiker auf der ganzen Welt noch streiten, ob es denn nun einen Klimawandel gibt, ob dieses oder jenes Mittelchen gesund-heitsgefährdend oder wer für den ganzen Schlamassel verantwortlich ist, hat das stille Sterben schon längst begonnen. Ich befasste mich an dieser Stelle bereits mit dem Sterben alter Arten und der Insekten – nachdem ich jedoch immer wieder hören muss, dass mein Gegenüber im Gespräch das nicht gewusst hat oder dachte, dass es nicht so schlimm ist, möchte ich anlässlich des diese Woche beendeten „Weltnaturgipfels“ (Biodiversitäts-konferenz COP 16) in Rom nochmals mit aller Vehemenz betonen, dass für viele Arten ein „Zurück“ zu spät ist. Der deutsche NABU weist darauf hin, dass aufgrund der „Lebensraumzerstörung, Landnutzungswandel, Umweltverschmutzung, Klimaänderung und der Verbreitung invasiver Arten“ das Artensterben derzeit um 1.000 mal grösser ist als biologisch normal.

Bis zu 58.000 Tierarten verschwinden derzeit pro Jahr. Ich überlasse es gerne Ihren Rechenkünsten: Gegenwärtig gibt es noch 5 bis 9 Millionen – weltweit. Am wohl eklatantesten wirkt sich die Rodung des Regenwaldes aus. Satelliten-Messungen haben ergeben, dass alleine im Jahr 2023 weltweit 37.000 Quadratkilometer nahezu unberührter Regenwald gerodet wurden. Im Waldbericht der FAO (State of the Worlds Forest 2020) ist von 4,2 Mio Quadratkilometern zwischen 1990 und 2020 die Rede (nicht nur Regenwald!) – die Fläche Deutschlands mal 12!!! Die meisten Regenwald- Bäume wurden für Palmölplantagen gefällt! Dadurch geht nicht nur ein wichtiger Teil der grünen Lunge unseres Planeten verloren! Unzähligen Tierarten wie Säugern, Vögeln, Insekten, Amphibien etc. wird damit auch der natürliche Lebensraum genommen. Sie werden schlichtweg ausgerottet. So etwa auf der Insel Borneo. Den Palmölplantagen fiel nahezu der gesamte Regenwald zum Opfer – übrig blieb nur der Lambir-Hills-Nationalpark im Westen der Insel. Zogen früher unzählige grosse Schildhornvögel hier ihre Flugrunden, so sind nurmehr ganz wenige davon heute noch zu beobachten. Auch Flughunde oder Gibbons wird man vergeblich suchen. Derzeit gibt es dort nurmehr Tiere mit einem geringeren Gewicht als einem Kilogramm – sie finden in dem Park noch Nahrung. Dabei war der Wald über Jahrzehnte hinweg eine der artenreichsten Regionen dieser Erde. Oder: In den latein-amerikanischen (Süd- und Mittelamerika) Regenwälder leben rund 70 % aller Tier- und Pflanzenarten dieser Erde. Die Rodung v.a. des Ama-zonas-Regenwaldes nimmt erschreckende Ausmaße an!

„Die Belege sind unbestreitbar: Die Zerstörung der Artenvielfalt und der Ökosysteme hat ein Niveau erreicht, das unser Wohlergehen mindestens genauso bedroht wie der durch den Menschen verursachte Klimawandel.“

(Robert Watson, IPBES)

Über das grosse Insektensterben, nachgewiesen durch die Studie des Entomologischen Vereins Krefeld, in dem die Biomasse der in Natur-schutzgebieten in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Branden-burg fliegenden Insekten über 27 Jahre hinweg erfasst wurde, habe ich an dieser Stelle bereits berichtet!) – auch Vögel finden keine Nahrung mehr. Kurz angeschnitten habe ich zudem die Korallen im Blog zum Anstieg des Meeresspiegels. Dies wurde nun auch wissenschaftlich aufgezeigt: In der Studie der University of Queensland/Australien heisst es, dass das Great Barrier Reef immer mehr abstirbt: 2024 wurde eine Sterblichkeitsrate von bis zu 72 Prozent aufgezeigt! Verantwortlich dafür zeichnet haupt-sächlich das Ausbleichen der Steinkorallenstöcke („Korallenbleiche“). Die Korallen geben Algen ab – zurück bleibt ein weisses Kalkskelett.

Experten sprechen in diesem Zusammenhang von einer „ökologischen Krise“. Wälder als immens wichtiger Wasserspeicher fallen der Axt zum Opfer, Feuchtgebiete werden trocken gelegt, Grünflächen versiegelt. Durch den Klimawandel gibt es vermehrt trockenere und heissere Sommer und wärmere, frostarme Winter. Eigentlich wären wir alle auf das dort gespeicherte Wasser angewiesen.

Im Jahre 2010 wurde der „Strategische Plan für Biodiversität 2011-2020“ von mehr als 190 Ländern dieser Erde unterzeichnet. Das Überein-kommen über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity CBD) ist eigentlich verbindlich und hätte zu mehr Naturschutz und nach-haltiger Nutzung der natürlichen Ressourcen führen sollen. Geschehen ist freilich nicht wirklich viel. Letzte Ernüchterung etwa brachte die Vogel-zählung des NABUs in diesem Winter in Deutschland: Weniger Spatzen, Meisen und Amseln! Bei letzteren gab es gar ein Minus von 18 %. Immer weniger Vögel und immer weniger Arten!

Dabei werden in diesem Plan die 20 Handlungsziele bis 2020 („Aichi-Ziele“ der 10. Bioviversitätskonvention von 2010 in Nagoya) im Bericht zur Tagung dezidiert aufgezählt, wie etwa:

  • Halbierung des Verlustes von natürlichem Lebensraum
  • Stopp der Überfischung
  • Schutz von 17 % Land- und 10 % Meeresfläche
  • Widerstandsfähige Öko-Systeme
  • Einstellung umweltschädlicher Subventionen …

Heuer konnte kein wirklicher Kompromiss gefunden werden – obgleich der Konferenzpräsidentin Susana Muhamad aus Kolumbien mehrere Text-vorschläge vorlagen – einer gar von den BRICS-Staaten, welchen auch China und Russland angehören.

Nach wie vor werden Agrarsubventionen an industrielle Mastbetriebe vergeben, an Ackerbauern, die Glyphosat und Obstbauern, die Neonico-tinoide einsetzen. Nach Angaben des Pestizidatlases 2022 der Heinrich Böll-Stiftung wurden 30.000 Tonnen Pestizide alleine auf deutschen Äckern ausgebracht, in Österreich waren es 3424,1 Mio to, weltweit sind es jährlich rund 4 Mio to (30 Prozent davon Insektizide, nahezu 50 % Herbizide). Ja – so pervers es ist: Hierzulande ist die Landwirtschaft hauptverantwortlich für das Artensterben. Zu dieser Erkenntnis gelangte einmal mehr die Studie der „Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services“ (IPBES), die anlässlich der Biodiver-sitätskonferenz in Paris präsentiert wurde und unter Mitarbeit auch des deutschen Helmholtz-Zentrums für Umweltschutz in München entstand. Kritisiert werden von Experten auch an sich sinnvolle Projekte, wie Biogas-Anlagen. Insgesamt laufen derzeit 2.737 derartige Anlagen im Freistaat Bayern mit einer Leistung von nahezu 1.500 Megawatt. Zwischen 2005 und 2021 gab es insgesamt 523 Betriebsstörungen bei Biogas-Anlagen. Bei vielen davon wurden Gewässer teils derart schwer in Mitleidenschaft gezogen, sodass auf geraume Zeit jegliches pflanzliche, aber auch tierische Leben dort unmöglich ist. Nicht nur Fische wie etwa die Bachforelle sind auf gutes Wasser und intakte Flüsse angewiesen, auch die Insekten benötigen diese. Durch die Intensivlandwirtschaft kann sich zudem der Boden nicht mehr erholen, durch die Überdüngung mit Gülle werden viele Pflanzen und Tiere schlichtweg vergiftet. Und nun der Schock: Die Diversität intensiv-landwirtschaftlich genutzter Fläche und auch der mono-kulturellen Bebauung von Ackerflächen ist um bis zu 80 % niedriger als jene in Städten.

„Wir leben in einer Endzeit exponentiellen wirtschaftlichen Wachstums im begrenzten System Erde und verwandeln die vielfältige Welt in eine große einheitliche Fabrik. In eine Agrarfabrik, eine Fabrik-Fabrik, eine Wohn-Fabrik und eine Konsum-Fabrik in der zunehmend übersättigte Menschen immer unzufriedener werden.“

(Axel Mayer; Ex-Geschäftsführer BUND)

Apropos Gewässer: Nachdem die Fliessgeschwindigkeit sinkt, besteht die zunehmende Gefahr der Verschlammung der Bäche und Flüsse. Ganz zum Nachteil der sog. „Kieslaicher“, wie Bachsaibling, Äsche, Regen-bogenforelle oder den Neunaugen.

Während die IPBS-Konferenz im November in Kolumbien noch gescheitert ist, konnten sich die Telnehmer dieses Mal in Rom zumindest auf die Finanzierung einigen. Am Ende stand fest, dass die Industriestaaten für den Erhalt der Ökosysteme in ärmeren Ländern bereits ab heuer 20 Milliarden, ab 2030 dann 30 Milliarden Dollar bezahlen sollen. Die welt-weiten Ausgaben werden sukzessive steigen und bis 2030 mindestens 200 Milliarden Dollar ausmachen.

In den kommenden Jahrzehnten könnten zwischen 500.000 bis 1 Million Arten von unserem Planeten verschwinden. Wissenschaftler sprechen vom „6. Massiven Artenverlust“, und dies in solch rasender Geschwindigkeit wie nie zuvor. Der 5. Massive Artenverlust fand übrigens vor etwa 66 Millionen Jahren statt. Ursache damals war der Einschlag eines riesigen Asteroiden.

Dabei gab es bereits Warnungen: Im Jahr 2005 durch das Millennium Ecosystem Assessment der Vereinten Nationen beispielsweise. Hier wurde dringendst zu einer Umkehr geraten! Allerdings ist nichts geschehen.

Die Umweltorganisation WWF veröffentlicht in regelmässigen Abständen den Living Planet Report. Erschreckend das Ergebnis zum Artensterben: Seit 1970 gingen die Bestände an Wirbeltieren um mehr als 50 % zurück, in manchen Teilen Lateinamerikas sogar um nahezu 90 %. Auch bei den Wirbellosen (den Insekten etwa) sieht es nicht besser aus.

„Solange wir Tiere in Ökosystemen weiter als irrelevant für diese Grundbedürfnisse halten, werden Tiere die Verlierer sein.“

(Joshua Tewksbury, Direktor des Smithsonian Tropical Research Institute von der Rice University Houston/Texas in einem Fachartikel des Magazins „Science“)

Wie nun wirkt sich all das auf den Menschen aus? Ein Beispiel möchte ich Ihnen stellvertretend für viele weiteren nennen: Wird ein Acker oder eine Obstplantage aufgrund Insektizid-Einsatzes schädlingsfrei, werden auch die natürlichen Fressfeinde, wie Vögel oder andere niedrige Wirbeltiere weiterwandern oder zugrunde gehen. Dies kann aber zu einer Massen-vermehrung von Schädlingen führen, die die komplette Ernte zerstören können. Besonders gefährlich sind in diesem Zusammenhang zudem eingeschleppte Arten, sog. Neophyten und Neozoen, wie die Kirsch-essigfliege oder der Asiatische Marienkäfer, der eigentlich zur Schildlaus-bekämpfung geholt wurde, jedoch auch vor Weintrauben keinen Halt macht. Insgesamt wird die Zahl dieser nicht regionalen Eindringlinge auf nicht weniger als 12.000 Spezies geschätzt – rund 10 % der heimischen Arten. US-amerikanische Mathematiker und Biologen berechneten den ökonomischen Wert der Fressfeinde. Er beläuft sich auf nicht weniger als 4,5 Milliarden US-Dollar – jährlich!

Daneben gibt es grosse Auswirkungen bei der Bestäubung so mancher Pflanzen. Besonders pervers: Jene, die am meisten auf die natürliche Bestäubung durch Bienen, Hummeln etc. angewiesen sind, spritzen auch die meisten Insektizide! Lobend erwähnt sei in diesem Zusammenhang das Artenschutzgesetz Bayerns, das auf die Bürgerinitiative „Rettet die Bienen“ zurückzuführen ist. Was ausserhalb Bayerns offenbar unmöglich ist, wurde hier durch den dortigen Landtag sogar noch intensiviert, ausgebaut und per Gesetz verabschiedet. Nutzniesser davon sind natürlich die Honigbienen, allerdings in weitaus grösserem Umfang die Wildbienen und Schmetterlinge, falls es sie noch gibt!!!

Eines aber sollte sich jeder durch den Kopf gehen lassen: Wir alle brauchen die Natur! Wenn vielleicht auch nicht körperlich unmittelbar, so auf jeden Fall psychisch!!!

Filmtipps:

.) Darwins Alptraum; Hubert Sauber; F/ B/ AU, 2004

.) Menschen gegen Monster (3 Folgen); BBC 2005

Lesetipps:

.) Das Ende der Artenvielfalt; Wolfgang Engelhardt; Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2011

.) Nach der Natur: Das Artensterben und die moderne Kultur; Ursula K. Heise; Suhrkamp Verlag 2010

.) Das grosse Insektensterben – Was es bedeutet und was wir jetzt tun müssen; Andreas H. Segerer/Eva Rosenkranz; bekomm Verlag 2018

.) Die Menschheit schafft sich ab – Die Erde im Griff des Anthropozän; Harald Lasch/Klaus Kamphausen; Knaur 2018

.) Unsere Vögel: Warum wir sie brauchen, wie wir sie schützen können; Peter Berthold; Ullstein Hardcover 2017

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